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2023-07-16

JOHN COLTRANE with ERIC DOLPHY - Evenings at the Village Gate

Wenn ich hier gerade schon über bisher unveröffentlichtes Material großer Jazzerinnen rede, dann darf natürlich das neue Livealbum von Jahrhundertmusiker John Coltrane nicht fehlen, welches als besonderen Anreiz, der mich unverzüglich vorbestellen ließ, mit dem nur sehr kurze Zeit als Bandmitglied aktiven Namen Eric Dolphy ("Out To Lunch") prahlt.


JOHN COLTRANE with ERIC DOLPHY - Evenings at the Village Gate (CD) (2023)

Anders als das 2021 veröffentlichte, vier Jahre später aufgenommene Album "A Love Supreme: Live In Seattle", welches die Phase dokumentiert, in der Coltrane bereits komplett avantgardistisch explodiert war und sich vom legendären Quartett ColtraneTynerGarrisonJones hin zu größeren Konstellationen bewegte, lauschen wir hier durch ein Fenster in den August 1961, als jene Besetzung noch nicht komplettiert war und Reggie Workman noch statt Jimmy Garrison den Bass bediente.

Während einer einmonatigen Residenz im neuen New Yorker Club Village Gate, bei der es hin und wieder zu terminlich bedingten Besetzungsvariationen kam, war außerdem Eric Dolphy dabei, der mit Querflöte, Bassklarinette und Altsaxophon Coltrane an Sopran und Tenor gegenüberstand und von diesem oft sogar mit den längeren Soli ins Rampenlicht vorgelassen wurde, ähnlich wie Miles Davis vorher in seinem Quintett mit Coltrane umgegangen war.

Coltrane hatte zu dieser Zeit mehrere gewaltige Hits, von denen vor allem seine Version von "My Favorite Things" sogar über die Welt des Jazz hinausstrahlte. Doch statt dieses Momentum zu nutzen, um zum berechenbaren Mainstream-Star zu werden, war er im Kopf bereits mehrere kreative Schritte weiter, immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen.
Hier waren jene Hits aber durchaus noch die Grundlage, von der aus er abhob. Bis auf den tieferen Cut "When Lights Are Low" lesen sich die für dieses Album ausgewählten Stücke wie ein Best Of dieser Karrierephase: "My Favorite Things", "Impressions", "Greensleeves", "Africa". Die Versionen sind wild und ausschweifend, finden aber immer wieder wundersam zu ihren Leitmotiven zurück.

Dabei ist es nicht nur das Zusammenspiel auf Augenhöhe mit Dolphy, sondern z.T. auch der Einsatz von zwei Bassisten, der die Dimension der Stücke noch zusätzlich erweitert.
An einigen Abenden war Art Davis einfach der Ersatzarbeiter für Workman gewesen, aber es gab auch Gelegenheiten, an denen beide zusammen auftraten, wobei einer die von afrikanischer Musik inspirierte dröhnende Grundlage übernahm, während der andere den melodiöseren Teil darüber spielte.

Zum Glück war dies auch bei den beiden aufgenommenen Abenden der Fall gewesen. Tatsächlich hatte es ja gar keine Pläne für Liveaufnahmen gegeben. Diese existieren nur, weil der Tonmann neues Equipment ausprobieren wollte. Hätte Rich Alderson offiziell den Job gehabt, jene Shows aufzunehmen, dann hätte er auch mehr als nur ein Mikrofon im Raum dafür benutzt.
Doch dieses einzige Mikrofon hatte es ganz offensichtlich mit idealen Bedingungen zu tun, klingt das Resultat doch verboten authentisch, als wäre man mitten drin im Club. Nach heutigen Standards perfekt? Sicher nicht. Anderseits vermisse ich hier aber auch rein gar nichts. Man versteht alles, die Atmosphäre könnte nicht greifbarer sein und vor allem haut das polyrhythmische Schlagzeugspiel von Elvin Jones irre großartig rein. Klar, objektiv ist es eigentlich zu laut, uneigentlich sei aber drauf geschissen, wenn die Aufnahme derart fetzt und fesselt.

Das die Fade-Outs sehr schnell sind und keaum Raum für Applaus lassen, finde ich zwar ein wenig schade, anderseits sehe ich aber auch ein, dass hierfür buchstäblich kein Platz mehr auf der CD ist, die mit einer Laufzeit von achtzig Minuten und drei Sekunden wahrscheinlich das längste Exemplar ihrer Art in meiner Sammlung darstellt. Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, dass eine Audio-CD so lang sein kann und hätte die Obergrenze eher um bei achtundsiebzig Minuten verortet.

Ob es hier auf der Doppel-LP-Version wohl Unterschiede gibt? Das kann ich aufgrund meiner Sparsamkeit nicht sagen. Ich finde diese Variante auf jeden Fall gelungen. Eine bessere Heirat von Quantität und Qualität geht nicht. Und auch bei der Gestaltung, und Bilderauswahl von Digipak und Booklet mit umfangreichen Liner Notes erfüllt das Impulse! Label zweifellos seine hohen Ansprüche.

Eine rundum großartige Veröffentlichung. Ich wüsste gar nicht, wie man irgendeiner an Jazz interessierten Person ausreden könnte, sich dieses fantastische Zeitdokument einzuverleiben! John Coltrane im spannenden Entdeckungsmodus ist zwar kein Alleinstellungsmerkmal an sich, geht aber selbstverständlich immer. Und dann natürlich noch der ja schon an sich grandiose Eric Dolphy. Come on! Mehr kann man von einer bislang unbekannten, über sechzig Jahre alten Liveaufnahme nicht verlangen.






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