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2024-10-10

EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN live im Capitol, Hannover (09. Oktober 2024)


Ich hatte nie eine große Sammlung von ihnen. Trotzdem waren ein paar ihrer Achtziger- und Neunziger-Alben schon sehr prägend für mich. Irgendwie verlor ich Blixa Bargeld und Co. dann aber aus den Ohren. Da war diese Phase, wo die Band die Hälfte ihrer Veröffentlichungen für ihren Fanclub produziert hat - und dann kamen einige respektable Alben, von denen ich zwar hier und da einen Song gehört und auch geschätzt habe, die aber letztendlich alle immer nur auf Wunschlisten und Merkzetteln für später landeten. Ein Schicksal, welches sie mit mit vielen anderen Künstlern teilen, weil es einfach zu viel gute Musik da draußen gibt.

Trotzdem habe ich mich schon etwas erschrocken, dass mein letzter erwähnenswert aktiver Kontakt mit der Musik von Einstürzende Neubauten schon so viele Jahr(zehnt)e her ist, dass sie hier im Blog zwar hin und wieder als Referenz auftauchen, aber erst hier und heute ihr eigenes #stichwort erhalten.

Live gesehen habe ich sie auch in den Neunzigern nie, und für die letzten beiden Elbphilharmonie-Auftritte in Hamburg hatte ich keine Tickets bekommen, da ich den blitzschnellen Ausverkauf schlicht während der Arbeit verpasst hatte.
Und da die Herren ja - genau wie ihr Publikum (Altersdurchschnitt noch höher als letzte Woche bei den Blues Pills) - nicht jünger werden, führte für mich kein Weg daran vorbei, jetzt als Ausweichmöglichkeit die längere Anfahrt nach Hannover auf mich zu nehmen. In der Stadt mit dem Motto "Schön ist das nicht" bin ich auch Ewigkeiten nicht gewesen.
Laibach: "Volk"-Tour 2006. Dachte ich zumindest zunächst, weil ich das langatmige "The Astonishing"-Dream Theater-Konzert 2016 vorübergehend verdrängt hatte. Eigentlich wäre diesem Rhythmus gemäß also erst wieder 2026 ein Besuch fällig gewesen.

Egal, als Skeptiker in Bezug auf den Hauptsaal der Elphi hatte ich nebenbei auch kein Problem damit, die Gruppe hier auf einer "richtigen" Bühne zu sehen.






Ein Blick auf eben jene Bühne im ehemaligen Filmtheater Capitol, und die Frage ob und warum es hier keinen Support-Act geben würde, erübrigte sich, bevor sie überhaupt im Geist formuliert werden konnte. Zu viel, zu spezielles Geklöter, welches einfach keinen Platz dafür lässt, dass ein anderer Künstler vorher noch dazwischen herumhühnert. Davon abgesehen ist die Auswahl möglicher, nicht am bloßen Legendenstatus des Headliners zerschellender Kanditaten für diese Aufgabe wohl auch ziemlich übersichtlich.

Nach langer, möglichst energiesparend verbrachter Wartezeit (ein Segen, dass ich dadurch später auf der verregneten nächtlichen Heimfahrt wieder super ausgeruht war), begannen Einstürzende Neubauten um Punkt acht ihre über zweistündige Show.

Auch wenn es mich auf meiner persönlichen einstürzenden Premiere natürlich nicht gestört hätte, eine Werkschau von "Halber Mensch" bis "Ende Neu" auf die Trommelfelle geschmettert zu bekommen, war mir schon vorher klar, dass die Neubauten natürlich nicht zur Garde der lebenen Oldie-Jukeboxen gehören, die sich auf die Kraft ihrer Greatest Hits verlassen.
Nein, die Setlist bestand zum deutlich überwiegenden Teil aus Material der letzten beiden Alben "Alles in Allem" und "Rampen". Es herrschte also eine Art experimenteller Alternative Chanson vor, oft in bis auf den Bass Alexander Hackes in eher ruhigen Tönen mit umso mehr Liebe fürs Detail.

Ich brauchte ein paar Stücke, um hineinzukommen, zumal auch die sehr sachlich helle Beleuchtung anfangs wenig Atmosphäre ausstrahlte. Doch das war eine Finte. Dadurch dass die Show optisch so unspektakulär begann, wirkten spätere Tricks wie der plötzliche Absturz in die rote Hölle ("not that red at all") bei "Sabrina" umso intensiver.

Und musikalisch? Wow! Der Witz ist ja, dass Einstürzende Neubauten, wenn man ihre spezielle Rolle als Industrial- und Avantgarde-Pioniere mal ausblendet, eigentlich bereits mit Blixa Bargelds sonorer Stimme, Hacke am Bass, Jochen Arbeit an der Gitarre und Felix Gebhardt am Keyboard, einen sehr prägnanten, funktionierenden Sound hätten.

Doch dann kommen natürlich auch noch die Perkussionisten N.U. Unruh und Rudolph Moser hinzu und alle jene selbstgebauten Instrumente und das zweckentfremdete, von allen sechs Musikern bearbeitete Geklöter - inklusive dem lange nicht mehr benutzen Klassiker Einkaufswagen.
Metallplatten, Röhren, Räder, Stahlfedern, Kunststofffässer und -kanister... alles zeigt hier sein wahres Talent abseits der Alltagsfunktion. Und die Roadies haben zwischen beinahe jedem Stück damit zu tun, die Logistik des Güterverkehrs dieser Musikmaschinen auf die und von der Bühne zu regeln. 

Allein das Equipment machte das Konzert schon interessant. Darüber hinaus war es aber auch abseits herausragender Höhepunkte wie dem epochalen Doppel der "Silence Is Sexy"-Stücke "Die Befindlichkeit des Landes" und "Sonnenbarke" oder dem Finale von "How Did I Die?" ("Lament") ein durchgehend fesselndes Erlebnis.

Große Kunst in humorvoller Präsentation. Das plötzliche Aufflackern der alten Krachchaoten, Blixas unmenschliche Zahnarztbohrerschreie (nach denen er jedes Mal gut abseits des Mikros abhusten musste; gesund ist das nicht), tiefe Schönheit, komplex arrangierte Rhythmen, immer wieder unerwartet erstaunliche Klänge aus merkwürdigsten Quellen - und immer wieder auch jene Momente reinsten Dadas, die das Ganze anarchistisch erdeten und zeigten: Im Herzen ist dieser ungemein einflussreiche deutsche Kulturexport irgendwie auch immer noch einfach ein Haufen bahliena Punks.

Dies war klar eine meiner liebsten Clubshows das Jahres und ich bin froh, dass ich diesen gewaltigen Namen endlich endlich endlich von meiner bucket list streichen konnte! Besser Isses.     








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