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2017-07-16

LOSS - Horizonless

"To the memory of Adrian Guerra (1980-2016)"


Am 17. Mai 2016 starb Adrian Guerra, Mitbegründer und bis Mitte 2015 Drummer und Growler des Funeral Doom Duos Bell Witch.

Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass seine Liveperformance zum Großartigsten gehört, was ich je am Schlagzeug einer Metalband gesehen habe. Die beiden bisherigen Alben von Bell Witch sind Leuchttürme des Genres, "Four Phantoms" ist ein Klassiker für die Ewigkeit, weswegen ich es folgerichtig zu meinem Album des Jahres erklärt habe.

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach Guerras Tod erschien nun das zweite Album von Bell Witchs Profound Lore-Labelkollegen Loss.

"Horizonless" ist ihm gewidmet. Und wohl selten war diese Geste würdiger und musikalisch gerechtfertigter.





LOSS - Horizonless (2LP) (2017)

Schon das Coverartwork des Doppelalbums, gestaltet von Adam Burke, auf dessen Konto u.a. auch Vektors "Terminal Redux" geht, macht klar, dass uns hier Großes erwartet. Die Umsetzung dieses in den Texten beschworenen Motivs tiefster Verweiflung und Trauer ("a starless world lost of its horizon") ist besonders in seiner vollen Gatefold-Pracht ein gewaltiger Hinkucker.

Optisch gibt es hier also die volle Punktzahl. Dazu noch ein doppelseitiges Textblatt sowie die Downloadversion des Albums, was will man mehr?

Tieftraurigen, verzweifelten, düsteren Begräbnisdoom natürlich.




"Horizonless" besteht aus fünf regulären Songs, die sich alle knapp über oder unter der Zehn-Minuten-Marke ausbreiten, sowie vier kürzeren Stücken dazwischen, die jeweils von einem Bandmitglied im Alleingang aufgenommen wurden und sich parallel zur Dramaturgie der Longtracks im Laufe des Albums immer mehr von atmosphärischen Zwischenspielen zu "richtigen" Songs mit kompletter Bandinstrumentierung entwickeln.

So beginnt Drummer Jay Lemaire diesen Reigen mit dem Stück "i.o.", welches nur aus Mandoline und einem mit Schreibmaschine getippten Text besteht (Einstürzende Neubauten lassen grüßen), während Gitarrist und Leadsänger Michael Meacham mit "Moved Beyond Murder" vollkommen okkult wird und zu dröhenden Synthies mit menschlichen Knochen die Totenglocke spielt.

Bassist John Anderson greift in "The End Steps Forth" ein Motiv des vorangegangenen Liedes "Naught" auf und lässt es mit Orgel, Bass und Drums in eine abgründige Tiefe stürzen, die ein wenig klingt wie eine bewusst unvollendete Skizze eines Skepticism-Songs.

Gitarrist Tim Lewis simuliert dann vollkommen eine komplette Band, die ähnlich, aber eben nicht genauso wie Loss klingt, und bringt nebenbei in seinen fünf Minuten mehr Text unter als jedes andere Stück beherbergt.

Diese vier Stücke ergäben alternativ auch eine interessante experimentelle EP, sind jedoch im Zusammenhang des Albums alles andere als spleeniger Selbstzweck. Sie fügen dem Gesamtwerk nicht nur neue Klangfarben hinzu, sondern passen sich auch perfekt in seinen Fluss ein.

Dabei wäre "Horizonless" auch ohne diese Beigaben schon ein angesichts seines klar abgesteckten stilistischen Rahmens (gitarrenlastiger Funeral Doom) und stets langsamen Tempos (Ausnahme: ein überraschender Blastpart am Ende des Openers "The Joy Of All Who Sorrow") ein erstaunlich vielfältiges Album.

Das mag vor allem am Gesang liegen, an dem die gesamte Band beteiligt ist. Die Basis sind zu ähnlichen Anteilen brutale Death Metal-Grunts und noch tieferes ultragutturales Gegurgel, dem man ähnlich wie bei Adrian Guerra teilweise trotz Textblatt als Nicht-Muttersprachler unmöglich folgen kann, sowie verzweifeltes Gebrülle und blackmetallisches Geschrei. Dazu gibt es spoken words, Samples, klerikale Chorstimmungen und zum Finale des Titelsongs sogar ein wenig reinen Klargesang.

Ob in den grabesschweren Riffs, den tieftraurig schönen Doppelleads oder dem weit ausholenden Drumming; instrumental passiert hier nichts, was man nicht jedem Fan von Gruppen wie Lycus und Ahab - oder natürlich Bell Witch - blind empfehlen kann.

Je nach persönlichem Horizont lassen sich natürlich auch Brücken zu melancholischen Finstermusikkapellen aus anderen Genres bauen. So muss ich z.B. mal hier an Kayo Dot oder dort an Mono denken, auch wenn man Loss wohl kaum in die Advantgarde- oder Postrockschublade stecken kann.

Entscheidend für die besondere Qualität dieses Albums sind zwei Faktoren:
Zum einen ist da das schiere Niveau jeder einzelnen Passage. Kein Ton ist hier ungewollt oder Füllmaterial. Jeder Saitenschlag ist wohldurchdacht, jedes Riff auf diesem langen, langsamen Album ein Kracher.
Zum anderen ist da die Summe der Einzelteile, in der sich ein überragender dramatischer Bogen über die gesamte Laufzeit des Albums spannt.

Und dass die großräumige Produktion ebenfalls tadellos ist - ein Schlagzeug kann so wunderbar klingen! -, hilft natürlich auch.

Die Arbeit an "Horizonless" hat sich über viele Jahre hingezogen und man merkt, dass dies nicht alleine der Langsamkeit oder fauler Däumchendreherei geschuldet ist, sondern dass hier wirklich konsequent alles ausgesiebt wurde, was nicht das Goldene Doomhorn  verdient hat, dass Loss wirklich den Willen hatten, hier etwas Gigantisches zu schaffen.

Diese Mission ist geglückt.

"Horizonless" spielt locker auf Augenhöhe von "Four Phantoms". Vielleicht sogar darüber, aber wer mag dies entscheiden? Ein wuchtiges, tief emotionales Meisterwerk, welches einem mit auf eine Reise durch die absolute Dunkelheit nimmt.

Dagegen kommt mein zweitliebstes Doomalbum des laufenden Jahres, "Heartless" von Pallbearer, tatsächlich fast wie fröhlicher Kindergeburtstag daher. Naja, fast.


Eines aber ist unbestreitbar: Mehr Doom als Loss geht nicht.




Highlights: Horizonless, Naught, The Joy Of All Who Sorrow, All Grows On Tears




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