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2015-12-31

#HdD - Romantik

Da heute ja sonst nichts los ist, führe ich hier zur Erst- oder Wiederverwertung alter Fotoreste auf meiner Festplatte mal als neue Rubrik so eine Art Throwback Thursday bzw. Hach-damals-Donnerstag ein.


Hach damals...


als ich im Sommer 2005 mal eine romantische Phase hatte.


Es begann ganz spontan in freier Natur.

"Die Eltern des kleinen Timmy wollen bitte aus dem Kinder-Paradies abgeholt werden!"

Alter, was wird das denn jetzt?!

Ach, eine Zirkusnummer! :)

*BLITZ*

"Hey! Keine Fotos backstage!"

♥ ♥ ♥


In diesem Sinne... Guten Rutsch!


2015-12-28

EUROPE - War Of Kings (Special Edition)

Achtung, Weihnachtsnachzügler!

Einerseits kam dieses Album zu spät für meinen Jahresrückblick Musik 2015 (wo die Band aber immerhin bei den Konzerten gewürdigt wurde), anderseits darf ich mich dafür nun über die rechtzeitig zum Fest veröffentlichte Special Edition freuen, die mit einem zusätzlichen Track und vor allem einer Extra-Disc zu punkten weiß.


EUROPE - War Of Kings (Special Edition / CD + BluRay) (2015)

Das Special an dieser Edition ist eine BluRay (auch mit DVD erhältlich), welche den kompletten Auftritt vom Wacken Open Air enthält. Deswegen beginne ich einfach mal, indem ich meinen Eindruck von dort aus dem diesjährigen Festivalbericht kopiere:

"Zu den unmöglichsten Dingen dieses Wacken Open Airs, die ich mir noch vor wenigen Jahren wohl selbst nicht geglaubt hätte, gehört ganz klar, mittwoch nachts im Zelt ausgerechnet Europe abzufeiern.
Die Band mit diesem einen, vollkommen überspielten Stratosphärenhit, den man als Kind in falschem Englisch mitgesungen hat und der einem zur Zeit der ersten Wackenbesuche vollkommen peinlich gewesen wäre.
Und dann ist da ja auch noch der kleinere Zwillingshit "Rock The Night", welcher auf exakt denselben Akkorden beruht, und den ich, bis er gespielt wurde, erfolgreich verdrängt hatte.
Und Aaaaalter, war das eine Ekstase in der Menge, als dieses Zeug gespielt wurde!

Doch Europe waren ja niemals die Band, für die man sie angesichts ihrer anderthalb Hits halten könnte. Und tatsächlich ist ja auch "The Final Countdown" an sich ein gut arrangierter Song.
Der Grund, warum ich mir Europe überhaupt auf der Running Order markiert hatte, ist das aktuelle Album "War Of Kings", welches einfach mal - ganz ohne wenn und aber - saustark ist."

Ja, ein paar Mal reingehört hatte ich damals schon in das Album, und meine früheren Eindrücke - sowohl vom Konzert als auch von "War Of Kings" finden sich beide bestätigt.

Die achtzigminütige Show ist natürlich tadellos abgefilmt worden, der Sound ist fett, die Stimmung kommt rüber... was will man mehr? Dafür kann ich dann auch gut damit leben, das Album einmal nicht auf Vinyl zu haben.

Das Studiowerk selbst (in diesem Fall also als CD zusammen mit der BluRay in einem Digi-Book) ist an sich ziemlich einfach zu beschreiben: Ohne ihre eigene Identität dabei aufzugeben huldigen Europe den Hardrock-Größen Deep Purple, Rainbow, Whitesnake, Led Zeppelin und wer sonst noch hauptverantwortlich gewesen ist, dass die Schweden 1979 selbst zu Mikro und Instrumenten gegriffen haben und zu dem europäischen Hairspray-Schrecken der Achtziger aufgestiegen sind, als der sie vielen noch immer im Gedächtnis herumspuken.

Heute wirkt die Band sehr viel geerdeter.

Dabei schaffen sie es auf "War Of Kings" ähnlich wie die musikalischen Paten, eine beachtliche Bandbreite sehr unterschiedlicher Songs unter einem musikalischen Hut zu bringen. Da sind mächtige Midtempo-Stampfer wie der Titelsong oder "Praise You", der schnelle Rocker "Hole In My Pocket", die fröhlich beschwingten "Days Of Rock'n'Roll", die orientalisch funkelnde "Rainbow Bridge", epischeres, bluesigeres, balladeskeres... und alles auf einem gleichbleibend hohen Niveau, das die Auswahl der Anspieltipps am Ende dieses Reviews zu einer Aufgabe macht, die man ebensogut dem Random-Button überlassen kann.

Nein, ich kann an Europe anno 2015 wirklich nichts bemängeln. Wenn sich statt der dominierenden Power-Orgel mal das Achtziger-Jahre-Keyboard einschleicht und John Norum dazu vom fetten Riffing in den Gitarrenhelden-Modus umschaltet, kann es schon mal eine Spur kitschiger werden, aber hey! Es ist echt gut gemacht und fügt sich in der Gesamtbalance des Albums super ein. Also warum nicht?

Joey Tempest ist stimmlich erwartungsgemäß nicht mehr in den ganz hohen Registern zu Hause, sondern konzentriert sich auf den kraftvollen mittleren Stimmbereich, was - wie alles hier - die richtige Wahl für dieses druckvolle Rockalbum ist.  

Der Bonustrack "Vasastan" ist eine gefühlvolle musikalische Verbeugung vor Gary Moore, bevor das Album mit einem Reprise des Openers "War Of Kings" abgeschlossen wird.


Fazit: Wie ich schon im August schrieb, ist "War Of Kings" ohne wenn und aber einfach eine saustarke Scheibe.

Und so ein bisschen entschädigt sie mich auch für alles, was dieses Jahr bei "Hot Streak" von The Winery Dogs nicht so rund lief. Zwar können Europe mit den allerbesten Ideen der Hunde nicht mithalten, doch anders als jene haben sie es dafür geschafft, alle guten Ideen in durchgehend genauso gute Songs einzubetten.


Anspieltipps: The Second Day, Light It Up, Hole In My Pocket, Rainbow Bridge, War Of Kings, Days Of Rock'n'Roll

2015-12-17

Jahresrückblick Musik 2015

Nein, diese Jahresende-Toplisten sind nicht leicht.

Klar, eine Handvoll Alben und Konzerte muss man einfach reinnehmen, doch dahinter ist ein riesiger Wust, den man eigentlich je nach Tageslaune immer anders sortieren würde. Und dann ist da natürlich auch das generelle Problem, dass sich Musik aus unterschiedlichen Genres einfach kaum vergleichen oder in Rangfolgen pressen lässt.

Ich habe versucht, hier möglichst viele Stile zu berücksichtigen, habe mich bei manchen Künstlern entschieden, dass nur die Nennung bei den Alben oder Konzerten reichen muss, obwohl vielleicht beides verdient wäre. Andere wiederum habe quasi ihre eigene Rubrik bekommen, um insgesamt noch mehr Highlights berücksichtigen zu können.

Denn letztendlich ist alles, was hier gelistet ist, top-notch geiler Scheiß. Basta.




ALBUM TOP 20:





  1. BELL WITCH - Four Phantoms
    Vorsicht, Doom-Gitarristen! Macht eure Bandkollegen niemals mit diesem konsequent schwermütigen Koloss bekannt, sonst könntet ihr schnell euren Job verlieren! Unglaublich (wenn man es nicht live erlebt hat), dass das us-amerikanische Funeral-Doom-Duo diesen überwältigenden zähen Brocken, der strukturell schon eher einer Symphonie als einem Rockalbum ähnelt, nur mit Bass und Schlagzeug eingezimmert hat. Ein gigantischer Zeitlupenmetal-Klassiker für die Ewigkeit!

  2. KAMASI WASHINGTON - The Epic
    Der Hype des Jahres. Fast drei vor Spielfreude und Leidenschaft platzende Stunden jazztastischer Overkill. Überambitioniert? Großspurig? Nein, episch! Lebe, Jazz! Lebe!
  3. THE HIRSCH EFFEKT - Holon : Agnosie
    "Hirsch Effekt" is a german phrase which stands for "total Gehirnfick". Die Hannoveraner übertreffen sich erneut selbst und zerlegen auf Augenhöhe von The Mars Volta und The Dillinger Escape Plan sämtliche Genregrenzen.
     
  4. CHELSEA WOLFE - Abyss
    Die Schwester der Dunkelheit reißt einen mit sich in den Abgrund zwischen Traum und Wirklichkeit. Alptraumhaft verstörend und betörend.
    Einen noch radikaleren (aber auch ziemlich anstrengenden) Seelenstriptease vollzog wohl nur Björk mit "Vulnicura".

  5. OUR OCEANS - Our Oceans
    Dreamy proggy poetic post rock from the magnificient minds that brought you the jazz/metal fusion of Exivious. "Fans von Cynic gefällt das."

  6.  AVATARIUM - The Girl With The Raven Mask
    Meister Edlings Doomrock-Wundertüte. Jeder Track ist eine wunderbar gedichtete Geschichte, verpackt in einen saustarken Song und erzählt von einer der besten Metal-und-drüber-hinaus-Sängerin unserer Zeit, Jennie-Ann Smith.
  7. AGUSA - Två
    Das Zwei-Track-Album der instrumentalen Retroprogrocker aus Schweden gefällt mir mit der Zeit immer besser, und der Hauptgrund dafür ist wohl, dass es in seiner fast schon naiven Verspieltheit direkt an die kindliche Urfreude an der Musik an sich appelliert.
    (Wer auf zwölfzöllige Zweitracker steht, sollte natürlich danach unbedingt auch "We Are, We Were And We Will have Been" von Bong auflegen! Ommmm...)

  8.  SULPHUR AEON - Gateway To The Antisphere
    Ein Ur-Gigant von einem Death Metal-Album! Aus dem Genre haben Morgoths "Ungod" und Autopsys "Skull Grinder" zwar auch noch unbedingt Erwähnung verdient, doch das stilistisch ganz klar in der Tradition von Morbid Angel verankerte Tor zur Antisphäre verschlingt sie als überlebensgrößtes Werk doch alle.

  9. LISERSTILLE - Empirical Ghost
    Die große advantgardistische Geste umarmt ungestümen Postrock. Oder so. Ok, das ist mitunter sperrig und exzentrisch. Aber trotzdem und gerade deshalb: Warum zum dansken Hot Dog ist diese Band so unbekannt? Leute, ihr seid alle Idioten!
  10.  THE NEAL MORSE BAND - The Grand Experiment
    Meister Morse bindet seine Kumpanen Portnoy, George, Gilette und Hubauer gleichwertig ins Songwriting ein und schafft so allein durch die Epen "The Call" und "Alive Again" einen Höhepunkt in seiner Diskographie.
  11. KING DUDE - Songs Of Flesh & Blood - In The Key Of Light
    Americana Satanica! Rockabillygospelneofolk from the dark side of singer/songwriting. Ein kleines großes cooles verzweifeltes Album voller Instant Classics.

  12. IRON MAIDEN - The Book Of Souls
    Hui, die Zacken im Logo sind zurück! Aber im Ernst: Die legendären Jungfrauen hauen ihr längstes Studioalbum aller Zeiten raus. Gleichzeitig ist es auch ihr bester Output seit langer Zeit und macht schon mächtig Bock auf die "Night To Remember" in Wacken.

  13. ZOMBI - Shape Shift
    Das interstellare Synthwave-Paket aus dem pittsburgher Metaversum. Retro-Elektro-Horrorsoundtrack trifft unwiderstehlichen Groove. Fett!

  14. LUCIFER - Lucifer I
    Die coven-beseelte Hohepriesterin Johanna Sardonis lässt The Oath erfolgreich hinter sich und taucht mit Lucifer voll in den ultraorthodoxen Black Sabbath-Traditionsdoom ein. Das ist einerseits trotz Retro-Trend irgendwie noch speziell, kauzig, musiknerdig, anderseits kommen dabei einfach sich toll anschleichende Ohrwürmer heraus.
  15.  FLORENCE + THE MACHINE - How Big, How Blue, How Beautiful
    Schnick! Schnack! Schnuck! Sorry, Lana Del Rey, dein "Honeymoon" ist zwar auf andere Weise ebenso klasse, aber den Pop-Spot in dieser Liste bekommt hiermit Florence Welch, die zwischen großen Hymnen, intimen Gefühlen und mitreißendem Indierock hier alles richtig gemacht hat.
  16. TAU CROSS - Tau Cross
    Gurgelrotziger Crustpunkmetal meets Killing Joke, Fields Of The Nephilim and many more. Presented by Rob Miller and powered by Away (Voivod). Eingängiger und erstaunlich variantenreicher Schweinegeilscheiß.

  17. SUNN O))) - Kannon
    "She played such music, flowers blossomed, and turned hell into paradise"
    Erhaben brummen und transzendieren mit den Drone Doom-Großmeistern und Attila Csihar.

  18. VATTNET VISKAR - Settler
    Nicht nur eines der schönsten Coverkonzepte des Jahres, sondern auch wunderbar episch sludgiger Black Metal, der einen trotz des sumpfigen Sounds immer wieder zu packen versteht.

  19. WHITE HILLS - Walks For Motorists
    Der coolste psych shit possible. Spacy enough, dass man hypnotisiert floated und doch so tight, dass es burnt. Trotzdem an dieser Stelle ebenso ein Shoutout an Polska Radio One, die mit ihren "Early Broadcasts"  aus dem tiefsten Russland ähnlich überzeugen.

  20.  DEICHKIND - Niveau Weshalb Warum
    Manchmal muss das Niveau eben nur low sein. Dann brauchst Du so'ne Musik, beim Jahresrückblickschreiben, so'ne Musik. Diese Top 20 sind fertig, endlich fertig.


Und obwohl ich schon einige weitere Künstler in den Text geschummelt habe, bleiben immer noch ein paar übrig, die hier gut aufgehoben wären, wie z.B. Archive, Karyn Crisis' Gospel Of The Witches, Napalm DeathThe Osiris Club...  Warum ist eine Top 20 auch so klein? ;)



LIVE-ALBUM / VIDEO TOP 3:




  1. MOTORPSYCHO and STÅLE STORLØKKEN - En Konsert For Folk Flest
    Die Rock'n'Roll-Könige Skandinaviens mit kongenialem Partner an der Riesenorgel der größten Kirche des Landes plus norwegischen Dada-Texte singendem Chor. Motorpsycho halten sich nicht mit halben Sachen auf. Gigantischgroßgeile Kunst! Das Ganze mit Doku und viel Bild, Ton und Text. Nur zu scheiße, dass mir neulich ein Wasserschaden die Hüllen von CD und DVD durchgesuppt hat.

  2. PAPIR - Live At Roadburn
    Rauschhafter, süchtig machender Psych Jam de Luxe! Zusammen mit den artverwandten Papermoon Sessions, an denen die drei Dänen ja ebenfalls beteiligt waren, definitiv das von mir meistgehörte Livealbum des Jahres.

  3. SKEPTICISM - Ordeal
    Das andere große Funeral Doom-Album neben Bell Witchs "Four Phantoms". Und allein für die Ballzyness, nach sieben Jahren VÖ-Pause mit einem Livealbum (+Video) aus neuen Songs zurück zu kommen, ist der Platz in diesen Top 3 verdient, selbst wenn dafür ketzterischerweise das kolossale "The Gate" der Swans knapp aus der Liste gekickt werden muss.




TOP EP:


  
Wo bleibt "Array 2"?
Robert Hampsons in bester fuzziger Riff-, Rhythmus- und Droneform.

Wegen Comeback-Bonus knapp durchgesetzt gegen "Slag Tanz" von Magma
.










TOP 7":



LO! - The Tongueless

Ok, streng genommen handelt es sich ja um eine EP, verteilt auf zwei Singles. Aber was soll's? Es ist nunmal ein enormes Teil in einer suberben Aufmachung, welches die Australier hier über Pelagic Records auf die Welt losgelassen haben.

Rein musikalisch, das ist klar, müsste hier natürlich David Hasselhoff mit "True Survivor" thronen.





TOP FLEXIDISC:




SUNN O))) - Aokigahara // Jukai
Haha, als ob ich sonst noch eine Flexidisc gekauft hätte!
Diese Flexi gehört zur Limited Edition des neuen Sunn O)))-Albums "Kannon" und beinhaltet einen Bonustrack, der noch grober und archaischer als das Album daherkommt. Und schon weil die Mo)))to)))rsäge so schick ist, musste ich sie hier noch einmal featuren. ;)
 


TOP SPLIT RELEASE:



MONO / THE OCEAN - Transcendental
Eine knappe Entscheidung, da ich die Songs von Voivod auf ihren Split-Singles mit At The Gates und Napalm Death schon extrem stark finde und die jeweils doppelten Coverartworks von Away natürlich auch super sind.
Diese deutsch-japanische 12"-Split ist allerdings nicht nur wesentlich länger, sondern ergibt auch eine musikalisch stimmigere Einheit. Die beiden Gruppen ergänzen sich so gut, dass "Transcendental" als Gesamtwerk größer ist als die Summe seiner beiden Teile.




TOP DOWNLOAD (digital only release):



LAIBACH - A Chicken In Every Pot And Laibach In Every City Tour 2015
Allein schon die erste offizielle Aufnahme von "Olav Tryggvason"! Und diese Version von "Smrt Za Smrt"! Aber auch sonst präsentiert dieser Querschnitt durch die US-Tour mit Schwerpunkt auf dem "Spectre"-Album  die Slowenen in großartiger Form. Gut, dass Laibach in letzter Zeit live so fleißig sind!
 





KONZERT TOP 10 (Club / Soloshows):


  1. SUNN O))) - Kampnagel, Hamburg (18.08.)
  2. KAMASI WASHINGTON - Gruenspan, Hamburg (06.11.)
  3. MORDRED - Knust, Hamburg (11.08.)
  4. LAIBACH - Kampnagel, Hamburg (14.02)
  5. THE NEAL MORSE BAND - Markthalle, Hamburg (13.03)
  6. KRAFTWERK - CCH 1, Hamburg (27.11.)
  7. LISERSTILLE - Schaubude, Kiel (21.05)
  8. ARCHIVE - Große Freiheit 36, Hamburg (01.03.)
  9. CHELSEA WOLFE - Knust, Hamburg (02.11.)
  10. MOTORPSYCHO - Gruenspan, Hamburg (27.06)


KONZERT TOP 10 (Festivals):



  1. FIELDS OF THE NEPHILIM - Roadburn (2 Shows)
  2. BELL WITCH - Roadburn
  3. MORGOTH - Wacken
  4. KING DUDE - Roadburn
  5. BONGRIPPER - Roadburn (2 Shows)
  6. AMORPHIS - Wacken
  7. WHITE HILLS - Roadburn
  8. LUCIFER - Roadburn
  9. EUROPE -Wacken
  10. SAVATAGE / TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA - Wacken

Nur je ein oder zwei Konzerte vom Roadburn Festival und Wacken Open Air zu berücksichtigen, wäre einfach unrealistisch gewesen, deswegen die Extraliste. Es sind ja trotzdem immer noch einige tolle Shows von Avatarium bis Virus hinten rausgefallen.




ENTTÄUSCHUNG 2015:


Diverse Tourpackages waren zwar in Europa unterwegs, machten aber einen weiten Bogen um Hamburg / Norddeutschland. Dabei hätte ich natürlich vor allem Voivod so gerne wieder gesehen!
In die selbe Enttäuschungkategorie fielen ursprünglich auch Cynic, ehe sie noch eine Stufe draufsetzten und sich ganz unwürdig per facebook-Zickenkrieg trennten.

"Drones" von Muse ist eine ziemlich halbgare Geschichte geworden.

Und dann war da noch Janelle Monáe, die eine derart schlimm generische Single veröffentlicht hat, dass ich das Ding nicht ein einziges Mal am Stück ertragen konnte. Werte Electric Lady, das war doch nicht der Plan! Du solltest doch das beste und verrückteste aus deinen bisherigen Platten heraussuchen, noch eine Schippe drauflegen und als Finale deiner "Metropolis"-Reihe das verdammt nochmal großartigste Popalbum aller Zeiten aufnehmen. Dringende Kurskorrektur bitte!

VORFREUDE 2016:


Mit David Bowies "Blackstar" ist gleich zu Beginn des Jahres ja schon ein ganz großes Ding zu erwarten. Auch die neue Conan ist für Januar bereits vorbestellt. Ansonsten habe ich mir über Neuerscheinungen noch gar keinen so großen Kopf gemacht.

Live startet 2016 mit Laibach - schon wieder nach weniger als einem Jahr in Hamburg - und Anfang März Dream Theater (mit neuem Konzept-Album im Gepäck) schon verdammt hochkarätig.

Vielversprechende Ankündigungen gibt es auch bereits für meine beiden Stammfestivals Roadburn (Skepticism, Tau Cross, La Muerte, Paradise Lost mit "Gothic") und Wacken (Triptykon, Iron Maiden, Ministry).

Und wenn die Swans zum letzten Mal in ihrer aktuellen Inkarnation kommen, möchte ich sie natürlich auch nicht verpassen!


 

2015-12-16

Jahresrückblick Fotografie 2015

"Um es gleich vorwegzunehmen: Gerade in der zweiten Jahreshälfte war 2014 ein eher dünnes Fotojahr für mich, was auch daran liegt, dass ich einen guten Teil meiner Freizeit eher in Musik / Schallplatten gesteckt habe.

Aber auch vorher gab es kaum nennenswerte Projekte oder Serien.

Mit der Aufbereitung meiner Filmscans hänge ich gnadenlos hinterher, ich entfussele hier z.T. immer noch Bilder, die ich im April in Holland aufgenommen habe..."

Das war mein Text an dieser Stelle vor einem Jahr. Und bis auf die Jahreszahl könnte ich ihn wieder komplett so übernehmen.

Es ist also kein Copypaste-Fehler, dass unter den meisten Filmfotos, die ich auf flickr gepostet habe "04/2015" steht. Vorher und nachher habe ich schon ein paar vereinzelte Filme gescannt, aber es war wirklich nicht viel. Und gerade von den Bilder nach April ist noch nicht einmal alles entwickelt.

Hier sind ein paar Bilder, die ich sehr mag:










Hey, das erste habe ich nicht im April geschossen!

Und das beste Foto entdecke ich vielleicht erst in ein paar Monaten beim Scannen. ;)



Mit der DSLR war ich tatsächlich - bis auf Kuck-mal-was-ich-mir-gekauft-habe-Fotos (für fratzenbuch und Plattenreviews) - noch untätiger.

Hier, ein von der Haustür aus geknipstes Digital-Eichhörnchen hätte ich anzubieten:



Die einzige Kamera, die ich 2015 richtig viel benutzt habe, war erneut die Digital Harinezumi 3.0. Das sieht man hier im Blog ja auch an unzähligen Konzertfotos. Ich hab sie in ihrer Handlichkeit und Primitivität, die einen nur minimal von der Musik ablenkt, einfach enorm gerne dabei und überlege bereits, mir das Nachfolgemodell (u.a. USB-Aufladung statt Batterien) zu gönnen.

Das sind ein paar meiner Lieblinge:













Im Januar lief ja noch mein 365-Tages-Projekt mit der Harinezumi vom Vorjahr aus.

Der dazugehörige tumblr hatte eine handvoll Follower, hier wurde mal ein Bild gefavt, da geteilt, alles in einem äußerst übersichtlichen, selten zweistelligen Rahmen.

Und dann ausgerechnet am 1. Februar beim letzten Bild geht's auf einmal los!
Dieses Foto - und auch nur dieses! - wird bis heute immer wieder weiterverbreitet und hat aktuell über 500 notes.

http://igel365.tumblr.com/post/109783749171/365365-fin


Ok, ich mag das ja auch. Aber hat es wirklich so viel mehr Aufmerksamkeit als der gesamte Rest verdient? ;)

Tja, man steckt nicht drin.





Jaja, ich weiß. Ich sollte wirklich echt wirklich mal wieder ein bisschen mehr aufdrehen mit der Knipsgeschichte. Hrmpf. Schaunmermal.







2015-12-15

Tapete

Irgendwie hatte ich keinen Bock mehr auf das Header-Bild. 
Und dann habe ich spontan das ganze Layout hier umgewurstelt.

Ja, ich weiß, schwarz auf weiß war besser für die Augen...
Dafür ist hell auf dunkel mehr Metal! ;)

Kann eh sein, dass ich das demnächst alles wieder ändere.

Oder nur ein bisschen.

Oder gar nicht.

Und der Titel... ja warum denn nicht?



2015-12-14

KAMASI WASHINGTON - The Epic

Jazz.

Es ist ja nicht so, dass ich überhaupt gar keinen Plan von Jazz hätte, zumal ich meine Musiksammlung gerade im Fusion-Bereich in den letzten Jahren immer wieder ausgebaut habe.
Aber auch wenn meine Kenntnisse fünfmal so groß wären, würde ich analytisch an diesem Koloss von einem Album wohl immer noch scheitern.

Fast drei Stunden musikalischer Overload auf 3 LPs, eine Kernband, die z.T. neben Bläsern, Keyboards, Piano mit gleich zwei Drummern und zwei Bassisten antritt, dazu  bei vielen Stücken noch Chor und Streicherensemble obendrauf. Nein, hier backt jemand keine kleinen Brötchen.

Kamasi Washingtons "The Epic" ist ein Koloss von einem Album, ein künstlerisch kompromissloser, ambitionierter Ultralativ.

Puuhh... Ich versuche mich mal an einer Annäherung:
 




KAMASI WASHINGTON - The Epic (3LP) (2015)

Auch wenn sich Kamasi Washington auf dem Cover wie eine übernatürliche Macht inszeniert, die aus dem All angereist ist, um diese Welt mit seinem Saxophon zu unterjochen, entsteht ein Klotz wie "The Epic" natürlich nicht im luftleeren Raum.

Aus einer musikalisch vorbelasteten Familie stammend (sein Vater hat ihn ja sogar als musikalischer Special Guest - und als Merchandise-Verkäufer - auf seiner ersten internationalen Tour begleitet) entpuppte sich Kamasi bald als Saxophon-Wunderkind, studierte an einer Musikakademie und startete sogleich mit einem Engagement in der Liveband von Snoop Dogg ins nicht wirklich jazzige, aber immerhin sehr große Showgeschäft.
Es folgten zahlreiche Zusammenarbeiten - nicht nur als Saxophonist, sondern auch als Komponist und daraus folgend Tourkeyboarder - mit Hip-Hop-Größen wie Nas und Lauryn Hill, aber auch mit Jazz- und Soul-Legenden wie George Duke, Wayne Shorter, Herbie Hancock und Chaka Khan.


Viel bei der Veröffentlichung von "The Epic" hilfreiche Aufmerksamkeit haben ihm seine Gastspiele auf dem vollkommen schrägen Jazz/Funk/Elektro/HipHop/Allesmögliche-Album "You're Dead" von Flying Lotus (2014) und dem ähnlich breit aufgestellten, wahrscheinlich bestem US-Rapalbum dieses Jahres, "To Pimp A Butterfly" von Kendrick Lamar eingebracht.

Der entscheidene Faktor ist allerdings seine den Kern des Albums bildende Band The Next Step, welche komplett aus Kindheitsfreunden besteht, die gemäß kosmischer Bestimmung allesamt zu fantastischen, eigensinnigen Jazzmusikern gereift sind.
Man braucht nur ein paar Namen herauspicken, wie z.B. die beiden Bassisten Miles Mosley und Stephen Bruner (aka Thundercat) oder dessen schlagzeugender Bruder Ronald Bruner Jr., um auf eine ganze Reihe ähnlich umfangreicher Gastspiele von Erykah Badu bis Suicidal Tendencies und auch ein paar Solokarrieren zu stoßen.

In all diesen Aktivitäten trafen viele der Musiker aus diesem Kreis immer wieder aufeinander, Kamasi und die Bruner-Brüder veröffentlichten Alben als Young Jazz Giants, und ohnehin traf man sich trotz aller Ablenkungen immer wieder zum Jammen.

Die Band ist also menschlich wie musikalisch absolut aufeinander eingespielt.

Tatsächlich ist es so, dass in den Aufnahmesessions für "The Epic" Kamasi Washington nicht "nur" die siebzehn Stücke eingespielt wurden, die letzendlich auf dem Album gelandet sind.
Nein, man hat sich einen Monat lang in ein Studio eingemietet und dort über hundert(!) Stücke aufgenommen. Fünfundvierzig davon waren Kompositionen Washingtons, die dann auf die lässige dreistündige Auswahl des Albums heruntergebrochen wurden.

Die andere Hälfte der Stücke besteht aus Material für so acht oder neun noch auf Veröffentlichung wartende Soloalben seiner musikalischen Mitstreiter. Einige dieser Stücke landen auch bereits als Teaser im Liveprogramm von Kamasi Washington. So wurde z.B. im November in Hamburg eine Komposition von Keyboarder Brandon Coleman gespielt.



"The Epic" ist also nur eine - wenn auch sicherlich die voluminöseste - Frucht einer wahrhaftig epischen Produktivität.


Nun, da ich endlich zum Inhalt des Albums komme, zunächst die Entwarnung: Nein, man muss "The Epic" nicht komplett am Stück hören!

Ich schrieb ja schon beim (LP-)Triplealbum von Iron Maiden, dass ich es wohl selten in ganzer Länge hören würde. Und bei Kamasi sind die schwarzen Rillen ja noch wesentlich länger! Natürlich kann man es komplett hören, so wie man ja auch einen Abend opfern kann, um sich den Ultimate Cut von "Watchmen" anzuschauen. Aber es ist halt eine überwältigend große Menge Jazz!

Auch der Künstler selbst betrachtet jede der drei LPs als eigenes Album im Album und hat "The Epic" so in die Volumes 1 bis 3 unter den Titeln "The Plan", "The Glorious Tale" und "The Historic Repetition" aufgeteilt.

Die Titel sind nicht wahllos aus dem Ärmel geschüttelt, sondern folgen einer Geschichte, die auf einem wiederkehrenden Traum basiert, den Kamasi zur Zeit der Titelauswahl hatte. Auch diese Geschichte soll irgendwann noch seperat als Graphic Novel erscheinen. Bis dahin muss die Welt allein mit ihrem Soundtrack vorlieb nehmen, der von der Gruppe der besonders großen und mit Chor und Orchester aufgebrezelten Stücken des Albums gebildet wird. 



Nun ist die Vinylversion ja einige Monate nach der Dreifach-CD erschienen, und um die Musik auf Platte zu bekommen, wurde einiges an der Trackreihenfolge umgestellt (und meiner Meinung nach in den meisten Fällen sogar verbessert).

Der einzige Song, der nicht nur die Seite oder Position innerhalb eines "Unteralbums" getauscht hat, sondern komplett in einen anderen Teil rutschen musste, ist das als nicht selbst komponierter Jazzstandard ohnehin etwas aus der Reihe tanzende "Cherokee".

Die zentrale musikalische "Epic"-Geschichte blieb bei der Vinyl-Übersetzung aber bestehen.

Überhaupt kann sich die dicke schwere Box mit den drei Platten sehen lassen. Edler als mit diesem Schuber mit jeder LP in einem einzelnen Karton ließe sich das Werk wirklich kaum präsentieren. Nur ein bisschen leichtgängiger könnte es sein. Gar nicht so unkompliziert, die einzelnen Papphüllen da herauszuschütteln...

Daneben liegen noch je ein Papierbogen mit den Credits und mit einem Anriss / Teaser der erwähnten Traumgeschichte bei. Der Download im wav-Format fehlt auch nicht.

Ja, ein Teil habe ich versehentlich verkehrt herum drapiert. ;)

Jetzt aber wirklich zum musikalischen Inhalt!

Volume 1 - The Plan:

"Change Of The Guard" kann man nicht nur vom Titel her als ein ziemlich selbstbewusstes Statement lesen. Man wird sofort in das als Bläserharmonie gespielte Hauptthema des treibenden Openers hineingeworfen und lernt im Laufe der zwölf Minuten einiges darüber, was auf dem gesamten Album zu erwarten ist.
So wird z.B. gleich die Rolle von Kamasi Washington selbst als Saxophonist und Bandleader definiert, welche sich so durch einen großen Teil von "The Epic" zieht: Zusammen mit Posaune und/oder Trompete gibt er das Leitmotiv der Songs vor. Darüber hinaus fungiert das Saxophon (ebenso wie die anderen Bläser) fast ausschließlich als Soloinstrument. Kamasi ist nie alleiniger Solist (so gehen ihm hier zu Beginn das Piano und die Trompete voraus), diese Aufgabe wird allen Mitgliedern der vielköpfigen Kernband irgendwann zuteil. Allerdings ist er natürlich in jedem Song als Hauptdarsteller vertreten. Sein Spiel von  sparsam gefühlvoll bis hin zu schnell und technisch virtuos kann ich als Laie sicherlich nicht jazzpolizeilich korrekt einordnen, doch es ist auf jeden Fall sowohl beeindruckend als auch mit einem klar wiedererkennbaren eigenen Ton gesegnet.
Und dann ist da noch sein Lieblingstrick, den er zum Glück ebenso genügend variieren kann, dass er stets aufregend bleibt und einem immer wieder Gänsehaut bereitet, nämlich einfach jede Feingeistigkeit aufzugeben und das Saxophon mit brutalster emotionsgeladener Lungengewalt zum Quietschen, Kreischen, Bersten zu bringen. Wow!

Die Band hört sich das natürlich nicht gelangweilt an, sondern zeigt auch als komplettes Ensemble, wie Jazz gepflegt ausrasten kann.

Der Opener führt neben zwei Tastenmännern an Klavier und Keyboard auch das Stilmittel der beiden Bassisten (E-Bass und aufrecht akustisch) ein, welche sich in ihrer Führungsrolle abwechseln und der Rhythmussektion eine Vielzahl von Möglichkeiten eröffnen.

Und als wäre das alles nicht genug, muss für den wahrhaft epischen Anstrich noch das Orchesterarrangement als Sahnehäubchen obendrauf. Gerade in "Change Of The Guard" haben Chor und Streicher dabei einen unverhohlenen, ziemlich kitschigen Hollywoodanstrich, der die Rolle des Songs als Overtüre unterstreicht. Mich erinnert das sehr daran, wie Janelle Monáe in ihren Zwischenspielen Disney-Streicher einsetzt. Ohnehin sind Washingtons Mehr-ist-mehr-Philosophie und das berührungsängstefreie Bedienen in der kompletten Geschichte des Jazz im Grunde stark mit dem vergleichbar, was Monáe auf "The Electric Lady" auf der Ebene schwarzer (weiblicher) Popmusik getan hat.

Die große Frage nach dieser Eröffnung ist: Was soll in den restlichen sechzehn Stücken denn noch alles passieren?

Die unmittelbare Antwort in "Isabelle" ist zunächst Reduktion. Allerdings nicht in der Spielzeit, denn auch das zweite Stück läuft über zwölf Minuten - und zeigt, wie man diese auch ganz anders füllen kann. Mit nur sechsköpfiger Band hinter sich, präsentiert Kamasi einen entspannteren, von Akustikbass und Orgel bestimmten Sound, in dem sich alle Solisten von ihrer sensiblen Seite zeigen. Und doch ist da die ganze Zeit über ein gewisses Brodeln unter der Oberfläche, denn Percussions und das etwas kantige Schlagzeug möchten sich mit dieser Ruhe nicht abfinden...

... was uns direkt zu "Final Thought" bringt: Auch dieser Track arbeitet mit der relativen Sparbesetzung, addiert jedoch zum ersten und einzigem Mal auf der ersten LP das zweite Schlagzeug, wobei die beiden Drummer konsequent im linken und rechten Stereokanal voneinander getrennt werden. Mit sechseinhalb Minuten ist der Song der kürzeste des gesamten Albums. Und diese Minuten vergehen in dem schnellen, von lateinamerikanischer Rhythmik bestimmten Stück auch wie im Fluge.

Mit "The Next Step", nach der hier wieder orchestral begleiteten Band benannt, folgt auf Seite B sogleich das viertelstündige, längste Stück, in dem viele unterschiedliche Dinge passieren. Zunächst einmal beginnt es mit traditionellem walking bass fast schon etwas zu "altbacken", entwickelt sich von dort aus aber in immer neue abenteuerliche Richtungen, geht eben den nächsten Schritt. Viele Stimmungswechsel, viel musikalische Geschichtenerzählkunst.

Als fünfter Track "Askim" - noch so ein maximalistischer Brocken!
Das erste Drittel wird von einem eigensinnigen Thundercat-Basssolo bestimmt, in dessen Hintergrund sich die Musik immer größer bis zur vollen Chorgesangskraft aufbläht.
Danach reset und das Spiel beginnt erneut mit dem Saxophon - und noch eine ganze Ecke intensiver von vorn. Und als nach dem dritten Anlauf des Stückes im Finale abermals der Chor einsetzt, singt er für die die letzten Momente von "Volume 1" erstmals Worte und erinnert uns daran, dass in den Credits doch auch etwas von einer Leadsängerin stand.



Volume 2 - The Glorious Tale:

Tatsächlich ist mit "The Rhythm Changes" gleich die Eröffnung des zweiten Aktes ein Vocal Jazz-Stück, welches klar macht, dass das stilistische Pulver nach einer randvollen LP noch lange nicht verschossen ist.

Bisher haben wir gelernt, dass entgegen aller Hip Hop-Referenzen in Kamasi Washingtons Biographie, welche selbst in Fernsehbeiträgen zu "The Epic" schon fälschlich als entscheidendes Merkmal seiner Musik dargestellt wurden, die Musik auf diesem Album damit tatsächlich so gut wie gar nichts zu tun hat.
Nein, Washington ist hier durch und durch Jazz-Traditionalist. Wobei die lange Jazz-Geschichte natürlich  auf eine Vielzahl von Traditionen zurückblickt, derer er sich bedienen kann.
Seine Basis ist allerdings der von John Coltrane und Pharao Sanders geprägte Spiritual Jazz der Sechziger und Siebziger Jahre. Darauf aufbauend setzt er vor allem auf Einflüsse aus Klassik und Gospel und die individuelle Kreativität und Ausdruckskraft in sowohl seinem eigenen Spiel, als auch dem seiner ebenbürtigen Mitmusiker.


Nach den epischen Ekzessen von "Volume 1" nimmt sich der zweite Teil diesbezüglich etwas zurück - keines seiner sieben Stücke durchbricht die Zehn-Minuten-Mauer - und setzt dafür andere Akzente, beginnend mit dem erwähnten Opener, welcher die klassisch soulige Stimme und theatralisch erzählerische Performance von Patrice Quinn einführt.
Wer im Genre wenig zu Hause ist, mag hier vielleicht Probleme bekommen, weil ungeachtet der Klasse der Sängerin die Texte nach bewährtem Jazz-Brauch eine gewisse naive Schmalzigkeit nicht leugnen können. Aber wer z.B. Metal hört, kennt ja auch einige genrespezifische, gewöhnungsbedürftige Manierismen. Und auch hier gilt: Wen kümmert's, solange der Inhalt gut verkauft wird?


"Cherokee" und "Henrietta Our Hero", die beiden weiteren Gesangsnummern von "Volume 2" berufen sich dann auf die auch in anderen Genres präsente, aber vor allem für schwarze Musik typische Tradition der Feier und Überhöhung weiblicher Heldengestalten. (Auch an dieser Stelle könnte ich übrigens wieder auf Janelle Monáes stark von schwarzer und feministischer Identität geprägte "Electric Lady" verweisen.)
"Henrietta" ist als Ode an Kamasis Großmutter dabei das wohl persönlichste Stück des Albums, welches mir wahrscheinlich etwas zu corny wäre, hätte ich es nicht noch wirkungsvoller unter Mitwirkung von Rickey Washington im Livekontext erlebt.

"Leroy and Lanisha" beginnt lässig swingend als Bläser-Duett und lässt sich später unter den Solos von Saxophon und Piano zu ein paar dezent choatischen Wühlereien hinreißen.

In "Re Run" kehrt der große orchestrale Pathos zurück und verbindet sich mit einem weiteren von unzähligen Ohrwurmthemen auf "The Epic". Die rhythmische Begleitung deutet sowohl nach Lateinamerka als auch zur Fusion mit Funk. Allmählich ziehen hier an Weather Report erinnernde Einflüsse auf.

"Miss Understanding" ist mit seinem eilig laufenden Bass, vielen Breaks und Frickeleien bei hohem Tempo der Show-Off-Track dieses Albumteils. Geht ab und macht Laune. Und gegen Ende deutet Miles Mosley zumindest einen Teil des Irrsinns an, den er live aus seinem Kontrabass herauskitzelt.

"Seven Prayers" ist eingebettet von den ebenfalls tendentiell eher sanften Nummern "Henrietta" und "Cherokee" fast das Gegenteil von "Miss Understanding".
Dabei kann man allerdings nicht behaupten, dass in dieser Bläser/Piano-Ballade nicht eine Menge spannender Strömungen unter der vermeindlich ruhigen Oberfläche zirkulieren.


Besonders mit dieser Häufung ruhigerer Töne auf der zweiten Hälfte hat "Volume 2 - The Glorious Tale" für sich alleine einen deutlich anderen Charakter als die erste LP, ist zugänglicher und weniger monolithisch.
Das leichtfüßige "Cherokee" ist ein angenehm lässiger Ausklang und wäre durchaus geeignet, einem mit einem zufriedenen Lächeln aus dem Album zu verabschieden.

Aber nichts da! Ein ganzes Drittel, eine Stunde "The Epic" liegen schließlich noch vor uns. Und jetzt dreht Kamasi Washington noch einmal richtig auf!




Volume 3 - The Historic Repetition:

Mit fünf Stücken, von denen vier instrumental sind und über elf Minuten anschlagen, kehrt der finale Akt des Albums formal zu "Volume 1" zurück. Musikalisch dominiert hier allerdings bei aller cineastischen Epik ein modernerer, bei den meisten Stücken von zwei Drumkits angetriebener Sound.

"The Magnificent 7" ist mit seiner Mischung aus Westernsoundtrack und washingtonschem Maximalismus vielleicht der repräsentativste Song von "The Epic", die ultimative Wundertüte sozusagen.
Die Keyboardsounds sind funkiger und auch der akustische Bass wird teilweise deutlich mit dem Effektboard aufgepimpt. Auf der Bühne fallen Coleman und Mosley am meisten durch aus dem traditionellen Jazz ausbrechende Sounds auf, die sich vielleicht auch erst nach den Aufnahmen so entwickelt haben. Auf dem Album wären die 80er-Jahre-Moog-Klänge vielleicht auch deplaziert. Doch "Volume 3" gibt dem modernen Spiel besonders dieser beiden durchaus schon hörbar Raum.

"Re Run Home" ist dann ein alternative Version von "Re Run", oder man könnte auch sagen, fast schon ein Disco-Funk-Jam auf dem Originalthema. Vierzehn Minuten geben reichlich Platz für zahlreiche Soloeskapaden über der sehr geradeaus agierenden Rhythmussektion. Besonders das Doppelsolo-Wechselspiel zwischen Posause und leicht mexikanisch tönender Trompete ist hier erwähnenswert.

"Malcolm's Theme" ist das letzte Vocal Jazz-Stück des Albums und wird gemeinsam von Patrice Quinn und dem Bariton Dwight Trible gesungen. Diese Vertonung der Grabrede für  Malcolm X ist selbstredend der Song, auf dem der dem gesamten Album innewohnende Gospel-Einfluss am stärksten in den Vordergrund trägt. Und zudem positionieren sich Kamasi und seine Band hier natürlich nochmal ganz deutlich als schwarze Musiker, was in den USA im Jahr 2015 eigentlich redundant sein sollte, aber wie wir gerade in der jüngsten Vergangenheit sehen mussten, leider absolut nicht  ist. Auch wenn Kamasi und Co. sich bestimmt in erster Linie als Musiker begreifen, stehen sie mit "The Epic" unvermittelt zusammen mit weiteren Künstlern wie z.B. Kendrick Lamar an der Spitze einer schwarzen popkulturellen Bewegung, welche ihr Niveau jenseits der bouncenden und twerkenden Ärsche sucht, welche im kommerziell erfolgreichen Sphären zuletzt unverzichtbar schienen. Einer Bewegung, die im Rückblick vielleicht zum Soundtrack dieser Zeit werden könnte.
Interessant auch, dass "Malcolm's Theme" ein Sprachsample von ihm selbst enhält, in dem er darüber spricht, ein Moslem zu sein, was derzeit natürlich ein ebenfalls sehr präsentes und rassistisch aufgeladenes Reizthema ist...

Auch wenn der Song vielleicht musikalisch ohne seinen Zusammenhang nicht der größte Höhepunkt von "The Epic" ist, steckt in ihm doch ein großer Teil der Seele des Albums. Ich kann mich natürlich auch nicht von dem Eindruck freimachen, live gesehen zu haben, wie besonders Patrice Quinn hier wirklich alles hineingelegt hat; ein Bild das auch bei der Studioversion immer wiederkehrt. Unzweifelhaft ein sehr wichtiger Song. Malcolm X matters.

Zweiundzwanzig Minuten sind nun noch übrig, und diese werden gerecht zwischen zwei Tracks geteilt. Zunächst einmal folgt eine Übung aus der To-Do-Liste vieler großer Jazz-Musiker, nämlich eine klassische Komposition ins eigene Genre zu überführen.

Kamasi Washington wählt dazu "Clair de Lune", ein Klavierstück von Claude Debussy, welches auch alle Leute, denen der Name jetzt nichts sagt, irgendwann in irgendeiner Form schon gehört haben, z.B. in den Filmen "Abbitte", "Sieben Jahre in Tibet", "Ocean's Eleven" oder auch *örgs* "Twilight". Was soll man sagen? Kamasis Version verdirbt das Original in keinem Fall und ist einfach ein sehr schönes, großes Stück Musik.

Zum Abschluss fehlt natürlich die größte Furcht vieler Musikliebhaber, nämlich das Doppel-Drumsolo! Natürlich nicht alleine, sondern eingebettet in die auch sonst sehr actionreiche 7/4-Takt-Komposition "The Message". Geil!

Danach will man glatt noch mehr.


Aber nach drei Stunden jazztastischem Overkill ist auch mal gut.



 
Fazit:
 
Ich denke, man merkt schon an der Ausführlichkeit meiner Rezension, dass ich das Album ganz ok finde.

Ach, und was ich noch gar nicht erwähnt habe: Die Produktion, für die Schlagzeuger Tony Austin verantwortlich ist, klingt einfach fantastisch! Solch ein makelloser, transparenter, powervoller und in sich sich stimmiger Sound, bei so einer Menge von Musik, die unter einen Hut gebracht werden muss - Respekt!

Natürlich können einen über drei Stunden nicht alle Passagen immer gleich stark ansprechen, doch ernsthafte Negativkritik lässt "The Epic" für mich einfach nicht zu. Größer, ambitionierter, leidenschaftlicher kann eine Musikveröffentlichung kaum sein.

2015 ist auf jeden Fall kein anderes mir bekanntes Werk herausgekommen, von dem ich glaube, dass es in seiner langfristigen musikhistorischen Bedeutung an dieses gewaltige Statement heranreichen kann.

Bei mir persönlich wird sich zwar [SPOILER ALERT!] noch ein ganz und gar anderes Special-Interest-Album davorschieben, doch in zahlreichen Jahresend-Top-Listen dürfte sich Kamasi Washington mit "The Epic" zurecht als Spitzenreiter wiederfinden.


Um es mit den Worten Bela B.s in "Als ich den Punk erfand" zu sagen:

"Jazz!
Lebe, Jazz! 
Leebe!"



Anspieltipps: The Magnificient 7, Change Of The Guard, The Message, Re Run Home, Isabelle, Miss Understanding, Clair de Lune



2015-12-13

MOEWN - Acqua Alta

Nicht der einzige, aber ein durchaus ein wichtiger Trend in meinem persönlichen Hörverhalten der letzten Jahre ist, dass ich - quer durch alle möglichen Genres - immer mehr auf Instrumentalmusik stehe.

Es hat ja auch für den Künstler einige Vorteile, auf den Gesang zu verzichten. So muss man keine Texte schreiben, was mitunter der größte pain in the ass des gesamten kreativen Prozesses sein kann, spart das Geld für Mikros plus Ständer und ist live schneller mit dem Soundcheck fertig. Und auch wenn man mal ein wenig erkältet ist, kriegt das nicht sofort jeder überdeutlich mit.

Diese Vorteile haben sich mittlerweile ja sogar bis zum Metal und vielen angrenzenden Genres herumgesprochen, so dass überwiegend oder gänzlich instrumentale Gruppen auch dort keine vollkommenen Exoten mehr sind.




MOEWN - Acqua Alta (LP) (2015)

Das Trio Moewn aus Hamburg (und ja, das Intro sowie das Logo auf dem Plattenlabel verraten, dass mit dem Namen tatsächlich die  zumindest ähnlich ausgesprochenen Vögel gemeint sind), stammt auch eher aus der Peripherie des Metal und berührt diesen nur gelegentlich.

Bereits das sehr schöne, von Gitarrist Ben selbst gestaltete Cover deutet in seiner Ästhetik an, dass die Basis der Songs von "Acqua Alta" im eskapistisch schwebenden Postrock zu suchen ist. Dargebracht werden sie allerdings ohne zusätzliche aufplusternde oder verkitschende Extrawürste mit den direkten Mitteln rauen Stonerrocks, welche für ausgesuchte Höhepunkte auch mal in die bassbrummend hartriffigen Gefilde des Sludge Metals abdriften. In den ganz derben Bongripper-Krach geht man aber längst nicht rein, also eher Sludge Metal light.

Strukturell setzt die Band auf eine ausgeglichene Mischung aus dem Steigern von Themen und dem eher für Progressive Rock  und Metal typischen Aneinanderflanschen unterschiedlicher Parts. Den diesen Genres innewohnendem Hang zur technischen Angeberei lassen die Moewn allerdings komplett vermissen. Entspannte Psychedelik  schlägt also krampfhafte Virtuosität. Es bleibt alles stets nachvollziehbar, und im Fokus stehen immer die Stimmung und der Spannungsbogen des gesamten Stücks.

Letzteres haut nicht immer hundertprozentig hin, da es durchaus noch den einen oder anderen Wechsel gibt, der dem Rest gegenüber abfällt, doch insgesamt ist "Acqua Alta" mit seinen sechs Tracks und der vergleichsweise zurückhaltenden durchschnittlichen Songlänge von etwa fünfeinhalb Minuten ein kompaktes, sehr kurzweiliges Hörvergügen geworden.

Wer irgendwo zwischen Kiffer- und Rübenschüttlermusik zu Hause ist und gerne von der Weite und Tiefe des Meeres träumen möchte, der macht nichts verkehrt, wenn er  mal in diese Musik hineintaucht.

Die Platte kostet auch nicht Welt, selbst wenn man nicht wie ich am sparfüchsischen Black Friday-Wochenende bei Pink Tank Records zuschlägt.

Trotzdem ärgere ich mich nach wie vor ein bisschen, sie mir nicht schon beim Konzert in Itzehoe mitgenommen zu haben, da ich dann die (vom Label gewohnt schicke) Stormy Sea Wax-Farbedition inklusive Poster mein eigen nennen würde. Anscheinend ist das Ding neben der schwarzen Standardversion auch immer noch zu haben, ansonsten gibt es das Album noch in digitaler Downloadform. Dass nur der Farbvariante ein Downloadcode beiliegt, finde ich allerdings schon ein bisschen knauserig.

Wie auch immer, die Musik stimmt in jedem Fall. Von daher meine volle Kaufempfehlung!



Anspieltipps: Felsendunst, Schwarzer Frost, Packeis




2015-12-07

SUNN O))) - Kannon

Wenn es eine Band gibt, zu deren Knecht ich im Laufe dieses Jahres geworden bin, dann ist es wohl das jenseits von Zeit und Raum dronedoomende Duo Sunn O))).

Sei es auf den Albenklassikern von "ØØ Void" über "Black One" bis "Monoliths & Dimensions" oder im überwältigenden Liveerlebnis - was Sunn O))) anfassen, deutet in seiner geradezu ritualistisch verlangsamten Konsequenz weit über das Regelbuch "gewöhnlicher", sich selbst als extrem verstehender Musik hinaus.

Nachdem die letzten Alben Kooperationen mit anderen Künstlern waren, erschien nun nach sechs Jahren die erste Veröffentlichung seit "Monoliths" die wieder nur Sunn O))) im Titel trägt.





SUNN O))) - Kannon (blue opaque vinyl + flexidisc) (2015)

Was die Spielzeit angeht, schließt "Kannon" allerdings eher an das Anfang 2014 zusammen mit Ulver rausgebrachte "Terrestrials" an, d.h. das ebenfalls aus drei Tracks bestehende Album bringt es nur auf knapp über eine halbe Stunde Spielzeit.

Oben drauf kommt allerdings noch, wenn man schnell zugeschlagen hat oder sich nun von Wiederverkäufern ausziehen lassen möchte, ein sechsminütiger Bonustrack auf Flexidisc.

Mit dem blauen Vinyl und vor allem dem faszininierend plastischen Foto dieser seltsamen Skulptur auf dem dicken Gatefold-Cover macht "Kannon" so als Gesamtpaket schon gut was her.


"Terrestrials" ist hier nicht nur in seiner relativen Kürze, sondern ebenso musikalisch zumindest insofern eine Referenz, als dass auch das neue Album deutlich lichter und zugänglicher ist als die regulären Werke der Band.

Den personellen Kern bilden neben Stephen O'Malley und Greg Anderson an Gitarre und Bass erneut Mayhem-Extremkehlkopf Attila Csihar, dessen schnarrendes, zischendes, gurgelndes, tiefsprechendes Organ diesmal auf allen Tracks vertreten ist.
Daneben sind noch ein paar weitere Gastmusiker u.a. an Gitarre, Moog und Oszillator dabei, es ist im Vergleich zum vollkommen ausladenden "Monoliths & Dimensions" allerdings eher eine reduzierte Sparbesetzung. Also keine Bläser, Streicher, Harfen, Chöre,  Soprane...

Auch musikalisch findet folgerichtig eine Art von Reduktion statt, welche die inhaltliche Verdichtung auf das zugrundeliegende Konzept wiederspiegelt.

Dieses Konzept ist paradoxerweise auf einer kompletten Gatefoldseite in einer Ausführlichkeit dargelegt, dass man fast länger braucht, den Text zu lesen und zu verarbeiten, als die Musik zu hören. Allerdings sind die Erläuterungen durchaus schlüssig und addieren einen interessanten intellektuellen Kontext zum Hörgenuss.

Es wäre redundante Spoilerei, die kompletten Ausführungen wiedergeben zu wollen, die sich u.a. mit der kulturellen Bewertung von Femininität und Maskulinität, der Musik als Katalysator zwischen Leben und Tod und der Frage, wie wir durch Mitgefühl neuerschaffen werden bzw. wie Mitgefühl selbst reproduziert wird, befasst.   

Ja, Mitgefühl als zentrales Thema eines Metal-Albums! Auch wenn es sich hier natürlich um den äußersten advantgardistisch dröhnenden Rand des Genres handelt, erscheint dies zunächst als starker Tobak.

"Kannon" ist japanisch und nur einer von vielen Namen der u.a. ebenso im chinesischen und indischen Raum bekannten Göttin des Mitgefühls. Das Album bildet in drei Akten das Echo ihrer wechselhaften Erscheinung ab.

Diese Akte werden alle von mantramäßig von Anfang bis Ende durchexzerierten, für Sunn O)))-Verhältnisse durchaus ziemlich flott auf- und absteigenden Tonfolgen bestimmt, zu denen man sich teilweise schon glatt ein Schlagzeug vorstellen könnte. Dieses kommt abgesehen von einer gelegentlichen Konzerttrommel natürlich nicht. Wäre es da, würde es gerade "Kannon 1" mit seinem stark beschwörerischen Charakter und vielen ätherisch schwebenden Sounds sicherlich in die Richtung von Bong rücken.
Gesanglich - oder wie auch immer man es nennen soll - ist dieser erste Track der am schwersten fassbare, unverständlichste und unheimlichste. Wir nehmen den Laut des Leidens war, was an sich schon eine Erweiterung des Aktes des Mitgefühls an sich ist.

Der zweite Track beschreibt das Wirken Kannons und klingt sehr erhaben und aufbauend. Im Klangkosmos des sunn o)))schen Tiefgitarrengedröhns ist "Kannon 2" wohl der gegensätzlichste Entwurf zu den maximal finsteren Klängen des "Black One"-Albums.
Die größte Überraschung ist allerdings der von Csihar in dieser Umgebung sicherlich nicht erwartete Klargesang. Die klassische Erscheinung der Gruppe als kultige Kapuzenmänner findet hier in einem mönchsartigem Kanon ihre Entsprechung.
Die phonetische Ähnlichkeit und inhaltliche Widersprüchlichkeit zwischen "Kannon" und englisch "canon" werden selbstverständlich auch im Begleittext angesprochen, inklusive einer Fußnote zur Frühgeschichte des japanischen Kameraherstellers Canon. Wenn man schon thematisch rundumschlägt, dann aber auch richtig!

Auch in "Kannon 3" steckt viel befreiendes, loslassendes. Der erneut sehr rituell klingende Gesang tönt nun noch kraftvoller und geht in Dämonen freisetzende Black-Metal-Urklänge über.
Zur Erhabenheit des Stückes tragen auch einige helle, sehr an die neueren Earth erinnernden Gitarrenklänge bei. Die Urväter der drum-befreiten Doom-Reduktion schimmern überhaupt auf dem gesamten Albumsehr stark durch.
Auch wenn sich das Ende dieses Aktes - und somit des Albums - durch Rückkopplungen lange ankündigt, kommt es irgendwie doch plötzlich und lässt einen mit einer gewissen Leere zurück.



Diese Leere können Kritiker der Platte natürlich als Das war's schon? Viel zu kurz! interpretieren. Subjektiv habe ich allerdings den Eindruck, dass das Album an dieser Stelle alles gesagt hat, was es sagen möchte, und von daher auch nicht künstlich weiter in die Länge gezogen werden sollte.

Moooment, sagt der aufmerksame Leser hier, da war doch noch die Bonus-Flexidisc!
Das stimmt. Allerdings ist "Aokigahara // Jukai" doch eher ein für sich alleine stehendes Ding außerhalb des Albumkonzeptes und wurde dementsprechend ja nicht im regulären Kontext, sondern nur als limitiertes Extra veröffentlicht.
Allein dem Medium geschuldet, ist der Track mit sechs Minuten eher kurz, dürfte allerdings für manche Fans, die mit der generellen Ausrichtung des Albums Probleme haben - und davon gibt es anscheinend schon einige - als Trost dienen, zeigen sich Sunn O))) inklusive Csihar hier doch von einer eher wilden, krachorientierten Seite. Das sind die Sunn O))), bei denen jedem unvorbereiteten Hörer die Frage "Was ist das für ein kranker Scheiß?" in den Augen geschrieben steht.

Was wiederum nicht bedeutet, dass Neulinge von "Kannon" nicht vor die klassische Prüfung gestellt werden, den perkussionslosen Doom/Drone Metal an sich erstmal als Musik zu akzeptieren.
Doch diese Hürde ist sicherlich leichter zu nehmen als in der Vergangenheit.

Auch wenn sich im Moment vielleicht noch die Geister an dem im Vergleich zu früheren Langspielkolossen sehr handlichen und musikalisch leicht nachvollziehbaren "Kannon" scheiden, dürfte die Gnadengottheit sich auf lange Sicht vielleicht als die geeigneteste Einstiegsdroge zur dauerhaften Sunn O)))-Abhängigkeit erweisen.

Und falls es sich vielleicht so lesen könnte, als würde "Kannon" sich nur mit Kenntnis des Konzeptes entfalten, stimmt dies nicht. Ich habe das Album jedenfalls am vergangenen Wochenende sehr oft und intensiv gehört und dabei immer mehr schätzen gelernt, ehe ich mich überhaupt nach dem mindestens vierten oder fünften Durchlauf mit den Hintergründen beschäftigt habe.

Will sagen: das ist einfach geile Mucke! Jetzt höre ich es bereits zum x-ten Mal und es wird immer noch größer und besser... Sunn O))) eben. Großartig!

Der Knecht hat gesprochen.


Anspieltipps: Kannon 3, Kannon 2, Kannon 1, Aokigahara // Jukai