Wenn ich gerade von einem Konzert heimgekehrt bin, kann ich mich für gewöhnlich nicht einfach gleich ins Bett legen, sondern beschäftige mich noch ein bisschen am PC, bis ich wirklich runterkommen und abschalten kann. Das schließt oft ein, schon mal das Titelbild für meinen Bericht auszuwählen und zumindest eine Vorauswahl meiner sonstigen Bilder vom Abend zu treffen und vielleicht sogar bereits webfertig zu bearbeiten. Maximal füge ich die Bilder dann sogar schon mit ouiewflhldjklufödsf-Fülltexten zu einer Schablone für meinen Blogpost zusammen.
Bei Björk war allerdings absolutes Fotografieverbot während der Show angesagt, so dass ich nur ein oben ins Logo gebasteltes Bild vom Vorhang habe und nun tatsächlich noch am selben Tag zumindest diese ersten Absätze formuliere.
Ich will übrigens nicht meckern. Als Konzertbesucher fand ich das Verbot sehr vernünftig und nachvollziehbar, da angesichts des atemberaubenden Multimediaspektakels, was sich auf der Bühne abspielte, die vielen kleinen Smartphonebildschirme wirklich gestört hätten.
Als Rezensent hingegen wäre mir der Luxus, gerade dieses visuelle Großereignis bebildern zu können, allerdings durchaus willkommen.
Das Gastspiel der Isländerin in der drölftausend Leute fassenden Barclays Arena war natürlich die mit Abstand größte Soloshow, die dieses Jahr auf meinem sonst eher gemütlichere Locations vorziehenden Konzertkalender stand. Über zehn Jahre ist es her - damals war O2 noch der Sponsor des Puffs - dass ich zum ersten und einzigen Mal hier gewesen bin, damals für Iron Maiden. Ob und was sich verändert hat, kann ich nach der Zeit natürlich kaum beurteilen, abgesehen davon dass es sich diesmal um ein Sitzkonzert handelte und ich vor Beginn noch genügend Zeit für eine ihrem Preis nach mit Blattgold verzierte Currywurst mit Pommes hatte.
Mein Platz befand sich im Innenraum und erwies sich angesichts der simplen numerischen Ordnung als überraschend schwer zu finden. Erst als es ein paar Plätze neben mir zu Verwirrung kam - und zum Glück noch zwanzig Minuten vor Showbeginn -, merkte ich, dass auch ich gar nicht im Block 6, sondern im Block 9 saß. Eine gute Nachricht, rückte ich so doch erheblich näher ans Geschehen.
Ok, genug prokrastiniert! Jetzt komm mal zu Potte bzw. zur Show!
Es war definitiv ein deutlich anderes Erlebnis als Björks symphonischer Open-Air-Auftritt in Berlin letztes Jahr. Zwar präsentierte sich die Sängerin wieder in hochkreativer Schmetterlingsverkleidung als beinahe entrücktes Fabelwesen, doch wo in Berlin der größte Teil der Magie der Kraft ihrer Stimme entsprang, war sie hier eher eine sich zuweilen zurücknehmende und in einem Kokon verbergende Wegweiserin durch ein alle Sinne betörendes Gesamterlebnis.
Lichter, Videos, ein System aus unterschiedlichen transparenten Vorhängen schufen eine einzigartige Kulisse, die jeden Song über sich selbst hinaus erhöhten. Buchstäblich jeden Augenblick konnte man hier neu überwältigt werden. Wann hat man sonst schon wie während "Victimhood" den Eindruck in einem gigantischen Fahrstuhl zu stecken, der durch magische Welten immer weiter und weiter zum Grund des Meeres rauscht? Irre.
Ebenfalls anders als auf der Waldbühne, wo neben Stücken von "Vulnicura" ein Strauß mit Highlights aus Björks kompletter Karriere dargeboten wurde, war diese Show überhaupt nicht darauf angelegt, eine Hit-Parade zu sein, sondern hatte einen eher theatralischen Ansatz als Gesamtkunstwerk.
Die musikalischen Pinsel waren die ungwöhnliche Konstellation aus Elektronik, einem gelegentlich auch singendem Flöten-Sextet und Universal-Perkussionsmonster (sogar Wassertrommeln hat er gespielt!) Manu Delago. Die Farben waren zu drei Vierteln Lieder der atuellsten Alben "Utopia" und "Fossora" - beides Werke, die ja weit vom ohrwurmigen Pop Appeal früher Tage entfernt sind, in diesem Rahmen mit ihrer Gegensätzlichkeit aus bezaubernden, machtvollen und verwirrenden Elementen jedoch volle inspirierende Kraft entfalteten.
Backkatalogstücke wie "Venus As A Boy" und "Pagan Poetry" gab es nur in stark umarrangierten Fragmenten und selbt das komplett gespielte "Isobel" verweigerte standhaft die unmittelbare Eingängigkeit des Originals. Nein, Björk könnte für eine Künstlerin, die Shows dieser Größenordnung spielt, kaum eine größere Antithese des auf Nummer sicher Wünsche erfüllenden Popstars sein.
Ihre künstlerische Vision und - oft eher gefühlte als klar formulierte - Botschaft sind ihr eindeutig wichtiger.
Am deutlichsten, eindeutigsten wurde wohl nicht einmal sie selbst, sondern die Botschaft Greta Thunbergs, welche den Zugabenblock einläutete, und leider aktuell einen unangenehmen Beigeschmack hat. (Ist dies nach dem Brutus-Konzert vom Sonntag hier nun etwa eine feste Rubrik?)
Ich sage nur: Please don't talk about Israel! Hat sie zum Glück auch nicht gemacht. Es ist natürlich immer ein schwierig zu diskutierendes Thema, aber leider gibt es eine gewisse tragische Tendenz gerade von eigentlich richtiger, humanistischer Seite, sich vorschnell und unreflektiert auf die Seite des vermeintlich unterdrückten Underdogs zu stellen, wenn die realistische Bewertung sich doch ungleich differenzierter gestaltet. Puh, unangenehmeer Mini-Exkurs...
In der Zugabe gab es dann aber doch noch eine kleine Überraschung in Form eines eigentlich vollkommen überspielten Coversongs, als die Band eine himmlische Variation von "Happy Birthday To You" anspielte. Björk feirte hier nämlich tatsächlich ihr sagenhafterweise bereits achtundfünfzigstes Lebensjahr. Es war mir eine Ehre und Freude, an dieser Geburtstagsfeier teilgenommen zu haben.
Ein fantastisches, einzigartiges Erlebnis, von dem unendlich viele unbeschreibliche Eindrücke bleiben - auch wenn ich hier zur Fantasieanregung des Lesers nur ein schäbiges Spiegelselfie und die Arena von außen nach Feierabend anbieten kann. Tja.
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