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2023-11-30

KING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD - The Silver Cord

Wooooohoooooooooooo!

Ok, ich kann nicht behaupten, die Memo nicht bekommen zu haben. Ich habe sie nur nicht richtig gelesen. Und so ging ich, als ich meine Doppel-LP des neuesten (tatsächlich immer noch!) Albums von King Gizzard and the Lizard Wizard bestellte, davon aus, dass sie sowohl das reguläre Album als auch den Extended Mix enthalten würde. Stattdessen bekam ich allerdings nur den letzteren. Aber das ist, wie ich gleich ausführen werde, auch ok so.

Da beide Versionen gleichzeitig dasselbe und verschiedene Werke darstellen, rein digital aber stets zusammen präsentiert werden, beziehe auch ich beide Varianten von "The Silver Cord" in mein Geschreibsel mit ein.


KING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD - The Silver Cord (Extended Mix) (Rain of Sorrow Edition 2LP) (2023)

Beginnen wir doch mit der bemerkenswerten Tatsache, dass dies erst das zweite Studioalbum ist, welches die hyperproduktiven Genre-Hopper aus Australien dieses Jahr herausgebracht haben!
Und wer nicht gerade zu jeden Fans gehört, welche die Band eigentlich nur zu ihren Garagenpsychedelicwurzeln zurückkehren sehen möchte, der muss zugeben, dass diese Priorisierung von Qualität über Quantität keinesfalls ein schlechter Schachzug ist.
Dabei ist es natürlich zentrales Markenzeichen der Gruppe, bei jeder Veröffentlichung - ganz egal, wo sie uns stilistisch hinführt - ein hohes Niveau und ihre eindeutig wiedererkennbare Identität zu wahren. Von den fünf 2022er Alben habe ich mir zwei allerdings noch nicht einmal angehört. "Ice, Death, Planets, Lungs, Mushrooms and Lava" hingegen hat sich vor allem als großartiger Jam auf langen Autofahrten erwiesen. Das Potenzial, auf lange Sicht mit dem besten Material der Band mitzuhalten, spürte ich allerdings nur beim auf alles scheißenden, wagemutig kurzen und chaotischen "Made In Timeland".

Dieses Jahr erschien nun aber bereits der gnadenlose Thrash-Metal-Dampfhammer *LuftfürdenlangenTitelhol* "PetroDragonic Apocalypse; or, Dawn of Eternal Night: An Annihilation of Planet Earth and the Beginning of Merciless Damnation", ein Doppelalbum, welches die ersten Dreschansätze von "Infest The Rats' Nest" and das Psych-Prog-Meisterwerk "Polygondwanaland" in eins verschmolz und noch eine Menge zusätzlichen Pfeffer, Präzision und Energie hinzufügte. Das Ergebnis kann nicht nur mit allem mithalten, was King Gizzard jemals zuvor gemacht hat, sondern kann sich auch innerhalb der tatsächlichen Metal-Szenen behaupten, von denen es inspiriert wurde. Ein absoluter Knaller!
Es enthielt außerdem noch eine erzählte Ambient-Version der gesamten Geschichte aus einer anderen Perspektive als Bonustrack.

Und hier kommt nun "The Silver Cord" und öffnet eine komplett neue Dose Echsen, während es gleichzeitig ebenso sehr eine weitere Version der PetroDrakonischen Apocalypse präsentiert. Ja, ich weiß, das klingt alles nach einer Menge. Es ist aber irgendwie erklärbar. Hoffe ich zumindest, anderseits würde der Rest dieses Textes ein Krampf. Aber ich bezweifle dies und schütze mich einfach mit einem präventiven Auflockerungsschrei davor.

Wooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooh!!!

"The Silver Cord" ist mit knapp sechsundzwanzig Minuten ganz klar eines der bisher kürzesten Alben von King Gizzard and the Lizard Wizard. Es ist auch der mit Abstand weiteste Vorstoß der Band in vollelektronische Gefilde, werden hier doch erstmals gar keine akustischen Instrumente mehr gespielt. Stattdessen bekommen wir jeden Menge Vintage-Synthesizer, Effekte, komplett künstliche Drums und sogar Gitarrensynthesizer auf die Ohren - ein vollkommenes Bekenntnis zum Konzept also. (Die Credits dazu sind ähnlich nerdig detailliert wie auf Blood Incantations Ambient-Ausflug "Timewave Zero".)

Die sieben kleinen Stücke fließen alle ineinander über, so dass sich das Album beinahe wie ein einziger zusammenhängender Track anfühlt. Auch das offizielle Video zu den ersten drei Songs "Theia", "The Silver Cord" und "Set" unterstreicht diese Idee.


Letztendlich sind sowohl diese Triple-Single als auch das gesamte Album zwar unterhaltsam, wenn man nicht so viel Zeit hat, dienen aber im Grunde nur als Vorgeschmack auf das eigentliche Ding, den Extended Mix. Mal im Ernst: Wer schaut sich heute noch die Kinofassung der Herr der Ringe-Trilogie an?

In der erweiterten Version schwillt der Opener von dreieinhalb auf fast einundzwanzig Minuten an, während auch alle folgenden sechs Tracks mindestens die Zehn-Minuten-Marke knacken. Was das Ganze folgerichtig zu einem herrlich exzessiven Neunzig-Minuten-Doppelalbum macht. Oder kurz gesagt: Woooh, schweinigyle!

Sounds zwischen Schultze, Kraftwerk, 80er Pop und 90er umpffumpffumpff Euro-Dance, hin und wieder und auch Breakbeats. Unwahrscheinlich, dass hier gezielt eine spezifische Bewegung Pate stand. Es scheint vielmehr - wie immer so - dass King Gizzard einfach das machen, worauf sie Bock haben. Ähnlichkeiten entstehen hier vor allem durch die Klangpalette des benutzten Equipments.

In ihrer ewigen Länge durchlaufen die Tracks alle verschiedene Phasen: progressiv, hypnotisierend, aber durchaus auch mal so richtig Vollasi mit Beastie Boys-Rapalarm. Gesanglich ist eh für viel Abwechslung gesorgt, wobei mir neben Ambys Partyhiphop-Passagen vor allem Joey gefällt, der es im Titelsong irgendwie schafft, die emotionale Düsternis von Emilíana Torrini in "Gollums' Song" (huch, noch eine Herr-der-Ringe-Erwähnung!) heraufzubeschwören. Stu hingegen, welcher den Chefkomponistenmantel dieses Jahr offensichtlich Joey übergeben hat, schwankt hier ein wenig und passt eigentlich immer am besten zum Elektrosound, wenn er eine tiefere kehlkopflastigere Stimmlage zum besten gibt.

Eine sehr spezielle Phase in jedem Track ist jene, wenn auch durch textliche Rückgriffe aufs letzte Album ("Motor Spirit" / "Converge!" / "Gila! Gila!") deutlich gemacht wird, dass alle Songs tatsächlich auf denselben Ideen wie ihre vermeintlich vollkommen gegensätzlichen Metal-Gegenstücke auf "Petrodragonic Apocalypse" beruhen!
Was genau die inhaltlichen Brücken zwischen der Over-the-top-Komplettzerstörung des Planeten und dem kosmisch-esoterisch mesopotamischen Mystizismus von "The Silver Cord" sind, überlasse ich fleißigeren Lyrikanalysten zu ergründen. Es ist auf jeden Fall eine lässige neue Ebene, ein beeindruckendes Yin zum Yang (oder umgekehrt?) und vor allem eine erbarmungslose Ohrwurmschleuder! So hirngestört und abhängig haben mich King Gizzard & The Lizard Wizard selten hinterlassen. Die Produktion gehört auch zum allerfeinsten aus dem hause KGLW - was für ein Kopfhörertrip! Einfach ein Spaß Spaß Spaß machendes fettes Hammeralbum.

Nur "Chang'e", der Track im Zentrum des Album wirkt mit seiner eher auf "Butterfly 3000" passenden Zuckersüßlichkeit doch etwas deplaziert in dieser Tanzopalypse und entwickelt leider ein paar Längen. Alles andere ist einfach so viel stärker!
Wer also Playlisten nutzt, dem würde ich als ideale Version von "The Silver Cord" grundsätzlich immer zu sechs Siebteln den Extended Mix empfehlen - mit der einzigen Modifizierung, Stück vier sozusagen als Zwischenspiel durch die kurze Version zu ersetzen, so dass der Fluss zwischen den wild fetzenden Tracks drumherum nicht mehr gestört wird. Dann stimmt alles. Und für den Connaisseur der Quantität sind es insgesamt ja auch so immer noch stolze zweiundachtzig Minuten Spacedisco. You will see everything you can be in the music!

Das Coverfoto ist jetzt schon Kult, der Metallic-Druck der Rain of Sorrow-Edition schreit Achtziger-Jahre - und geht ganz scheiße zu fotografieren. Das transparente Vinyl mit blauem Splatter ist ebenfalls ein Hinkucker. Wie immer ist das Ganze leider viel zu kostspielig - aber halt auch leider leider leider geil. Aber sowas von!
Muss ich noch erwähnen. dass mir die kurze Version Albums digital reicht? Habe ich ja eigentlich schon erklärbärt. Da könnte mich höchstens noch eine Veröffentlichung in einem anderen physischen Format (also CD oder Kassette) erweichen.

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2023-11-28

JO QUAIL und CORECASS live im Hafenklang, Hamburg (27. November 2023)


Gestern Morgen hatte ich einen wirren Traum, an dessen Handlung ich mich natürlich nicht erinnern kann, in dem jedoch irgendwie eine Austellung in einem riesigen Museum eine Rolle spielte. Aus einem Raum dort kamen fantastische Klänge, elfen- und todesfeengleicher Gesang. Ohne die Besucher zu beachten, spielte dort einfach so Anna von Hauswolff mit Ideen herum.
Als ich nach dem Aufstehen vor meinen Kleiderschrank stand, griff ich mir davon beeinflusst natürlich mein Anna von Hausswolff "All Thoughts Fly"-Tourshirt. Und als ich ins Auto stieg, um zur Arbeit zu fahren, spielte der Player doch tatsächlich das Livealbum von Anna von Hauswolff.

Zwischenzeitlich dachte ich mir da, ich müsste später am Abend wohl mal Jo Quail fragen, ob sie vielleicht kürzlich etwas für oder mit Anna aufgenommen hat und der Kosmos mir einen Hinweis darauf geben wollte.
Tatsächlich stellte ich nach montagabendlicher Fahrt durchs erste winterliche Wetter im hamburger Hafenklang fest, dass ich tatsächlich auf den Supportact des Konzerts vorbereitet worden war.






CORECASS

Hinter Corecass verbarg sich ein experimentelles, sehr filmmusikalisches Projekt der Hamburgerin Elinor Lüdde, welche in unterschiedlichen sehr atmosphärischen Bewegungen Harfe, Elektronik, Orgeln, Effekte und gelegentlichen Gesang miteinander verband, was mich sehr bald an - natürlich - Anna von Hausswolff, aber auch Kali Malone und Jóhann Jóhannsson erinnerte. Der Hypesticker der "V O I D"-CD erwähnt hingegen stattdessen Hildur Guðnadóttir - dicht genug, würde ich sagen. Begleitet wurde sie von einem Mitmusiker, der entweder einen sehr geduldigen, als Textur dienenden Drone-Bass spielte, oder Gitarre, welche mit eher post-rockigen Ansätzen ihr elektroakustisches Gemisch aus mystischem Ambient, klerikalen Stimmungen und kitschfreier Neoklassik ergänzte.

Zwischen den einzelnen Segmenten der Performance blieben immer noch Restklänge übrig - oder zumindest eine Ahnung davon, da die Lüftung?Heizung?Klimaanlage? des Hafenklangs ein permanentes Grund-Meeresrauschen erzeugte, welche es erschwerte auszumachen, wann tatsächlich theoretische Stille herrschte. Das Publikum im heute mal teilbestuhlten Saal traute sich also erst ganz am Ende, dem Auftritt seinen wohlverdienten Applaus zu spenden.

So bequem es war, in der Mitte der ersten Reihe zu sitzen, so sehr schaffte es der Laptop auf der Bühne, mir oft den Blick auf die Künstlerin zu versperren. Sonst hätte ich wohl noch eine handvoll Bilder mehr gemacht. Ansonsten war es aber ein großartiger, dichter und inspirierender Auftritt.

Das hatte ich ehrlich gesagt aber schon geahnt oder zumindest gehofft, als direkt vorher - mich zu einem anderen tollen Konzert der letzten Zeit zurückwerfend - der komplette Longtrack "Again" von Archive aus den Boxen gekrochen kam. Nach so einer Konservenvorlage muss man ja einfach abliefern.









JO QUAIL

Ich hatte sie auf der Bühne mit Myrkur und Mono gesehen, als Toursupport von Mono und Emma Ruth Rundle und als eine der triumphalen Hauptgewinnerinnen des Roadburn Festivals 2022, wo sie ihr eigenes Orchesterwerk "The Cartographer" vorstellte.

Nun also war Cellistin extraordinaire Jo Quail Headlinerin ihrer eigenen Solotour. Angesichts der Tatsache, dass sie eine sehr spezifische, von Szenen und sogar der teutonischen Unterscheidung zwischen E- und U-Musik losgelöste Nische bespielt gerade in diesen Zeiten - und an einem schietwetterigen Montag - kein risikoloses Unterfangen.
Für diese Umstände hatten sich allerdings genügend Zuhörer eingefunden und man merkte schnell, dass die redselige Engländerin sich hier eingerahmt von ihren mitgebrachten Stahl-Dekoskulpturen wohnzimmerig wohl fühlte.

Hauptsächlich auf ihrem unverwechselbaren E-Cello, zwei Mal jedoch auch akustisch spielte sie Stücke quer durch ihre Diskographie und auch ein wenig darüber hinaus.
Und auch wenn sie natürlich bereits ohne Tricks mit beeindruckend virtuosem und gefühlvollen Spiel und vielen interessanten Musikgesichtern punktet, ist ihr Alleinstellungsmerkmal natürlich die hohe Schule des Loopens, mit der sie zunächst minimalistisch oder manchmal auch leicht verwirrende Stücken zu mächtiger ausdrucksstarker Majestät steigert.

Gleich beim ersten Stück machte sie zum ersten mal auf der Tour einen groben Schaltfehler, der dazu führte, dass auch sämtliche nicht zur Wiederholung vorgesehenen Parts mit in die Schleife eingespeist wurden. Das war der Künstlerin ziemlich peinlich, sie hätte es aber problemlos als Feature statt Bug verkaufen können, klang es doch tatsächlich ziemlich überwältigend. Es war also gleich klar: Selbst wenn Jo Quatsch macht, kommt dabei immer noch fantastische Musik raus.
Unfassbar, was für komplexe Schichten mit nur einem Instrument (und zahlreichen Spieltechniken) erzeugt werden können.

Ich hatte den Eindruck, dass ihr Auftritt - zumindest danach - nur noch souveräner und gekonnter geworden ist - was für eine grandiose Musikerin und Komponistin! Tolle fantasieanregende Musik, ihre humorvolle, leicht chaotische Art wie immer als sympathischer Bonus - was wollte man mehr?
Ein neues Album vom Merch-Tisch vielleicht? Habe ich natürlich abgeerntet. 

Nur das bereits erwähnte hypnotisierende Dauerrauschen machte - selbst wenn die Künstlerin es als Teil des gedachten Szenenbildes zum Teil der Performance erklärte - auf Dauer etwas müde. John Cage im Hafenklang zu interpretieren wäre definitiv eine derbe Herausforderung.








2023-11-22

BJÖRK live in der Barclays Arena, Hamburg (21. November 2023)

Wenn ich gerade von einem Konzert heimgekehrt bin, kann ich mich für gewöhnlich nicht einfach gleich ins Bett legen, sondern beschäftige mich noch ein bisschen am PC, bis ich wirklich runterkommen und abschalten kann. Das schließt oft ein, schon mal das Titelbild für meinen Bericht auszuwählen und zumindest eine Vorauswahl meiner sonstigen Bilder vom Abend zu treffen und vielleicht sogar bereits webfertig zu bearbeiten. Maximal füge ich die Bilder dann sogar schon mit ouiewflhldjklufödsf-Fülltexten zu einer Schablone für meinen Blogpost zusammen.

Bei Björk war allerdings absolutes Fotografieverbot während der Show angesagt, so dass ich nur ein oben ins Logo gebasteltes Bild vom Vorhang habe und nun tatsächlich noch am selben Tag zumindest diese ersten Absätze formuliere.

Ich will übrigens nicht meckern. Als Konzertbesucher fand ich das Verbot sehr vernünftig und nachvollziehbar, da angesichts des atemberaubenden Multimediaspektakels, was sich auf der Bühne abspielte, die vielen kleinen Smartphonebildschirme wirklich gestört hätten.
Als Rezensent hingegen wäre mir der Luxus, gerade dieses visuelle Großereignis bebildern zu können, allerdings durchaus willkommen.

Das Gastspiel der Isländerin in der drölftausend Leute fassenden Barclays Arena war natürlich die mit Abstand größte Soloshow, die dieses Jahr auf meinem sonst eher gemütlichere Locations vorziehenden Konzertkalender stand. Über zehn Jahre ist es her - damals war O2 noch der Sponsor des Puffs - dass ich zum ersten und einzigen Mal hier gewesen bin, damals für Iron Maiden. Ob und was sich verändert hat, kann ich nach der Zeit natürlich kaum beurteilen, abgesehen davon dass es sich diesmal um ein Sitzkonzert handelte und ich vor Beginn noch genügend Zeit für eine ihrem Preis nach mit Blattgold verzierte Currywurst mit Pommes hatte.

Mein Platz befand sich im Innenraum und erwies sich angesichts der simplen numerischen Ordnung als überraschend schwer zu finden. Erst als es ein paar Plätze neben mir zu Verwirrung kam - und zum Glück noch zwanzig Minuten vor Showbeginn -, merkte ich, dass auch ich gar nicht im Block 6, sondern im Block 9 saß. Eine gute Nachricht, rückte ich so doch erheblich näher ans Geschehen.

Ok, genug prokrastiniert! Jetzt komm mal zu Potte bzw. zur Show!

Es war definitiv ein deutlich anderes Erlebnis als Björks symphonischer Open-Air-Auftritt in Berlin letztes Jahr. Zwar präsentierte sich die Sängerin wieder in hochkreativer Schmetterlingsverkleidung als beinahe entrücktes Fabelwesen, doch wo in Berlin der größte Teil der Magie der Kraft ihrer Stimme entsprang, war sie hier eher eine sich zuweilen zurücknehmende und in einem Kokon verbergende Wegweiserin durch ein alle Sinne betörendes Gesamterlebnis.
Lichter, Videos, ein System aus unterschiedlichen transparenten Vorhängen schufen eine einzigartige Kulisse, die jeden Song über sich selbst hinaus erhöhten. Buchstäblich jeden Augenblick konnte man hier neu überwältigt werden. Wann hat man sonst schon wie während "Victimhood" den Eindruck in einem gigantischen Fahrstuhl zu stecken, der durch magische Welten immer weiter und weiter zum Grund des Meeres rauscht? Irre.

Ebenfalls anders als auf der Waldbühne, wo neben Stücken von "Vulnicura" ein Strauß mit Highlights aus Björks kompletter Karriere dargeboten wurde, war diese Show überhaupt nicht darauf angelegt, eine Hit-Parade zu sein, sondern hatte einen eher theatralischen Ansatz als Gesamtkunstwerk.
Die musikalischen Pinsel waren die ungwöhnliche Konstellation aus Elektronik, einem gelegentlich auch singendem Flöten-Sextet und Universal-Perkussionsmonster (sogar Wassertrommeln hat er gespielt!) Manu Delago. Die Farben waren zu drei Vierteln Lieder der aktuellsten Alben "Utopia" und "Fossora" - beides Werke, die ja weit vom ohrwurmigen Pop Appeal früher Tage entfernt sind, in diesem Rahmen mit ihrer Gegensätzlichkeit aus bezaubernden, machtvollen und verwirrenden Elementen jedoch volle inspirierende Kraft entfalteten.

Backkatalogstücke wie "Venus As A Boy" und "Pagan Poetry" gab es nur in stark umarrangierten Fragmenten und selbt das komplett gespielte "Isobel" verweigerte standhaft die unmittelbare Eingängigkeit des Originals. Nein, Björk könnte für eine Künstlerin, die Shows dieser Größenordnung spielt, kaum eine größere Antithese des auf Nummer sicher Wünsche erfüllenden Popstars sein.
Ihre künstlerische Vision und - oft eher gefühlte als klar formulierte - Botschaft sind ihr eindeutig wichtiger.

Am deutlichsten, eindeutigsten wurde wohl nicht einmal sie selbst, sondern die Botschaft Greta Thunbergs, welche den Zugabenblock einläutete, und leider aktuell einen unangenehmen Beigeschmack hat. (Ist dies nach dem Brutus-Konzert vom Sonntag hier nun etwa eine feste Rubrik?)
Ich sage nur: Please don't talk about Israel! Hat sie zum Glück auch nicht gemacht. Es ist natürlich immer ein schwierig zu diskutierendes Thema, aber leider gibt es eine gewisse tragische Tendenz gerade von eigentlich richtiger, humanistischer Seite, sich vorschnell und unreflektiert auf die Seite des vermeintlich unterdrückten Underdogs zu stellen, wenn die realistische Bewertung sich doch ungleich differenzierter gestaltet. Puh, unangenehmeer Mini-Exkurs...

In der Zugabe gab es dann aber doch noch eine kleine Überraschung in Form eines eigentlich vollkommen überspielten Coversongs, als die Band eine himmlische Variation von "Happy Birthday To You" anspielte. Björk feirte hier nämlich tatsächlich ihr sagenhafterweise bereits achtundfünfzigstes Lebensjahr. Es war mir eine Ehre und Freude, an dieser Geburtstagsfeier teilgenommen zu haben.

Ein fantastisches, einzigartiges Erlebnis, von dem unendlich viele unbeschreibliche Eindrücke bleiben - auch wenn ich hier zur Fantasieanregung des Lesers nur ein schäbiges Spiegelselfie und die Arena von außen nach Feierabend anbieten kann. Tja.    


2023-11-20

BRUTUS und SONS live in Hamburg (19. November 2023)


Über achteinhalb Jahre bin ich schon nicht mehr in diesem Laden gewesen. Eigentlich würde der schätzungsweise um und bei tausendzweihundert Leute fassende Saal ein prima Location abgeben, wenn nicht so einige Kleinigkeiten im Ablauf eines Konzertabends dort komisch laufen würden, die sich zum mittleren Ärgernis addieren... Doch hier auf all dies einzugehen würde ja bedeuten zu riskieren, dass mir doch irgendwann der Name herausrutscht. Und nein, das wollen wir nicht.
Der norddeutsche Konzertgänger weiß ohnehin, dass es in Kiel und Hamburg diverse Kulturstätten beherbergende  Immobilien gibt, die sich zu Pandemiezeiten nicht gerade mit Ruhm bekleckert, sondern vielmehr mit rechtsdrehend paranoidem Verschwörungsgeschwurbel besudelt haben.

Inzwischen bemüht man sich zwar offensichtlich von verschiedenen Seiten um Reintegration in das hamburger Clubleben, doch auch bei Wechsel der Organisatoren haben sich die Besitzverhältnisse ja nicht geändert, so dass eine derbe Skepsis bleibt. Ich würde nach wie vor kein Ticket für Veranstaltungen in einem dieser Läden kaufen. Klar, im Fall von Brutus ist dies natürlich leicht gesagt, da ich sie ja wenigstens schon im April in Tilburg hatte erleben können.

Moment! brüllt der Leser jetzt, Du bist doch dort gewesen, Du Heuchler!
Ja, das stimmt. Aber auf meinem Ticket steht noch das Logo. Es war also ohnehin schon gekauft, noch bevor die Show in die größere Räumlichkeit hochverlegt wurde. Und da die Künstler ja auch nur dort hinfahren können, wo ihre Booker Ihnen eine Bühne besorgt haben, ist ihnen ja auch nichts vorzuwerfen. Von daher wäre es herzlich sinnlos gewesen, dem belgischen Tourpackage meine vorzügliche Anwesenheit zu verwehren. 


Doch von diesem unschönen Beigeschmack zu einer positiveren Nebensächlichkeit: Meine neulich auf dem Pink Tank Festival verstorbene Spielzeugdigitalkamera, welche die große Mehrheit meiner Konzertberichte der letzten Jahre bebilderte, hat bereits eine Nachfolgerin gefunden, welche blitzschnell zu mir über den großen Teich einflog. Da die Digital Harinezumi allerdings zu einem ziemlich kostbaren Sammlerstück avanciert ist, habe ich notgedrungen vom Modell 3.0 auf den Vorgänger 2.0 downgegradet. Bye bye, zehn verschiedene Farbmodi! Jetzt stehen mir nur noch Farbe oder keine Farbe zur Verfügung. Mag also sein, dass ich zukünftig ein bisschen mehr nachbearbeiten werde, falls ich z.B. verschiedene Auftritte eines Festivals optisch voneinander differenzieren möchte. Für den Moment bin ich allerdings froh, wie gut der Einstand mit ihr funktioniert hat. (Siehe alle quer- oder hochformatigen Bilder; die beiden Quadrate kommen natürlich aus dem Handy.)

Und jetzt hoffe ich, dass mir zur Musik des Abends wenigstens halb so viel einfällt, wie ich jetzt schon geschwafelt habe.. 






SONS
Es ja nicht ganz leicht, sich auf die Musik einer bisher unvertrauten Vorband zu konzentrieren, wenn einem anhand des knapp unter Kinnhöhe gespielten Basses ständig Bela B.s Forderung "Mach die Gitarre runter! Wir wollen deinen Sack nicht sehen." durch den Kopf jagt.

Zum Glück referierten Sons aber keine hirnschmelzenden musikwissenschaftlichen Dissertationen, sondern servierten dem Publikum eingängige, leicht nachvollziehbare Kost. So ganz einfach in eine Schublade zu stecken war das Quartett dabei allerdings auch nicht. Da fanden sich durchaus Spuren von traditionellem Rockstartum und Blues in einem Grundsound zwischen Alternative und Post Punk, zumeist im stimmungsorientierten Uptempo, welcher hier und dort ebenso recht psotrocktypische Leadgitarren beherbergte.

Ich muss aber zugeben, dass ich mich hier insgesamt nicht als Teil der Zielgruppe empfand. Die Gruppe war zwar nicht schlecht und störte nicht, aber ich würde mir auch kein Bein ausreißen, um sie noch einmal zu sehen. Ein etwas härterer und kantigerer Support - gerne auch im Kontrast zu Brutus' unschlagbaren Ohrwürmern - hätte mir hier wahrscheinlich besser gefallen.








BRUTUS
Ok, Brutus! Was soll ich zu euch noch schreiben, was ich nicht schon anderorts ausgeführt habe? Und das Trio tut mir ja auch nicht Gefallen, mich derbe zu enttäuschen, damit ich mal etwas Abwechslung hier herein bekomme. Nö, die bekräftigen einfach nur immer wieder und immer stärker meine Begeisterung.

Mit nur drei Alben auf dem Buckel scheint es bereits, als wäre jede beliebige Auswahl von Songs ein Best of. Ok, beinahe jede Auswahl. Ein paar Eckpfeiler wie der Opener der Show "War", mein persönlicher Topfavoritenkandidat "Chainlife" oder die das Finale bildenden Hits "Sugar Dragon" und "Victoria" erscheinen schon ziemlich unverzichtbar.
Dabei hatte ich es bis gestern am Merchstand ja sogar noch verschoben und verschlafen, mir die 2019er diskographische Mitte "Nest" überhaupt zuzulegen.

Vielleicht würden Brutus aber auch schon einigermaßen funktionieren, wenn sie das örtliche Telefonbuch (gibt's das überhaupt noch?) interpretieren würden. Solange Sängerdrummerin  Stefanie Manaerts es mit genügend Inbrunst verkauft, scheint es bei dieser immer überzeugender ihre ganz eigene lautleise Nische zimmernden Post-Allesmögliche-Band keine Grenzen zu geben. Wie sehr das aktuell betourte letztjährige Album "Unison Life" enthusiastischen Anklang quer über alle Genre-/Szenegrenzen hinweg findet, ist nur ein Indiz hierfür.
 
Natürlich läuft man immer Gefahr, den immensen Beitrag von Gitarre und Bass, die Arrangements und die Chemie der gesamten Band etwas zu gering zu würdigen, doch es ist ja, wie es ist:
Die Bühnenrand-rechts-vorne-Frontfrau ist in ihrer nach wie vor selten gesehenen Rolle bereits jetzt eine Ikone. Wie viele andere Bands verkaufen T-Shirts, auf den die Drummerin von hinten zu sehen ist und jeder weiß bescheid?
Wer schreit so ehrlich rau und schön? Wer zündet mit so viel Seele Dynamit über den Trommelfellen? Die ganze Performance scheint um Manaerts's aufbrausende und abflauende Gefühlsflut herum aufgebaut zu sein, vom sanften Ambient-Fluss zum gnadenlosen Hardcoresturzbach läuft alles irgendwie wieder bei ihr zusammen.

Nein, dass der Saal proppevoll war, kommt keinesfalls von ungefähr. Brutus zählen zu Recht zu den relelvantesten Bands der Stunde. Und tatsächlich fällt es mir trotz des locationbedingten Beigeschmacks schwer, mir das ganze Spektakel inklusive des mitgebrachten Illuminationsgeschirrs in der flachdachigen Logo-Sauna vorzustellen. Das wäre auf jeden Fall nicht nur ein Gefühls- sondern auch ein unfassbar müffelndes, glitschiges Schweißbad geworden.

Eins, zwei Stücke mehr hätte die Menge durchaus noch vertragen können, zumal die Band auch auf das übliche Wir-sind-dann-mal-weg-und-huch-da-sind-wir-wieder-Theater vor der Zugabe verzichtet hat. Doch typisch für Konzerte rund um die Reeperbahn wäre das wohl gar nicht drin gewesen. Das Publikum muss schließlich so schnell wie möglich rausgekehrt werden...

Aber ich sagte ja, dass ich diese Art Ärgerlichkeiten in diesem Bericht eigentlich außen vor lassen wollte. Also Klappe zu! Muss ja auch ein bisschen Pause haben. Denn bereits morgen steht bei mir das größte Konzert des Jahres auf dem Programm. Die Künstlerin beginnt auch mit einem B.






2023-11-19

ZAÄAR / SPINTRIA - Genesis of Cyclopian Sorcerer

Welcome to the time before the creation of time, long after the apocalypse and rebirth of our world! This is the cosmic temple of chaos in the center of being. And this is our jam here!


ZAÄAR / SPINTRIA - Genesis of Cyclopian Sorcerer (sapphire marble vinyl LP) (2023)

The easisest way to describe the music of the Belgian group Zaäar, who are intertwined with Neptunian Maximalism is a question: Have you ever imagined how Free Jazz would sound on Conan the Barbarian's homeworld Hyboria?
Their twenty minute improvisation "Dance of Time" is a collective primal scream of percussions, sopranino saxophone, trumpet, flutes and throat singing over a foundation of droning bass and Ambient synth sounds. This music is at the same time spiritual as the ecstatic highs of Sanders and (both Alice and JohnColtrane, but it adds a menacing undertone, invoking a colourful darkness beyond the perception of good and evil. Zaäar reaches beyond the veil of human understanding and dips a fingertip into the eternal cycle of creation. Chaos and beauty. Or simply just a very daring fresh take on Free Jazz?
Anyone who has been fortunate enough to see them live or already loved their 2021 debut album "Magická Džungl’a" will have an easy time enjoying this new release, which gives you a similar experience in a more compact format. But since "Genesis of Cyclopian Sorcerer" isn't just a Zaäar EP, but a split album compiled by WV Sorcerer Productions , the transcendental journey doesn't end here yet, but continues in fitting fashion on the B-side.

In the beginning of their mammoth track "Mesmerism" Drone Metal guitars, Dungeon Synth keyboards and drums clattering in the far distance seem to be the ingredients the Tennesseean trio Spintria is cooking with. Yet after a couple of minutes the spectrum widens, embracing elements of Prog and Metal, Grind Fusion and Jazzcore. It's heavy and explosively destructive, but it somehow remains a musical and through the indeed mesmerising keyboards often elevating listening experience.
If Zaäar provided the soundtrack for the rituals in the temple's main hall, Spintria will ambush you if you dare to explore the catacombs beneath it too deep. So this is quite a different beast than the A-side, but its atmosphere somehow feels connected and it completes the split album perfectly.

Add the beautiful artwork and vinyl colour and you have everything you want from this kind of release, a split which is more than just a leftover dump for two Bands/artists, but something even a little more than the sum of its already amazing parts.    






2023-11-13

Veil of Stuff feat. BEES MADE HONEY IN THE VEIN TREE, DWAAL, DYMNA LOTVA and LOLITA TERRORIST SOUNDS


Yes, here we go again! Four more short signposts to reviews I recently contributed to Veil of Sound, with the usual added little unspectacular personal touch of my own purchased (or this time also promotional) copies.








BEES MADE HONEY IN THE VEIN TREE - Aion (CD) (2023)
[MY REVIEW ON VEIL OF SOUND.COM ]

Lets start with the only (from my perspective) already familiar faces in this roundup: Southern German Psychedelic Post Doom epochalists Bees Made Honey In the Vein Tree have released the successor to their 2019 studio work "Grandmother" and last year's live album. And beeoy, it's a big one! Eighty minutes mostly made of long and longer tracks, with each one delving into a slightly different aspect of the band's versatile sound, give you no chance to ever lose interest in this fantastic album.

This definitely is one of the highlights in this year's slow and heavy department! The atmospheric twenty+ minutes behemoth "Grey Wels" alone is worth immersing yourself into this.









DWAAL - Never Enough (CD) (2023)
[MY REVIEW ON VEIL OF SOUND.COM ]

On paper not a vastly different premise than "Aion", as the Norwegians also build their sound on a combination of Doom and Post Metal, Dwaal's "Never Enough" actually comes from a much darker and  gnarlier place, as they bring tons of profoundly sinister triptykonian Death Doom into the mix.
This album is gloriously angry, wrathful and crushing. And its ruthless artistic channeling of negative feelings and frustration speaks more to me than most of the output of the big Post Metal names Dark Essence Records lists as references. To lazily quote myself: This album stirs your blood, freezes your stank face and reaches out to embrace you and wallow in existential angst together. Perfection!










LOLITA TERRORIST SOUNDS - St. Lola (CD) (2023)
[MY REVIEW ON VEIL OF SOUND.COM ]

Someone really insisted in me reviewing this one. And I took quick looks several times when a new teaser and promo link arrived. But even though the involvement of Swans' Kristof Hahn certainly was an exlamation mark, I must admit that only after I found the physical disc in my mail I finally gave this the proper attention it actually deserves. And I'm glad I did so.

What you can expect from Lolita Terrorist Sounds' debut album are very authentic and analogue 1980's Post Punk, Noise Rock, Industrial sounds, Goth Cabaret and experimental attitudes. And of course that one thing I can't put my finger on right now... Begins with a big B... I think I've written about it in my VoS review, so I guess you should really check that one out!










DYMNA LOTVA - Зямля Пад Чорнымі Крыламі: Кроў (The Land Under The Black Wings: Blood) (2-CD Book Edition) (2023)
[MY REVIEW ON VEIL OF SOUND.COM ]

Last but in no way least we're getting very serious with Dymna Lotva's earnest anti-war opus "Зямля Пад Чорнымі Крыламі: Кроў".

Yes, the exiled Belarussian Post Black Metal group exclusively sings in their mother tongue, but thankfully provides us with translations and extensive liner notes to their impressive work, which occupies a sonic space similar to fellow Eastern European bands like Dordeduh or White Ward and especially impresses with the emotional impact of singer Nokt Aeon's vocal delivery - which includes her Black Metal shrieking as well as every colour between Karyn Crisis and Kristin Hayter she channels. And she's not even the only singer here!

Everything about "The Land Under the Black Wings: Blood" is a huge artistic atatement and even after finishing over seventy minutes playing time the bonus tracks are still worth listening to. This album in its timeless relevance really blew me away!