2024-10-12

KANAAN & ÆVESTADEN - Langt, Langt Vekk

Ok, Hände in die Höhe! Wer hat's kommen gesehen? Nee, ich meine nicht ein neues Kanaan-Album, das kann man ja jährlich erwarten. Und mit dem Debüt von Full Earth hatten wir ja sagor schon eine erweiterte Variation davon.

Nein, ich meine, dass das norwegische Psychedelic/Stoner/Jazz-Rock-Trio gestern noch ein zweites kooperatives Album rausgebracht hat, auf der Neuinterpretationen skandinavischer Traditionals zusammen mit folk-inspiriertem Eigenmaterial zu hören sind.

Ich persönlich war nach der ersten Single von Kanaan und Ævestaden zumindest überrascht - und zunächst auch skeptisch. Mittlerweile kann ich mich aber kaum noch entsinnen, warum überhaupt. Ich glaube, es kam einfach nur so unerwartet.


KANAAN & ÆVESTADEN - Langt, Langt Vekk (sunburst vinyl LP) (2024)

Ævestaden sind ein schwedisch-norwegisches Trio aus Multiinstrumentalist(inn)en und darauf spezialisiert, u.a. mit Akustikgitarren, Fiedeln, Lyren, Maultrommel, aber auch Synthesizern traditionelle Motive aufzugreifen und in zeitlosen, oft verträumt entrückten Interpretationen  ins Hier und Jetzt zu transportieren. Dream Folk nennen sie selbst ihren Sound.

Das fusionierte Kanestaden-Sextett fügt diesem Ansatz noch Drums, Percussions, E-Gitarre, Mellotron und zusätzliche Backgroundsänger hinzu. Das führt im Resultat einerseits zu mit tollen Harmoniegesängen auf traditionellen Instrumenten vorgetragenen Folksongs, die durch die rockmusikalischen Elemente mal sanft augmentiert, mal kraftvoll vorangetrieben werden, anderseits aber auch zu langen kanaan-typischen Psych Rock-Jams, denen Ævestaden mit ihren Saiten und Stimmbändern eine zusätzliche spezielle Note verleihen.

Die neun allesamt sehr unterschiedlichen Stücke des Albums sind dabei so verteilt, dass es sich im Schnitt immer ausufernder anfühlt, selbst wenn zwischendurch mal etwas minimalistischer agiert wird wie in der Ballade "Farvel" oder dem ursprünglich im Jahre 1630 verwurzelten Choral "Hva har min Jesus gjort for meg" ("Herzliebster Jesu, was hastu verbrochen"), der hier vermutlich in erster Linie wegen seines direkten Bezugs auf "Kanaan" seinen Platz gefunden hat und von der Band im Grunde gut als Live-Intro verwendet werden könnte.

Zwei Faktoren, die maßgeblich zum Gelingen der Symbiose beider Gruppen beitragen sind zum einen die natürliche, ohne überflüssige Kinkerlitzchen die Performance an sich in den Vordergrund stellende Produktion und - hiermit natürlich auch verwoben - der Verzicht auf zuckersüßen Kitsch.
Gerade wenn es darum geht, Folk und Rock (insbesondere Metal) zu verbinden, aber auch in der popkulturellen Repräsentation angeblich nordeuropäischer Historie geht ja oft nichts mehr ohne künstlich aufgeblasenen Sound, übertriebenen Pathos, Verkleidungen, Rituale... was ich manchmal ganz schlimm finde, zugegebenermaßen in gut gemachten Fällen aber auch sehr mag.

Kanaan und Ævestaden allerdings gehen einen anderen Weg,. Das verrät einem schon die höchste Dichte an gemütlichen Norwegerpullovern, die ich je in einem Albumlayout erblickt habe.

Auch wenn diese Musik einen im Geiste oft weit hinaus in transzendente Sphären treiben kann oder das imaginäre Haupthaar in der inneren ersten Publikumsreihe schütteln lässt, bleibt doch immer irgendwie dieses Gefühl, direkt mit den Musikern an der heimelig knisternden Feuerstelle einer Blockhütte zu sitzen, während draußen im verschneiten Wald die Trolle und freilebenden Black-Metal-Pandas friedlich lauschend an den Baumstämmen lehnen.

Und selbst wenn einem hier und da natürlich ein paar unvermeidliche Namen der Trondheimer und Bergener Musikszene in den Sinn kommen (mit der Hälfte davon haben die sechs Musiker hier ja auch bereits in verschiedenen Formen zusammengearbeitet), bleibt am Ende doch ein Album, welches sehr selbstbewusst einen für sich allein stehenden und sich ruhenden Stil präsentiert - und das auf einem Niveau, welches ohne Hintergrundwissen eine langjährige gemeinsame Geschichte suggerieren würde.

Ja, die Parallelen zu Full Earth sind trotz des sehr unterschiedlichen Stils schon ziemlich zahlreich. Beide Projekte haben sich folgerichtig auch alle potentiell kommenden Nominierungen und Krönungen zum Album des Jahres in der kommenden Rankingsaison verdient.

Ein so überzeugendes Werk wie "Langt, Langt Vekk" hat eine würdige Aufmachung verdient, und tatsächlich gehört die LP zu den haptisch und visuell am schönsten gestalteten Veröffentlichungen, die mir dieses Jahr ins Haus gekommen sind. Insbesondere der schlichte, aber schöne Farbverlauf der limitierten halbtransparenten Sunburst-Variante könnte nicht edler und passender sein.

Als letztes Sahnhäubchen fehlt hier eigentlich nur - wie leider so oft - ein beiliegender Downloadcode, denn wer hier nicht direkt an der Quelle bzw. am Fjord sitzt, der muss inklusive Versand ohnehin schon relativ stattlich in den physischen Tonträger (schwarzes Vinyl und CD sind noch erhältlich) investieren.
Für Bestellungen über Bandcamp gilt dies natürlich nicht; das Label Jansen Records ("Say Ja. to great Norwegian music") darf hier aber gerne für die Zukunft Besserung geloben. Ja?








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