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2015-05-23

LIS ER STILLE live in der Kieler Schaubude (21. Mai 2015)

Zuerst war es letzten Donnerstag in Kiel schon ein wenig unangenehm.

Ich war der einzige Gast, der sich im Vorverkauf ein Ticket für den Tourauftakt von Lis Er Stille ausgedruckt hatte.
Und ich war eine Viertelstunde vor Beginn auch der einzige Gast, der in der Schaubude saß. Puh, das konnte noch seltsam werden...

Dann kamen aber zum Glück noch mehr Zuschauer. Nicht wirklich viele, vielleicht fünfundzwanzig plusminus Entourage der Vorband aus Hamburg. Zum Glück ist die Location ja auch eher klein.

Die Supportband hieß Cinnamonirgendwas, war jetzt nicht wirklich schlecht - also sie hatte gutes Equipment, konnte spielen, hatte ein paar gute Ideen und nette Melodien -, aber insgesamt war sie doch etwas gesichtslos. Hängengeblieben ist bei mir ehrlich gesagt nichts. Dafür war sicherlich auch das, was danach kam, zu stark.



Nicht, dass ich super viele Gruppen aus unserem nördlichen Nachbarland kennen würde, doch seit ich sie 2010 mit "The Collibro" kennengelernt habe, sind Lis Er Stille ganz klar meine Lieblingsband aus Dänemark.

Nun konnte ich sie endlich live erleben und muss sagen, dass meine durchaus hohen Erwartungen vollends erfüllt wurden. Und auch die meisten Referenzen, die ich in bisherigen Texten zur Band benutzt habe, bleiben bestehen.

So ist Sänger/Keyboarder Martin Byrialsen sowohl optisch als auch gesanglich absolut der aus der Velvet Goldmine gekrochene Siebziger-Jahre-David Bowie und der Dreh- und Angelpunkt eines epischen, Genregrenzen einreißenden und dabei erfrischend anarchischen musikalischen Spektakels, bei dem alle Beteiligten sowohl spielerisch als auch in puncto Stageacting alles geben.

Man kann einfach den Postrock-Stempel auf Lis Er Stille drücken, doch im Grunde wird das der Band nicht gerecht, da sie die klassische Rockmusik ja keinesfalls hinter sich gelassen hat, sondern sowohl ihre advantgardistischen, progressiven, exzessiven und theatralischen Seiten einfach mit großem Selbstbewusstsein umarmt und durchschüttelt.

Kayo Dot
bleiben für mich eine im Kern wesensverwandte Band, auch wenn die verarbeiteten Einflüsse nicht hundertprozentig identisch sind. Überschneidungen in Konzept und Ausführung höre ich allerdings eindeutig.

Gerade angesichts der Annährung de New Yorker an den Achtziger-Jahre-Pop auf der einen und der größeren Gewichtung auf spacige Elemente und Keyboards beim kommenden Werk der Dänen auf der anderen Seite, scheint mir die Verwandschaft sogar noch zu wachsen.


Was bei Lis Er Stille jedoch live besondere Freude macht sind nur das Ausufernde und Cinastische, sondern auch die gesunde Prise Chaos, die sie auf die Bühne schleppen. Jene ist in der Schaubude sehr klein und war schon mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und zwei Keyboarden vollkommen zugestellt. Noch dazu kommen ein paar weitere Instrumente wie eine einzelne große Tom oder ein elektronisches Saxophon (glaube ich...). Innerhalb dieses Instrumentenparks wurde dann noch munter getauscht, so dass zwischen den Songs oft gerückt, verschoben und umgestellt werden musste.
Das ist z.T. amüsant anzuschauen, genauso wie so einige technische Probleme, durch die sich die Band durchwursteln musste, unterstreicht allerdings auch den lebendigen, analogen Charakter den Lis Er Stille trotz aller elektronischen Spielereien verströmen.


Letztendlich war das Konzert einfach wilder, abgefahrerener, mitreißender geiler Scheiß auf ganz hohem Niveau, der ein zigfach größeres Publikum als an diesem Abend verdient hat.

Auf die Uhr geschaut habe ich nicht, aber da doch so eine Longtracks im Set verbraten wurden, wird dieses wohl schon ziemlich lang gewesen sein. Quantitativ stimmte also auch alles. Nur das fantastische neue Album "Empirical Ghost", von dem auch vieles gespielt wurde, hat es leider noch nicht aus dem Presswerk geschafft. Immerhin gibt es aber beim Kauf aller anderen Artikel die Downloadversion obendrauf. Da habe ich mir doch noch die Vinylversion der "Flight Of Belljár"-EP gegönnt.




Zum Fotografieren mit meiner Spielzeug-Harinezumi-Knipse ist die Beleuchtung der Schaubude zu schummrig. Nur ganz am Schluss habe ich ein paar Mal ausgelöst, als für ein wildes Finale, in dem Instrumente zu Boden geworfen wurden und auf der Bühne alles ineinander stürzte, das Stroboskoplicht angeworfen wurde.

Deswegen sind die Keyboards also mit Klebeband verarztet! Und da wundern die sich noch über technische Probleme... haha.


Auf jeden Fall eine Hammer-Show - nächstes Mal in der Nähe bin ich gerne wieder dabei!

2015-05-17

KING DUDE - Deal With The Devil

Was kann (und soll) man eigentlich zu einer Single schreiben, wenn man keine Lust hat, ihre beiden Songs tot zu analysieren?

Die Antwort ist wohl: nicht viel.

Und weil bei mir gerade Siebenzollrezensionswochenende ist, mach ich das nach Spidergawd und Voivod / At The Gates doch auch noch für den Dude.



KING DUDE - Deal With The Devil
(7") (2015)

Auch wenn ich das Ding nach dem Roadburn-Auftritt zusammen mit der "Burning Daylight"-CD gekauft habe und seine Split-Veröffentlichungen mit Chelsea Wolfe schon eine Weile länger kenne, wage ich mal zu behaupten, dass auch die aktuelle Single von King Dude alleine einen guten Einstieg in die Diskographie des Düster-Folk-Poeten darstellt.

Beide Lieder sind zwar eher im getragenen Tempo vorgetragen und repräsentieren von daher nicht so sehr den offensichtlichen Johnny Cash-Einfluss, und die ganz extrem tiefen Gesangsnoten werden nur angetäuscht. Doch urtypisch sind sie dennoch.

Sie zeigen den King als beschwörenden Singer/Songwriter, der mit tiefer Kehle und religiösen Motiven tiefschwarze Geschichten erzählt. Auf der A-Seite saucool mit wabernder Gitarrenbegleitung, auf der B-Seite noch klagender mit finsterballadigem Klavier.

Ja, und den Rest von dem, was diesen großen Entertainer ausmacht... den muss man eh selbst erleben.

Let's go bowling!  



Anspieltipps: Deal With The Devil, You Know My Lord

AT THE GATES / VOIVOD - Split

Und noch eine Single ist neulich bei mir eingetrudelt...



AT THE GATES / VOIVOD - Split 7" (2015)

Klar, ich habe mir diese Splitscheibe natürlich wegen der Voivod-Seite gekauft (und aus Sammeltrieb auch gleich die "Kluskap O'Kom"-Single obendrauf.

Und auch wenn ich ja momentan etwas angefressen bin, dass es die Kanadier auf ihrer nach diesem Song benannten Sommer-Festival-Tour nicht nach Norddeutschland schaffen, kann ich über "We Are Connected" nur literweise Lob ausschütten.

Wer auf dem letzten Album "Target Earth" besonders mit "Mechanical Mind" oder "Kaleidos" glücklich war, der wird diesen Siebenminüter lieben.
Ebenso wie jene Stücke schlägt "We Are Connected" gleichermaßen in die Kerbe der Alben "Nothingface", "Dimension Hatröss" und "The Outer Limits". Voivod at their proggiest und catchiest.
Chewy spielt sich einmal mehr vom übermächtigen Schatten Piggys frei und erweitert den Bandsound mit Leadgitarren, wie es sie in diesem Stil früher nicht gab.
Und dass das am Bass nicht mehr Blacky sein soll, dass mag man gar nicht glauben, so nahtlos fügt sich Neuzugang Rocky in die Gruppe ein.

Dazu noch Snake in Top-Gesangsform und ein rundum gelungender Sound. Was kann man mehr verlangen?

Away (jep, ich benutze heute mal nur die bürgerlichen Namen) hat schon durchblicken lassen, dass der Track wohl generell für die Richtung des nächsten Albums steht. Wenn das kein Grund zur euphorischen Vorfreude ist!



Dagegen kann die andere Seite eigentlich nur abstinken.

Das tut sie allerdings schon deswegen nicht, weil At The Gates mit ihrem melodischen Schweden-Death Metal stilistisch einfach so gar nicht mit Voivod vergleichbar sind.
Gemeinsam haben die Gruppen wohl nur ihr Label, und dass Away für beide Bands das gelungende schwarzweiße Coverartwork angefertigt hat.

So gesehen gibt es musikalisch durchaus stimmigere Splits.

Allerdings ist "Language Of The Dead" für sich ein starker Song, also stört mich das auch nicht.

Ob er für At The Gates-Fans als Kaufargument reicht, kann ich zwar nicht sagen, da mir die Band insgesamt kaum vertraut ist, für mich reicht er zumindest als Arschtritt, mich dieses Jahr auf dem Wacken Open Air zwischen Sepultura und  Queensrÿche mal näher mit den Schweden zu befassen.

Und das ist ja auch schon was.

Anspieltipps: We Are Connected, Language Of The Dead

2015-05-16

SPIDERGAWD - Fixing To Die

Eigentlich will ich ja nur meine hübsche Roadburn Edition-Single zeigen. Edel aufgemacht, handnummeriert (und sogar meine Geburtsjahrgangsnummer habe ich noch bekommen) - und natürlich mit saucooler Mucke drauf.




SPIDERGAWD - Fixing To Die (Roadburn Edition / white 7") (2015)

Die Rhythmussektion von Motorpsycho + Gitarre + Saxophon spielen treibend trippigen Blues Rock'n'Roll. Oder so ähnlich. Klingt in der Theorie schon gut, war auch vor einem Monat in Tilburg geil.

Trotzdem würde ich mir nicht zwingend für eines der beiden Studioalben ein Bein ausreißen. In erster Linie ist das halt Livemucke.

Die zehn Euro für diesen Siebenzöller waren aber doch noch in meinem Festivalbudget drin. Und ich hab sie gerne ausgegeben. Der "Fixing To Die Blues" ist ein quintessentielles Stück Spidergawd, das die wesentlichen Elementen diesen speziellen Gute-Laune-Rocks auf den Punkt bringt. Ein bisschen retro, dabei aber überhaupt nicht museal; also zeitlos. Geradlinig, aber nicht für Doofe.

Das Saxophon ist in dem Lied nicht so super auffällig, doch dafür gibt es ja die B-Seite.
"Ghost Rider" ist schon sehr repetiv und speziell. Aber so eine Single-B-Seite ist ja immer mal eine Gelegenheit, schräges Zeug zu verbraten. Und Laune macht es auch.

Also: Cooles Ding, kein must have, aber durchaus ein very nice to have.

Und ich wollte hier ja eh nur zeigen, wie hübsch sie ist.


Anspieltipps: Fixing To Die Blues, Ghost Rider

2015-05-14

BELL WITCH - Four Phantoms

Zeit für Superlative!

Schon als ich die ersten Minuten ihres Debütalbums "The Longing" auf YouTube gehört hatte, war für mich klar, dass ich unbedingt pünktlich von Beginn an beim Roadburn Festival sein musste. Und nun, nachdem ich sie live erleben durfte und beide Alben von ihnen besitze, gibt es für mich gar keinen Zweifel mehr; das us-amerikanische Doom-Duo Bell Witch gehört zur absoluten Speerspitze dessen, was dieses Genre jemals ausgebrütet hat.


BELL WITCH - Four Phantoms (2015)

Zunächst einmal muss ich feststellen, dass das tolle Cover-Artwork danach schreit, in LP-Größe bewundert zu werden. Leider war das Vinyl zum Roadburn noch nicht erschienen und es hieß für mich entweder das Debüt für 25 Euronen auf Schallplatte oder beide Alben für jeweils einen Zehner. Da war ich dann doch mal finanziell vernünftig.

Der Inhalt ist natürlich auch mit kaum noch lesbarem Albumtitel identisch: ca. 66 Minuten schwermütigster Funeral Doom in vier kolossalen Songbrocken. Bell Witch bleiben ihrem Konzept treu und erzählen ihre Texte ausschließlich aus der Sicht von Gespenstern. Vier Songs, "Four Phantoms" und - wie man auf dem Cover sieht - die vier Elemente Erde, Feuer, Wasser und Wind. Jedes Lied erzählt vom Tod in einem dieser Elemente und wie der jeweilige Geist für alle Ewigkeit im grauenvollen Moment dieses Todes gefangen ist.

Schwerer Stoff, der direkt auf menschliche Urängste anspielt, also. Zwar sind die Texte wohl gerade für nicht-englische Muttersprachler weder in den abgründigen Grunts des Drummers noch im gregorianischen Klagegesang des Bassisten zwingend auszumachen, doch die musikalische Umsetzung trifft das lyrische Konzept so auf den Punkt, dass man der Botschaft in keinem Fall entkommen kann.

Bell Witch zeigen für ihre quälende Langsamkeit ein erstaunlich präzises Zusammenspiel, bei dem jeder Ton, jeder Schlag tonnenschweres Gewicht hat. Dabei können sie verheerend brutal sein. Vor allem aber vermitteln Dylan Desmond und Adrian Guerra mit ihrer Musik ohne jeden Anflug von Kitsch eine grenzenlose Traurigkeit, wie sie kaum jemand zuvor auf Tonträger gebannt haben dürfte.

Und trotz aller Düsternis und unentrinnbaren Verzweiflung ist "Four Phantoms" ein sehr rundes, hörbares Werk. (Also relativ gesehen natürlich. Extreme Musik sollte man schon mögen)
Der Grund dafür ist, dass Bell Witch auch immer wieder die Sehnsucht nach dem Licht illustrieren, wenn z.B. über der gewaltigen sludgeverzerrten Basis trauernde Leads schweben oder der Bass einfach mal zwei Minuten lang unverzerrt für sich meditiert, während der Krach innehält. Dem kompletten Album wohnt so ein verzweifelter Drang zur Schönheit inne, was "Four Phantoms" letzlich zu einem zutiefst lebensbejahendem Hörerlebnis macht.

Für mich steht jetzt schon fest, dass dies ein Album für die Ewigkeit (hoffentlich nicht als Geist) ist, welches weit über 2015 hinaus Doomfreunde zum Verzücken bringen wird. Tatsächlich könnte man mich fragen, welcher Klassiker des Genres eindeutig besser als "Four Phantoms" ist, und mit würde wirklich keine Antwort einfallen. Ein Meisterwerk!


Und dann ist da ja noch die schmale Besetzung der Band. Beim noch etwas trockenerem Vorgänger "The Longing", den ich ebenfalls ohne Vorbehalte empfehlen möchte, staunt man ja noch manchmal, wie nur Schlagzeug und Bass ganz ohne Gitarristen so ein fettes Brett auftischen können.

Bei "Four Phantoms" hingegen haben Bell Witch ihren Sound dermaßen kultiviert und perfektioniert, dass man gar nicht mehr auf die Idee kommen kann, da noch irgendein Instrument zu vermissen.
Und wenn man dann noch weiß, dass dies keine Schummelaufnahme ist, sondern Dylan Desmond all diese parallel zu den tiefen Läufen getappten und geslideten Sounds auch live aus seinem 6-Saiter herausholt, macht es das Ganze natürlich noch besser.

Gewaltig!
  

Anspieltipps: Suffocation, A Burial: I - Awoken (Breaking Teeth), Suffocation, A Drowning: II - Somniloquy (The Distance Of Forever)


EDIT 01/2016:  Habe das Album nun auch in groß und schwer und dazu einen kleinen Ergänzungstext geschrieben.

2015-05-10

MOTORPSYCHO and STÅLE STORLØKKEN - En Konsert For Folk Flest

Diese Verfassung von Norwegen muss ja schon ein verdammt töftes Ding sein, so oft wie ich ihr dieses Jahr begegne. Laibach haben ihr zum zweihundertsten Geburtstag gratuliert, und auch auf dem Roadburn Festival konnte man ihr über den Weg laufen.

Und nun gibt es auch noch von Norwegens Rock'n'Roll-Trio Nr. 1 Motorpsycho und ihrem Jazz-Konspirator Ståle Storløkken ein Live-Album, in welches das Thema zumindest hineinwirkt.

In erster Linie ist "En Konsert For Folk Flest" aber ganz unabhängig davon der heißeste Anwärter auf den Titel des Livealbums/-Videos des Jahres.





MOTORPSYCHO and STÅLE STORLØKKEN - En Konsert For Folk Flest (2LP/CD/DVD) (2015)

Die Kombination von Motorpsycho und dem Jazz-Keyboarder und Komponisten Ståle Storløkken verspricht natürlich an sich schon einiges, haben diese zusammen doch 2012 mit "The Death Defying Unicorn" nicht weniger als eines der großartigsten Rock-Konzeptalben aller Zeiten auf die Welt losgelassen.
Deswegen musste ich auch nicht lange überlegen, als ich von dieser Veröffentlichung von Stickman Records hörte: die selbe Konstellation, diesmal jedoch live in einer riesigen Kathedrale, mit Streicher-Duo, vierundzwanzigköpfigen Chor und einer gewaltigen Pfeifenorgel.
Klingt nach einem Projekt, an dem sich viele Bands verheben könnten. Motorpsycho gehören aber wohl eher zu der Kategorie Gruppen, denen man blind bzw. taub vertrauen kann.

Also habe ich mir das Ding, welches nur in der hier beschriebenen Form zu haben ist, bestellt. Von außen sehr klassisch schlicht gestaltet, ähnlich wie "Death Defying Unicorn", enthält das Doppel-Gatefold eine Menge Inhalt: ein 24-seitiges Booklet im LP-Format mit den Songtexten, Liner Notes und verschiedenen Texten, die das Konzept beeinflusst haben, auf norwegisch und englisch, Das Konzert auf zwei Schallplatten und auf CD, sowie eine DVD mit einer Dokumentation zum Entstehungsprozess und natürlich auch noch einmal dem Konzert selbst.



Ähnlich wie bei Björks "Biophilia live" ist für mich auch hier die DVD das zentrale Medium, aber ein Genuss ist "En Konsert For Folk Flest" immer.


Doch was hat es nun mit diesem "Kozert für die meisten Leute" auf sich?

Es begann damit, dass der Direktor des größten Kulturfestivals Trondheims ein Konzert der "Death Defying Unicorn"-Tour sah und die Band einlud, einen exklusiven Beitrag zu den Olavsfestdagene beizusteuern.

Motorpsycho war der Zeitpunkt für ein neues Großprojekt damals aber zu früh, also einigte man sich darauf, 2014 etwas zu machen, dem Jahr in dem die aufwendige Renovierung der Steinmeyer-Orgel im Nidarosdom abgeschlossen sein würde.
Und da auf dieses Jahr auch schon der eingangs erwähnte Verfassungsgeburtstag fiel, gab es die inhaltliche Vorgabe, etwas über das Folk, über die Norweger zu sagen.

Folk Flest
, "die meisten Leute", ist eine in der norwegischen Öffentlichkeit - und gerne auch von Populisten - überstrapazierte Phrase, mit der sich der Schriftsteller Johan Harstad in seinem furiosen "Manifest for folk flest" auseinandergesetzt hat. Davon inspiriert stellen auch Motorpsycho die Frage, wer denn diese meisten Leute, diese moralisch überlegene Mehrheit der Norweger sind.

Und sie tun dies - erstmals in der Bandgeschichte in ihrer Muttersprache - in fast schon dadaistischer Form, als eine Art stream of consciousness aus zusammengesetzten Fantasiebegriffen, die sich auch ohne Kenntnisse des Norwegischen sehr interessant liest und wie eine skandinavische Mischung aus Magma-Texten und Einstürzende Neubauten-Wortspielen daherkommt.

So enthält der Songtitel "Mammonumamikoma" die auch im Deutschen bekannten Begriffe Mammon und Koma, sowie ein Wort, das den hafentypischen, stechenden Fischgeruch beschreibt.
Und der Ort Kebabylon ist natürlich jene Straße in jeder Stadt, wo sich am lange geöffneten Dönerimbiss die Trinker und Partygänger treffen.

Noch ein paar kleine Textauszüge:

"vergangenheitsbewältigung
forgått/forlatt/for tung
evigfriogevigung"

"Lykkepilegrim;
vel avsted,
en reisende
i brutto-nasjonal-fortrengningers
demon-amin-re-opptaks-funksjonshemninger"

"satanberg
riksløvetannfefolkogfjærlettsaus
kakkerlykkelig
greioggladpakrovisjournalist"
 

Gesungen werden die Texte ausschließlich vom Chor, der jeder noch so schrägen Zeile eine unglaubliche Gravitas gibt. Die Chorarrangements sind dafür dass sie von Rockmusikern kommen, sehr anspruchsvoll, insbesondere mit den rhythmischen Herausforderungen dieses Konzertes dürften die Sänger/innen sonst selten konfrontiert werden.
Stilistisch drängt sich einem gerade im Zusammenhang mit den prog- und jazzrockenden Passagen auch musikalisch der Vergleich mit Magma auf, andere Passagen lassen eher an Horror- oder Fantasy-Soundtracks oder die beiden naheliegendsten Einflüsse, klassischen Kirchengesang oder typische Motorpsycho-Harmonien mit multiplizierter Kehlkraft denken.

Instrumental machen Motorpsycho eine große Wundertüte auf, sozusagen für für "für die meisten Leute", die sich für Musik interessieren etwas dabei, unter maximaler Ausnutzung der Möglichkeiten, aber auch unter Beachtung der speziellen Restriktionen der Spielstätte.
So kann man bei einem Raumhall von acht Sekunden nicht in jedem beliebigen Tempo spielen, ohne unverständlich zu werden, und natürlich ist da die gewaltige Herausforderung und Chance, welche alleine die übermächtige, im Zentrum des Ganzen stehende Kirchenorgel darstellt.

Etwa eine Stunde lang wechseln sich Rockepen zwischen sieben und siebzehneinhalb Minuten mit mal eher choralen, mal experimentellen Zwischenspielen mit Drone/Ambient-Anteilen ab.

Motorpsycho zeigen sich von ihrer proggigen Seite, mal lässig jazzig groovend, mal ihren größtmöglichen Bombast abrufend, immer mit cooler bis knarziger Kante. Das Streicherduo Sheriffs Of Nothingness bedient seine Instrumente dazu oft unkonventionell und steuert viele atmosphärische Geisterklänge bei.
Ståle Storløkken spielt mal leichthändig im Sinne von Pink Floyd, mal gibt er die tiefsten Pfeifen der Orgel frei und entfacht zusammen mit Band und Chor eine unglaubliche tiefe Wucht, von der sich so manche Doom/Sludge-Kapelle sicherlich gerne eine Scheibe abschneiden würde.
Alles in allem bietet die Musik den packenden Rock auf allerhöchsten Niveau, den man von Motorpsycho in den letzten Jahren gewohnt ist (ich persönlich seit "Heavy Metal Fruit") und reichert diesen erfolgreich mit neuen orchestralen, cineastischen, klerikalen, lyrischen Elementen an.

In der Mitte des Sets nimmt die Band selbst sich für über zehn Minuten ganz zurück und lässt vor allem Storløkken solo machen. Die Bilder, wie Hans Magnus Ryan und Bent Sæther währenddessen ihre Instrumente stillhalten und lächelnd mit glänzenden Augen lauschen, gehören zu den stärksten des ganzen Videos. Und sie sahen, dass es gut war!


"En Konsert For Folk Flest" ist eine ganz außergewöhnliche Veröffentlichung. Motorpsycho (und ihr kongenialer Mitstreiter) machen einfach keine halben Sachen.
Ein toller Beleg dafür, was Rockmusik alles kann - und einfach ein fantastisches, einmaliges Konzert.

Anspieltipps: Lykkepilegrim, Kebabels tårn, Mammonumamikoma, Grandiosa, Imens ved Bipolarsirkelen...

2015-05-09

BLUES PILLS - live

Zu früh?

Erst zwei EPs, davon eine live, sowie ein Studioalbum, in welchem auch die EP-Songs neu verwurstet wurden, und deren Special Edition ein komplettes Konzert auf DVD enthält - und nun schon das "Live"-Album?

Muss das sein?

BLUES PILLS - Live (2015)

Eines muss man Nuclear Blast auf jeden Fall lassen: das Label weiß die Blues-Kuh zu melken.
Aber immerhin verkaufen sie uns "Live" auch nicht als das ganz große Konzertalbum für die Ewigkeit. Denn zum einen muss man sich für die Zukunft ja noch Raum noch oben offen lassen. Und zum anderen ist das Repertoire dafür einfach noch nicht groß genug. Das zeigt schon die Tatsache, dass in der Vinyl-Version nur drei von vier Seiten abspielbar sind.

Die Verkaufsstrategie ist hier wohl eher rarer Sammlerkult in spe, auch wenn man es ja nicht wirklich glauben mag, dass das Ding tatsächlich und diesmal ganz ehrlich limitiert und danach nicht mehr zu haben sein soll. Irgendein Schlupfloch finden die schon, z.B. "jetzt mit richtig aufgedruckter Tracklist". Die unterschlägt bei der CD-Version nämlich den Titel "In The Beginning".

Aufgenommen wurde das Album 2014 auf dem Freak Valley Festival. Und das ist im Grunde auch das wichtigste Argument für diese Veröffentlichung. Denn das dieser erste Festival-Headliner-Gig gerade auf diesem Festival der Band selbst eine Menge bedeutet, das lässt sich nicht nur in Interviews nachlesen. Nein, das merkt man auch der Performance an, die einfach dieses gewisse, schwer zu fassende Etwas hat.

"Live" ist also durchaus eine tolle Live-Scheibe, mit der man als Fan nichts verkehrt machen kann. Aber für das "Made in Japan" der Blues Pills braucht es noch ein paar Jahre Erfahrung und ein paar Minuten Songmaterial mehr.

Dann kann man ja vielleicht auch mal den gefühlt schon etwas überstrapazierten "Devil Man" weglassen.

Anspieltipps: No Hope Left For Me, Ain't No Change, Astralplane

2015-05-01

THE PAPERMOON SESSIONS - Live At Roadburn 2014

Ok, nach all dem englischen Gedöns aus Holland schalte ich mein Blog mal wieder in den deutschsprachigen Modus. Mehr englische Artikel zu veröffentlichen, wäre zwar gar nicht mal unverlockend, da es die Reichweite durchaus erheblich erhöht, aber ich bin ja schon in meiner Muttersprache nicht unbedingt der schnellste Schreiber, also lassen wir das mal...

Thematisch bleibe ich aber noch - und gewiss nicht zum letzten Mal - beim Roadburn Festival, mit einer Scheibe, die eigentlich schon auf meinem Merchandising-Einkaufszettel eben dort gestanden hätte, auf Vinyl allerdings nicht mehr ganz rechtzeitig zum Fest fertig wurde.




THE PAPERMOON SESSIONS - Live At Roadburn 2014 (clear vinyl) (2015)



Nachdem mich ja schon das "Live At Roadburn"-Album von Papir sehr begeistert hat, war es gar keine Frage, dass ich auch die Live-Aufnahme der Papermoon Sessions  mein eigen nennen musste; zumal ich bei dieser Show ja auch leibhaftig miterlebt hatte.

Somit habe ich über die zwei jeweils über zwanzigminütigen Jams, die hier in die mundgeblasene, transparente Vinylscheibe handgeritzt wurden, natürlich schon einmal ein paar Worte im Live-Review verloren.

Und genau wie im späteren Text zum Studioalbum habe ich mich ziemlich kurz gefasst. Tatsächlich habe ich sogar aus reiner Sonderzeichenfaulheit unterschlagen, dass neben dem genannten dänischen Trio und der Dame Komet Lulu sowie dem Herren Sula Bassana (beiden von Electric Moon) auch noch Mofens Deenfort vom Øresund Space Collective in zentraler Rolle an Keyboard und Gespace mit dabei war.

Und daran, dass ich mir den Versuch einer detaillierten Analyse dieser Musik sparen möchte, hat sich auch nichts geändert. Hier treffen sich Profis ihres Genres, um sich und ihr Publikum in langen Instrumental-Jams mit den sprechenden Titeln "Powdered Stars" und "Blazing Milky Way" in wohlig entrückte Trance zu spielen.

Dabei passiert durchaus eine ganze Menge. Für den Genuss des Albums ist es aber unerheblich, alle Soundfacetten aufzudröseln. Ist man der Richtung gegenüber generell aufgeschlossen, dann steigt man einfach in sein knallpsychedelisches Gummiboot und lässt sich durch alle Wogen treiben. Ein exzellenter Wellenritt ist garantiert.

Was mir bei dieser LP schon gleich nach dem sehr unmittelbaren Beginn, bei dem alle Beteiligten sofort voll da sind, auffiel, ist dass dieses Ding wirklich exakt so klingt, wie ich es vom Liveerlebnis vor einem Jahr in Erinnerung  hatte. Und das soll keine Lobhudelei auf mein geiles Musikgedächtnis sein, sondern ein Beleg des starken Sounds, den die sechs Jamoholiker hier kreiert haben.

Als Album finde ich zwar - auch ohne jenen Auftritt selbst gesehen zu haben - das Doppelvinyl von Papir dank mehr Struktur und deutlicherer Spannungsbögen noch stärker, aufgrund des hohen Niveaus beider Darbietungen sagt das allerdings nicht viel.
Müsste sich jemand zwischen beiden Alben entscheiden, würde ich jedenfalls guten Gewissens zum Würfel raten.

Weltraum, ich komme!


Anspieltipps: Seite A oder B

my ROADBURN After-Afterburner: KAYO DOT + BOTANIST live at the Hafenklang, Hamburg (13.04.2015)

See you next year (hopefully), Oisterwijk!

Wow! Monday morning and four full festival days of Roadburn (plus the warm up on Wednesday) madness were behind me.

I had managed to to see a respectable portion of my ambitious running order. Actually I had posted my planned schedule on facebook before the festival. Now I've added some markings.
circled RED: I want to see this!
circled PINK: Also interesting, but how without splitting myself up?
GREEN:  the shows I actually saw (Or at least parts of it. But of most shows I had in fact seen all or more than two thirds.)


 
 
 
Not bad, eh?

But as I already mentioned in my review of Saturday, I still wanted to see Kayo Dot and Botanist on their stop in Hamburg. I was leaving at ten in the morning, doors open was ten hours later.
Of course the drive doesn't even take close to that long, but in post-Roadburn-condition it comes pretty easy to add a little extra time at lunch or power-nap breaks.

Speaking about lunch: After I had had a traditional swedish meal at IKEA Hengelo, I killed some time in the neighbouring MediaMarkt and was really impressed about the size of their vinyl department compared to those of the MediaMarkts in Northern Germany.
Browsing through the records had a touch of a flea market feel, because most of them were stored in cardboard boxes, due to construction works. Those works included some really devastating noise, far more crushing than almost everything I had "endured" the week before. That speaks for the sound guys in Tilburg - and shows you that it can always get more brutal.

Though I was seriously tempted by Herbie Hancock and some others, I didn't buy any record.

Yes, you know why...

Botanist, Bongripper, SubRosa,
Fields Of the Nephilim, Bast,
Kayo Dot, The Osiris Club, White Hills,
Virus, Slomatics, Napalm Death, Bell Witch, Zombi,
Bell Witch, A Storm Of Light, The Mount Fuji Doomjazz Corporation, King Bong,
Vattnet Viskar, Spidergawd, Goblin,
2 x King Dude

All great stuff, some nice special editions... hard to choose favorites.

White Hills are stuck in my head almost 24/7, both Bell Witch albums are absolutely stellar doom masterpieces for the ages, Virus and The Osiris Club are fantastically freaky. Everything here is praiseworthy, even the free King Bong promo CD-R.

I got the Spidergawd 7" the day after they had played, and luckily among the few of the 200 hand-numbered pieces there was still my year of birth number 77.

This picture still misses: one Roadburn cap, one free The Heads poster and one Kayo Dot download card.

And the big B for Botanist wasn't purchased at Roadburn, but in Hamburg.


Hamburg

I still arrived early, parked my car at the Fischmarkt and walked to St. Pauli Landungsbrücken with my medium format camera. As soon as I had put in my film roll and before I had taken a picture, I was approached my two guys interviewing people around the harbour.
What do you like especially about the harbour? Why do you shoot photographs here?
I hadn't been there for years and I just happened to be there, because the Hafenklang club is in that area... Man, this encounter was too complicated for me right now.

Ate a little fish in the Haifisch-Bar and then it was finally time to wait for doors open at the Hafenklang, where Kayo Dot were announced not quite in their recent line up...


one, two, three, four, four, four... wait

Even though the Hafenklang is only connected with memories of great concerts for me, I must admit that it was a harsh step back into reality from Roadburn into the dim lighted club (no useful live photos this time), waiting for the room to fill up with people, which unfortunately didn't happen in the scale this package deserved.

Monday in Hamburg, relatively obscure bands... There must have been around thirty paying fans. Certainly a whole different kind of gig that what both bands had experienced in Het Patronaat on Saturday.


But they both delivered great performances, starting with Botanist and their strangly entangling black metal on hammered dulcimers and harmonium (plus bass and drums).
With those massive string instruments on stage, the also unusual green-brown Sunn O))) hoods and the roughly four meters tall singer croaking with his face hidden behind a black veil Botanist already looked like no other band out there. Musically the familiar raw darkness, blastness and occasional bumpiness of black metal contrasted with a trancendent, ethereal quality, which in itself varied between crystalline clarity and dreamy haziness, like magical pollen that educes hallucinations...

I liked it immediately. But even as I stood there enjoying the music, I wasn't really sure if it was more the quirkiness and bravery of this whole concept (of plants destroying mankind and reclaiming Earth) or the actual qualtity of its delivery which drew me into this.
After the show I bought the "Flora" record and it still grows on me. So now I know for sure that the music actually is very good.

Botanist is a band capable of unique unheard grandiosity, enwrought with a very weird underlying humour. A good combination if you ask me.



Kayo Dot, successor of Maudlin Of The Well, has seen a great variety of personnel and musical styles over the years - and it has never been a group that's easy to grab or to describe. Not even close.
But no matter where Toby Driver drove his ship - ambient waves, orchestral deeps, infernal black storms, falsetto singing or bellowing -, it has always been music which demands the listener's attention to fully experience all of its compositional flow and jazzy sensibility.

As always the current album "Coffins On Io", which built a good portion of the live set, introduces some new ingredients. There is a strong pop appeal, which does not mean, this would have any chance of bringing a big commercial breakthrough. No, it's sounding as if someone had taught pop bands of the eighties how to play smooth jazz. Accessible, yet still very advantgarde.

All this translates wonderfully into the live setting. So many different states of mind and emotion, all expressed with so much musical passion and highest instrumental prowess. It's useless to highlight one of the four musicins, as they all were constantly on top of their game and having their special spots. Yet I have to mention that whenever the keyboardist switched to saxophon, that was when it couldn't get any better.

Between the songs it got akwardly silent after the applause. I hope the band didn't get that wrong. It was Monday, we were only thirty people - and people were just too stunned to chatter.

The only real flaw of this concert was that after half of the set I just couldn't stand on my feet anymore. The rest however was fantastic.




So that was it! Six days of live music action and just a one hour drive home ahead of me.
This was one of the biggest musical marathons I've ever gone through. And it was all worth it!

I haven't drawn comparisons to my previous Roadburn experiences yet, because it's just pointless. Maybe the Afterburner of 2014 was stronger, but to say that would unneccessarily diminish the performances of White Hills, Bongripper, Goblin, Bast and The Osiris Club.
There also was no band like Magma this time, but hey - there is no other band like Magma.
And on the other hand: There is no other band like this year's Fields Of The Nephilim either.

So each Roadburn is its own unique thing. What indeed got better from 2012 to 2014 to this year is that I personally watched more and more of the great artists performing there each time.

And I can't wait to see what Roadburn-Walter pulls out of his hat for 2016.

So see you in Tilburg then!