"It's been a long day, but I feel I must travel..."
Was die Prog-Bromance Neal Morse / Mike Portnoy angeht, so haben sich bei mir ja allmählich mal die Superlative erschöpft. Ich habe zu Transatlantic live in Hamburg (mein erstes TA-Konzert war allerdings noch vor Zeiten dieses Blogs) und Tilburg geschrieben, zu Neal Morse solo (inklusive Transatlantic-Zugabe) und zur ersten Tour der Neal Morse Band. Dazu kommen noch ein ganzer Schub Livealben und -videos und natürlich einige Studiowerke, über die ich mich in Lobpreisungen ergangen habe.
Man kann also mittlerweile ganz zart davon ausgehen, dass ich ein Fan bin. Deswegen versuche ich einfach mal, im folgenden Text auf die üblichen Hinweise zu verzichten, dass Mr. Music Morse ein ansteckend fröhlicher Sympath ist, dass Bill Hubauer (Keyboard, Gesang, Saxophon usw.) alles kann, Shredkönig Eric Gilette aus John Petruccis Gitarre geklont wurde, Randy George die coolste Bass-Sau des Planeten und Mike Portnoy eben Mike fucking Portnoy ist.
Gestern trat die Neal Morse Band mal wieder in der Markthalle (wo auch sonst?) auf. Eine Vorband gab es nicht, bei brutto zweieinhalb Stunden Vollbeproggung war das allerdings auch nicht nötig.
The Neal Morse Band
Überraschungen waren in der Setlist natürlich keine zu erwarten, spielte die Band doch ihr gewaltiges Konzeptalbum "The Similitude Of A Dream" (von mir auf einem guten Platz 15 meiner Jahrescharts verortet) in ganzer Länge.
Das bedeutete zwei Akte zu je zwölf Songs mit einer Pause dazwischen, bei der ich tatsächlich den Countdown der Intermission von Laibach vermisste. Ist doch echt viel praktischer, wenn man sehen kann, wie viel Zeit einem noch für Flüssigkeitsaufnahme und -abgabe bleibt, ehe es weitergeht.
Portnoy, der sein Kit wieder zu einer vollen Doublebass-Maschine aufgerüstet hat, ist von der Mitte der Bühne zur Seite gerückt, um Platz für einen Bildschirm zu machen, der die Show visuell mit allerlei Filmchen unterstützte. Ansonsten gab es in Garderobe und Accessoires ein paar viktorianische Steampunk-Akzente, und Neal Morse zückte mehrmals die Taschenlampe, um sich in diversen Maskenmodellen wie Faultier oder Phantom der Oper selbst zu illuminieren.
Alles noch in dem Rahmen, dass es nicht von der Musik und den Songs ablenkt, und auch nicht ohne das eine oder andere Augenzwinkern.
Alle Highlights der Show aufzuzählen wäre müßig, zumal sie zu großen Teilen deckungsgleich mit denen des Albums sind. Ob das Harmoniefest "The Ways Of A Fool" (und überhaupt alle Rampenlichtmomente von Bill Hubauer), der himmlische Bombast des Halbzeitfinales "Breath Of Angels", die episch lange Gähn- und Streckpause in der Zeile "I have no need for... speed" im offensichtlichen Bandliebling "Sloth", ob die The Who-Hommage "I'm Running" oder das Zappa-Frickelfest "The Battle" - all dies legte live natürlich noch in seiner Wirkung zu.
Beim "Freedom Song" performte die komplette Band vorne am Bühnenrand, was eine nette Abwechslung brachte, auf vorherigen Touren mit der Ballade "Waterfall" oder dem Solo-Freakout im verwandten Gospelcountrysong "Sing It High" allerdings schon besser umgesetzt wurde. Das wäre dann auch mein einziges Suppenhaar dieses phänomenalen Progabends.
In der Zugabe gab es dann doch eine kleine Überraschung, begann diese doch mit dem Titelsong von "Momentum", der mir beim Spicken auf setlist.fm nicht über den Weg gelaufen war. Viel straighter als der von mir erwartete Exzess "Author Of Confusion", aber auch ein toller Song. Danach folgte direkt das kurze "Agenda", also das einzige Stück von "The Grand Experiment", welches auf der letzten Tour nicht gespielt worden war. Ganz zum Schluss gab es dann mit dem Opener jenes Albums, "The Call" noch das längste Stück des Abends auf die Ohren, welche übrigens von der ersten Sekunde des Konzerts an mit einem nahezu perfekten Sound verwöhnt worden waren.
Fazit: Absolut progtastisch wie erwartet! [Hier jetzt noch fünf bis zehn Superlative einfügen!]
Hier ist es also, das Konzeptalbum, welches Mike Portnoy in selten großen Tönen sinngemäß als Höhepunkt sowohl in seiner als auch in Neal Morses Karriere bezeichnet hat. Ob man diese Meinung teilt, das war mir schon vor dem ersten Hören klar, ist eigentlich vollkommen irrelevant. Denn selbst wenn es "nur" zum dritt- oder viertbesten Album der beiden reicht, ist das ja Lichtjahre von einem Flop entfernt.
Nachdem mich letztes Jahr das erste nicht als "Neal Morse", sondern wegen der starken kreativen Einbindung aller Musiker als The Neal Morse Band veröffentlichte Album "The Grand Experiment" schon enorm überzeugt hatte, war meine persönliche Erwartungshaltung recht stattlich. Und auch aufgrund der live demonstrierten Form und Bandchemie konnte ich mir kaum vorstellen, ähnlich wie von einer gewissen anderen "Rockoper" dieses Jahres, enttäuscht zu werden.
THE NEAL MORSE BAND - The Similitude Of A Dream (3LP/2CD) (2016)
Ja, ich muss mich hier wohl oder übel der lästigen Unsitte anschließen, das aktuelle Schaffen von Drumlegende Mike Portnoy in Bezug zu seiner Ex-Band Dream Theater zu stellen. Bislang war das ja schon mangels stilistischer Vergleichbarkeit Quatsch, doch wenn im selben Jahr wie das überlange (und überambitionierte) "The Astonishing" ein Progalbum aus dreiundzwanzig Tracks auf zwei CDs (bzw. fünf Schallplattenseiten) mit seiner Beteiligung erscheint, dann kommt man ja kaum drum herum.
Und um es kurz zu machen: Auch wenn man sicherlich Einzeldisziplinen wie bestes Gitarrensolo oder die individuelle Gesangsleistung von James LaBrie finden kann, in den denen Dream Theater mithalten können, so wird John Petruccis "Hunger Games"-Verschnitt von der Neal Morse Band nach allen Regeln der Kunst pulverisiert.
Das fängt schon bei jenem Element an, dass bei Neal Morse stets das umstrittenste ist, nämlich dem Konzept an sich.
Nun ist es nicht so, dass er sich hier bei seiner Story unglaublich weit aus seiner Komfortzone herausgelehnt hätte. Es geht wieder einmal um den Weg christlicher Selbstfindung, dieses Mal basierend auf den ersten Kapiteln von John Bunyans "The Pilgrim's Progress", einer Erbauungsschrift aus dem Jahr 1678.
Eine neue Story geht natürlich anders. Und es gibt folglich ab und zu das G-Wort (allerdings nicht das J-Wort) zu hören. Wer damit Probleme hat, könnte möglicherweise Anlaufschwierigkeiten mit "The Similitude Of A Dream" bekommen. Neal Morse hat diesbezüglich aber durchaus schon schwerere Kost serviert.
Interessanterweise wissen übrigens auch viele englische Muttersprachler nicht, was eine Similitüde ist, nämlich ein wohl etwas eingerostetes Synonym für Parabel.
Um eine solche handelt es sich beim Ausgangswerk, und aufgrund der daraus resultierenden Bild- und Gleichnishaftigkeit ist das Ganze mit etwas Abstraktionsfähigkeit auch für Atheisten zu verarbeiten. So darf (um nicht zu sagen: sollte) man z.B. Gott selbst durchaus als Allegorie begreifen.
Wie gesagt: Es ist nicht die originellste Geschichte, aber sie wird von einem guten Lyriker angemessen erzählt. Und das ist eben immer noch eine ganze Ecke besser, als wenn man mit einer Story zu viel will und sich dabei verhebt.
Sehr gelungen ist die Verpackung: Die drei LPs (sechste Seite mit Etching) plus zwei CDs stecken in einem sehr ansprechenden Triple-Gatefold.
Das Cover ist zeitlos schön, innen gibt es eine Doppelseite mit Texten und Credits, und wenn man diese aufklappt noch eine wimmelbildliche Genesis-Hommage. Ein wunderbares Package, bei dem keine Wünsche übrig bleiben:
Es gibt übrigens ein paar kleine Unterschiede zwischen den Versionen auf LP, CD oder als reiner Download (also wenn man das Album z.B. ketzerischerweise bei iTunes kauft). Die meisten davon betreffen nur die Übergänge zwischen den Songs, die auf CD fast alle direkt aneinander anschließen, während es auf Schallplatte ja naturgemäß mehr Zwangspausen gibt, denen der Mix angepasst wurde. Zum kuriosen Progsnobwissen gehört allerdings, dass der Fast-schon-Radiohit "City Of Destruction" auf LP und im Download einen kurzen Spoken-word-Teil enthält, der auf der CD fehlt.
Womit ich ja schon mitten in der Musik stecke.
Musikalisch bietet "The Similitude Of A Dream" alles, was man von einem Prog-Album unter Morse' Regie erwarten kann, also abwechslungsreichen klassischen Progrock in technischer Meisterschaft, aber vor allem bestimmt durch die Freude und Beseeltheit des Vortrags. Große Melodien geben einander die Klinke in die Hand, während sich vor zahlreiche Idolen (u.a. Beatles, Genesis, Kansas, Queen, The Who) verbeugt wird und jederzeit Ausflüge in angrenzende Stile wie z.B. Jazz auf der einen und Metal auf der anderen Seite möglich sind.
Und da es sich um ein Konzeptalbum handelt, steckt es natürlich voller über die gesamte Spielzeit wiederkehrender, variierender Themen und Reprises. Wir haben die kurze balladeske Einführung plus die instrumentale Overtüre, welche zahlreiche Motive vorwegnimmt, Gastspiele von Streichern und Saxophon, den Pink Floyd-Gedächtnis-Gospelchor im Finale der ersten Halbzeit, das eine vollkommen zappaesk überdrehte Instrumentalstück gegen Ende und natürlich nach zahlreichen Songs von durchschnittlich vielleicht viereinhalb Minuten das epische, erhabene Finale.
Das alles kommt einem natürlich bekannt vor, weil es eben das bekannte Morse-Rockoper-Werkzeug ist, welches er schon 2002 auf dem Spock's Beard-Überwerk "Snow" - und danach noch weiter auf seinen "Testimony"-Soloalben - perfektioniert hat. Auch Transatlantics "The Whirlwind" folgte klar erkennbar dieser Konzeptalbenschablone.
Den großen Unterschied zu seinem bisherigen Schaffen machen wie schon auf dem vorigen Album Keyboarder Bill Hubauer und Gitarrenshredmeister Eric Gilette aus. Die gleichwertige kompositorische Einbindung hatte ja schon "The Grand Experiment" das gewisse Etwas, die Frische gegeben, es von anderen (nicht so konzeptionellen) Morse-Alben des Formats epic-3xshortsong-EPIC abzuheben. Dieser Effekt tritt nun auch hier ein.
So wird "The Similitude Of A Dream" zu einem echten Gemeinschaftswerk der Band, auf der sich alle Beteiligten mit großartigen Ideen einbringen. Auch der Leadgesang wurde erneut aufgeteilt. Gilette und Hubauer haben zahlreiche Einsätze und prägen auf einem Album, das trotz seiner Ausmaße keine Schwächen zeigt, einige der Höhepunkte. Vor allem Hubauers "The Ways Of A Fool" setzt ein gewaltiges Ausrufezeichen. Zu den besten Songs würde ich aber auch das energisch mit von Mike Portnoy gesungenen Strophen startende "Draw The Line" zählen.
Man könnte natürlich zu jedem Stück etwas sagen, doch das wäre mir deutlich zu viel Arbeit. Und es wäre letzendlich auch nur eine endlose, sich an zahlreichen tolle Einfälle und beeindruckenden Arrangements aufhängende Lobeshymne.
Ich kann eigentlich nur zwei Dinge finden, die man als Makel interpretieren könnte:
Zum einen die Overtüre. Natürlich ist sie super. Aber! Ist sie wirklich immer nötig? Meiner Meinung nach dürfte Morse dieses anscheinend unvermeidliche Bauteil auch gerne einmal weglassen und direkt in die Geschichte einsteigen.
Und dann ist da der Country-Ausflug "Freedom Song", der als Idee einfach zu offensichtlich recycelt ist, da es ihn sehr ähnlich schon auf "Testimony" gegeben hat. Allerdings vermute ich, dass hier live ein Jam mit Vorstellung der Band und Soloeinlagen bevorstehen könnte, was wiederum gute Unterhaltung verspricht.
Das war's auch schon mit Gemecker. Die Neal Morse Band hat hier einfach mächtig abgeliefert. "The Similitude Of A Dream" ist ein überragendes Album.
Über die Szene hinausstrahlen wird es allerdings leider nicht, dafür ist die Blase des christlichen Prog einfach zu speziell, obwohl hier rein musilkalisch für zahlreiche Rock- und Metalfans mit Hang zum Großformatigen ein köstliches Bufett serviert wird.
Und um abschließend noch einmal zu Mike Portnoys Einschätzung zurückzukommen: nein, ganz richtig liegt er nicht. An Dream Theaters "Scenes From A Memory" oder Transatlantics "Bridge Across Forever" kann dieses Album allein schon aufgrund des zeitlichen Vorsprungs und der damit einhergehenden Sentimentalitäten nicht rütteln. Und auch Spock's Beards "Snow" hat einen Klassiker-Status, an dem man vierzehn Jahre danach nicht einfach so vorbeiziehen kann.
Es wäre allerdings verwegen, zu behaupten, "The Similitude Of A Dream" sei klar schlechter als die genannten Werke. Von daher kann ich nur nochmals bekräftigen, dass es vollkommen irrelevant ist, ob man Portnoys Meinung teilt. Insbesondere da er wirklich nur knapp daneben liegt.
Prädikat: Meisterwerk und Pflichtkauf für Fans.
Und damit habe ich jetzt alle meine 2016 Platten durchrezensiert. Halleluhjah und Frohe Weihnachten!
Highlights: The Ways Of A Fool, Sloth, City Of Destruction, Draw The Line, The Man In The Iron Cage, The Mask
"The Grand Experiment", das letzte Album von Neal Morse - bzw. das erste unter dem Banner The Neal Morse Band war für mich das Prog-Großereignis des letzten Jahres, und auch das dazugehörige Konzert in der Hamburger Markthalle war einfach sensationell.
Klar, dass ich zur nun erschienen DVD (plus Audio-CDs) der Tour nicht nein sagen konnte.
THE NEAL MORSE BAND - Alive Again (2CD+DVD) (2016)
Zunächst einmal wunderte mich die gewöhnliche Plastikhülle, die statt eines Booklets nur ein doppelseitig bedrucktes Coverblatt enthält. Nicht der gewohnte InsideOut-Standard. Und tatsächlich ist das Ding diesmal nur über das US-Label der Band, Radiant Records erschienen.
Aber es zählt ja der Inhalt, nämlich die Audio- und Videoaufzeichnung des Konzerts in Boerderij am 06. März 2015.
Bild, Ton, Kamera, Schnitt usw. sind nirgends zu beanstanden, so dass man sich ganz ohne Einschränkungen an Musik und Performance der Supermusiker erfreuen kann.
Ich bin jetzt mal faul und verweise für den Inhalt des Sets auf meinen Bericht aus Hamburg, in dem ich einigermaßen detailliert darauf eingegangen bin.
Jenes Konzert fand ja eine eine Woche später statt als das hier mitgeschnittene, so dass sich noch ein paar Kleinigkeiten geändert haben (so flutschte z.B. der große Instrumententauschirrsinn im hier vierunddreißig Minuten mächtigen "Alive Again" in Hamburg noch besser, während Randy George in Holland nicht John Deacon zitiert hat und Neal Morse wie jeden Abend einen anderen Akustik-Solosong gespielt hat), aber im Großen und Ganzen kann man meine Ausführungen schon auf die Show in Holland übertragen.
The Neal Morse Band live in Hamburg
Wer mit der christlich-religiösen Seite von Morse, die in "There Is Nothing That God Can't Change" und dem Zugaben-Medley stark in den Vordergrund tritt, seine Probleme hat, der muss vielleicht mal skippen. Kennt man ja. Bei über zwei Stunden Showlänge bleibt aber auch für ihn noch genügend Spitzenmaterial der Herren Morse, Portnoy, George, Gilette und Hubauer übrig.
Da dem Meister abseits der Bühne bekanntlich eine Kamera an die Hand gewachsen ist, gibt es auf der DVD natürlich auch noch eine selbst gefilmte Tourdoku, welche die Nordamerika-, sowie Europatour plus einzelne spätere Festivals beinhaltet, so dass man anhand des sympathischen Backstageeinblicks genau nachvollziehen kann, wer sich diesmal wann todkrank auf die Bühne geschleppt hat.
Alles in allem eine gewohnt starke Live-Veröffentlichung, mit der man sich ganz prima die Zeit bis zum nächsten Studioalbum vertreiben kann, welches ja schon längst aufgenommen ist und in nicht allzu ferner Zukunft kommen soll.
Progtastisch!
Highlights:Alive Again, The Creation, Waterfall, Leviathan, The Call
Gestern war es mal wieder soweit: Progfans aus aller Welt pilgerten in die Markthalle, wo zwei Jahre nach der "Momentum"-Tour mal wieder der Meister Neal Morse aufspielte, wenn auch diesmal unter der Bezeichnung The Neal Morse Band, was ich ja schon im Review zum aktuellen Album erläutert habe - und was sich auch live niederschlagen sollte...
Doch zunächst einmal zur Vorband:
Ich hatte von den Schweden Beardfish zwar schon mal hier, mal da ein Stück gehört, wusste also in etwa was mich stilistisch erwartet, doch wirklich auseinandergesetzt hatte ich mich mit der Gruppe bisher nicht. Schande über mich! Beardfish spielen Progrock im sehr geerdeten und deswegen auch manchmal dreckigen Retrogewand, mit großem Gespür für die richtige Balance zwischen Ohrwurm und Spielerei. Vieles klingt viel straighter als es eigentlich ist - oder umgekehrt?
Irgendwo zwischen Haken und New Keepers Of The Water Towers für mich.
Auf jeden Fall habe mich die allesamt sehr ausschweifenden Stücke durchweg begeistert. Insbesondere das Normalerweise-Instrumental "Coup de Grâce" war ein Highlight. Und mit seinem plötzlichen, sehr hohen Aaaaah-Gesang in einer Passage hat es der ohnehin versatile Sänger tatsächlich geschafft, den größten Gänsehautmoment des Abends rauszuhauen.
Ansonsten gibt es als i-Tüpfelchen zur hervorragenden Musik noch das seltsame Stageacting des Bassisten, welcher - so nehme ich an - extra in Socken spielt, um seine Moves besser performen zu können.
Daumen hoch!
Setlist:
Hold On
Comfort Zone
Coup de Grâce
If We Must Be Apart (A Love Story Continued)
Ludvig & Sverker
Und dann kam die Neal Morse Band, die korrekterweise eigentlich The Neal Morse Eric Gilette Bill Hubauer Randy George Mike Portnoy Band heißen sollte, so sehr agieren die fünf Musiker auf Augenhöhe.
Gleich nach dem Intro der Einstieg mit der A Capella-Harmonie von "The Call": Wow! Da wüsste man als Neuling schon über das Niveau des Abends bescheid, noch bevor überhaupt ein Instrument benutzt wird. Und dann dieser tolle Song. Randy George setzt starke Akzente mit dem Bass und auch der Vergleich von Gilette mit John Petrucci wird schnell bekräftigt. Man muss nur während seinem Solo die Augen schließen und schon ist die Illusion perfekt.
Im Verlauf des etwa zweieinhalbstündigen Sets wurde neben neuen und alten Morse-Songs auch seine Vergangenheit bei Spock's Beard gewürdigt, und in dem Teil der Show, wo er an jedem Abend der Tour ein Lied solo auf der Akustikgitarre spielt, hatte er sich diesmal von Transatlantic "Rose Colored Glasses" plus das Finale von "The Whirlwind" ausgesucht.
Diesem folgte die Ballade "Waterfall", bei dem sich Bill Hubauer (hier auch an der Akustikgitarre sowie der Klarinette), Morse, Portnoy (nur mit Tamburin) und Gilette die erste Reihe teilten und auch live mit einem sensationellen Harmoniegesang beeindruckten.
Besonders hervorheben muss ich auch "Alive Again", nicht nur weil der schon in der Studioversion siebenundzwanzig Minuten mächtige Opus an sich schon der neue "Stranger in Your Soul" ist.
Nein, die in eben jenem Transatlantic-Song gerne gepflegte Tradition des Instrumententausches im Laufenden Lied wurde hier in einer Erweiterung irgendwo in der Mitte wieder aufgegriffen und absolut auf die Spitze getrieben:
Zunächst einmal übernimmt Neal Morse das Schlagzeug von Mike Portnoy. Soweit, so bekannt. Jener schnappt sich für eine ganze Weile den Bass und gibt dabei den Präsentator für eine ganze Reihe von Soloeinlagen: Eric Gilette am Keyboard, Bill Hubauer an der Gitarre, Eric Gilette am Schlagzeug mit einer Performance, welche zeigt, dass er dieses Gitarren-Ding notfalls auch den Nagel hängen könnte. Der Mann hat ja der legende nach seinerzeit auch auf allen Instrumenten für Neal Morse vorgespielt. Man könnte auch sagen, Mike Portnoy ist faul geworden und delegiert jetzt schon seine Drumsoli.
Was kann danach noch kommen? Klar, wenn man noch eine Steigerung braucht, dann lässt man die coolste Sau der Band, Randy George, einfach simultan ein Gitarren- und Keyboardsolo spielen!
Reicht nicht? Ok, dann kniet sich der Herr eben hin für den heiligen Gral der Prog-Nerds: das handgespielte Bass-Pedal-Solo! Und so ein paar Takte John Deacon hat man ja eh immer gerne.
(Ich war nebenbei erwähnt übrigens neulich geburtstagsbeschenkt in der Queen-Planetarium-Show "Heaven". Kann man gut mal anschauen. Mit dem Weltraum- und Bewegungszeug kommt 3D-Kino nicht mit...)
Als Zugabe kam danach noch ein großes Medley mit Stücken, bei denen man als Atheist Form vor Inhalt stellen muss, aber musikalisch kann man ja auch "Oh Lord My God" und "King Jesus" nichts anhaben.
Es hilft natürlich auch sehr, dass Neal Morse einfach ein unendlich sympathischer Charakter ist. Ich kenne wenige Musiker, die ähnlich viel Freude an der Musik ausstrahlen. Und Hugs hat er auch verteilt. Mit umgeschnallter Gitarre mitten im Publikum, in der vollen Markthalle. Das gab wohl ein paar Selfies, wegen denen die Smartphones nun mit goldenem Rahmen an die Wand gehängt werden.
Und den Goldrahmen hat dieses Konzert auch verdient. Vielen Dank die Herren!
Setlist:
The Call
Leviathan
The Grand Experiment
Harm's Way / Go The Way You Go
Keyboard Solo (Bill Hubauer)
The Creation
Rose Colored Glasses / The Whirlwind
Waterfall
Guitar Solo (Eric Gilette)
In The Fire
Alive Again
Rejoice / Oh Lord My God / Jet / Reunion / King Jesus