Eine Analyse meiner Musikkritiken ließe es wohl nicht zwingend vermuten, doch würde ich meine Plattensammlung* nach musikhistorischer Relevanz sortieren, dann spielten Rock- oder Metalbands im Kampf um die Spitzenplätze wohl bisher eine erstaunlich kleine Rolle. Ganz vorne lägen eher Kraftwerk, Kate Bush und ein paar Jazz-Meilensteine.
Herausragend unter diesen ist selbstverständlich Miles Davis' Jazz Fusion-Initialzündung "Bitches Brew" von 1970, welche erstmals Rockelemente mit Jazz-Improvisationen verband, und ohne welches u.a. die weiteren Karrieren der beteiligten Musiker Wayne Shorter mit Weather Report und John McLaughlin mit dem Mahavishnu Orchestra nicht vorstellbar wären.
Doch halt, in dem Satz stecken zwei Fehler!
Erstens "erstmals", denn natürlich gab es parallel auch noch andere Künstler, die auf verwandten Pfaden wandelten, und gerade aus der Sphäre der Rockmusik hatten schon einige Alben das Licht der Welt erblickt, die klar machten, dass es mit der strikten Trennung der Genres für immer vorbei war. Als Beispiele seien nur die Progrock-Urväter King Crimson und John Hisemans Blues&Jazzrocker Colosseum genannt. Himmel, selbst das Debüt von Black Sabbath hat ja hörbare Jazzeinflüsse im Schlagzeugspiel.
Zweitens nochmals "erstmals", denn tatsächlich hatte Miles Davis zwar ohne seine Trompete, aber als Arrangeur und Produzent durchaus schon vorher einmal eine ganze Horde von Jazz- und Rockmusikern im Studio versammelt, darunter die späteren "Bitches Brew"-Partner McLaughlin (E-Gitarre), Shorter (Saxophon), Larry Young am E-Piano, sowie Co-Produzent Teo Macero. Außerdem waren u.a. Herbie Hancock und Jimi Hendrix Experience-Drummer Mitch Mitchell mit von der Partie, als es darum ging, die Musik einer Visionärin aufzunehmen, deren Diskographie später ihrerseits unzählige Künstler aus den Bereichen Funk, Soul, Pop, R&B und Hip Hop inspirieren sollte.
1969 ahnte die Plattenindustrie dies allerdings noch nicht und die Aufnahmen dieser Session verschwanden von der Öffentlichkeit ungehört im Archiv, um erst 2016 offiziell das Licht der Musikwelt zu erblicken:
Auftritt Betty Mabry, durch kurzzeitige Ehe bekannt geworden als Betty Davis und "The Columbia Years".
Herausragend unter diesen ist selbstverständlich Miles Davis' Jazz Fusion-Initialzündung "Bitches Brew" von 1970, welche erstmals Rockelemente mit Jazz-Improvisationen verband, und ohne welches u.a. die weiteren Karrieren der beteiligten Musiker Wayne Shorter mit Weather Report und John McLaughlin mit dem Mahavishnu Orchestra nicht vorstellbar wären.
Doch halt, in dem Satz stecken zwei Fehler!
Erstens "erstmals", denn natürlich gab es parallel auch noch andere Künstler, die auf verwandten Pfaden wandelten, und gerade aus der Sphäre der Rockmusik hatten schon einige Alben das Licht der Welt erblickt, die klar machten, dass es mit der strikten Trennung der Genres für immer vorbei war. Als Beispiele seien nur die Progrock-Urväter King Crimson und John Hisemans Blues&Jazzrocker Colosseum genannt. Himmel, selbst das Debüt von Black Sabbath hat ja hörbare Jazzeinflüsse im Schlagzeugspiel.
Zweitens nochmals "erstmals", denn tatsächlich hatte Miles Davis zwar ohne seine Trompete, aber als Arrangeur und Produzent durchaus schon vorher einmal eine ganze Horde von Jazz- und Rockmusikern im Studio versammelt, darunter die späteren "Bitches Brew"-Partner McLaughlin (E-Gitarre), Shorter (Saxophon), Larry Young am E-Piano, sowie Co-Produzent Teo Macero. Außerdem waren u.a. Herbie Hancock und Jimi Hendrix Experience-Drummer Mitch Mitchell mit von der Partie, als es darum ging, die Musik einer Visionärin aufzunehmen, deren Diskographie später ihrerseits unzählige Künstler aus den Bereichen Funk, Soul, Pop, R&B und Hip Hop inspirieren sollte.
1969 ahnte die Plattenindustrie dies allerdings noch nicht und die Aufnahmen dieser Session verschwanden von der Öffentlichkeit ungehört im Archiv, um erst 2016 offiziell das Licht der Musikwelt zu erblicken:
Auftritt Betty Mabry, durch kurzzeitige Ehe bekannt geworden als Betty Davis und "The Columbia Years".
BETTY DAVIS - The Columbia Years 1968 - 1969 (LP) (2016)
Schon nach dem ersten Hören gibt es keinen Zweifel: Was lange währt, wird endlich gut.
Und als Entschuldigung dafür, dass es eine Weile gedauert hat, ist die Aufmachung dieser LP wirklich edel: Ein Gatefold aus sehr stabiler Pappe, wie mein Plattenregal es bisher vor allem aus dem nicht ganz so funky ausgerichteten Hause Southern Lord Records kennt, dazu ein großformatiges Booklet mit Portraitfotos, sowie Interviews und historischem Schriftverkehr und Verträgen zu den Aufnahmen.
Die Platte selbst ist eine schwere, tadellose Pressung und enthält insgesamt neun Tracks, von denen die meisten der wohl tatsächlich als legendär zu wertenden Davis/Davis-Session von 1969 entstammen.
Und Junge, diese fünf Stücke haben es wirklich in sich! Abgesehen von "Born on the Bayou", welches eher von Hendrix inspiriert klingt, haben wir es hier mit brandheißem Funk zu tun, der sich nicht einmal vor den zeitgenössischen Stücken des Godfather James Brown verstecken braucht. Die Musiker sprudeln vor Spielfreude über und sorgen dafür, dass sich in den Songs trotz ihrer geradlinigen Eingängigkeit immer wieder neue Details entdecken lassen.
Das Wunderbare an dieser Aufarbeitung ist, wie sehr sie die Spontanität und spezielle Chemie der Session unterstreicht. Obwohl es dem Sound an nichts fehlt, wurde nicht im Nachhinein versucht, den Democharakter der Aufnahmen zu vertuschen. Ganz im Gegenteil: Der Mix enthält sogar am Anfang und Ende einiger Tracks den Dialog zwischen Betty Davis und der überlaut aus dem Kontrollraum raspelkratzenden Stimme von Miles.
Dazu wird anhand des fünften Songs "I'm Ready, Willing & Able" eindrucksvoll der kreative Prozess verdeutlicht. Wir hören zunächst Take 1. Die Musiker haben das Lied gerade erst kennengelernt, der Rhythmus ist noch relativ zahm, und nach einer halben Minute unterbricht Betty, um den Aufbau zu erklären. Es folgt direkt der finale Take 9. Das Stück ist nun komplett, der Drive auf einem vollkommen anderen Level, der Funk auf elf. Beeindruckend.
Wenn man solche Dinge dokumentiert, läuft man ja immer Gefahr, ins reine Musik-Nerdtum vorzudringen, bei dem "normale" Musikhörer nur skippen wollen, doch hier ist es tatsächlich kurzweilig und für den Fluss hilfreich, da die spezielle Energie der Session - sowohl zwischen den Instrumentalisten und der Sängerin, als auch zwischen dem frisch verliebten Pärchen Betty und Miles - so einfach großartig transportiert wird.
Warum also wollten die Plattenfirmen damals noch nichts davon wissen?
Die eine gängige Erklärung ist, dass der selbstbewusste und selbstbestimmte sexy und sassy Charakter (sie gilt ja gar als weiblicher Prince before Prince) einer schwarzen Sängerin für die Zeit einfach noch zu früh kam.
Ein anderer Grund könnte allerdings gewesen sein, dass Miles bei der Weiterempfehlung der Aufnahmen einfach nicht enthusiastisch genug gewesen ist, da er insgeheim Angst hatte, dass Betty populärer als er werden und sie verlassen könnte...
Wahrscheinlich beides. Lange gehalten hat die Ehe jedenfalls nicht.
Drei Tracks bleiben noch auf der LP und entstammen Aufnahmen aus dem Jahr 1968 unter der Regie von Jerry Fuller. Allesamt im damals üblichen Singleformat von zwei bis zweieinhalb Minuten zeigen sie eine noch deutlich poppigere und glattgebügeltere Betty Davis.
Insbesondere die schmalzige Soulballade "Live, Love, Learn" hat mit der Session des Folgejahres wenig gemein. In "It's My Life" und "My Soul Is Tired" steckt anderseits trotz der orchestraleren Produktion schon eine unüberhörbare Portion der kommenden Funk-Queen.
Gut ins Ohr geht auch diese kleine Trilogie. Die Platte wird dadurch exzellent abgerundet.
Ja, ich mag "The Columbia Years" sehr. Sie sind sowohl ein spannender Einblick in ein kleines Stück Musikgeschichte, zum anderen auch ohne das ganze Drumherum einfach funky as fuck.
Der einzige Makel mag die für den Preis recht kurze Spielzeit sein. Aber was soll man machen? Klasse statt Masse eben. Ich habe mir die Platte einfach zum Ausgleich zusammen mit einem gerade sehr günstig angebotenen Jazzklassiker ("Karma" von Pharoah Sanders) gekauft. Dann fühlen sich beide preise normal an und das Problem ist gelöst. Sozusagen.
Fazit zu diesem kleinen, feinen Album: Bettylicious!
Und als Entschuldigung dafür, dass es eine Weile gedauert hat, ist die Aufmachung dieser LP wirklich edel: Ein Gatefold aus sehr stabiler Pappe, wie mein Plattenregal es bisher vor allem aus dem nicht ganz so funky ausgerichteten Hause Southern Lord Records kennt, dazu ein großformatiges Booklet mit Portraitfotos, sowie Interviews und historischem Schriftverkehr und Verträgen zu den Aufnahmen.
Die Platte selbst ist eine schwere, tadellose Pressung und enthält insgesamt neun Tracks, von denen die meisten der wohl tatsächlich als legendär zu wertenden Davis/Davis-Session von 1969 entstammen.
Und Junge, diese fünf Stücke haben es wirklich in sich! Abgesehen von "Born on the Bayou", welches eher von Hendrix inspiriert klingt, haben wir es hier mit brandheißem Funk zu tun, der sich nicht einmal vor den zeitgenössischen Stücken des Godfather James Brown verstecken braucht. Die Musiker sprudeln vor Spielfreude über und sorgen dafür, dass sich in den Songs trotz ihrer geradlinigen Eingängigkeit immer wieder neue Details entdecken lassen.
Das Wunderbare an dieser Aufarbeitung ist, wie sehr sie die Spontanität und spezielle Chemie der Session unterstreicht. Obwohl es dem Sound an nichts fehlt, wurde nicht im Nachhinein versucht, den Democharakter der Aufnahmen zu vertuschen. Ganz im Gegenteil: Der Mix enthält sogar am Anfang und Ende einiger Tracks den Dialog zwischen Betty Davis und der überlaut aus dem Kontrollraum raspelkratzenden Stimme von Miles.
Dazu wird anhand des fünften Songs "I'm Ready, Willing & Able" eindrucksvoll der kreative Prozess verdeutlicht. Wir hören zunächst Take 1. Die Musiker haben das Lied gerade erst kennengelernt, der Rhythmus ist noch relativ zahm, und nach einer halben Minute unterbricht Betty, um den Aufbau zu erklären. Es folgt direkt der finale Take 9. Das Stück ist nun komplett, der Drive auf einem vollkommen anderen Level, der Funk auf elf. Beeindruckend.
Wenn man solche Dinge dokumentiert, läuft man ja immer Gefahr, ins reine Musik-Nerdtum vorzudringen, bei dem "normale" Musikhörer nur skippen wollen, doch hier ist es tatsächlich kurzweilig und für den Fluss hilfreich, da die spezielle Energie der Session - sowohl zwischen den Instrumentalisten und der Sängerin, als auch zwischen dem frisch verliebten Pärchen Betty und Miles - so einfach großartig transportiert wird.
Warum also wollten die Plattenfirmen damals noch nichts davon wissen?
Die eine gängige Erklärung ist, dass der selbstbewusste und selbstbestimmte sexy und sassy Charakter (sie gilt ja gar als weiblicher Prince before Prince) einer schwarzen Sängerin für die Zeit einfach noch zu früh kam.
Ein anderer Grund könnte allerdings gewesen sein, dass Miles bei der Weiterempfehlung der Aufnahmen einfach nicht enthusiastisch genug gewesen ist, da er insgeheim Angst hatte, dass Betty populärer als er werden und sie verlassen könnte...
Wahrscheinlich beides. Lange gehalten hat die Ehe jedenfalls nicht.
Drei Tracks bleiben noch auf der LP und entstammen Aufnahmen aus dem Jahr 1968 unter der Regie von Jerry Fuller. Allesamt im damals üblichen Singleformat von zwei bis zweieinhalb Minuten zeigen sie eine noch deutlich poppigere und glattgebügeltere Betty Davis.
Insbesondere die schmalzige Soulballade "Live, Love, Learn" hat mit der Session des Folgejahres wenig gemein. In "It's My Life" und "My Soul Is Tired" steckt anderseits trotz der orchestraleren Produktion schon eine unüberhörbare Portion der kommenden Funk-Queen.
Gut ins Ohr geht auch diese kleine Trilogie. Die Platte wird dadurch exzellent abgerundet.
Ja, ich mag "The Columbia Years" sehr. Sie sind sowohl ein spannender Einblick in ein kleines Stück Musikgeschichte, zum anderen auch ohne das ganze Drumherum einfach funky as fuck.
Der einzige Makel mag die für den Preis recht kurze Spielzeit sein. Aber was soll man machen? Klasse statt Masse eben. Ich habe mir die Platte einfach zum Ausgleich zusammen mit einem gerade sehr günstig angebotenen Jazzklassiker ("Karma" von Pharoah Sanders) gekauft. Dann fühlen sich beide preise normal an und das Problem ist gelöst. Sozusagen.
Fazit zu diesem kleinen, feinen Album: Bettylicious!
Highlights: I'm Ready Willing & Able, Down Home Girl, Politician Man, It's My Life
* Ok, ich rede natürlich nicht von meiner gesamten Musiksammlung, sondern nur von dem relativ jungen Teil aus Vinyl. Doch auch wenn ich die Gesamtheit betrachte, büßen die genannten Künstler und Alben trotz Nachbarschaft zu den Klassikern, die ich nur auf CD besitze, natürlich nichts an Relevanz ein.
* Ok, ich rede natürlich nicht von meiner gesamten Musiksammlung, sondern nur von dem relativ jungen Teil aus Vinyl. Doch auch wenn ich die Gesamtheit betrachte, büßen die genannten Künstler und Alben trotz Nachbarschaft zu den Klassikern, die ich nur auf CD besitze, natürlich nichts an Relevanz ein.
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