Was macht man, nachdem man innerhalb von einem Dutzend Jahren mit Armeen von Gastsängern und -musikern in sechs Progmetalsciencefictionrockoperkonzeptalben im Grunde die komplette Geschichte der Menschheit von Anfang bis Ende und darüber hinaus, und dazu noch die Geschichte jener Alienrasse, die für diese Geschichte verantwortlich ist, erzählt hat?
Klar, man beschäftigt sich eine Weile mit anderen Dingen wie z.B. einem vergleichsweise entspannten Soloalbum und haut dann ein Album ausgerechnet mit dem Titel "The Theory Of Everything" raus!
Klar, man beschäftigt sich eine Weile mit anderen Dingen wie z.B. einem vergleichsweise entspannten Soloalbum und haut dann ein Album ausgerechnet mit dem Titel "The Theory Of Everything" raus!
AYREON - The Theory Of Everything (Limited Edition Mediabook) (2013)
Das Covergemälde ist schon mal großartig. Da bereue ich es durchaus etwas, mir nicht die großformatige Artbook-Edition des Doppelablums gegönnt zu haben. Anderseits ist der einzige derzeit verfügbare Regalplatz, um ein Cover in LP-Größe zu feiern auch schon durch Dream Theater belegt.
Die Mediabook-Version inkl. DVD mit "Making Of" und Interviews weiß aber auch zu gefallen. Inside Out wissen einfach, wie es geht.
Und noch etwas fällt beim Auspacken positiv auf, obwohl es eigentlich selbstverständlich sein sollte, nämlich dass der FSK-Aufkleber nicht "rückstandsfrei entfernbar" (ja, klar...) direkt auf dem Cover klebt, sondern einfach ein Blatt Papier miteingeschweißt ist, auf dem neben dem Cover dieser - und auch die Promoinformationen über die mitwirkenden Gastsänger usw. - mit aufgedruckt sind.
Ich finde es eigentlich schon dämlich, dieser Banalität überhaupt einen Absatz zu widmen, aber anscheinend sind die meisten Filmverleihe und Plattenfirmen ja zu doof es so zu lösen - und diese nicht entfernbaren und Cover beschädigenden Sticker gehen mir wirklich gehörig auf den Senkel. Also noch einmal Daumen hoch für Inside Out!
Nun aber zum Inhalt:
"The Theory Of Everything" - Man könnte vielleicht aus dem Titel schließen, dass Meister Arjen Lucassen hier noch einmal den ganz großen Bogen schließen und alle Vorgängeralben des Ayreon-Universums zusammenbringen und erklären möchte. Allein, das hat er ja 2008 auf "01011001" schon getan.
Nein, er lässt die Saga rund um einen mittelalterlichen Seher, die elekrische Festung, Mars, den Traumsequenzer und den Planeten Y hinter sich und fängt mit einer neuen Geschichte an.
In dieser ist die "Theory Of Everything", die große Formel, die alle anderen physikalischen Gesetze beinhaltet, eigentlich nur der MacGuffin, nach deren Erlangen mehrere Protagonisten streben, was wiederum viele der Ereignisse in Gang setzt.
Morgens um 8:49 Uhr: Der Lehrer und das Mädchen betreten den Leuchtturm und finden eine Tafel voller mathematischer Gleichungen und einen jungen Mann, welcher sich in einem katatonischen Zustand in der Ecke zusammengekauert hat. Wie ist es dazu gekommen?
Alles begann elf Jahre früher...
Es folgt eine anderthalbstündige Geschichte über einen Wissenschaftler, seine Frau, ihr gemeinsames autistisches Kind und vier weitere Figuren, die in ihr Leben hineinspielen. Stolz, Rivalität, Ruhmsucht, Liebe, alles dabei, aufgeteilt in 42 (Nerd-Alarm!) Sektionen, die vier jeweils über zwanzigminütige Songs bilden.
Das heißt, auf den CDs sind es tatsächlich 42 Tracks, in der mp3-Version, die man beim Kauf des Albums bei einem großen Versandhändler parallel erhält, sind es vier Tracks, also im Prinzip so wie auch auf der Doppel-Vinyl-Version. Ich finde die zweite Variante auch sinnvoller. Wenn etwas als ein Stück gemeint ist, dann soll man es auch so präsentieren, allein schon weil nicht jeder Player die Tracks ohne kurzes Stocken zwischendrin durchspielt und diese Absätze bei ineinander übergehenden Stücken einfach nerven. U.a. deswegen höre ich z.B. Transatlanics "The Whirlwind" lieber in der Liveversion (1 Track statt 12).
Aber zurück zur Geschichte. Lucassen hat sich sehr darum bemüht, dass diese zwar einen gewissen Anspruch und Tiefgang hat, aber dennoch sehr leicht verständlich ist. Dazu gehört neben der Konzentration auf relativ wenige Charaktere auch, dass er mit ein paar Gewohnheiten bricht. So wird auf dem kompletten Album nur sehr selten gereimt, denn die Handlung soll sich nicht durch diesen formalen Zwang einschränken lassen.
Der gleichen Logik folgt, dass es kaum Refrains gibt. Das Leben geht weiter und so entwickeln sich auch die Stücke in immer neue Richtungen, bei denen zwar durchaus Erinnerungen an bekannte Motive anklingen, jedoch kein Thema totgeritten wird.
Das sind dann im Prinzip auch die wesentlichen Neuerungen im musikalischen Konzept.
Stilistisch bleibt Multiinstrumentalist Arjen, der die meisten Gitarren und Keyboards und den Bass wie immer selbst eingespielt hat, dem seit "The Human Equation" eingeschlagenen Weg treu. Die Basis ist also der typische, von Ed Warbys exzellentem Powerdrumming getriebene Mix aus hymnischen Metal und mit prominenten Hammond- und Analogsynthesizer-Sounds veredeltem Progrock. Dem steht auf Augenhöhe eine kräftige von Flöten und Streichern intonierte Portion Folk zur Seite.
Neu in diesem Schmelztiegel sind Passagen, die vom Komponisten Siddharta Barnhoorn komplett im Stile eines Filmsoundtracks arrangiert worden sind und das Klangbild noch einmal um eine epische Komponente erweitern.
Der fragmentarische Charakter dieses Albums mag den Zugang für den einen oder anderen Hörer vielleicht erschweren. Ich persönlich würde sagen, dass er seine größte Stärke, aber gleichzeitig auch eine kleine Schwäche ist.
Dies ist kein Hitalbum, aus dem sich Singles extrahieren lassen, und doch sind die zahlreichen Teilstücke ja alle wirklich gut bis exzellent. (Als "nur" gut würde ich vor allem jene Passagen bezeichnen, die schon einwenig zu vertraut klingen. Natürlich soll wo Ayreon draufsteht auch Ayreon drin sein, aber wenn sich z.B. in einer Balladenpassage weibliche Gesangsstrophen mit Flöte abwechseln, klingt das hier schon sehr nach Ideenrecycling. Sowas kommt allerdings in dieser Deutlichkeit nicht allzu oft vor.)
Konzentriert man sich nur auf die Musik, dann erfordert "The Theory Of Everything" schon einiges an Aufmerksamkeit und bei einigen Übergängen vielleicht sogar Nachsicht, wenn man merkt, dass es für einige Sekunden hauptsächlich darum geht, irgendwie elegant in die folgende Tonart zu kommen.
Doch folgt man der Handlung, dann ist das alles ganz logisch und nachvollziehbar.
Der einzige echte Kritikpunkt (und das auch auf hohem Niveau) sind für mich die Promi-Solos. Klar, Keyboards von Rick Wakeman, Keith Emerson und Jordan Rudess, sowie ein Gitarrengastspiel von Steve Hackett auf einer Scheibe zu versammeln ist eine Referenz, und die Soli sind auch wirklich oberklasse, gar keine Frage. Jedoch sind sie mir viel zu kurz. Es wäre viel stärker gewesen, die Soli als ausladene Gegenpole zum sonstigen, ständig voranschreitenden Albumgeschehen aufzubauen. So setzen sie sich einfach noch zu wenig ab und wirken bisschen verschwendet.
Bleibt noch das Gesangsensemble. Nach seinem Soloalbum wenig überraschend verzichtet Arjen Lucassen auf eine eigene Rolle und überlässt das Feld zwei Damen und fünf Herren, die ihren Job fabelhaft erledigen. Eine der größten Stärken Lucassens war ja sowieso schon immer, aus seinen Gastsängern Höchstleistungen herauszuzaubern. Für mich ist der Mix aus alten Hasen und Newcomern diesmal sehr frisch. Bis auf John Wetton von King Crimson kenne sie nur beiläufig, gar nicht oder finde ihre eigentlichen Bands - Kamelots Tommy Karevik singt die Hauptrolle - sogar ganz furchtbar.
In diesem Cast jemanden besonders hervorzuheben ist fast unfair. Insbesondere der bis zu enormen Höhen vordringende Michael Mills und Lacuna Coils Cristina Scabbia als Vater und Mutter bleiben allerdings besonders eindringlich in Erinnerung.
Fazit: "The Theory Of Everything" ist unverkennbar Ayreon, schlägt aber auch überraschende neue Richtungen ein. Wenn auch durch seinen Rockoper-Charakter nicht wirklich vergleichbar, gehört es für mich ins diesjährige Prog-Triumvirat, auf Augenhöhe mit den aktuellen Studiowerken von Dream Theater und Steven Wilson.
Die Mediabook-Version inkl. DVD mit "Making Of" und Interviews weiß aber auch zu gefallen. Inside Out wissen einfach, wie es geht.
Und noch etwas fällt beim Auspacken positiv auf, obwohl es eigentlich selbstverständlich sein sollte, nämlich dass der FSK-Aufkleber nicht "rückstandsfrei entfernbar" (ja, klar...) direkt auf dem Cover klebt, sondern einfach ein Blatt Papier miteingeschweißt ist, auf dem neben dem Cover dieser - und auch die Promoinformationen über die mitwirkenden Gastsänger usw. - mit aufgedruckt sind.
Ich finde es eigentlich schon dämlich, dieser Banalität überhaupt einen Absatz zu widmen, aber anscheinend sind die meisten Filmverleihe und Plattenfirmen ja zu doof es so zu lösen - und diese nicht entfernbaren und Cover beschädigenden Sticker gehen mir wirklich gehörig auf den Senkel. Also noch einmal Daumen hoch für Inside Out!
Nun aber zum Inhalt:
"The Theory Of Everything" - Man könnte vielleicht aus dem Titel schließen, dass Meister Arjen Lucassen hier noch einmal den ganz großen Bogen schließen und alle Vorgängeralben des Ayreon-Universums zusammenbringen und erklären möchte. Allein, das hat er ja 2008 auf "01011001" schon getan.
Nein, er lässt die Saga rund um einen mittelalterlichen Seher, die elekrische Festung, Mars, den Traumsequenzer und den Planeten Y hinter sich und fängt mit einer neuen Geschichte an.
In dieser ist die "Theory Of Everything", die große Formel, die alle anderen physikalischen Gesetze beinhaltet, eigentlich nur der MacGuffin, nach deren Erlangen mehrere Protagonisten streben, was wiederum viele der Ereignisse in Gang setzt.
Morgens um 8:49 Uhr: Der Lehrer und das Mädchen betreten den Leuchtturm und finden eine Tafel voller mathematischer Gleichungen und einen jungen Mann, welcher sich in einem katatonischen Zustand in der Ecke zusammengekauert hat. Wie ist es dazu gekommen?
Alles begann elf Jahre früher...
Es folgt eine anderthalbstündige Geschichte über einen Wissenschaftler, seine Frau, ihr gemeinsames autistisches Kind und vier weitere Figuren, die in ihr Leben hineinspielen. Stolz, Rivalität, Ruhmsucht, Liebe, alles dabei, aufgeteilt in 42 (Nerd-Alarm!) Sektionen, die vier jeweils über zwanzigminütige Songs bilden.
Das heißt, auf den CDs sind es tatsächlich 42 Tracks, in der mp3-Version, die man beim Kauf des Albums bei einem großen Versandhändler parallel erhält, sind es vier Tracks, also im Prinzip so wie auch auf der Doppel-Vinyl-Version. Ich finde die zweite Variante auch sinnvoller. Wenn etwas als ein Stück gemeint ist, dann soll man es auch so präsentieren, allein schon weil nicht jeder Player die Tracks ohne kurzes Stocken zwischendrin durchspielt und diese Absätze bei ineinander übergehenden Stücken einfach nerven. U.a. deswegen höre ich z.B. Transatlanics "The Whirlwind" lieber in der Liveversion (1 Track statt 12).
Aber zurück zur Geschichte. Lucassen hat sich sehr darum bemüht, dass diese zwar einen gewissen Anspruch und Tiefgang hat, aber dennoch sehr leicht verständlich ist. Dazu gehört neben der Konzentration auf relativ wenige Charaktere auch, dass er mit ein paar Gewohnheiten bricht. So wird auf dem kompletten Album nur sehr selten gereimt, denn die Handlung soll sich nicht durch diesen formalen Zwang einschränken lassen.
Der gleichen Logik folgt, dass es kaum Refrains gibt. Das Leben geht weiter und so entwickeln sich auch die Stücke in immer neue Richtungen, bei denen zwar durchaus Erinnerungen an bekannte Motive anklingen, jedoch kein Thema totgeritten wird.
Das sind dann im Prinzip auch die wesentlichen Neuerungen im musikalischen Konzept.
Stilistisch bleibt Multiinstrumentalist Arjen, der die meisten Gitarren und Keyboards und den Bass wie immer selbst eingespielt hat, dem seit "The Human Equation" eingeschlagenen Weg treu. Die Basis ist also der typische, von Ed Warbys exzellentem Powerdrumming getriebene Mix aus hymnischen Metal und mit prominenten Hammond- und Analogsynthesizer-Sounds veredeltem Progrock. Dem steht auf Augenhöhe eine kräftige von Flöten und Streichern intonierte Portion Folk zur Seite.
Neu in diesem Schmelztiegel sind Passagen, die vom Komponisten Siddharta Barnhoorn komplett im Stile eines Filmsoundtracks arrangiert worden sind und das Klangbild noch einmal um eine epische Komponente erweitern.
Der fragmentarische Charakter dieses Albums mag den Zugang für den einen oder anderen Hörer vielleicht erschweren. Ich persönlich würde sagen, dass er seine größte Stärke, aber gleichzeitig auch eine kleine Schwäche ist.
Dies ist kein Hitalbum, aus dem sich Singles extrahieren lassen, und doch sind die zahlreichen Teilstücke ja alle wirklich gut bis exzellent. (Als "nur" gut würde ich vor allem jene Passagen bezeichnen, die schon einwenig zu vertraut klingen. Natürlich soll wo Ayreon draufsteht auch Ayreon drin sein, aber wenn sich z.B. in einer Balladenpassage weibliche Gesangsstrophen mit Flöte abwechseln, klingt das hier schon sehr nach Ideenrecycling. Sowas kommt allerdings in dieser Deutlichkeit nicht allzu oft vor.)
Konzentriert man sich nur auf die Musik, dann erfordert "The Theory Of Everything" schon einiges an Aufmerksamkeit und bei einigen Übergängen vielleicht sogar Nachsicht, wenn man merkt, dass es für einige Sekunden hauptsächlich darum geht, irgendwie elegant in die folgende Tonart zu kommen.
Doch folgt man der Handlung, dann ist das alles ganz logisch und nachvollziehbar.
Der einzige echte Kritikpunkt (und das auch auf hohem Niveau) sind für mich die Promi-Solos. Klar, Keyboards von Rick Wakeman, Keith Emerson und Jordan Rudess, sowie ein Gitarrengastspiel von Steve Hackett auf einer Scheibe zu versammeln ist eine Referenz, und die Soli sind auch wirklich oberklasse, gar keine Frage. Jedoch sind sie mir viel zu kurz. Es wäre viel stärker gewesen, die Soli als ausladene Gegenpole zum sonstigen, ständig voranschreitenden Albumgeschehen aufzubauen. So setzen sie sich einfach noch zu wenig ab und wirken bisschen verschwendet.
Bleibt noch das Gesangsensemble. Nach seinem Soloalbum wenig überraschend verzichtet Arjen Lucassen auf eine eigene Rolle und überlässt das Feld zwei Damen und fünf Herren, die ihren Job fabelhaft erledigen. Eine der größten Stärken Lucassens war ja sowieso schon immer, aus seinen Gastsängern Höchstleistungen herauszuzaubern. Für mich ist der Mix aus alten Hasen und Newcomern diesmal sehr frisch. Bis auf John Wetton von King Crimson kenne sie nur beiläufig, gar nicht oder finde ihre eigentlichen Bands - Kamelots Tommy Karevik singt die Hauptrolle - sogar ganz furchtbar.
In diesem Cast jemanden besonders hervorzuheben ist fast unfair. Insbesondere der bis zu enormen Höhen vordringende Michael Mills und Lacuna Coils Cristina Scabbia als Vater und Mutter bleiben allerdings besonders eindringlich in Erinnerung.
Fazit: "The Theory Of Everything" ist unverkennbar Ayreon, schlägt aber auch überraschende neue Richtungen ein. Wenn auch durch seinen Rockoper-Charakter nicht wirklich vergleichbar, gehört es für mich ins diesjährige Prog-Triumvirat, auf Augenhöhe mit den aktuellen Studiowerken von Dream Theater und Steven Wilson.
Anspieltipps... sind hier wirklich sinnlos. Anders als von vorne nach hinten darf man dieses Album ohnehin gar nicht hören, sonst kommt Knecht Progrock mit der Rute.
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