Das folgende Album ist neben
"Going To Hell" von
The Pretty Reckless die bisher größte Überraschung für mich selbst in der Neukaufabteilung meiner jungen Vinyl-Sammlung.
Blätterte man in
meinen Favoriten auf
flickr, so könnte man zwar annehmen, dass ich zumindest schon seit einigen Monaten Fan von
Lana Del Rey bin, doch das stimmt nur insofern, dass ich einzelne Songs von ihr zwar mochte, sie aber nicht für stark genug hielt, ein Album zu tragen. Dem Stream des Fotokünstlers
Neil Krug, der die Dame auf einigen Bildern abgelichtet und auch das Cover von "Ultraviolence" zu verantworten hat, folge, ich allerdings durchaus schon länger.
[edit:
Krug ist inzwischen leider nicht mehr auf
flickr aktiv, aber dafür z.B.
hier auf tumblr.]
Und da "Ultraviolence" eine der wenigen aktuellen Schallplatten ist, die einem auch im überschaubaren Angebot wohl aller MediaMärkte (als Luxus-Wasweißich-Box) begegnet, schwirrte sie mir - obwohl ich noch nicht einmal eine Single-Auskopplung kannte - doch genügend im Kopf herum, um mir das Album auf YouTube doch mal komplett anzuhören.
Und was soll ich sagen? Ich war positiv überrascht, ja sogar sehr angetan.
LANA DEL REY - Ultraviolence (Vinyl) (2014)
Lana Del Rey ist eine Kunstfigur. Diese wurde in meinem Verständnis jedoch nicht von Elizabeth Woolridge Grant oder sonst irgendwem erfunden, sondern wie wir alle geboren - allerdings nicht in unserem Universum, sondern irgendwo zwischen Mullholland Drive und dem Lost Highway, also in der Parallelwelt des David Lynch.
Eine alternde Filmdiva, die sich aus Frust über ihren vergehenden Ruhm in Kombination mit diversen Medikamenten und Drogen betrunken hatte und sich in einem gewaltigen Mindfuck morgens verwundert vor dem Spiegel die Augen rieb, da sie als Lolita in einem anderen Körper - und in in einer anderen Realität - erwacht war.
In dieser Welt war ihr exzessives, zwischen Rausch und Sehnsucht pendelndes Wesen nun wieder gefragt und sie hat sich zu einer düster glamourösen Ikone aufgeschwungen, deren Name auf dem Cover von "Ultraviolence" nicht einmal mehr genannt werden muss.
Ausgehend von diesem noch beliebig ausschmückbarem Bild empfinde ich immer dann Unstimmigkeiten, wenn Lana Del Rey mit Realitäten zusammenprallt, die in ihrer ursprünglichen Welt nicht auftauchen. Dort gibt es z.B. rauchige Bars und Nachtclubs und historische Theater, aber keine riesigen, neumodischen Livemusiksettings. Folglich funktioniert ihre Musik in diesem Umfeld auch nur bedingt.
Auch in hippen Werbekapagnen moderner Modehäuser fremdel ich mit ihr.
Ebenso fand ich es als unpassend, wenn in ihren Songs zu gewollt chartaffin klingende Anbiederungen an aktuelle Poptrends auftauchten.
"Ultraviolence" vermeidet dies zum Glück und kleidet sich über die gesamte Spielzeit in einen intimen, zeitlosen Bandsound.
Ich habe einige Kritiken gelesen, die "Ultraviolence" als Paradebeispiel für ein durch den Loudness War verdorbenes Album verdammen, doch diese Ansicht kann ich überhaupt nicht teilen. Mal abgesehen davon, dass man bei der Schallplattenversion natürlich physikalisch bedingt keine Probleme mit digitalem Clipping hat, ist der manchmal dumpfe und verschwommene Klang der Rhythmussektion hier eine künstlerische Entscheidung; das musikalische Pendant eines Drogencocktailnebels, aus dem die klare wimmernde Gitarre um so mehr heraussticht, und über dem Lana Del Reys Stimme umso (gefallener-)engelsgleicher und verführerischer erscheint. Und außerdem ein Stilmittel, welches dasselbe Pulp- und Vintage-Gefühl transportiert wie die Fotografie Neil Krugs.
Besonders deutlich wird die ganz bewusste Wahl dieses Klangbildes beim wunderbaren Rausschmeißer (des regulären Albums) "The Other Woman", in dem der Gesang aus einem übersteuerten Grammophon zu kommen scheint.
Die edel verpackte Doppel-LP enthält danach noch drei Bonustracks, darunter mit "Black Beauty" ein echtes Highlight, mit dem etwas langweiligen "Guns And Roses" und dem zu beliebigen "Florida Kilos" allerdings auch die einzigen auffallend abfallenden Fastausfälle unter den insgesamt vierzehn Stücken.
Stattdessen hätte man vielleicht lieber den zumindest in der Digitalkopie mitgelieferten fünfzehnten Track mitpressen sollen. Bei diesem handelt es sich um die Radioversion der Single "West Coast", die sich im Arrangement tatsächlich interessant von der Albumversion unterscheidet. Wie jene im Refrain auf die Valiumbremse tritt, ist übrigens eines meiner liebsten von vielen großen Details auf diesem Werk.
"Ultraviolence" ist brillianter Pop, der zwar sorgsam das Image seines Stars pflegt, dies jedoch nicht zum Selbstzweck erhebt und darüber hinaus auch musikalisch zu glänzen weiß.
Ob andere ähnlich erfolgreiche Popalben dieses Jahres in ihrer langfristigen Wirkung da mithalten können, kann natürlich nur die Geschichte zeigen. Ich wage allerdings schon einmal, da Zweifel anzumelden.
Anspieltipps: Cruel World, The Other Woman, Shades Of Cool, West Coast, Ultraviolence