2025-10-17

IGORRR, MASTER BOOT RECORD und IMPERIAL TRIUMPHANT live in der Markthalle, Hamburg (14. Oktober 2025)


Einlass achtzehn Uhr. Für Dienstag ein ganz schön stramme Ansage, bei der es sich aufgrund der langen Standzeit rechnerisch sogar knapp lohnte, mal wieder über P+R und S-Bahn anzureisen, statt in dr Nähe des Hauptbahnhofs am Straßenrand zu parken. Habe ich dann auch gemacht, denn später zu kommen ist selbstverständlich keine Option, wenn der Opener des Dreier-Billings schon eine der relevantesten Extrem-Metal-Bands der Gegenwart ist...




IMPERIAL TRIUMPHANT
Klar, Igorrr haben den Laden ausverkauft und kamen natürlich mit der aufwendigsten Produktion des Abends. Und auch ich war ja in erster Linie hier, um sie endlich live zu sehen, nachdem es auf dem Roadburn Festival 2018 nur dazu gereicht hatte, ihnen eine Weile von außen zu lauschen. Es war also keine Frage, wer hier warum der Headliner war.

Trotzdem fühlte es sich schon ziemlich komisch an, eine so singuläre Band, die derart verlässlich in Jazz verwurzelte Avantgarde-Black/Death-Metal scheißt wie Imperial Triumphant, in der Rolle des Aufwärmers zu sehen.
Allerdings muss ich zugeben, dass dem New Yorker Trio so ein fünfunddreißigminütiges Mini-Set durchaus gut zum golden maskierten Gesicht steht, zumal in ihrer Musik ja auch bei hohem Tempo jede Menge Dinge passieren. So furchtbar kurz kam es mir also gar nicht vor, auch wenn ich natürlich gerne mehr gehabt hätte.

Wenig überraschend blieb man bis auf den 2014er Oldie "Devs Est Machina" nach dem Zigarettenwerbejingle und Intro "Goldstar" ausschließlich bei Stücken des aktuellen gleichnamigen Albums, von "Lexington Delirium" bis zur "I Want You (She's So Heavy)"-Homage in "Industry of Misery". Es war eine geile Auswahl, und es hätten für mich in dieser Show eigentlich nur zwei Dinge besser laufen können:

1. Die Kapuze vor der Sektdusche über den Kopf ziehen; das lief doch einen Moment lang unangenehm in kalt den Nacken.

2. So wild irre exzellent unterhaltsam Steve Blancos Bassspiel auch sein mag - ein bisschen mehr Gitarre hätte ich auf der rechten Seite der Bühne schon gerne gehört.

Ansonsten war's aber brilliant!








MASTER BOOT RECORD

Die Setlist verrät schon, dass auch die nächste Gruppe inhaltlich weitab ausgetretener Metal-Pfade untwerwegs ist: "CONFIG-SYS", "CPU", "Tenebre", "FTP", "VIRUS.DOS", "CLS.NFO", "BAYAREA.BMP". Alles klar?

Mit ordentlich antiker Hardware auf der Bühne (teilweise von meiner Position aus schwer zu sagen, was davon tatsächlich effektiv genutzt wurde und was nur Bühnendeko war) und passender Videoshow inkl. vieler blauer Bildschirme, präsentierten die Italiener Master Boot Record ihre Vision instrumentaler Partymusik, die sie Computer Metal nennen. Wobei die Musik selbst an sich gar nicht so super elektronisch war. Vielmehr wirkte ihr jeansjackig ibanez-dauergitarrenheldiger Sound eher wie das, was man sich als Lieblingsmusik der groß bebrillten Vokuhila-Computernerds der Achtziger und frühen Neunziger vorstellen könnte.

Das Konzept war schon witzig, eingängig und charmant over the top. Allerdings wusste man nach zwei Songs auch schon ziemlich sicher, was einen für den Rest der vierzig Minuten erwartete - und es gibt schon einige weniger riff-, solo-, im allgemeinen metal-lastige Synthwavegruppen, die im Grunde beinahe dieselbe Musik mit größerer Bandbreite und Power spielen. Wirklich geflasht hat mich also nicht.

Es war aber schon eine ordentliche Show - und ein sympathischer Abschluss, statt Plektren oder Drumstick ein halbes Dutzend Floppy Discs mit "Sicherheitskopien" Jahrzehnte alter Computerspielklassiker ins Publikum zu werden.  








IGORRR

Ok. Hmm... WTF! Womit fange ich an? Igorrr waren schon sehr speziell. What else is new?

Die Bühne war geprägt von zwei Podesten, unter denen jede Menge gruselige Hände in die Freiheit heraus wollten. Eines für Mastermind Gautier Serres Elektronikgedöns, Trommeln und Gitarre. Eines fürs Schlagzeug. Und dazwischen ein immer wieder für dramatische Bühnenaufgänge des Leadgesangsduos (sie: Oper, Mystik, Weltflucht / er: Growl- und Krächzakrobatik und Kehlkopgesang) genutzte Treppe in der Mitte.

Musikalisch war's einfach "nur", was die französische Band auch im Studio macht: ein absolut hirnfickender Mix aus unterschiedlichen Extremmetalspielarten, Breakbeats, Barock, Orientalismen, Folk, bekloppten Fills und instrumentalen Gags. Cowbell oder Blockflöte anyone?

Vollkommen neben der vernünftigen Spur, aber mit chirurgischer Präzision ausgeführt. Ein Spiel mit unvereinbaren Gegensätzen, aber doch immer im Rahmen eines letztendlich irgendwie einheitlichen, eindeutigen Igorrr-Sounds.

Die einzige Schwäche war aus meiner Sicht, dass viele der vermeintlich zufällig aus der Stakkatoriff- und Beatwürfelmaschine zusammengeklöppelten Passagen zwar Nackenbewegung und Staunen, aber kaum echte Regungen dahinter erzeugen konnten.

Anderseits war die Zufälligkeit und buchstäbliche Inhaltslosigkeit (beinahe alle Texte wurden ja in bester Magma-Tradition in Fantasiesprache vorgetragen) auch die ganz große Stärke der Gruppe. Denn dadurch, dass es keine Botschaft gibt, kann jeder für sich seine eigene Botschaft ins Geschehen hineinlesen.

Und Junge, was konnte dieses Geschehen manchmal tief und theatralisch sein! Da wurde eben noch wummerbassige Elektroparty gefeiert oder in Urschreimanier brutal-kathartisch Energie freigesetzt - und nun schauen alle gebannt der Sängerin zu, wie sie sich scheinbar inmitten einer griechischen Tragödie dramatisch auf dem Boden windet, während ihre ganze Seele aus iher Kehle flieht! Das waren schon magische Momente.

Letztendlich ist die Gesamtwirkung von Igorrr live ähnlich schwer zu fassen wie auf ihren letzten beiden Alben "Spirituality and Distortion" und "Amen", die beide mit vielen Stücken im Set vertreten waren. Mal Theater und Ritual, mal wilder Nackenbrecherexzess und Breakcoreabfuck, immer irgendwie eher Cirque des fous als Konzert. Am Ende des Tages aber leider geil.

Vielleicht sollte ich trotzdem noch irgendwo auf Social Media posten, dass ich ich die Show, die Band und ihre Fans total unterirdisch fand - einfach nur, um vielleicht bei der nächsten Tour auch auf dem Merchandise gewürdigt zu werden. Igorrr boten nämlich mit Hater-Kommentaren bedrucktes Toilettenpapier feil. Das ist dann wohl Rundum-Service: Den Fan von Hirn bis Hintern komplett versorgt. 







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