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2015-06-30

MAGMA - Wurdah Ïtah

Zeit für Zeuhl!

Die große, hochwertige Magma-(Wieder)veröffentlichungsreihe von Jazz Village läuft und läuft... Und ich habe mir mal wieder einen vierzigminütigen Schatz daraus gegönnt.
  



MAGMA - Wurdah Ïtah (Vinyl) (1974/2015)

Bei "Wurdah Ïtah" handelt es sich um eine umetikettierte Wiederveröffentlichung. Als das Album 1974 erschien, war es nämlich nominell gar keine Magma-Werk, sondern der von Drummer und Bandkopf Christian Vander komponierte Soundtrack zum Experimentalfilm "Tristan Et Iseult".

Auf dem Textbooklet befinden sich in Originalgröße die Cover zweier voriger Versionen.




Tatsächlich ist "Wurdah Ïtah" aber ein lupenreines Zeuhl-Album mit allen Merkmalen dieser von Vander erfundenen Musikrichtung. Der treibende Jazzrock, die orffsche Klassik und der fast ununterbrochene repetiv-hypnotische bis ekstatische Chorgesang - alles ist da. Und natürlich sind die Texte auf kobaïanisch.

Was also unterscheidet dieses Album vom Rest der Magma-Diskographie? (Abgesehen davon, dass ein Regisseur so bekloppt war, mit diesem total verdrehten Zeug seinen Film zu unterlegen.)

Ganz einfach: Es wurde nur mit einer vierköpfigen Kernmannschaft eingespielt. Neben Christian Vander, der neben den Drums auch für das Klavier verantwortlich ist, sind nur die charakteristische Stimme seiner Frau Stella, sowie ein männlicher Sänger und ein Bassist zu hören.
Das bedeutet, das typische Vibraphon  und vor allem die Gitarre fehlen komplett!

Somit ist dieses fast so etwas wie eine Kammermusikversion von Magma. Die Band klingt trotz der nach wie vor vollkommen irrwitzigen und wilden Musik aufgeräumter und tatsächlich auch cineastischer als sonst. Die glasklare, für ihre Zeit herausragende Produktion tut das übrige, um "Wurdah Ïtah" über jeden Zweifel zu erheben.

Für mich ist dieses Werk an sich und die Wiederveröffentlichung auf 180g-Vinyl (plus wav-Dateien-Download) uneingeschränkt großartig und auch für Neulinge zu empfehlen!
Brilliante, einzigartige, positiv verrückte Musik.





Wer allerdings Magma ansonsten scheiße findet (geht das?), der wird auch hiermit nicht... ach, was erwähne ich das überhaupt, der liest ja ohnehin gar nicht bis hierher.


Anspieltipps: Sind bei dieser Band ja eigentlich immer Quatsch, da sich das gesamte Album als eine zusammenhängende Komposition präsentiert. Allerdings beginnt die B-Seite mit "Ẁaïnsaht !!! (En Avant !!!)" noch eine ganze Ecke wahnsinniger und alberner als die A-Seite. Man weiß also gleich, wie weit es Magma in dieser Hinsicht treiben können...

2015-06-29

MOTORPSYCHO live im Grünspan, Hamburg (27. Juni 2015)

Ja, Digga! Was soll ich zum Konzert am Samstag groß sagen?

Ok, es war mein erstes Mal Motorpsycho und ich muss definitiv zugeben, dass die Lautstärke mich überrascht hat. Dass es laut werden würde, war mir schon klar. Aber sooo laut...  puh.

Noch dazu haben wir (= diese Band, die hoffentlich demnächst wenigstens mal wieder zum Proben kommt) uns ja direkt in die erste Reihe, also mitten ins Bass/Gitarren-Inferno gewagt.
Nach dem Konzert hatten wir dann alle klingelnde und rauschende Köpfe und hörten unsere eigenen Stimmen nur verzerrt. Schlimmer erging es mir in greifbarer Vergangenheit nur zwei Mal, nämlich nach den Swans und nach den Swans.

Auf dem Heimweg sorgte dieser Einblick in unsere kommunikativen Möglichkeiten als Greise durchaus für einige gemeine Lacher auf Kosten des am schlimmsten Betroffenen in der Gruppe. Ich war's nicht, hehe.
Eines steht aber schon fest: Zum Konzert der sagenumwoben infernalischen Sunn O))) im August wird definitiv professioneller Gehörschutz mitgebracht.


Doch zum Konzert: Ich bin ja recht junger Motorpsycho-Fan und kenne die Band erst seit "Heavy Metal Fruit", was immerhin auch schon drei reguläre Studioalben plus eines der besten Rock-Konzeptalben aller Zeiten und das einzigartige "Konsert For Folk Flest" bedeutet.
Ich kannte also sechs von sechszehn Stücken der gut zwei Stunden langen Show.

Aber ob bekannte Lieder oder nicht: Das gesamte Set war ein einziger großartiger verschwitzter Rock'n'Roll-Rausch.

Trotz der hohen Grundlautstärke und des enormen Dampfes, den vor allem der knallhart groovende Bass verantwortete, agierte die Band nicht nur berauscht verspielt, sondern dabei auch sehr dynamisch. Die meisten Motorpsycho-Songs lassen Raum für intensive Jams, und dieser wurde auch reichloch genutzt und machten Stücke wie "Hell, Part 1 -3" eine ganze Ecke länger als auf Konserve.
Von den Drums und dem meist zweistimmigen Gesang hat man ein paar Meter weiter hinten vermutlich mehr gehört als am Bühnenrand, aber dafür kann ich jetzt alle Songs des Sets spiegelverkehrt of dem Moog Taurus Basspedal spielen.

Ja, was soll ich sagen? Einfach nur irre gut, das alles!

Das proppevolle Grünspan hat die Band zurecht frenetisch abgefeiert. Insbesondere die Pause vor der Zugabe, als die Menge den Refrain von "All Is Loniless" wiederholte, bis die Band zurückkam, war ein echter Gänsehautmoment.

Note: 1 (mit Sternchen für die Gehörgängegrundreinigung)








2015-06-25

LOOP - Array 1

"Welcome aboard Array 1!
 Your captain on this flight is Robert Hampson.

Please fasten your seatbelts!
Stay strapped for the durance of the takeoff until we have left the exosphere!

The crew wishes you a pleasant psychedelic journey."





LOOP - Array 1 (12" EP) (2015)

+ engines set +
+ rhythmic machinery working steady +
+ low freq. pumps running smooth on max. pulsation +
+ fuzzy chord progression online +
+ hydraulic vocal emission compressor activated +
+ adding extra fuzz +

"Dear passengers, we are now half way between The Heads Nebula and the Godflesh cluster, approaching the periphery of the comet's tail.

Please turn of all cellphones and other mobile devices!"

"The static buzz we are experiencing is caused directly by the debris in the gravitational field of the comet. Don't worry, the flight will go back to normal soon."

"London, we have a problem!"

"Dear passengers, unfortunately we won't reach our destination in time. While entering the asteroid field our outer shell has been slightly damaged, exposing some sections of the ship to the interplanetary drone . We've set an emergency call and are currently waiting for help from Array 2.

In the meatime please enjoy our onboard music program!
There are some nice hypnotic tracks waiting for you on the headphones next to your seats."


Anspieltipps: Radial, Aphelion

2015-06-21

WHITE HILLS - Walks For Motorists

So, wenn ich die blaue Neupressung von Bongrippers "Hate Ashbury" mal ignoriere, dann ist dies tatsächlich der letzte Tonträger aus meinem Roadburn-Einkauf (siehe hier!), der 2015 erschienen ist und somit laut den heiligen Gesetzen meines Blogs hier ein Review verlangt.

Und das schreibe ich auch gerne. Immerhin habe ich abgesehen von den neuen Bell Witch, Botanist und vielleicht noch The Osiris Club wohl keine jener Scheiben so oft gehört wie die aktuelle White Hills




WHITE HILLS - Walks For Motorists (clear purple vinyl) (2015)

Coole Musik ist cool.

Und lila transparentes Vinyl ist lila transparent.










Reicht noch nicht?

Ok, das Duo Ego Sensation / Dave W. (plus der kongeniale Drummer Antronhy) sind immer noch ganz klar als die White Hills identifizierbar, wie ich persönlich sie von "Live At Roadburn 2011" und "Glitter Glamour Atrocity" kenne.

Und doch haben sie mächtig an ihrem Sound geschraubt, klingt "Walks For Motorists" anders.

Das Stichwort ist Reduktion. Im Grunde basiert fast jeder der neun Tracks hier auf einem einzigen Beat, den fetter Bass und Schlagzeug - ohne Schnickschnack, aber mit beinahe programmiert wirkender Präzision und perfektem Groove - von Anfang bis Ende vorantreiben.

Darüber fuzzt und rockt und glitzert die Gitarre und zirpt der Weltraumvogel. Fehlen nur noch repetive Gesangslinien und/oder Samples und fertig ist die Sause.

Das Ganze lässt sich nach wie vor unter Space Rock labeln, artet im Korsett der gnadenlosen Rhythmusmaschine allerdings kontrollierter aus als in der Vergangenheit. Wobei es z.B. in "We Are what You Are" oder "Lead The Way" nach wie vor sehr breitwandig zugeht.

Insgesamt ist die Musik aber schon sortierter geworden. Ein Verlust ist dies jedoch nicht, denn dafür ist diese neue Kompaktheit selbst einfach zu packend.

Und keine Angst! "Walks For Motorist" ist weit davon entfernt, Mainstreamradiomusik zu sein. Aber dadurch, dass alles oberflächlich so simpel und catchy scheint, hat doch jeder Track unzweifelhaft Ohrwurmqualitäten.

Alles in allem machen White Hills hier einfach saucoole Mucke.

Und saucoole Mucke ist saucool.




Anspieltipps: Automated City, Walks For Motorists, Lead The Way, Wanderlust

2015-06-20

TAU CROSS - Tau Cross

Die Geschichte des Punk ist eine Geschichte voller Miss... ach nein, das war ja die Menstruation.

Nein, die Geschichte des Punk ist - wie die des Hardcore - vor allem eine Geschichte, von der annähernd null Ahnung habe. Nie drin gesteckt, ein paar Ausnahmebands bestätigen nur die Regel.

Deswegen hätte ich bis vor kurzen beim Namen Amebix (von 1978 bis 1987 mit ihrer Mischung aus Punk und Doom Metal Mitbegründer des Crust-Punk) unwissend mit den Schultern gezuckt.

Dass deren Bassist und Sänger Rob Miller nun eine neue Band gegründet hat, wäre also normalerweise ebenfalls an mir vorbeigegangen. Allerdings ist jene Band auch ein weiterer Spielplatz für Michel Langevin, auch bekannt als Away, Schlagzeuger von Voivod.

Da ich sein Krautrock-Project Kosmos schon ganz launig fand, war das für mich dann selbstverständlich ein Grund, zumindest mal reinzuhören...




TAU CROSS - Tau Cross (Vinyl) (2015)

Yep, die Existenz dieses Reviews zeigt, dass es nicht nur beim Reinhören geblieben ist. Dabei ist der kreative Anteil von Away gar nicht zwingend erkennbar; nicht einmal das Vogelscheuchen-Logo, welches seine Handschrift zu tragen scheint, stammt tatsächlich von ihm.

Es gibt zwar durchaus ein paar Songs auf der Platte, die man sich auch von Voivod gespielt vorstellen könnte, allerdings wäre das dann nicht die klassische Phase bis in die frühen Neunziger, sondern eher die sehr von Punk und Motörhead beeinflusste Zeit mit Jason Newsted, also das selbstbetitelte dreizehnte Album, sowie "Katorz" und "Infini".

Rob Millers Baby Tau Cross spielt also definitiv geradlinige Musik, welche Punk und räudigen Metal miteinander verbindet. Darüber hinaus ist aber auch ein gehöriger Post-Punk-Einschlag der Marke Killing Joke zu erkennen, der sich mit etwas Fantasie sogar in Richtung Fields Of The Nephilim ("Sons Of The Soil") weiterdenken lässt. Nicht zuletzt spielt z.B. in der Ballade "The Devil Knows His Own" oder dem Kracher "We Control The Fear" auch Folk eine wichtige Rolle.

Insgesamt lassen sich in den zwölf Lieder des Albums eine erstaunlich leichthändig zusammengeführte große Menge von Stilen und Einflüssen entdecken.

Gemeinsam ist ihnen allen ihr mitreißendes, effektives Songwriting. Jedes Stück setzt sich unmittelbar im Ohr fest, ohne darin zu nerven. Bis auf ein paar bewusst ruhigere Stücke pusht Away die hauptsächlich im schnellen Midtempo angesiedelten Songs dabei mit gnadenloser Power (und teilweise auch mit bei Voivod selten so deathmetalmäßig eingesetzter Doublebass) voran.

Das Schlüsselelement, welches alles zusammenhält, ist jedoch Millers fies gurgelnder bis krächzender Gesang. Passagenweise versucht er sich auch als Nick Cave oder Doom Metal-Prediger, woran er rein technisch betrachtet vielleicht scheitert, was allerdings dem rotzigen Charisma und brutalem Rock'n'Roll seiner Performance überhaupt nicht schadet.

Dazu sind auch die düsteren Texte sehr gelungen, was das Gesamtbild perfekt abrundet.

Das LP-Cover (Gatefold inkl. Lyrics) ist ein ebenfalls absolut stimmiger Hinkucker. Ein mp3-Downloadcode liegt auch bei. Was will man mehr?



Tau Cross' selbstbetiteltes Debut ist ein sensationell gutes Album geworden.
Eigenständig, einzigartig, aber irgendwie schon vertraut, eingängig und voller saustarker Hits. Ganz klar ein Highlight mit Ausrufezeichen im bisherigen Musikjahr!

Geiler Scheiß!


Anspieltipps: Lazarus, We Control The Fear, You People, Midsummer, Fire In The Sky, The Devil Knows His Own

ZOMBI - The Zombi Anthology

Aktuell schlummern etwa zehn Alben in meiner Review-To-Do-Liste. Nach dem gestrigen Text zu Claudio Simonetti's Goblin erscheint es mir am logischsten, mir nun gleich der nächsten instrumentalen Progrock/Soundtrack-Band auf rotem, beim Roadburn Festival gekauften Vinyl anzunehmen.




ZOMBI - The Zombi Anthology (red vinyl) (2015)

Tatsächlich hat auch diese Scheibe von Zombi ähnlich wenig mit dem auf dem Festival dargebotenen Livesound zu tun, wie die "Profondo Rosso" von Goblin mit dem "Suspiria"-Livescreening, was ich dort gesehen habe.

Bei "The Zombi Anthology" handelt es sich um einen Rückblick auf die Anfänge des us-amerikanischen Duos. Es ist die Zusammenfassung der ersten 2001 auf 150 Stück limitierten CD, sowie der nachfolgenden EP "Twilight Sentinel" von 2003 auf einer LP.
Anscheinend ist auch diese Anthologie bereits in der Vergangenheit mal auf CD erschienen. Allerdings können sich Wikipedia und Discogs nicht auf ein Jahr einigen, also tue ich einfach mal so, als wäre das Ding komplett neu - was für das Vinyl von Relapse Records ja auch stimmt.  

Wie der Bandname - nach dem italienischen Originaltitel des Romero-Films "Dawn Of The Dead" - schon verrät, war Goblin, welche den Filmsoundtrack lieferten, bei der Gründung der Band ein zentraler Einfluss.
Mit seiner sehr reduzierten, fast nur auf Synthesizer und Computerdrums aufbauenden Elektro-Musik ist das "Zombi"-Demo jedoch noch sehr viel näher an den Achtziger-Jahre-Sounds von John Carpenter.
Am meisten nach Simonetti klingen die Keyboards in "Sequence 5". Durch den sehr einfachen Bassdrum-Beat ist dies jedoch eher eine Dance- als eine Rock-Nummer.

Die EP auf Seite B zeigt dann die ersten Schritte hin zum heutigen Charakter der Band, mit Live-Drums und parallel zu den Keyboards gespieltem Bass.
Besonders deutlich wird diese Entwicklung durch den Track "Sequence 8", welcher als letzte Nummer des Debuts noch auf die zweite Seite überschwappt, um direkt im Anschluss in einer alternativen, analogeren Version wiederholt zu werden.

Als Prog-Band würde ich Zombi auch auf dieser EP noch nicht bezeichnen, doch es ist ein hörbarer Schritt hin zu gleichsam spacigen wie präzise groovenden Live-Maschine, die ich in Tilburg bewundern durfte.

Insgesamt ist "The Zombi Anthology" wahrscheinlich nicht das essentiellste Album der Band, gut und unterhaltsam finde ich es aber allemal. Hohe (Kino-)Lautstärke empfohlen!


Anspieltipps: Sequence 8 (Alternate Version), Sequence 5, DMC-12, Sequence 2, Sequence 3

2015-06-19

CLAUDIO SIMONETTI'S GOBLIN - Profondo Rosso

Im letzten Review (The Osiris Club) habe ich sie erwähnt, und da fiel mir ein, dass ihre aktuelle Langrille hier durchaus auch ein paar Worte verdient hat:

Die legendäre italienische Horrorfilmsoundtrack/Progrock-Band Goblin, wie ich sie der Einfachheit halber mal im folgenden Text nennen möchte. Denn genau genommen muss man natürlich Claudio Simonetti's Goblin sagen, um seine Inkarnation der Gruppe von den Versionen, die andere Mitglieder der Originalband gegründet haben (Back To The Goblin, New Goblin, Goblin Rebirth, Goblin alkoholfrei) zu unterscheiden. Ja es spinaltapt ein wenig...

Ich persönlich bin ehrlich gesagt nur mit Simonettis Band vertraut, seit ich sie 2014 live gesehen habe. Nachdem ich dann dieses Jahr noch den Live-Score zu "Suspiria" auf dem Roadburn Festival erleben durfte, wollte ich auch gerne noch eine Kleinigkeit von ihrem Merchandising-Stand mit nach Hause nehmen.

Ohne Detailkenntnis der Diskographie zog mich dann ganz einfach die Signalfarbe ROT an...




CLAUDIO SIMONETTI'S GOBLIN - Profondo Rosso (10" red vinyl) (2015)

"Profondo Rosso", Erstwerk von Goblin und Soundtrack zum gleichnamigen Film, wurde seit 1975 in zahlreichen Auflagen rausgebracht, sowohl als komplettes Album (mit sieben Kompositionen) als auch als Single mit zwei Stücken.

Bei der nun erschienenen Version handelt es sich jedoch um eine komplette Neueinspielung durch Simonettis aktuelle Band, welche sich leicht von allen vorigen Veröffentlichungen unterscheiden lässt, da es sich diesmal weder um eine Single, noch um ein komlettes Album handelt, sondern um eine (natürlich knallrote) Zehn-Zoll-Platte.

Alle vier Tracks von "Profondo Rosso" erscheinen angesichts der heute in Horrorfilmen gewohnten Klangkulisse mit ihrem groovenden Rocksound, der meistens schon mehr Jazz Fusion als Prog ist, sehr leichtfüßig. Die sehr klare und druckvolle Produktion, die es allen Instrumenten erlaubt, jederzeit auf Augenhöhe Akzente zu setzen, hat daran ebenfalls ihren Anteil.

Der Opener "Mad Puppet" wird vor allem von einem Klavierthema mit unorthodox durchratternden tiefen Tasten bestimmt, in das immer wieder die spitze Leadgitarre hineinschießt.

Der Titeltrack, den wohl fast jeder zumindest unbewusst irgendwo schon einmal gehört hat, erfüllt mit seinen Orgelläufen am ehesten die - von Goblin mitgeprägten - Erwartungen an einen Horrorsoundtrack.

"Deep Shadows" könnte auch von Return To Forever stammen. Hier passiert musikalisch wohl auf allen Ebenen am meisten, jedes Instrument inkl. der Drums darf solieren, während neben den Keyboards vor allem der schnell reitende und irgendwie auch funkige Bass die Hauptrolle spielt.

Im wieder mehr score-typischen, finalen Stück "Death Dies" bilden Bass und Gitarre zusammen die kompakte, dominante Rhythmussektion, während sowohl Tastenmeister Simonetti als auch das Schlagzeugeher atmosphärische Geräuschkulisse beisteuern.

Alles in allem ist "Profondo Rosso" eine auch optisch als Sammlerstück schöne Platte, kurz und weilig - und musikalisch sicherlich für alle Freunde von (Italo-)Prog, Fusion und instrumentalen Soundtracks interessant.

Mag ich.

Anspieltipps: Deep Shadows, Profondo Rosso

2015-06-17

THE OSIRIS CLUB - Blazing World

Ich habe die Band als Abschluss des Roadburn Festivals gesehen und mir dort gleich begeistert deren Album mitgenommen. Ich höre es seitdem oft und gerne und mich hat bisher (abgesehen von Zeit und Schweinehund usw.) eigentlich nur eine Sache davon abgehalten, es mit einem Review zu würdigen.

Ich habe nämlich ebenso lange das Gefühl, dass es irgendwo in meiner Musiksammlung (oder zumindest meinem Musikwissen) eine Band gibt, die der ultimative Vergleich ist, um zumindest 80% der Scheibe total treffend zu erklären. Ich fühl mich zwar nach wie vor ganz nah dran, jedoch fällt und fällt mir diese Band einfach nicht ein...


Vielleicht gibt es sie ja auch gar nicht. Ich gebe auf.

Dann muss ich es also ohne ihre Hilfe hinbekommen...




THE OSIRIS CLUB - Blazing World (clear white vinyl) (2015)

Mag ich das Wort "Okkultrock" überhaupt noch schreiben? Sound, Energie und Groove von The Osiris Club kann man durchaus mit anderen Bands der von The Devil's Blood losgetretenen Welle vergleichen. Und auch textlich geht es um das Portal zu einer anderen Welt voller lovecraftscher Geschöpfe (was inhaltlich natürlich derbe an meine letzte Rezension erinnert, musikalisch mit dem Death Metal von Sulphur Aeon aber nullkommanix zu tun hat).

Okkultrock oder auch Retro-Rock also. Allerdings tragen die Londoner ihre Einflüsse nicht ganz so offen zur Schau wie beispielsweise Lucifer. Und neben Hardrock spielt Progrock der Klassikermarken King Crimson und Genesis im Stilmix des Clubs eine noch größere Rolle, ebenso wie die psychedelische Frühphase von Pink Floyd, was zusammen wiederum Querverweise zu Selim Lemouchi And His Enemies öffnet, ohne jedoch wie bei diesen in hypnotisch repetive Longtracks zu münden.


Nein, The Osiris Club spielen relativ kompakte Songs zwischen vier und fünfeinhalb Minuten. Doch in dieser Zeit passieren eine Menge verrückter Dinge.
Die Briten sind ganz klar eine kauzige Band, nicht zuletzt durch den cleanen, aber leicht britisch und freakig angeschrägten, fast schon erzählerischen Gesang.
Kauzig, aber dadurch bemerkenswerterweise nicht zwangsläufig anstrengend.

Es gibt hier Melodien, die mich an die proggigere Seite von Motorpsycho erinnern, da Stimmungen. die etwas von Voivods meisterhafter Siebziger-Hommage "Angel Rat" haben.

Einen wirklich durchgehend auf ganzer Länge des Albums zutreffenden Vergleich habe ich allerdings wie eingangs erwähnt noch nicht gefunden.
Die deutlichste Ehrerbietung gegenüber alten Idolen findet sich sich im Titelsong "Blazing World", dessen Gast-Geige keine deutlichere Reminiszenz and das legendäre Mahavishnu Orchestra sein könnte.

Ansonsten sind es es neben dem Gesang eher die Leadgitarren und sehr prominente Keyboards, die für die Texturen - und für ein gewisses cineastisches Moment - sorgen. Tatsächlich ging das ursprüngliche Konzept der anfangs rein instrumentalen Band angeblich in Richtung Horrorfilm-Soundtrack trifft Advantgarde-Metal. Auch wenn die Entwicklung bis zum Debütalbum dann doch in eine andere Richtung ging, sind davon immer noch genügend Fragmente erhalten, um einen passagenweise an Gruppen wie Goblin und Zombi - oder auch aktueller die ursprünglich ähnlich gestarteten Lis Er Stille denken zu lassen.

Alles in allem ist "Blazing World" ein buntes, detailreiches, ohrwurmreiches und kurzweiliges Werk für Freunde des gepflegten schrägschönen Gruselgeschichten-Progs.

Mit seinen acht Tracks ist es allerdings recht kurz geraten.

Auch hätte ich gerne die Texte mitgelesen, wenn man sich schon für eine Einzel-LP eine Gatefold-Hülle gönnt. Cover und transparantes Vinyl sind dafür aber schön anzusehen.

 
Anspieltipp: That's Not Like You, Blazing World, Miles And Miles Away, The Bell's

2015-06-14

SULPHUR AEON - Gateway To The Antisphere

Was machen eigentlich Morbid Angel? *

Falls sie immer noch "The Satanist" von Behemoth hören und sich fragen, wie zum Cthulhu diesem Scheiß mit ihrem nächsten Release das Wasser reichen können, dann sollten sie mal kurz innehalten und ihre Ohren gen Deutschland schweifen lassen.

Denn hierzulande entfesselt eine ebenfalls dem Stil der großen Altmeister folgende Death Metal-Band gerade ganz gewaltig das kosmische Chaos!
 


SULPHUR AEON - Gateway To The Antisphere (2LP) (2015)

Ich nehme den einen einsamen Negativkritikpunkt gleich vorweg: Wer seiner vorbildlich verpackten LP-Post so viele Aufkleber und Flyer beilegt wie Ván Records, der könnte dem so erzeugten guten ersten Eindruck schon gerne noch mit einem Download-Code fürs erstandene Produkt das Sahnehäubchen aufsetzen. Und eine willkommene Abgrenzung zu z.B. Nuclear Blast oder Century Media, die in dieser Hinsicht ebenfalls den Zeitgeist ignorieren, wäre dies auch.

Ansonsten ist das Package, welches man mit Sulphur Aeons "Gateway To The Antisphere" bekommt, schon gewaltig: Unter einer stilvoll schlichtbösen Papphülle verbirgt sich das wohl epischste Metal-Cover seit... seit Äonen. So viele Details - da muss man selbst im LP-Format ganz genau hinschauen, um alles zu entdecken. Und wer gar nicht mehr die Augen davon lassen mag, der kann es sich auch als ähnlich großes, beiliegendes Poster an die Wand hängen.

Weitere Beigaben sind drei Sticker mit Illustrationen zu bestimmten Songs. Diese und andere Zeichnungen finden sich auch im großformatigen Textbooklet wieder.
Die Lyrics sind übrigens zu hundert Prozent von H.P. Lovecraft und seinen "Großen Alten" (Azagthoth, Yog-Sothoth, Chtulhu usw.) beeinflusst und beschreiben im Grunde all das, was so auf dem Covergemälde untergebracht ist.

Die Musik selbst spielt auf drei Schallplattenseiten, Seite D ist also überschüssig und wurde deswegen als weiteres optisches i-Tüpfelchen verziert.

Nein, ich kann mich nicht beschweren, dass es zu wenig zu kucken und zu lesen gibt, während man sich "Gateway To The Antisphere" zu Gemüte führt.


Die Verpackung setzt die Messlatte für den eigentlich wichtigen Inhalt also ziemlich hoch.
Doch was es auf die Ohren gibt, stellt sich dieser Herausforderung, läuft im kurzen Opener/Intro "... To Drown This World" an und überspringt diese Latte schon im darauf folgenden "Devotion To The Cosmis Chaos" mühelos.
Und da weiß man ja noch nicht, wie sehr die Band später in "Abysshex" oder dem Titelsong noch auf den Putz hauen wird.

Egal, ob sie kolossal stampfen oder sich durch Doublebassgeknüppel und Blastbeats prügeln - Sulphur Aeon spielen tiefschwarzen Death Metal auf Weltklasseniveau. Instrumental über jeden Zweifel erhaben - und was die Stimmung angeht, so setzen sie das lovecraftsche Apokalypse-Szenarium rundum überzeugend um. Was man auch erstmal schaffen muss.
"Gateway To The Antisphere" klingt absolut gewaltig, ein Album larger than life.

Was kann ich kleiner Sterblicher schwafeln, was diesem Monstrum gerecht wird?

Wer auch nur entfernt vom Fach ist, der wird unweigerlichlich feststellen, dass "Gateway" ein zukünftiger Klassiker ist und einen Platz im Patheon der besten teutonischen Metalalben aller Zeiten verdient. Ein Meisterwerk!

Mehr Death Metal geht nicht.


Anspieltipps: Abysshex, Diluvial Ascension - Gateway To The Antisphere, Into The Courts Of Azagthoth, Seventy Steps, Calls From Below


* [EDIT] Morbid Angel haben übrigens David Vincent mal wieder durch Steve Tucker ersetzt, wie einen Tag nach Veröffentlichung dieses Reviews bekannt wurde. Irgend jemand liest das hier also doch. ;-)  Und nun überlege ich mir mal, welche Frage ich dem Kosmos als nächstes stellen möchte...

2015-06-13

*knips*

Yep, ich habe hier schon ewig lange nicht erwähneswertes zum Thema Fotografie gepostet.


Und zum Thema Fußball sowieso nicht.


Naja, wird sich wohl beides auch so schnell nicht ändern. ;)


Wenig Zeit und Musik hat aktuell immer noch Vorrang.


MUSE - Drones

Musikreviews sind ja immer Momentaufnahmen der eigenen Wahrnehmung.

Im Moment weiß ich noch nicht so recht, was ich insgesamt von der neuen Muse halten sollt. Wie alle Scheiben, für ich Geld ausgegeben habe, möchte ich sie natürlich gerne rundum super finden (so wie das in seiner ungebremsten, explosiven Heterogenität für mich immer noch brilliante Vorgängerwerk "The 2nd Law"), doch ich fürchte, je mehr ich über "Drones" sinniere, desto negativer fällt mein Urteil aus.

Deswegen schiebe ich dieses Review besser nicht wie viele andere lange vor mir her, sondern bringe es jetzt hinter mich, damit die Herren BellamyWolstenholmeHoward noch einigermaßen sauber aus der Sache rauskommen.




MUSE - Drones (2015)

Die Schauwerte geben zunächst einiges her. Ja, ich mag das klugdoofe Coverartwork! Und auch der Rest des Gatefolds und die LP-Hüllen sind ein Hinkucker.

Und dann der Sound - bäm! Mit dem Opener "Dead Inside" geht es richtig dickundfettbassig los und man denkt sich nur: Geiler Scheiß!

Doch sowohl was den Sound als auch das Songwriting angeht schlägt gleich danach der Relativierungshammer zu...




"Psycho" ist als Song und auch in seiner Botschaft dann einfach zu billig und stellt wohl die größtmögliche Annäherung von Muse an generischen Stadion-Hardrock dar.
Ja, die Briten sind natürlich die Stadionband der Gegenwart und sich dessen auch bewusst. Doch ohne dieses Bewusstsein ginge musikalisch vielleicht doch manchmal mehr.

Irgendwie bleibt "Psycho" zwar doch noch cool, aber dies ist alleine dem Sound zuzuschreiben. Man beginnt sich bereits ein wenig so zu fühlen wie ein Kinozuschauer, der von einem Actionspektakel zunächst geflasht ist, doch bald merkt, dass die Handlung des Streifens hinter all dem Effektheckmeck doch reichlich dünn geraten ist.


Apropos Handlung: "Drones" ist ein Konzeptalbum über - Überraschung - Dronen. Mal gefühlig, mal abstrakt, mal politisch. Gerade bei letztem hinken Muse ja traditionell ihrem Anspruch hinterher, d.h. tiefsinnige, Gedanken anregende Lyrik ist nicht zu erwarten. Ist aber auch nicht schlimm, denn im Zusammenspiel mit der Musik funktionieren die Texte ja. Also meistens zumindest. In manchen Fällen auch eher nicht so.

Nachdem man im zweiten Song schon die Ahnung bekommen hat, dass streckenweise ein Mangel an Substanz durch die Dicke-Eier-Produktion ausgeglichen werden soll, folgt "Mercy" und ist... hmpf... ja, der Song ist selbst für Muse zu kitschig. Oder sagen wir mal so: Muse dürfen durchaus so kitschig, aber dann muss der Song auch nach mehr klingen als dem lahmen Versuch sich selbst zu kopieren. Gleiches gilt später für das Stück "Revolt", welches in diese erhebend flotte Kerbe schlagen möchte, die die Band eigentlich beherrscht; doch sie trifft hier einfach nicht gut genug.

Das sind insgesamt schon mindestens - ich sag mal - zweieinhalb Ausfälle bei zwölf Tracks. Berücksichtigt man dann noch, dass davon zwei Stücke nur Intros sind und es sich bei dem Titeltrack und Rausschmeißer "Drones" nicht um einen Rocksong, sondern um einen eingemuseten Kirchenchoral handelt, ist das schon eine stattliche Miss-Quote. Noch kein G36, aber an sich schon erschreckend.



Auf der positiven Seite steht kurz vor Schluss noch der Zehn-Minuten-Brocken "The Globalist" der einen Faden von Ennio Morricone über Progmetal zur Queen-Pianoballade spinnt, leider jedoch ausgerechnet zum bombastischen Schluss hin etwas zu langweilen beginnt. Und Schuld ist daran gar nicht so sehr die Komposition, sondern vielmehr der Sound, der immer nur darauf optimiert ist, alles bis zum Gehtnichtmehr aufzublasen, was bei den straighten Powerstücken auch gut funktiert.
Doch immer wenn das Songwriting Dynamik und feinere Nuancen vom Sound verlangt, verweigert sich dieser leider.

"Drones" wollte ja explizit das reduziertere und stringentere Album als "The 2nd Law" sein, also Konzentration auf Bass, Gitarre, Schlagzeug und nicht bei jedem Track noch eine Extrawurst wie Chöre, Bläser und übermäßige Electronica. Damit einhergehend hat man sich auch um einen einheitlichen Albumsound bemüht, bei dem nicht jedes Lied ganz anders klingt als das vorherige.

Leider geht dieser Schuss nach hinten los. Denn auch wenn ich nicht den Eindruck habe, dass Muse sich für "Drones" irgendwo kreativ oder spielerisch besonders lang machen mussten - so abwechslungsreich ist das Album immer noch, dass man nicht einen Generalsound erfolgreich auf alle Tracks anwenden kann.

Was bleibt als Fazit?
"Drones" ist trotz Ausfällen unterm Strich immer noch ein okayes, gutes Album, kann aber mit seinem direkten Vorgänger oder gar "Black Holes And Revelations" nur punktuell mithalten und ist bestimmt auch kein Kandidat für meine Jahresendtopliste.


Wer kein Muse-Zwangskomplettist ist und nur über ein beschränktes Budget verfügt, dem würde ich empfehlen, sich lieber mit der Diskographie von Lis Er Stille zu beschäftigen. (Die EP "Flight Of Belljár" ist z.B. ein guter Einstieg. Review zum neuen Album demnächst...) Die dänische Band braut aus Melodien, Gesangslinien, Energie und Kitsch, die sehr oft mit  Muse vergleichbar sind, einen wesentlich explosiveren, kreativeren und tiefsinnigeren Zaubertrank. Und da die Briten den Abgang von ein paar Konzertbesuchern gut verkraften können, während die Dänen davon angesichts ihrer Klasse skandalös wenige haben, wäre ein kleiner Austausch durchaus angebracht, um etwas Stabilität ins kosmische Karma zu bringen.


Anspieltipps: Reapers, Dead Inside, The Globalist

FLORENCE AND THE MACHINE - How Big, How Blue, How Beautiful

Und nun ist es mal wieder Zeit für einen Ausflug in die Welt der chartstürmenden Populärmusik, genauer gesagt zu Florence Welch und der sie unterstützenden Maschine.

Die Dame ist bekanntermaßen zu Hause im lautgesangigen Alle-Gefühle-müssen-raus-Pop mit hoher Refrainwiederholungsrate, einem an sich nicht ganz ungefährlichem Genre mit hohem Nervensägenpotential.
Abgesehen davon, dass Songwriting und instrumentales Arrangement keinesfalls vernachlässigt werden sollten, ist als Hopp-oder-Top-Kriterium vor allem entscheidend, ob einem persönlich Stimme und Vortrag der Sängerin zusagen.

Will sagen: Wer das Organ von Florence bisher generell nicht mochte, der braucht auch hier und jetzt nicht weiterlesen.

Ich persönlich fand ihre eigenwillige, kraftvolle Stimme schon auf den vorigen beiden Studioalben und dem "MTV Unplugged" mitreißend und faszinierend. Und genervt hat sie mich bisher nur mit dieser elenden Rap-Version von "You've Got The Love", über die wir besser den Mantel des Schweigens ausbreiten...

Nach vier Jahren Pause (ok, für mich Radioabstinenzler und Späteinsteiger war es nicht so lang) ist nun Album Nummer drei erschienen:




FLORENCE + THE MACHINE - How Big, How Blue, How Beautiful (2LP) (2015)

Das Artwork, welches zum Glück der Versuchung widersteht, den Albumtitel bildlich umzusetzen, hat durchaus Potential, eines Takes Ikonenstatus zu erreichen.

Und in seiner schlichten kunstvollen Schönheit deutet es auch an, worin sich "How Big, How Blue, How Beautiful" von seinen Vorgängern unterscheidet: Wo "Lungs" jugendlich verspielt war und "Ceremonials" vollkommen losgelöst in himmelhohen Sphären schwebte, da klingt die Band nun geerdeter, rauer und auch direkter, intimer.




An der generellen Ausrichtung -  hymnischer Pop mit Indierock- und Folk-Einschlag - hat sich nichts geändert und das ist auch gut so. Insgesamt schlägt das Pendel nun etwas mehr zum Rock aus, was aber nicht heißt, dass kein Platz für ruhige Töne bleibt. Auch wenn Florence die powervollen, energischen Teile nach wie vor stimmlich am meisten liebt.

Mit "Queen Of Peace" finden sich auch Anklänge an die 70er-Jahre-Disco auf dem Album wieder, die Florence + The Machine für mich zum Idealkandidaten macht, um live mal die kompletten fünfzehn Minuten von Santa Esmeraldas "Don't Let Me Be Misunderstood" zu covern.
Allerdings hat Lana Del Ray ja schon angekündigt, sich auf ihrem nächsten Output um den Song zu kümmern. Das dürfte aber wohl eher in die souljazzige Richtung des Originals von Nina Simone gehen...

Aber zurück zum Thema:

Ein, zwei Tracks fallen ein wenig ab, doch insgesamt liefern Florence + The Machine wunderbar ab. Die Musik stimmt, es gibt eine Menge starker Hooks, und auch wenn die charismatische Stimme der Frontfrau klar im Mittelpunkt steht und selten eine Pause macht, setzen die Instrumente doch immer wieder genügend interessante Akzente, von denen das glasklare majestätische Bläser-Finale im Titelsong nur der prominenteste ist.

Kurzum: Ein emotionales, mitreißendes, abwechslungsreiches, kurzweiliges, hübsches Album.

Sowas darf dann auch gerne mal da oben in diesen *Naserümpf* Charts herumgeistern.

(Wer gerne Erbsen zählt, dem hat der Layouter immerhin ein wenig Lästermaterial gegeben, indem er den Inhalt von Seite C und D vertauscht hat.)




Anspieltipps: Mother, Queen Of Peace, Delilah, How Big How Blue How Beautiful, St. Jude

2015-06-06

BOTANIST - VI: Flora

Originelle Bands gibt es ja viele. Doch hin wieder stolpert man auch - so wie ich neulich im leider nur schwach gefüllten Hamburger Hafenklang - über Gruppen, die sind tatsächlich einzigartig.



BOTANIST - VI: Flora (European tour edition / orange vinyl) (2014/2015)

Ok, streng genommen sind Botanist im Studio gar keine Band, zumindest nicht auf diesem ursprünglich letztes Jahr erschienenen und anlässlich der Europatour als Support von Kayo Dot in streng limitierter Version nochmals aufgehübschten Album. (Ich habe das handnummerierte Exemplar 100 von 100 ergattert.)

Tatsächlich scheint sich bei den Amis ein Arbeitsablauf zu etablieren, bei denen Mastermind Otrebor auf den Alben alle Instrumente im Alleingang einspielt, während man als Band EPs aufnimmt und tourt.





Doch egal ob solo eingespielt oder als Band live präsentiert, das Faszinierende an der Musik von Botanist ist, dass sie gleichzeitig vertraut und vollkommen fremdartig klingt.


Die Melodien, die Blastbeats, der weit im Hintergrund herumbösende Krächzgesang, ja überhaupt die Produktion des Albums an sich sind ganz eindeutig lupenreiner Black Metal.

Die Instrumentierung allerdings scheint absurd. Ok, das bei einer BM-Band mit Keyboarder eben jener statt seinem üblichen Gerät ein Harmonium (klanglich irgendwo zwischen Orgel und Akkordeon) einsetzt, ist ja noch im Bereich des Vorstellbaren.

Doch komplett auf Gitarren zu verzichten und diese durch den eher von Dead Can Dance vetrauten ätherischen Klang des hammered dulcimer (abgeleitet von "dulce melos" = "lieblicher Klang") - bzw. auf deutsch ganz unpoetisch "Hackbrett" - zu ersetzen, ist schon ein sehr drastischer Schritt.

Doch anfangs dachte man das ja auch über die Cellos von Apocalyptica.

Zu deren Ruhm werden es Botanist natürlich niemals bringen, dafür ist ihr kompletter musikalischer wie konzeptioneller Ansatz viel zu kauzig und extrem - zum Glück.

Die alles umfassende Story der Band ist ja die des verrückten, eremitischen "Botanisten", der Killerpflanzen züchtet, um die Welt zu vernichten.
Auf "Flora" steht dabei textlich allerdings weniger die Zerstörung im Vordergrund, sondern die Bewunderung für seine Schöpfungen, die Namen tragen wie "Cinnamonum Parthenoxylon", "Erythronium", "Pteridophyte" oder "Rhizophora", was alles auch Songtitel auf diesem Album sind.

Und tatsächlich findet jene verzauberte Faszination in der eigentlich brutalen Musik ihr passendes Klangbild. Denn auch wenn sie noch reich genug an schrägen Nebentönen sind, um nicht in Kitsch abzudriften, scheinen die "exotischen" Instrumente doch stets in halluzinogenen Sphären über der räudigen Rhythmussektion zu schweben und machen das Album zu einem unerwartet transzendentem Hörerlebnis.

Während des Konzerts hatte ich mich ja noch gefragt, ob ich die Band eher wegen ihrer Gimmicks und ihrem positiv bekloppten Konzept mochte oder wegen ihrer Musik.
Inzwischen bekomme ich einige der Dulcimer-"Riffs" gar nicht mehr aus meinem Kopf - von daher wird es wohl beides sein.

Wer Advantgarde, Black Metal, verrückten Musiknerdscheiß und Blumen mag, der sollte seine Ohren unbedingt mal von Botanist bestäuben lassen!




Anspieltipps: Wisteria, Leucadendron Argenteum, Stargazer, Rhizophora

2015-06-03

THE GENTLE STORM - The Diary

Auf meiner Blog-To-Do-Liste stehen zwar noch einige eher aufs Roadburn Festival zurückgehende Tonträger-Rezensionen, doch nun will ich hier zur Abwechslung auch mal wieder ein wenig die Vorfreude aufs Wacken Open Air pflegen.

Wobei ich es trotz mehrerer Mitfahrer frühzeitig dorthin schaffen muss, um die hier besprochene Band nicht zu verpassen, spielt sie doch bereits am frühen Mittwoch Abend. Das wird wohl meine große organisatorische Herausforderung dieses Jahr...

Es geht um das gemeinsame Projekt von Ayreon-Meisterhirn Arjen Lucassen und Ex-The Gathering-Goldkehle Anneke van Giersbergen:



THE GENTLE STORM - The Diary (3LP/2CD) (2015)

Auch wenn sich der scheue Einsiedler Lucassen live (abgesehen von einer handvoll Unplugged-Shows, zu denen seine Kreativpartnerin ihn gepeitscht hat) nicht beteiligt, wären The Gentle Storm für mich natürlich auch dann Wacken-Pflichtprogramm, wenn die Scheibe nur so lala wäre; einfach durch ihre große positive Präsenz (Ich erinnere mich immer noch mit Freude an ihr für mich überraschendes Auftauchen mit Maiden United.) und natürlich ihre Stimme, die nach wie vor das Maß aller Dinge für klaren weiblichen Gesang im Metalkontext ist.

Wobei "The Diary" gar kein Metal-Album ist, zumindest in einer der beiden Versionen.
Ja, das komplette Ding ist in zwei unterschiedlichen Interpretationen enthalten, nämlich der "Gentle version" und der "Storm version".
Dieses Konzept klingt schon mal nach einer typischen Lucassen-Idee (remember "Universal Migrator"?), und auch die musikalischen Ausrichtungen dieser Alben sind in seinem musikalischen Kosmos nichts gänzlich neues. Einmal haben wir hier das seit "The Human Equation" immer weiter entwickelte Folk-Element  für sich stehen, während "Storm" eher auf den typischen bombastischen Progmetal-Sound baut.

Weiterhin unverkennbar Arjen Lucassen sind die Zusammenarbeit mit Drummer Ed Warby und die Tatsache, dass es sich hier um ein Konzeptalbum handelt.

Doch um als weiteres Ayreon- oder gar Solowerk durchzugehen, unterscheidet sich "The Diary" doch in entscheidenden Punkten zu sehr vom vergangenen Schaffen aus dem Electric Castle Studio.

So ist Anneke von Giersbergen diesmal nicht eine von mehreren angeheuerten Stimmen, sondern trägt das Album gesanglich fast ganz alleine.
Und vor allem handelt es sich bei The Gentle Storm auch jenseits der reinen Performance um ein gemeinsames Projekt der beiden Künstler auf Augenhöhe.

Dabei haben van Giersbergen und Lucassen gemeinsam das Konzept erarbeitet, er die Musik komponiert und sie die Texte geschrieben.
Bei den Aufnahmen hat sich der Multiinstrumentalist für seine Verhältnisse eher zurückgehalten. Natürlich spielt er fast alle Gitarren und weitere Saiteninstrumente wie z.B. Mandoline, Banjo und Dulcimer. Den elektrischen Bass hat er jedoch Johan van Stratum überlassen, und vor allem verzichtet er freiwillig komplett auf eines seiner stärksten Markenzeichen: Es gibt auf "The Diary" keinerlei analoge (oder digitale) Keyboards zu hören!

Wohl aber kommen reichlich andere Instrumente zum Zuge: Flöten, Streicher, Horn, Klavier, Sitar, Bouzouki und diverse indische Gerätschaften wie Surbahar und Tabla bestimmen u.a. das Klangbild.

Die "Storm version" bietet zusätzlich auch noch einen bombastischen Seemannschor, der auf holländisch Kommandos wie "Ras aan bord. Trossen los!" singt.

Und welche Version ist besser?

Ehrlich gesagt, kann ich das nicht beantworten. Ein guter Song ist ein guter Song, egal womit man ihn vorträgt. Und alle Songs auf "The Diary" sind klasse.
Die "Gentle version" passt mit ihrer traditionelleren Instrumentierung und größeren Sensibilität insgesamt einen Tick besser zum historischen Sujet des Albums (mehr dazu gleich), während der "Storm" vor allem in den Action-Sequenzen der Handlung punktet.

Zwar unterscheiden sich beide Versionen deutlich, was das Doppel-Konzept auch rechtfertigt, doch sie tragen immer noch so sehr die selbe Handschrift, dass sie sich auch problemlos mischen lassen. Hätten sich Arjen und Anneke bei jedem Lied also nur für eine Lieblingsversion entschieden, wäre dies immer noch ein tolles Album. Und sicherlich haben sich auch schon einige Fans ihre persönlichen Lieblings-Playlisten für "The Diary" zusammengeschustert.
Ich mag sie beide gleichermaßen und kann nur spontan nach meinem Bedürfnis nach mehr Gefühl oder mehr Wumms entscheiden, wie ich das Album genießen möchte.

Immer reinschmeißen könnte ich das Ding nicht, da es teilweise schon recht zuckersüßlich an der Kitschgrenze tanzt, wozu man schon in Stimmung sein sollte.

Musikalisches Fazit: The Gentle Storm präsentieren ein einwandfreies, melodisch beschwingtes Progmetal/Folkrock-Werk, perfekt kraftvoll produziert, mit einer bezaubernden Anneke van Giersbergen in Bestform am Mikro.


Und nun zum Sahnehäubchen auf der Torte!

Das mit historisch fachkundiger Beratung entwickelte Konzept des Albums ist nämlich extrem gelungen. Oberflächlich verbindet die Geschichte den Blick auf das Goldene Zeitalter Hollands, als die Niederlande nichts nur die größten Entdecker stellte, sondern auch wirtschaftlich, wissenschaftlich und kulturell eine Weltmacht waren, mit einer klassischen Liebesgeschichte.
Der Plot ist dabei ganz simpel: Joseph ist ein Seemann, der im Dezember 1666 auf große Handelsfahrt gen Indien segelt. Seine geliebte Susanne bleibt in Amsterdam zurück und stellt wenige Wochen später fest, dass sie schwanger ist. Während Joseph fremde Länder kennenlernt und Stürmen trotzt, kommt das Kind der beiden zur Welt. Doch dann wird Susanne krank...

Erzählt wird die Geschichte über Susannes titelgebendes Tagebuch, welches ihre Nachfahren in einer Truhe aus Hinterlassenschaften finden. Neben ihren Tagebucheinträgen befinden sich darin alle Briefe, die sich die Liebenden während Josephs langer Reise geschrieben haben.
Jene Briefe sind die Songtexte des Albums.

Der eigentliche Clou der Geschichte, welcher ihr jenseits der zeitlosen Liebesgeschichte und den Schwärmereien von Amsterdam und Indien eine sehr aktuelle Relevanz gibt, ergibt sich allerdings erst im Zusammenhang mit der Verpackung.

Wie sowohl von InsideOut als auch von Ayreon gewohnt gibt es "The Diary" in mehreren luxeriösen Ausführungen wie z.B. Digipack und Artbook.
Die Vinyl-Variante enthält drei LPs sowie beide Versionen des Albums zusätzlich auf CD. In einem wunderschön aufgemachten großformatigen Booklet sind alle Texte (bzw. Briefe) und die dazugehörigen Tagebucheinträge zu sehen.


Auf der Innenseite des Gatefolds befinden sich die Credits und eben eine Seite, die neben einer historischen Einführung einen Zeitstrahl der Ereignisse enthält.

In diesem sind nicht nur die Ereignisse in Amsterdam und Josephs Reiseroute nachzulesen, sondern vor allem die Wege, welche die von Seeleuten auf anderen Schiffen geschmuggelten Briefe nehmen. (Die Holländische Ostindien-Kompanie erlaubte offiziell keine Briefwechsel, da sie den Verrat von Handelsgeheimnissen fürchtete.)
Und hier wird deutlich, dass die Geschichte keinesfalls so linear ist, wie sie zunächst erscheint. Denn die Briefe sind lange unterwegs. Liest einer vom anderen, so sind inzwischen schon zehn ereignisreiche Monate vergangen.

Und diese spärlichen Nachrichten voneinander reichen tatsächlich, um ihre Liebe und Beziehung aufrecht zu erhalten?

Ist dies in unserer Gegenwart des sozialmedialen Overkills und der ständigen Erreichbarkeit überhaupt noch vorstellbar? Sind wir wirklich so viel weiter als Susanne und Joseph oder sind wir mittlerweile nicht schon wieder einige Schritte zurück gegangen?
Unsere Kommunikation ist unglaublich schnell, unmittelbar, direkt.
Aber ist sie nicht auch oft übereilt, gedankenlos, wertlos?

Und können wir überhaupt noch per Hand schreiben?

Fragen über Fragen.

Die Antworten müssen wir ohne Hilfe aus Holland selbst finden. Aber dabei ab und zu The Gentle Storm zu hören, kann sicherlich nicht schaden.




Anspieltipps "Gentle": Shores Of India, Heart Of Amsterdam
Anspieltipps "Storm": The Storm, Endless Sea