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2025-11-06

SUNN O))) live im Uebel & Gefährlich, Hamburg (05. November 2025)


Eines der wichtigsten Konstruktionsdetails alter Röhrenradios war eine regelmäßig mit Helium geflutete Kammer, in der ein sehr kleiner Mann saß, der deine Groß- oder Urgroßeltern wahlweise mit Propaganda von der Ostfront fütterte oder die Comedian Harmonists anmoderierte. Gestern Nacht saß jener kleine Mann im Auto und sang sogar Zeilen aus "Mein kleiner grüner Kaktus" und Queens "Lazy On A Sunday Afternoon" an. Ich wollte einfach wissen, wie seltsam es in meinem Kopf klingen würde. Tatsächlich passieren trotz gradueller Besserung auch jetzt am folgenden Nachmittag immer noch sehr seltsame, nun aber zumindest nicht mehr komplett surreale Dinge in meiner Klangwahrnehmung.

Der Urprung meiner Transformation zur in meinen eigenen Ohren unglaublich dünnstimmigen Miniatur meiner selbst lag im vierten Stock von Hamburgs prominentesten ehemaligen Weltkriegsbunkern, wo die unvergleichlichen Drone Metal-Legenden Sunn O))) im Uebel & Gefährlich aufgespielt hatten.


Sechs Ampeg-Verstärker, zwölf Model Ts von Sunn, eine dazugehörige Speakerwand, die im Halbkreis von einem Bühnenrand zum anderen reichte, für... zwei Gitarren.

Es war das erste Mal, dass ich Sunn O))) ohne mehrere weitere Musiker (wie zuletzt 2019 im Kampnagel) reduziert aufs Kernduo aus Stephen O'Malley und Greg Anderson er- bzw. überleben durfte. Die Show begann skurril mit einem gefühlt ewigen Intro aus Ansagen und nur auf wenige Sekunden zusammengekürzten Songs einer Venom-Show, ehe die Meister in ihren Roben auf die Bühne kamen, das Publikum wortlos begrüßten, in beinahe vollkommener Stille ihre Instrumente stimmten und dann langsam, gaaanz langsam den rechten Arm in Richtung Gitarrensaiten bewegten...

Was dann aussah wie ein zartes erstes Anzupfen, war unmittelbar selbst mt Gehörschutz eine brachial körperlich überwältigende Wand aus Dröhnen. Das Tor zur Himmelhölle brutalstmöglicher Meditation war weit geöffnet!

Die Vibration legte sich wie eine monumentale Stimmgabel auf den vollen Saal. Mein Körper löste sich in seine kleinsten metaphysischen Bestandteile auf und erhielt nur nach außen hin den Anschein einer festen Gestalt aufrecht, während ich jenseits des Subatomaren durch die tiefsten Keller des Bunkers der Hitze des Erdmittelpunkts entgegen sank und vom höchsten Nachthimmel herab die Lichter Hamburgs leuchten und vergehen sah. Ich stand von elementarer Urkraft umtost in den Ruinen eines Tempels aus Obsidian und badete zwischen den ersten Strängen alles Leben ermöglichender zellularer Ursuppe. Die Menscheit verglühte in ihrem unausweichlichen Schicksal. Der Planet gebar neue Zivilisationen und apokalyptische Katastrophen. Megamassereiche Schwarze Löcher verschlangen Galaxien. Katzenbabies wurden geboren und meine Seele atmete den Urknall.
 
Obwohl ich Sunn O))) ja bereits drei mal gesehen hatte, war ich nicht auf diese Intensität vorbereitet. Das Erlebnis liegt einfach so weit jenseits normaler intellektuell irgendwie einordbarer Konzerterfahrungen, dass mein Verstand es einfach nicht akurat langfristig speichern kann. Und gerade in der Zweierformation, die jedes kleinste Detail zur kosmischen Größe einer planetaren Kollisonen vergrößerte, war nicht zu überhören, wie viel Intuition und Komposition, wieviel Musik tatsächlich in dieser vermeintlich in endloser Zeitlupe eingefrorenen kataklysmischen Gitarren- und Verstärkerlärmwand steckte.
Selbst die auf den ersten Blick kaum über die Hinterbeleuchtung der Verstärker und einen Vorhang aus nach oben hin ausgeleuchtetem Nebel am vorderen Bühnenrand hinaus reichende Lightshow, ging erstaunlich präzise auf musikalische Details ein.

Über zwei Stunden lang dauerte das mit lautem und doch sehr weit entfernten Applaus gefeierte, zerstörerisch reinigende Ritual. Und seine Nachwirkungen geistern immer noch durch meinen Schädel. Zum Glück habe ich gerade Urlaub. Hoffentlich reicht er zur Reise zurück!

Vom verlockenden Merchtisch nahm ich mir die tourexklusive Edition einer brandneuen EP mit. Jetzt muss sich mein Gehörstress nur noch soweit legen, dass ich überhaupt wieder Musik hören mag.

So fantastisch singlulär Shows von Sunn O))) auch sein mögen - ein Spaziergang sind sie nicht. Und man bezahlt sie nicht nur mit dem Geld, welches das Ticket kostet. Wahrscheinlich bin ich in einem Kult.

Worship Drone Metal! Praise Iommi!







2025-11-04

ÜBERJAZZ FESTIVAL 2025 • Kampnagel, Hamburg • Freitag, 31. Oktober • mit ANGEL BAT DAWID & NAIMA NEFERTARI, FLUR, MISHA PANFILOV SEPTET, SALIN, ZEITGEIST FREEDOM ENERGY EXCHANGE u.a.


Das Überjazz Festival ist zwar stets auf meinem Radar, aber da es nicht das ganz billigste Konzertereignis ist - zudem zu einer Jahreszeit mit meistens eh schon recht vollem Kalender -, habe ich mir bisher nur zweimal gegönnt, zumindest einen Tag mitzunehmen: 2018 war es der Sonntag mit den Highlights Yazz Ahmed und Pharoah Sanders, 2019 die Pre-Opening Night am Mittwoch mit dem Sun Ra Arkestra und The Comet Is Coming.

Dass ich in den vorigen sechs Tagen bereits drei Livemusiknächte absolviert hatte, sollte mich dieses Jahr aber nicht zurückhalten. Nach langer Pause war es also wieder soweit, und meine Wahl fiel diesmal auf den Freitag, einfach weil hier mit Misha Panfilov der einzige Künstler am Start war, dessen Name mir schon vorher etwas sagte, z.B. durch das Album "Days As Echoes" von der Misha Panfilov Sound Combo.

Trotzdem zeigte die Videorecherche zur Planung meiner persönlichen Running Order schnell, dass sich an Roadburn erinnernde Luxusprobleme auftaten, denn zumindest interessant erschien mir jeder der dreizehn Künstler auf den ab sieben Uhr abends bespielten vier Bühnen des Kampnagel. Meine Strategie war, mich verbindlich auf fünf Shows festzulegen, die ich komplett von Anfang bis Ende schauen würde, und da, wo es sich zwischendurch anbot, noch weitere Auftritte zumindest anzuschneiden.

Und mit so einem Anschnitt begann der Abend dann auch im - relativ gesehen - kleinen Saal K1, in dem ich tatsächlich noch niemals vorher gewesen war...




JOY GUIDRY
Da ich wusste, dass ich nach zwanzig Minuten ohne wieder gehen würde, setzte mich gleich nahe zum Ausgang auf den äußersten Platz der ersten Reihe - eine letztendlich unnötige soziale Umsicht, denn angesichts des allgemeinen großen Kommens und Gehens machte ein dezent gestalteter Abgang wirklich keinen großen Unterschied. Immerhin stand während dieser ersten ziemlich ruhigen Performance ein Mitglied des Kampnagel-teams ständig an der Tür und verhinderte, dass diese mit störendem metallischen Krachen zufiel.

Aus Synthies, Samples und live gelooptem Faggot schuf Joy Guidry eine sich ganz langsam aufbauende Ambient Jazz-Fläche, in der meditative Ruhe auf emotionale Crescendos traf. Eigentlich eine jener Shows, die man komplett erlebt haben muss, um sie überhaupt irgendwie kompetent beurteilen zu können. Und unter anderen Umständen wäre ich auch gerne die komplette Stunde lang geblieben. Doch nebenan rief nunmal das K2...





MISHA PANFILOV SEPTET
Der veröffentlichungsfreudige estnische Multiinstrumentalist Misha Panfilow tourt erstmals durch Europa und stand gleich mit sechs Mitmusikern auf der Bühne.

Getragen von einer Rhythmussektion aus stabilem Bass zwischen psychedelischem Jam und spirituellem Jazz und einem Drummer, der beinahe zu cool für diese Welt wirkte, agierte der Bandleader neben seinem Keyboarder/Pianisten in oft beinahe zurückgenommener Rolle an E-Gitarre, Lap-Steel-Gitarre und Perkussion. Die größten Momente der mich mitunter an Ivan The Tolerable erinnernden, hypnotisch entspannten und mitunter auch humorvollen Performance zwischen Jazz, Library Music und Spuren von Krautrock gehörten vor allem der Bläsersektion aus zwei Saxophonen und Querflöte.

Ob es nun tatsächlich so ist oder nicht, sei mal dahingestellt, doch von allen Künstlern des Abends vermittelte das Misha Panfilov Septet am ehesten das Gefühl einer Band, die einfach aus einer Gruppe guter (und talentierter) Freunde bestand. Vibe-Check: exzellent!  








FLUR
Während Pharoah Sanders' Spross Tomiki Sanders im Hauptsaal K6 leider weiter von mir unbeachtet bleiben musste, ging es danach gleich zurück ins K1, wo mit dem dieses Jahr neugegründeten Trio Flur der Londoner Dillon Harrison, Isaac Robetson und Miriam Adefris die ungewöhnliche Kombi aus Drums, Saxophon und Harfe aufspielte.

Dynamisch umeinanderstreifend, mal beinahe formlos gleitend, mal polyrhythmisch groovend akzentuiert, überraschten die drei Musiker immer wieder mit ihrer ungewöhnlichen Sichtweise auf modernen experimentellen Jazz. Musikalisch war dies eine der durchweg stimmigsten und für mich auf jeden Fall interessantesten Auftitte des Festivals. Sehr eigenwillig, feinfühlig und spannend!








ANGEL BAT DAWID & NAIMA NEFERTARI
Im Hauptsaal wurde es danach... hmm... eigenwillig? Da ich mir nach der Zusammenstellung meines Programms eine Woche vorher nicht mehr viele Gedanken darum gemacht hatte, hatte ich gar nicht mehr aktv auf dem Schirm, wer eigentlich auftreten würde, und so hielt ich die aus dem Foyer kommende, im Publikumsraum mit unglaublichem Organ singende, beschwörende und markerschütternd schreiende Angel Bat Dawid ignoranterweise zunächst gar nicht zwingend für einen Teil der anstehenden Show, sondern für eine vom Kampnagel-Team eingeschmissene Pausenüberraschung. Als sie jedoch von der Bühne aus von Naima Nefertari zunächst nur dezent an rasselnden Percussions begleitet wurde, war klar, dass die avantgardistisch-experimentelle Reise bereits begonnen hatte.

Diverse Synthesizer, Rasseln, Oboe, ein Flügel, ein Vibraphon etc... Dafür, dass nur zwei Musikerinnen die Bühne bevölkerten, war diese ganz schön üppig ausgestattet. Ihre Performance war eine sehr avantgardistische nicht an genres gebundene Reise durch moderne schwarze Kulurgeschichte. Glaube ich. Es gab Passagen, die sich leicht intuitiv erschlossen, aber auch viele rätselhafte musikalische Entscheidungen. Warum man z.B. bei einem derartigen Reichtum an Instrumenten und Stimmvolumen Ewigkeiten mit Autotune-Loops herumspielen musste, ist mir nicht ganz klar geworden. Spannender fand ich da schon Stellen wie jene, als afrikanischer Gesang unvermittelt in europäische Oper umschlug. Ganz am Ende wurde dann noch in Gospelmanier und mit zwei Gastsängern, die ich von irgendwoher kenne - aber ich komme nicht drauf, woher - mit dem Publikum gesungen.

Ich merke schon, es ist komplett zwecklos, diese genauso beeindruckende wie mitunter seltsame Show zu beschreiben. Eine faszinierend spannende, aber zwischendurch auch mal etwas anstrengende oder verwirrende musikhistorische Collage, von der ich wahrscheinlich selbst nie erfahren werde, wie ich sie am Ende des Tages eigentlich fand.







SALIN
Man kann sich als Bandleader ja wie Misha Panfilov eher unauffällig und becheiden in sein Ensemble einfügen. Oder man kleidet sein komplettes Septett in unschuldiges weiß und betritt die Bühne selbst im glitzernden Catsuit mit metertiefen Dekolleté, meterhoher Frisur und meterbreitem Lächeln wie die thailändisch-kanadische Drummerin Salin. Ihrer ansteckend positiven Ausstrahlung hätten Jeans und One-size-fits-all-T-Shirt aber mit Sicherheit auch nichts anhaben können.

Vor allem brillierte die Dame aber musikalisch mit einem unglaublich lässig herausgefeuerten Spiel zwischen Jazz Fusion, Afro-Beat und asiatischer Rhythmik.

Die gesamte Band, welche noch Bass, Gitarre, Keyboards, Congas und Bläser umfasste, war spielerisch überragend unterwegs. Funky Electric Weltmusik Fusion vom Feinsten. Sehr überzeugend, aber auch sehr viel. Dass die Auftritte auf diesem Festival alle eine gute Stunde lang sind, ist natürlich großzügig. Aber für Musik, die man noch nicht kennt, reichen vierzig Minuten oftmals auch. Gegen Ende, während der letzten eins, zwei Stücke fühlte ich mich jedenfalls schon etwas übersättigt.








ALABASTER DEPLUME
Der große Vorteil der vollen Stunde Spielzeit ist anderseits, dass man spontan merkt, dass man Künstler XYZ, den man eigentlich gar nicht auf dem Plan hatte, ja tatsächlich noch eine ganze halbe Stunde lang anschauen kann. So geschehen beim britischen Saxophonisten, Gitarristen und Poeten Alabster DePlume.

Auch wenn man als Zu-spät-Kommer ja immer irgendwie das Gefühl hat, etwas wichtiges verpasst zu haben, lohnte es sich durchaus noch, mir die zweite Hälfte seiner Show anzusehen. Da der Mann sowohl zwischen als auch in den Songs viel erzählte, war die Anti-Völkermords-Haltung (die einen online erfahrungsgemäß erstaunlich schnell zum Antisemiten und Nazi machen kann) unmöglich zu überhören. Musikalisch bewegte sich die Darbietung seines Quartetts zwischen sanftem und euphorischem Spiritual Jazz mit Singer/Songwriter-Einfluss und in Geige und Backgroundgesang ausgedrückten Arabismen.

Charismatischer, irgendwie auch schräger, sympathischer Typ, sehr gute Musik. Vor allem das hymnische Saxophon im Finale brachte Gänsehaut.








KARRIEM RIGGINS & JROCC
Es war nun bereits weit nach Mitternacht, und wer jetzt noch nicht auf dem Heimweg war, der entschied sich zwischen zwei Partys zum Abschluss, wobei die weitaus besser besuchte laut Plan (in der Praxis wurde es dann aber doch knapper) eine halbe Stunde früher begann, weshalb ich von ihr auch noch ein kleines bisschen mitnahm.

Ein DJ, ein Drummer, sicherlich eher improvisierter Hip Hop als Jazz, auf jeden Fall ziemlich vielschichtig und natürlich in the pocket groovend. Würde mich nicht überraschen, wenn während der Show auch noch ein Rapper mit auf die Bühne gekommen ist. Ich war aber wirklich nur kurz da und kann deswegen unmöglich mehr zu Karriem Riggins und JRocc sagen. 








ZEITGEIST FREEDOM ENERGY EXCHANGE
Mir war mehr nach einer Mischung aus Kraut-Robotik, Jazz und Dance Music. Das Trio Zeitgeist Freedom Energy Exchange bot genau das mit sportlichen Beats, funky Überschallbasslinien und coolen Synthies.

Instrumentaler Gute-Laune-Sound, stimmungsmäßig noch nicht ganz auf dem Niveau von Yīn Yīn oder Zombie Zombie, aber das kann vielleicht auch nur an den Umständen liegen, da sich das KMH zwischen 1 und 2 Uhr nachts dann doch nicht mehr zu einer passenden Kulisse füllen wollte. Ich habe mich dann auch kurz vor Feierabend mit fetten Zeitgeist-Beats im Nacken verabschiedet.

Coole Band, überhaupt cooler Abend, auch wenn die Highlights nicht ganz an meine vorigen Überjazz-Besuche herankamen. Man kann ja nicht immer mehr als hundert Prozent bekommen.