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2019-11-30

DER BLUTHARSCH AND THE INFINITE CHURCH OF THE LEADING HAND - The Cosmic Trigger - retriggered

Mit den alljährlichen Best-of-Posts in Arbeit ist mein Bedarf an neuem Rezensionsmaterial, um etwas zum Schreiben zu haben, aktuell eher nicht so brennend. Aber was neues von den österreichischen Arbeitstieren DBATIHOTLH ist ja zwischendurch immer nett. Oder?


DER BLUTHARSCH AND THE INFINITE CHURCH OF THE LEADING HAND - The Cosmic Trigger - retriggered (2019)

Das erste Mal habe ich die Scheibe nebenbei im Office eingeschoben. Brrr, fuck! Nee, das ist mit jetzt aber zu cringy.

Der nächste Versuch erfolgte dann nach einigem zeitlichen Abstand abends im Auto, wo ich den Opener zwar durchaus immer noch recht schräg und schwierig fand (ich weiß, das soll so...), auf die folgenden zehn Tracks dann aber umso mehr ansprang.

Wie der Zusatz "retriggered" schon verrät, ist "The Cosmic Trigger" kein komplett neues Album, sondern die Wiederaufbereitung eines Werkes von 2013. Ob "retriggered" dabei für Remix, Remaster oder gar teilweise Neuaufnahmen steht, kann ich zwar nicht sagen, doch dass die Musik noch aus einer anderen, bei weitem nicht so psychedelic-rock-orientierten Phase stammt, ist unüberhörbar.

In erster Linie ist "The Cosmic Trigger" ein von manchmal leicht, häufiger sogar stark kauzigem, männlichen Postgruftgesang bestimmtes Elektroalbum mit Einschlägen aus Gothic und Industrial. Die Soundpalette wurzelt dabei zumeist schon sehr in den Achtziger Jahren und erinnert dabei nicht nur an frühe Depeche Mode und späte (betrachtet man sie nur als aktive Recording Artists) Kraftwerk, sondern lässt auch Platz für ein paar dunkel gefärbte Tangerine Dream-Momente. Und sie macht am meisten Spaß, wenn sie an die "Twitch"/"The Land Of Rape And Honey"-Periode von Ministry anklingt.

Auch wenn sie diesmal etwas anderer Natur ist, muss man vor dem vollen Genuss eines Albums vom Blutharsch und seiner unendliche Kirche in den meisten Fällen ja eine gewisse Gewöhnungsschwelle nehmen. Ja, das kann man hier durchaus wörtlich als Skippen des Opener verstehen, haha.

Und bei Sonnenschein, das muss ich zugeben, wird "The Cosmic Trigger" für mich in absehbarer Zeit wohl kaum erste Musikwahl werden. Dieses Album ist mehr etwas für die nächtliche Autobahn, die von kaputten Neonröhren beleuchtete Industrieruine oder den vollmondbeschienenen Nebelgruselwald. Abends drinnen ist aber im Zweifelsfall auch ok.

Unter solchen Rahmenbedingungen allerdings wächst das Ding zu einer richtig starken Hitschleuder heran. Ob der mit späterem Reprise vertretene Titelsong, das Instrumental "Hold On!" oder das Finaltrio aus "Hopeless", "Terrible Place" und "Zero"; das Zeug hier unterscheidet sich zwar zum Teil erheblich von meinen bisherigen Favoriten aus der brodelnden Blubberbarsch-Diskographie, ist aber unbestritten ziemlich geile Scheiße.




2019-11-24

KAPEISTER und AGUNG GURUNG live in der Lauschbar, Itzehoe (23.11.2019)

Agung Gurung


Mann mann, fast hatte ich's vergessen, doch zum Glück reicht bei Konzerten in Itzehoe ja auch die kurzfristige letzte facebook-Erinnerung aus, um mich noch ohne Stress startklar zu machen und rechtzeitig anzukommen. Dies gilt umso mehr, wenn sich der Beginn ohnehin durch Soundcheckproblemchen nach hinten verschiebt. Aber ich will ja nicht meckern, schließlich war das gestrige Konzert in der itzehoer Lauschbar ja für lau. 


Agung Gurung

Den Beginn machten Agung Gurung, die ich zuletzt vor mittlerweile auch schon wieder über zweieinhalb Jahren an diesem Ort gesehen hatte. Aliens Steine Drogen, wie die sechsköpfige Gruppe nach ihren bevorzugten Songthemen auch heißen könnte, war besetzungstechnisch an mehreren Positionen neu aufgestellt, spielte jetzt mit drei Gitarren, aber minus Keyboard.

Der Abstand ist zu groß, um es mit Gewähr vergleichen zu können, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass mir das vorige, spaciger wabernde Format ein wenig besser gefallen hat.


Abgesehen davon war es aber schon eine überwiegend coole Show, in der zahlreiche Einflüsse durch das denglisch verschrobene Krautrocksieb gefiltert wurden. Gesanglich war's mir manchmal ein bisschen viel, oder anders gesagt: ein paar längere Instrumentalstrecken wären bei dem großen Muckeraufgebot schon höchst willkommen.
Ich mag aber, dass Agung Gurung auch trotz relativ herkömmlicher Songstrukturen nach wie vor eine konsequente Kauzigkeit kultivieren.



Kapeister


Eine stilistisch sehr zielstrebige Linie fuhren ebenso nach wie vor Kapeister (letzte Begegnung zwei Jahre her) mit ihrem - abgesehen vom englischen Block inklusive bewährtem Rage Against The Machine-Cover - deutschsprachigen Agit-Crossover für Jugendliche ab vierzig.


Es gab die Hits, aber auch neue Stücke. Das Zusammenspiel war gut geölt, der Drummer eine präzisere Groovemaschine denn je. Nur die Einlage, fürs Deichkind-Cover "Krawall und Remmidemmi" extra eine zweite Gitarre mitzunehmen, der dann nach fünfzehn Sekunden eine Saite riss, war peinlich für sowohl Musikant als auch Instrument, haha.
Der Fauxpas konnte mit einem gut organisierten Crowdsurfingausflug immerhin karmatisch einigermaßen ausgeglichen werden. Insgesamt machten Kapeister darum unterm Strich auch diesmal wieder viel Spaß.


So wie es in die Bar hineinlauscht, so lauscht es heraus.



Agung Gurung:




Kapeister:





2019-11-23

THEON CROSS - Fyah

Tuuubaaa tuba tub
Tubbatubbatubbatubbatub tuba tub 
Nufta nufta nufta tzz nufta utz utz
Umpffumpffumpffumff
Tubbatubbtubbatub tuuubaaa tub

Saxidididi sadadadaxisax didilididildi saxofon tzz.

Tuba tub tuba jazz tuba tub tub tuba yeah.



THEON CROSS - Fyah (CD) (2019)

Fuck, yeah!

Wenn Sons Of Kemet-Stakkatotubamonster Theon Cross mit seinem Debütalbum nicht den Partyjazzexzess des Jahres aus dem Messing gefeuert hat, dann mach ich mein Blog hier gestern dicht.

Zumeist in Triobesetzung mit Drums und Saxophon entfernt er sich dabei nicht allzu sehr vom Sound seiner Stammband, addiert aber z.B. mit der funky Fusion-E-Gitarre in "CIYA" auch neue Elemente. Der Übergang von ultratraditionellem Blaskapellenjazz zu moderenen Beats und Licks ist dabei fließend. Alles ist eins. Alles ist fetter Groove.

Und weil ich mir vor ein paar Tagen durch ein versehentliches komplettes Löschen plus sofortigen automatischen Abspeichern meiner schon zu drei Vierteln vollendeten Album-und-Konzert-des-Jahres-Liste einen Arschvoll frustrierender Extraarbeit eingehandelt habe, halte ich diese Besprechung hier jetzt mal kurz und kicke gleich den "Veröffentlichen"-Button.

[Spoiler: Den Eintrag für Theon Cross in jenem Listenentwurf habe ich gerade eben auch schon geschrieben.]

Rezensenten, die dieses Album fantastisch finden, gehen auch ab zu: Sons Of Kemet, Mabuta, The Comet Is Coming.







2019-11-13

JOHN COLTRANE - Blue World

Ok, die Jazzheads und Coltrane-Cats unter euch kennen die Story ja eh, also machen wir's kurz:

1964. Der Frankokanadier Gilles Groulx dreht seinen ersten Low-Budget-Arthouse-Spielfilm "Le Chat dans le sac" über das Ende der Beziehung eines mächtig möchtegern-intellektuell abledernden Paares (sprich: interessant gefilmte, aber teilweise auch anstrengende Kost) und fragt einfach mal den Jazzgiganten John Coltrane, ob er für ihn den Soundtrack einspielen würde.

Coltrane hört sich das Konzept an, hat Bock, geht für ein paar Stunden mit seiner Band ins Studio und drückt dem Filmemacher danach das Tape in die Hand.

Das Resultat ist am Ende dieser Film (hier auch mit englischen Untertiteln):





Bei Coltranes Plattenfirma ist die Session nirgends offiziell eingetragen, und da der Film zwar ein erfolgreicher Karrieregrundstein wird, außerhalb des französischsprachigen Raums jedoch kaum Beachtung findet, geraten diese Aufnahmen aus demselben Jahr, in dem sich der Saxophonist mit "A Love Supreme" endgültig unsterblich machen sollte, für lange Zeit beinahe in Vergessenheit.


Fast forward ins neue Jahrtausend: Durch die Digitalisierung geraten alte Filme wieder stärker in die Öffenlichkeit. Fans erkennen Stücke von John Coltrane, doch es nicht die bekannten Studio- oder Liveversionen....

Voilà!
Das Film Board of Canada zückt das Originaltonband.
Ein neues Coltrane-Album anyone?
Und alle natürlich so: Yaaay!






JOHN COLTRANE - Blue World (LP) (2019)


Ich persönlich war ja zunächst, wie immer bei posthumen Veröffentlichungen, etwas skeptisch. Denn wenn Studiomaterial zu Lebzeiten nicht veröffentlicht wird, hat dies in der Regel ja auch den ganz einfachen Grund, dass es schlicht nicht gut genug war, die Erben oder musikalischen Rechteinhaber jedoch Geld gebrauchen können.
(Ich will ja nichts unterstellen, aber wer ist für den komischen Miles Davis-Murks verantwortlich, der dieses Jahr der Welt zugemutet wurde?)

In diesem Fall hat zur Zeit der Aufnahmen aber vermutlich niemand überhaupt an eine weitere Verwendung der Musik gedacht, war Coltrane im Kopf doch stets schon drei Schritte weiter als sein aktuelles Projekt und ein schneller Nachschub an Tonträgern ohnehin gesichert.

Und dann war da natürlich die Tatsache, die nebenbei wiederum zu meiner Skepsis beigetragen hat: Es waren einfach zu wenige Songs für ein Album, und dann noch ausschließlich Material, welches bereits in anderer Form bekannt war.

Schaut man sich die Tracklist der nun erschienenen LP an, liest es sich auch eher wie EP mit Bonustracks, sind unter den acht Stücken doch gleich zwei Takes von "Naima" (vom Album "Giant Steps") und sogar drei Takes des "Village Blues" ("Coltrane Jazz") zu hören.

Für Jazz-Supernerds sind natürlich sowohl die verschiedenen, wirklich immer etwas unterschiedlich angegangenen Versionen, als auch die einmalige Chance, Coltrane im Studio alte Stücke neu auflegen zu hören, verlockend. Aber für mich?


Ich bin gerade in den letzten Monaten ziemlich coltrane-besessen geworden und erweitere mal hier, mal da je nach Gefühl und Preis des Albums meine Sammlung. Die Favoriten wechseln dabei gerne (z.Zt. würde ich sagen "Stardust", die "Afro Blue Impressions" und "My Favorite Things"), und da jedes Werk so reichhaltig ist, sehe ich grundsätzlich kein Bedürfnis, dabei zu überpacen.
Sprich: der größte Teil der Diskographie liegt immer noch vor mir. Von daher war ich mir zunächst ziemlich sicher, "Blue World" nicht zu brauchen.

Dann allerdings habe ich die Musik gehört!
Und Coltrane hat hier selbst in schnelleren Solopassagen stets einen dermaßen warmen, samtweich perfekten Ton, dass mir schon deswegen jenseits aller anderen Überlegungen schnell klar war, dass ich an dem Ding - anders als noch letztes Jahr beim wiederentdeckten "Both Directions At Once" - wohl nicht vorbeikomme.

Diese Zeit ist der Zenit des legendären Quartetts mit McCoy Tyner (Klavier), Jimmy Garrison (Bass) und Elvin Jones (Drums), und tatsächlich spielt die Band dynamisch und perfekt geölt ohne Ende. Ein paar Tuschs strapazieren leicht übermotiviert den Pegel, so wie überhaupt auf dem Backcover gewarnt wird, dass etwaige Unregelmäßigkeiten des Tonbandes Teil der historischen Natur des Materials sind - doch ernsthaft: Am Sound gibt's hier faktisch nichts zu meckern. Ich fühle mich, als stünde ich direkt vor der Band, was will ich mehr?


Fazit: Coltranees, greift zu! Verkehrt macht ihr hier nichts.


Und an alle Jazznovizen, die noch weniger Ahnung von der Materie haben als ich und sich fragen, wie ein vor einem halben Jahrhundert verstorbener Saxophonspieler heute noch solche Wellen schlagen kann:

John Coltrane ist trotz seiner leider zu früh beendeten kurzen Wirkungszeit (aber Himmel, die Beatles als aktive Band gab es nur sieben Jahre!) ein Jahrhundertkünstler. Wer sich grundsätzlich als an Musik interessiert versteht, auch wenn er/sie (noch) keinen Zugang zu Jazz hat, kommt um Coltrane früher oder später kaum herum.

Wie man in sein Werk am besten einsteigt, dafür kann ich keine allgemeingültige Formel anbieten. Als Partner von Miles Davis hat er u.a. auf "Kind Of Blue" schon Musikgeschichte geschrieben. Seine ersten Gehversuche als Bandleader sind zumeist leicht zugänglich, das Quartett in der hier präsenten Form gilt als eine der aufregendsten Livebands aller Zeiten.
Nach "A Love Supreme" allerdings war Coltrane sowohl Kritikern als auch Zuhörern manchmal zu weit voraus, d.h. es gibt schon mal schrille avantgardistische Töne zu hören, die für die meisten Normalhörer unter "Das ist doch keine Musik mehr!" fallen. Gerade das mag für vereinzelte Krachfreunde aber auch eine gute Brücke zum traditionelleren Jazz sein. Mir zumindest ging es ähnlich. Aber Obacht: "Ascension" zum Beispiel hat bis heute noch kein Mensch komplett verstanden.

Schon aus Gründen der abwechslungsreicheren Tracklist anderer Alben würde ich "Blue World" nur empfehlen, wenn man bereits mit einem Bein im Coltranekosmos steht schwebt. Sollte es aber dazu kommen, dass ein Neuling das Ding in die Finger bekommt: Macht euch keine Sorgen! Alles ist gut.








2019-11-12

SWANS - Leaving Meaning

Don't call it a comeback! Und erst recht keine Reunion.

Komischerweise hat es nicht jeder mitbekommen, aber Michael Gira hat die Swans nach der Tour zum letzten Album ausdrücklich nicht aufgelöst.

Das seit der tatsächlichen Reunion im Jahr 2010 über vier Studioalben und ständige Touren beinahe komplett stabile Line-Up allerdings ist Geschichte. Und hat damit um ein vielfaches länger gehalten als irgendeine andere Form der Band, die sich in den Achtziger und Neunziger Jahren fast auf jedem Album und jeder Tour irgendwie umgewälzt präsentierte.

Kein Wunder also, dass um das Ende dieser Swans-Inkarnation eine große Welle gemacht wurde. Aber war diese Welle vielleicht etwas zu tsunaminös?

Natürlich ging es dabei auch darum, das Publikum in die letzten gigantisch lärmmaximalistischen Liveshows jener Besetzung zu locken. Wie groß der Bruch zur nächsten Tour sein wird, das muss sich natürlich noch zeigen.

Im Studio jedenfalls ist das neue Album "Leaving Meaning" trotz aller Neuerungen immer noch nicht nur eindeutig als Swans-Werk erkennbar, sondern auch eine durchaus folgerichtige Fortsetzung des Kurses, der zuletzt von "To Be Kind" über "The Glowing Man" führte.





SWANS - Leaving Meaning (2LP) (2019)


Also, was ist anders? Was ist vertraut?

Zunächst ist "Leaving Meaning" kleiner als die vorhergehende Monumentalschinkentriologie. Es ist also "nur" ein normales Doppelalbum aus zwei LPs. Auch die Songlängen sind dramatisch geschrumpft: Ein Drittel der Tracks überschreitet zwar noch die Zehn-Minuten-Grenze, allerdings nur geringfügig bis maximal zwölf Minuten.

"Leaving Meaning" ist auch leiser, mehr um den Gesang zentriert und ohne die ganz ohrenbetäubende, unbegrenzte Eskalation.

Objektiv bedeutet das bisher Gesagte allerdings nur, dass wir es immer noch mit einem ziemlich langen Album voller epochaler, zeitweise enorm aufbrausender Longtracks zu tun haben.


Die Basis der meisten Stücke ist allerdings schon eher angespannt lauernd und manchmal tatsächlich "balladesk", was im Zusammenhang mit dieser Band komischer klingt als es ähm... klingt, und Erinnerungen an die ruhigere Gothic-Phase oder auch die Angels Of Light provoziert. Schon dadurch, dass man klanglich den unfassbar perfekten und doch nicht glattgebügelten Produktionen der letzten Alben treu bleibt, wird "Leaving Meaning" aber nicht zum Nostalgiefest und zeigt diese Seite der Swans in einem neuen Licht.

Schaut man sich das reiche Personal des Albums an, so sieht man u.a. mit Thor Harris, Norman Westberg, Phil Puelo und Kristof Hahn überraschend viele vertraute Gesichter aus der gerade beerdigten Besetzung. Das Album-Line-Up wechselt allerdings von Song zu Song (wobei sich die Credits teilweise ein wenig schwammig geben) und beinhaltet daneben auch viele frische Gesichter.

Besonders erwähnen muss man sicherlich das australische Advantgarde-Jazz-Trio The Necks, welches komplett den Titelsong und "The Nub" instrumental dominiert, Transgender-Musikerin Baby Dee, welche in letztgenanntem Stück den Leadgesang übernimmt, und natürlich die Von Hausswolff-Schwestern Anna und Maria, die gleich drei Songs mit unverkennbarem, gespenstisch-exzentrischen Chorgesang veredeln.

Nur mit Bass- und Geräuschcredits auf dem Download/CD-Bonustrack "Some New Things" vertreten, indes bereits als Teil der kommenden Livebesetzung angekündigt, ist die mir vor allem durch ihr Duo Insect Ark bekannte Dana Schechter.
Und auch wenn ich mir bezüglich ihrer Liveperformance keine Sorgen mache, hat sie hier leider die schwächste Nummer zum Partizipieren abbekommen. Das flotte Stück im "Great Annihilator"-Stil ist etwas zu gleichförmig geraten und kann anders als ein, zwei weitere Tracks nicht durch den Kontext im gesamten Album aufgewertet werden.

Der Kontext ist übrigens in digitaler und analoger Form etwas unterschiedlich, da gleich beginnend mit dem Inro "Hums" die Songreihenfolge dem Schallplattenformat angepasst werden musste. Klar favorisieren mag ich allerdings keine der beiden Konstellationen.

Dafür ist das allermeiste, was auf diesem Album zu hören ist, auch einfach zu gut. Und es ist eine sowohl klanglich als auch kompositorische große Bandbreite, die hier abgedeckt wird.
Zwischen ruhigen, mal dunkelromantischen ("Annaline"), mal countryhaften ("It's Coming It's Real") Tracks über das nicht nur vom Titel her an Dead Can Dance erinnernde "Amnesia" und unnachgiebiges Material, welches mal wie in "The Hanging Man" an die direkten Vorgängeralben anknüpft, mal wie in "The Nub" darüber hinausgeht oder wie im Finale "My Phantom Limb" in schizophren überladenen Wahnsinn mündet, lässt einem "Leaving Meaning" wenig Gelegenheit, Langeweile zu verspüren.

Der allergrößte Unterschied zur vergangenen Phase - und das war ja auch so angekündigt -, ist die größere Präsenz des Gesangs in allen Formen. Lyrisch bleibt Gira dabei zumeist ähnlich diffus und verfällt auch wie gewohnt hier und da in beschwörerische Extase, die ihn in Zungen sprechen lässt. Aber es ist halt beinahe ständig Gesang da, und ihm zugunsten wird am Anrühren der existenziell erschütternden Kakophonie diesmal gespart.

Ich finde das nachvollziehbar und gut. Wer die Flugzeugträgergeräuschpegel von "The Seer" ff. dennoch vermisst, dem empfehle ich, einfach mal der B-Seite des aktuellen Dead Neanderthals-Werkes zu lauschen.

Wie gesagt - etwa ein Viertel der Songs fällt im Vergleich schon ein bisschen ab. Davon abgesehen stört mich aber nur, dass Michael Gira im ruhigeren Modus nicht etwas häufiger von seinem knarzigen Komfort-Sprechgesangschema abweicht.

Insgesamt jedoch ist "Leaving Meaning" halt ein sehr gutes Swans-Doppelalbum, also eine Macht, gegen die sich kaum anstinken lässt.


Optisch glänzt die LP mit gewohnter Young God Records-Designqualität und Haptik, enthält einen Lyrik- und Credits-Sheet sowie ein Poster. Alles super, auch wenn ich meine Hülle nachkleben musste.




Abschließend sei für Sammler mit lockerer Geldbörse noch erwähnt, dass es auch dieses Mal im Vorfeld für Crowdfunder eine individuell handgemacht gestaltete CD gegeben hat. Nicht mit Livestücken, sondern mit solo eingespielten Demoversionen der meisten Albumtracks.

Ist mir persönlich aber zum derzeit abgerufenen Preis nicht essentiell genug. Das Kapital würde ich bei lückenhafter Sammlung eher in das fabelhafte Livealbum "Deliquescence" investieren.









2019-11-08

SUNN O))) - Pyroclasts

"Pyroklasten sind Einzelkristalle, Kristallbruchstücke, Glas oder Gesteinsfragmente, die bei einem explosiven Ausbruch eines Vulkans entstanden sind. Dabei können die Pyroklasten beim Ausbruch bereits fest oder noch flüssig gewesen sein. Die interne Struktur [...] und die mineralogisch-chemische Zusammensetzung spielen bei der Definition keine Rolle. [...]
Pyroklasten im engeren Sinne dürfen keine Anzeichen aufweisen, dass sie wiederaufgearbeitet worden sind, d. h. die äußere Gestalt, die diese Fragmente während der Entstehung oder des Transports (ballistischer Transport oder Transport in pyroklastischen Dichteströmen) angenommen haben, darf keine Anzeichen auf Wiederaufarbeitung aufweisen. Sie können jedoch bei oder kurz nach der Ablagerung in ihrer Gestalt verändert werden, etwa durch partielle Aufschmelzung und Verformung durch die Auflast überlagernder Pyroklasten oder durch interne Korn/Korn-Bewegungen in den Ablagerungen."
(Quelle: Wikipedia)



SUNN O))) - Pyroclasts (LP) (2019)


"Pyroclasts" sind Improvisationen, Meditationen, Dronetracks, die während der Aufnahmen zu Sunn O)))s im April erschienenen Album "Life Metal" entstanden sind.

...

...

Nein, ich übersetze das obige Zitat jetzt nicht komplett in eine Rezension! Auch wenn die Idee echt gut ist, ich weiß.


Zum Glück sind Stephen O'Malley und Greg Anderson etwas zielstrebiger, wenn es um die Umsetzung ihrer Konzepte geht, denn dem Doppelalbum noch diese Einzel-LP mit vier jeweils elfminütigen Tracks als Begleiter zur Seite zu stellen, muss ich als durchweg gelungenen Schachzug anerkennen.


Optisch bilden beide Alben eine Einheit: Auch hier zieren mehrere unfassbar gewaltige Gemälde von Samantha Keely Smith die Hülle. Dazu sind auch Schriftarten und graue Bandarole gleich. Dass sowohl Außen- als auch Plattenhülle auf der Innenseite vulkanglutrot sind, ist ein netter neuer Touch.





Klanglich sind beide Veröffentlichungen ebenso eins.

Kein Wunder, da Personal und Setup ja identisch sind. Im Kern sind die hier aufgenommenen Stücke nämlich nichts anderes als Kontemplationen über jeweils eine (auch im Titel angegebene) Note, um sich für die Aufnahmen der "Life Metal"-Songs in Stimmung zu bringen.

Wir hören also neben den beiden Gitarristen das treue dritte Bandmitglied Tos Nieuwenhuizen am Bass-MoogHildur Guðnadóttir an Cello und Halldorophon, sowie Tim Midgett an der Baritongitarre.
Und natürlich genießen wir auf "Pyroclasts" auch wieder Steve Albinis fantastische Produktion mit diesem fucking übermächtigen, sexy Erdbeben auslösenden Gitarrensound, der schon das reguläre Album weit über den täglichen Supermarktsradio-Drone hinausgehoben hat.


Sunn O))) live in Hamburg, 2019
Musikalisch besteht allerdings schon ein entscheidender Unterschied. Wo "Life Metal" im Kern aus sich nur durch ihre Verlangsamung manchmal scheinbar auflösenden Songstrukturen mit konkreten Riffs und sogar Strophe/Refrain-Schemata besteht, da ist "Pyroclasts" tatsächlich Sunn O))) im freiesten Fluss, im Zaum gehalten nur durch den gegebenen Grundton und die immense Erfahrung der Musiker.

Abgesehen davon, dass dies natürlich nach wie vor Musik für idealerweise Großbaustellen belästigende Lautstärken ist, haben Sunn O))) ihr Versprechen gehalten und präsentieren sich hier eher "ambient" - und mit einer Menge interessanter Texturen, die die im Vergleich zu "Life Metal" fehlenden festen Arrangements erfolgreich ausgleichen.

Letztendlich stehen beide Alben trotz der deutlich kürzeren Spielzeit von "Pyroclasts" ebenbürtig nebeneinander, als zwei unterschiedliche Seiten einer Medaille, die jeweils ohne die Existenz der anderen nicht zu ihrer endgültigen Form gefunden hätten.


Für Freunde der Brummmetallmeisterklasse führt wohl kein Weg an beiden Werken vorbei, wobei Puristen des ursprünglichen, bauchgefühligen Drone auf "Pyroclasts" ganz klar noch mehr angesprochen werden.



Abschließend für alle, denen zwei Alben noch nicht genug sind:

Klanglich wiederum anders (mit der aktuellen Liveband plus Gastmusikerin Anna von Hausswolff), doch sowohl auf einem "Life Metal"-Track als auf der Idee der "Pyroclasts" beruhend, möchte ich an dieser Stelle unbedingt noch einmal auf die großartige BBC6-Session von Sunn O))) aufmerksam machen, bevor sie Ende November nicht mehr als Stream zur Verfügung steht! 







2019-11-06

VIDEODRONES - Atavistic Future

Aus Dänemark kommt wieder einmal Futter für alle Freunde der retrofuturistischen Musikrückschau auf die 1980er Jahre. Kristoffer Ovesen und Jakob Skøtt haben sich nach "Mondo Ferox" und "Nattens Hævn" zum dritten Mal in ihrer geheimen Synthiehöhle, irgendwo unter den wolkenverhangenen Gipfeln des Kimbrischen Halbinselhochgebirges, getroffen und eine Langspielplatte mit fünf Tracks eingespielt, die zur Weltflucht in die nur den coolsten Hobbyhackern bekannten top secret spots des BTX einladen.

Also zieh den Datenhandschuh an und dial das Modem, bis es glüht!






VIDEODRONES - Atavistic Future (LP) (2019)


Wer die beiden Vorgängeralbum kennt und liebt, der kann hier nichts verkehrt machen, denn an der grundsätzlichen Formel hat sich nichts geändert.

Auch "Atavistic Future" bezieht seinen Charme aus dem Gegensatz, dass man sich seine Instrumentalstücke einerseits als epischen Soundtrack zu einen philosophisch unterfütterten SciFi-Action-Movie wünscht, die Musik sich anderseits jedoch immer noch jene frühkraftwerksche "Ralph & Florian"-Naivität bewahrt, die dem Hörer gegenüber keinen Hehl daraus macht, dass hier einfach zwei Nerds im Maschinenraum ihres Weltraum-U-Bootes (Fuck, kann ich nicht einmal konsequent bei einem Bild bleiben?) zum Jam die Tasten drücken und Knöpfchen drehen.

Der Verzicht auf leicht zum pumpenden Puls der Tracks vorstellbare Beats und weitere verzierende Elemente, welche Videodrones mit wenigen Kniffen in eine tanzbare Retro-Synthwave-Hitmaschine verwandeln könnten, verleiht auch dem neuen Album - und das, obwohl es durchaus fokussierter als die beiden Vorgänger daherkommt - einen leicht skizzenhaften, unvollendeten Touch.

Oder im Sinne der Soundtrack-Idee ausgedrückt: Bei aller lebendigen Fülle seiner analogen Elektroklänge lässt "Atavistic Future" dem Hörer immer noch bewusst sparsam möbilierte Räume, die erst in Symbiose mit dem fiktiven Film in seinem Kopf komplett gefüllt werden sollen.


Man kann meinen letzten beiden Absätzen anderseits auch gerne Overthinking understellen und die sehr tolle Synthiemucke des Duos einfach so für sich genießen.

Vorausgesetzt, man ist dafür nicht zwingend auf positive Vibes angewiesen. Denn Videodrones erzeugen mehr denn je eine dringlich dräuende Grundstimmung, wie der Albumtitel ja bereits verrät, wiederum vorausgesetzt, einem ist die im umgangssprachlichen Alltag eher selten benutzte Vokabel "atavistisch" bekannt.
(Ich muss gestehen, dass mein Wortschwatz hier bislang eine unverzeihliche Lücke aufwies. Dabei ist der Begriff doch wie dafür gemacht, in jedem zweiten facebook-Post zum Thema Hitlernde Geschichtsrevisionisten leugnen den Klimawandel gedroppt zu werden. Ich gelobe Besserung!)

Doch wirklich: So trippy Stücke wie der Titeltrack oder "Church" auch phasenweise sein mögen, so sehr würden sich der Opener "Venetian Blinds" und mehr noch der Closer "Zeta Beacon" problemlos in Jóhann Jóhannssons dunkelbösen "Mandy"-Score einfügen.


Ebenfalls zum Genießen ist wie so oft Jakob Skøtts Cover-Artwork, diesmal mit standesgemäß in die verchromte Zukunft weisenden, spiegelnden Stanzflächen. Finster, aber auch ein bisschen crazy und cyber, diese Welt von morgen!





Die Spielzeit des Albums ist zwar überschaubar, passt damit allerdings perfekt zum kleinen und doch cineastisch großen Charakter des Werkes.

Lieber etwas weniger und dafür so starkes Material, dass es zum loop listening einlädt (Sagt der Angelsachse das überhaupt? Die Hipness des Sujets zwingt mich, die coolen, heute fünfzigjährigen Eighties-Kidz in Anglizismen zu showern, sorry!), als eine ausladende Gesamtspielzeit mit schwächelnden Längen.


Fazit: Der fucking Wildschweinzaun ist auf dem dänischen Karma-Konto zwar schwer auszugleichen, doch Videodrones leisten beim Versuch exzellente Arbeit. Fein!









2019-11-02

SUNN O))) feat. ANNA VON HAUSSWOLFF - 6 Music Session, 29 Oct 2019

Heute mal kein reguläres Tonträger-Review (wozu bei mir ja auch großzügig Downloads zählen), sondern ein phänomenal kolossaler Streaming-Tipp!


2019, das kann man jetzt schon sicher sagen, ist ein sehr so)))nniges Jahr. Mit "Life Metal" und "Pyroclasts" (erwarte ich nächste Woche) haben Sunn O))) gleich zwei Alben rausgebracht, während sie weltweit  in neuer Livebesetzung unterwegs sind, wie ich bereits im März in Hamburg bestaunen durfte.

Ganz besonders beglückt wurden dabei die Briten, war bei den Inselshows im Oktober doch niemand geringeres als Anna von Hausswolff als Supportact dabei.

Vergangenen Dienstag waren die Dronegötter zwischendurch noch für eine über fünfzigminütige Livesession in einem BBC-Studio zu Gast.





Gespielt wurde zunächst "Troubled Air", in der Albumversion auf "Life Metal" elfeinhalb Minuten lang, doch während der Tour zu einem über halbstündigen Giganten gewachsen, mit neuen Parts, unter denen vor allem Steve Moores Posauneneinsatz sich zu einem Showhighlight entwickelt hat.

Den Rest der Session reinterpretieren Sunn O))) zwei ihrer meditativen "Pyroclasts" ("in F" und "in C#"), wobei sie an Keyboard und mit Gesang von Anna von Hausswolff unterstützt werden. Und das klingt genauso toll, wie es sich für den Fan auf dem Papier liest.

Sunn O))) live in Hamburg, 2019
Die ganze Session ist hervorragend produziert, alles ist deutlich, aber doch schön dröhnig. Vor allem aber haben die Tracks diese spezielle Chemie - auch mit Anna -, dass ich diesen Stream ganz klar zu den besten Aufnahmen zählen muss, die ich überhaupt von den Lebens-Metallern kenne.


Da auch die britischen Öffentlich-Rechtlichen offenbar ein Medienverfallsdatum haben, ist dieser Stream nur bis Ende November online. Also, Freunde des des regulären Zeitflusses enthobenen Monsterbrummens - schlagt zu!

Mit Smartphone und entsprechender App kann man sich das Ding wohl auch runterladen, was ich allerdings nicht testen konnte, denn sorry, Der Ohlsen appt nicht.

Ich habe allerdings gerüchteweise gehört, dass es auch andere Wege geben soll, sich mit dem Diktiergerät oder anderen Tonbandrekordern das Programm vom RöhrenradiO))) mitzuschneiden.



  

ÜBERJAZZ Festival 2019, Kampnagel, Hamburg (Pre-Opening Night, Mittwoch, 30.10.) mit SUN RA ARKESTRA, THE COMET IS COMING und SALAMI ROSE JOE LOUIS

The Comet Is Coming


Nachdem ich letztes Jahr u.a. Pharoah Sanders und Yazz Ahmed auf dem fantastisch produzierten Überjazz Festival erlebt hatte, war es klar, dass die Veranstaltung auch diesmal auf meinen Radar gehörte.
Ebenso klar blieb allerdings die Tatsache, dass mir der Eintritt fürs komplette Festival plus mehrmalige An- und Abfahrt und was sonst noch so dran hängt, zusammen ein bisschen happig war, so dass ich mich wieder für einen Tag entscheiden würde. Und diesmal gab es zusätzlich zum Freitag und Samstag sogar noch eine Pre-Show, allerdings nicht am Donnerstag (=Feiertag), sondern bereits am Mittwoch.

Und da an jenem Tag nicht nur das im Quadrat legendäre Sun Ra Arkestra, welches mich letztes Jahr im August weggeblasen hatte, sondern auch die Überjazz-Stammgäste The Comet Is Coming auf dem Programm standen, war schnell klar, dass es Mittwoch sein würde.

Aaaber dann gewann ich ja Dienstag Abend noch zwei Gästelistenplätze fürs Festival!

Und schaffte es in der kurzen Zeit nicht, jemanden zu finden, der Bock auf drei Tage Superjazz für lau hatte.

Und wurde dann später an der Kasse darauf aufmerksam gemacht, dass meine Freikarte nur für Mittwoch gültig sei. Buh!

Aber auch puh, denn das hätte echt scheiße ausgesehen, wenn ich mit jemandem dort aufgetaucht wäre, der/die sich aufs komplette Festival gefreut hätte.

Also hatte ich nur freien Eintritt für den einen Abend gewonnen, für den ich eh schon bezahlt hatte. Naja. Habe mein Ticket natürlich noch vor Ort für drei Viertel des Preises weiterverkauft und so immerhin dreißig Euro gewonnen. Bzw. neunundzwanzig, weil bei der Bezahlung meines zweiten Getränks mein Pfandbecher verträumt werden sollte. Erschütternd, ich weiß.


Nach diesem emotionalen Hin und Her war ich auf jeden Fall froh, als es in der großen K6-Halle dann nur noch galt, die Musik zu genießen.



Salami Rose Joe Louis

Salami, Rose, Joe und Louis. Wäre ich gänzlich unvorbereitet gewesen (und hätte mir bei der Ansage vorher die Finger in die Ohren gesteckt), dann hätte man mir problemlos erzählen können, dass es sich dabei um die (Spitz-)Namen der vier Musiker auf der Bühne handelte.

Noch weit gefehlt, alleinige Besitzerin dieses Multinamens war die Sängerin und Keyboarderin, welche eigentlich mit einer Solo-Performance angekündigt gewesen war. Als sie jedoch erfahren hatte, dass sie das Arkestra supporten würde, wollte sie doch gemeinsam mit ihrer Band auftreten, um ihnen diesen Lebenstraum zu erfüllen.

Der Sound des Quartetts aus Keyboard, Bass, Schlagzeug und Saxophon / EWI (elekronisches Blasinstrument) war modern, überwiegend laid back, doch mit einem gewissen enigmatisch elektrisierten Unterton, den man auch von Künstlern wie Thundercat oder Flying Lotus kennt, was es nur folgerichtig erscheinen lässt, dass auch Salami Rose Joe Louis auf dem Brainfeeder-Label zu Hause ist.

Die Grooves und Rhythmen waren auch während der entspannten Strophen oft abenteuerlustig, ließen sich aber für Solos und Instrumentalpassagen immer noch Raum nach oben offen. Insgesamt fand ich das alles sehr smooth, lässig, charmant. Eine ganz fein entspannte Einstimmung auf die beiden kosmischen Giganten, die noch auf dem Programm standen.



Sun Ra Arkestra



Was für ein Privileg, nach nur wenig mehr als einem Jahr das Sun Ra Arkestra schon wieder im Kampnagel, und diesmal in der größten Halle, erleben zu dürfen!

Damals hatte ich in meiner absoluten Geflashtheit eines meiner längeren Reviews verfasst, deswegen verzeihe man mir, wenn ich mich diesmal kürzer halte, weil ich mich nicht unnötig wiederholen mag.

Bandleader Marshall Allan ist inzwischen respektable 95 Jahre jung und feuerte aus Saxophon und elektronischem Blasinstrument (ganz anderes, weniger auf Wohlklang gebürstetes Gerät als bei der Vorgruppe übrigens) immer noch die irrsten und spacigsten Soli ab.

Seine Band war diesmal ein wenig kleiner und bestand "nur" aus elf Personen, welche in drei Reihen aufgestellt waren: Hinten Drums und Percussion, in der Mitte Kontrabass, Horn und Trompete, vorne der Meister und drei weitere Multiinstrumentalisten, die sowohl an Saxophonen, Flöten, als auch an Bongos und Congas reichlich beschäftigt waren. Und Links von alledem noch Konzertflügel und Keyboard.

Dass keine Sängerin dabei war, bedeutete, dass sich die Herren ein paar Gesänge mehr teilen mussten, während das Fehlen der Gitarre die Band näher an ihren Ursprungssound in den 1950er Jahren rückte.


Es ist schon ein gewaltiges Schauspiel, wie sich diese vor Erfahrung und Spielfreude strotzende Gemeinschaft über bewusst beinahe kakophonische Improvisationen allmählich gemeinsam in Gang setzt und von Stück zu Stück zur immer untrennbareren Einheit verschmilzt, dabei jedoch nie auf zumindest ein kleines chaotisches Restelement verzichtet.
Trotz vertrauter Wegmarken wie der besonders soulvollen Version von "Space Is The Place" oder dem großartig rhythmisch aufmüpfigen "Angels And Demons At Play" weiß man einfach nie so ganz, was die weisen Plutonier in ihren silber und golden glitzernden Ganzjahreshelloweenkostümen als nächstes im Schilde führen. 
Aber was auch immer es ist, man kann sich sicher sein, dass es bei keiner anderen Gruppe so klingen würde wie beim Sun Ra Arkestra.

Für einen Genre-Neuling oder gar einen Ich-mag-keinen-Jazz-Metal-Fundamentalisten mag ohne eigenes livehaftiges Erleben kaum zu vermitteln sein, was das große magische Faszinosum an einer über sechszig Dienstjahre alten Big Band bildet. Letztendlich ist es wohl einfach die ungeheure Klasse und Energie, die in dieser gleichsam traditionellen wie visionären Formationen zusammenkommt und sich immer noch auf irgendwie ganz ungefiltert naive Weise entfaltet.

Das Sun Ra Arkestra ist afro-amerikanisches Weltkulturerbe und unvergleichliches Konzerterlebnis. Wir sollten froh und dankbar sein, dass diese Musik so viele Jahre nach Sun Ras Tod immer noch von seinen Weggefährten auf die Bühne gebracht wird. Ohne Frage wieder eines der besten Konzerte des Jahres!




The Comet Is Coming



"I've got two things to say. First: Fuck Brexit!"

Bei dieser Ansage dürfte dem distinguierten Teil des Publikums vielleicht schon ein erschrockenes Püpschen entfleucht sein. Allerdings waren die mehr als eine Stunde Musik vor dieser ersten Wortmeldung von Keyboarder Danalogue auch nicht gerade your Grandparents' Bebop.

Dunkel, hell, hypnotisch, tanzbar. The Comet Is Coming, Saxophonist King Shabakas Elektrogegenpol zu seinen superorganischen Sons Of Kemet ist leicht zu erfühlen / erleben, stilistisch allerdings sehr schwer zu fassen.
Synthwave Prog Rave Jazz? Wir werden es nie erfahren.

Was jedoch blitzschnell klar wurde: Mit dem Spitzenalbum "Trust In The Lifeforce Of The Deep Mystery" im Gepäck und dem immensen nimmermüden Duracell-Drive von Drummer Betamax hatten die drei Musikfuturisten von der Insel das Publikum ganz schnell in ihren Bann geschlagen und bewiesen, dass es keine Häresie war, sie nach dem legendären Arkestra auf die Bretter zu schicken.

Dadurch, dass die Bühne zwischen dem Trio sehr aufgeräumt war, kam nun auch die wieder höchst wirkungsvolle Licht- und Videoinstallation des Festivals am besten zur Geltung.

Die Show, welche ein wenig verspätet begann, dann aber deutlich länger als geplant lief, hatte nur im letzten Drittel einen leichten Hänger, als die ohnehin im Normalbetrieb schon zu großen Teilen zu zweit spielenden Männer an Sticks und Tasten eine lange Zusatzstrecke füllen mussten, während quälend langsam ein Effektgerätproblem am Saxophon gelöst wurde. Das war zwar auch alles cooles Zeug, aber man bemerkte nach einer Weile schon die leicht ungeduldig werden Blicke zum rechten Bühnenrand.
Anderseits mag mancher Zuschauer, der nicht gerade in der ersten Reihe stand (der Saal war zum Glück heute noch nicht vollbestuhlt) vielleicht gar nicht mitbekommen haben, dass es überhaupt ein technisches Problem gegeben hat.

Und in erster Linie freute man sich nachher ohnehin in erster Linie, Zeuge und Überlebender dieser hervorragenden Jazzokalypse gewesen zu sein.



Schade, dass es das dann auch schon an Überjazz für mich gewesen war, insbesondere, da ich ja zwischendurch geglaubt hatte, freien Eintritt für alle Tage gewonnen zu haben. Anderseits habe ich jetzt, da ich diesen Text zu Ende tippe, auch gerade erschöpft den Großteil meines Freitag-Feierabends verpennt. (Veröffentlicht wird morgen früh.) Von daher wäre es wohl ohnehin ziemlich mühsam geworden. Rede ich mir jetzt jedenfalls mal tröstend ein.





Salami Rose Joe Louis:




Sun Ra Arkestra:





The Comet Is Coming: