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2018-11-05

ÜBERJAZZ Festival 2018, Kampnagel, Hamburg (Samstag, 03.11.) mit PHAROAH SANDERS, YAZZ AHMED, THE COMET IS COMING u.a.

The Comet Is Coming


Das Überjazz ließ sich sich viel Zeit mit der Ankündigung, welcher Künstler an welchem der beiden Festivaltage auftreten sollte. Doch als endlich bekannt gegeben wurde, dass Yazz Ahmed und Saxophonlegende Pharoah Sanders am Samstag auf der Running Order standen, war für mich klar, dass dies mein Tag sein würde. Beide Tage waren mir dann inkl. doppelter Hin- und Rückfahrt zu kostspielig, auch wenn ich z.B. Sons Of Kemet vom Freitag noch gerne erlebt hätte.

Es begann zunächst einmal frisch: Für die paar hundert Meter bis zu meinem Parkplatz brauche ich doch keine Jacke anziehen!
Und dann muss man doch noch eine halbe Ewigkeit draußen vor den geschlossenen Toren des Kampnagel Kulturzentrums warten. Brrr.


 

Das Warten vor der Tür sollte sowieso zum wiederkehrenden Thema werden. Es gab von neunzehn Uhr an Konzerte auf vier verschiedenen Bühnen. Und zumindest das K2 und den größten Saal K6 musste man in den Umbaupausen tatsächlich komplett verlassen und im Foyer warten. Das führte in der Pause zwischen Ahmed und Sanders zu dem Phänomen, dass in der ersten Sitzreihe Plätze mit Jacken markiert wurden, vergleichbar mit dem Handtuchkrieg um Poolplätze auf gewissen Ferieninseln.

Doof. Anderseits war es für den Konzertgenuss aber wohl durchaus gewinnbringend, dass der Linecheck in Ruhe ohne Publikum durchgeführt wurde. Denn der Sound war exzellent. Dazu komplettierte das Bühnenbild mit fabelhaften Lichtinstallationen, die ich hier gar nicht erst versuchen will, adequat zu beschreiben, eine nahezu perfekte Produktion. Spektakulär stimmungsvoll, aber doch immer den Musikern die Hauptrolle überlassend.


Jimetta Rose & Carsten Erobique Meyer

Den Beginn machte die für diesen Auftritt exklusive deutsch-amerikanische Paarung der aus Los Angeles stammenden Sängerin Jimetta Rose mit dem Hamburger Jung Carsten "Erobique" Meyer, der u.a. für den Soundtrack der Serie "Der Tatortreiniger" verantwortlich ist, an Klavier und Rhodes Piano. Plus Bassist und Drummer.

Und wenn wir schon beim Fernsehen sind: Ich binge mich aktuell ja durch alle TV- und Netflix-Serien des MCU (=Marvel Cinematic Universe). Neulich erst steckte ich in der mit einem großartigen Soundtrack gesegneten ersten Staffel von "Luke Cage". Deswegen musste ich beim smoothen Rhodes-Spiel auch sofort an den Gangsterboss Cornell "Cottonmouth" Stokes denken, der seine Begabung an diesem Instrument zugunsten seiner kriminellen Karriere zurückstellen musste.

In der Tat war der von Loungejazz und R&B geschwängerte Soul, den das Quartett entspannt in den Raum tanzbarte, genau der Sound, den ich mir vorstelle, wenn Cottonmouth in seinem Club "Harlem's Paradise" selbst zum Jam bitten würde.

Oder auch für Nicht-Netflixer verständlich: Ein von einer fabelhaften Sängerin moderierter, lässig cooler Einsteig in eine lange Musiknacht.


Yazz Ahmed

Während man in den kleineren Räumen auf Clubatmosphäre setzte, fühlten sich die beiden Konzerte im K6 durch Vollbestuhlung und die schiere Größe des Saales anders an. Nicht zuletzt die Lichtshow suggerierte den Eindruck von kosmischer Weite und endlos schwebender Sehnsucht.

Oder beschreibe ich hier bereits einen Teil von Yazz Ahmeds Musik?

Gemeinsam mit einem Drummer (den ich wohl schon aus Prinzip am besten finden muss, da er mein Walnusswurzelholzfinish-Sonor-Delite-Kit spielt, haha), einem Bassisten und Vibraphonspieler interpretierte die Trompeterin und Hornistin die Songs ihres großartigen Albums "La Saboteuse", z.T. in neuen "Remix"-Versionen, bei denen sie auch kräftig an ihren geloopten Tönen elektronisch herum manipulierte.

Diese Stücke mit ihrer komplexen arabischen Rhythmik und teilweise mikrotonalen Melodieführung, ihren traditionell und modernen Einflüssen sind einfach uneingeschränkt großartig. Ein beeindruckendes Konzert, welches in andere Welten entführte.



Die nachfolgende Pause hätte ich Nachhinein betrachtet vielleicht lieber genutzt, um zumindest noch eine Viertelstunde einer der parallelen Shows mitzunehmen. Aber es ist ja wie es ist. Also weiter im Text mit einer der unbestritten größten lebenden Jazzlegenden überhaupt:


Pharoah Sanders Quartet


Pharoah Sanders war mit traditionellem Quartett zu Gast. Flügel, Kontrabass und Drums begleiteten sein Saxophon. Und wie zu erwarten geschah dies auf gewaltigem Niveau.

Viele Stücke präsentierte die Band in den anderthalb Stunden nicht. Allein während der Zeit, in der nur zwei oder drei seiner Mitmusiker spielten, während der Meister selbst im Hintergrund wie eine meditierende Statue seiner Selbst auf den nächsten Einsatz wartete, könnten andere Gruppen wohl ihr komplettes Repertoire verfeuern.
Nun ist es ja nicht ungewöhnlich, dass Bandleader / Solisten effektiv die am wenigsten spielen, doch in Sanders' Fall erzeugte das Warten darauf, ihn endlich wieder selbst zu hören, bei aller Qualität des Gebotenen zugegebenermaßen schon ein paar anstrengende Längen.

Der weißbärtige Mann bewegt sich sehr langsam und in kleinen Schritten. Doch sobald er das Saxophon spielt, scheint er mit dem Instrument verwachsen. Ob die Musik nun bombastisch an- und abschwillt oder im nimmermüden Uptempo wirbelt; sein Spiel ist voller nur durch lebenserfahrene Altersweisheit erklärbarer Gravitas und Melancholie. Was für ein meisterhafter Ton!
Auch seine Stimme ist viel kräftiger, als die Erscheinung vermuten lässt. Texte haben seine sparsamen Gesangsansätze natürlich nicht. Es sind Anrufungen eines Jazzschamanen.

Pharoah Sanders hat die Schwelle überschritten. Auch wenn der Auftritt für mich in seiner Gesamtheit nicht einmal das eindeutige Highlight des Abends war. Dieser Mann ist kein Musiker mehr, sondern ein Magier.



The Comet Is Coming


Was für ein krasser Unterschied, von der virtuosen Introspektive Pharoah Sanders' direkt ins K2 zu treten, wo The Comet Is Coming ihr Set schon begonnen hatten.

Die brachiale Mixtur aus tanz- bis stampfbarem Elektro mit Elementen aus Ambient bis Drone und natürlich Jazz mit mal spacig schwebendem, mal schrill jaulendem oder harte Gitarrenriffs emulierendem Saxophon ist genau die Mucke, die sich in hippen Clubs dystopischer bis postapokalyptischer Sci-Fi-Filme verorten lässt.

Radikaler geiler Scheiß - und ganz klar eine Band, die sich auch ganz klar auf meinem Lieblingsfestival - ihr wisst schon, Roadburn - wohlfühlen würde.
Gar nicht mal musikalisch, aber von der Wirkung im Kontext her, musste ich irgendwie auch an die Gallops eben dort dieses Jahr denken.



Ras_G & The Afrikan Space Program


Dass das "Über" im Festivalnahmen dafür steht, musikalisch über Jazz hinauszugehen, sollte spätestens jetzt eigentlich jeder verstanden haben. Allen anderen gebe ich hiermit Ras_G & The Afrikan Space Program.

Zu diesem Duo kann ich aber ehrlicherweise nicht viel sagen. Da der Hip-Hop-Produzent Ras_G aus dem Umfeld von Flying Lotus stammt, war ich zwar erst einmal grundsätzlich interessiert - und ich mochte auch die fetten experimentellen Sounds, die er zunächst alleine absonderte -, doch ab dem zweiten Track verlor ich relativ schnell das Interesse. Der zu den Elektrosounds herumlaufende und mehr mit übersteuerter Stimmungsbrüllerei als Rap beschäftigte Rapper, ging mir ziemlich schnell auf den Zeiger.

Musikalisch mochte ich den Sound zwar, aber bei aller Liebe zur persönlichen Horizonterweiterung war mir das als komplette Performance einfach zu wenig. Oder anders ausgedrückt: Zu diesem Ur-Hip-Hop-Ding fehlt mir offenbar noch der Zugang.



Mocky & Friends


Wer ist Mocky? Ich hatte keine Ahnung.

Und die weiteren vierzehn Nasen, die sich unter dem Banner Mocky & Friends auf die Bühne gequetscht haben?

Die komplette Viererbsetzung von Jimetta Rose und Carsten "Erobique" Meyer befand sich darunter. Alle anderen Damen und Herren stammten aus der Hälfte des Festivalprogramms, die ich nicht gesehen hatte. Von daher ging ich sehr ungespoilert in diese Session. Und Junge, was war das für ein Jam!

Über anderthalb Stunden lang wurden fröhlich Instrumente getauscht, darunter neben Bass, Drums, Gitarre, Klavier, Keyboard und Rhodes auch Geige, Saxophon und jede Menge weiter Percussion.
Mit Ausnahme von z.B. einem Zwei-Bassisten-Battle und einem ungewissen Anteil bekannter Songs (vielleicht auch nicht, kann man bei diesen Typen echt schwer unterscheiden) kreisten die meisten Stücke um Gesangsimprovisationen. Und wow, was für eine Auswahl an Stimmen sich da zusammengefunden hatte!

Um mal wieder in die Welt der TV-Analogien zurückzukehren: Es fühlte sich so ein bisschen so an, wie wenn sich die Anwälte und Klienten bei Ally McBeal in der Bar treffen und plötzlich stellt sich heraus, dass jeder als Hobby noch bester Sänger der Welt ist.
Und falls jemand stimmlich nicht auf dem ganz hohen Soul-Niveau mitischen kann, dann macht er es halt anders wett, wie Erobique Meyer mit seinem trocken flachhumorigen "Cheese Beef Kartoffeln"-Song.

Echt irre. Gegen Ende glaubte ich für einen Moment, dass das Pulver verschossen war, da alle Leadvokalisten schon durch waren und das Mikro dankbar ablehnten, um sich nicht noch einmal in den Vordergrund zu drängen. Dann ließ sich aber immerhin die Perkussionistin breitschlagen. Und was war? Natürlich war auch sie sowas von die nochmal etwas bessere beste Sängerin der Welt.

Bekloppt.

Für die letzten beiden Stücke hat man sich dann großenteils hinter auf die Bühne gezogenem Publikum versteckt, ehe der  ganze Spaß um zwanzig vor drei sein fast schon frühmorgentliches Ende fand.


Ins Bett gegangen bin ich nach meiner erstaunlich wachen Fahrt nach Hause jedenfalls nicht mehr. Ich glaube, das wirkt auch jetzt am Montag Abend noch nach. Aber für die Erinnerungen war es das ohne Zweifel wert.

Fazit: Überjazz hat überzeugt. Und wie!





Jimetta Rose & Carsten Erobique Meyer:




Yazz Ahmed:




Pharoah Sanders Quartet:
 




The Comet Is Coming:







Ras_G & The Afrikan Space Program:







Mocky & Friends:






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