Ein Review-Doppelpack mit Tori Amos und Björk - nein, originell ist das nicht, ich weiß. Aber hey - auch wenn musikalisch eigentlich nur wenige Berührungspunkte existieren, so gibt es doch durchaus gute Gründe dafür!
Erstens sind die Alben der beiden Damen im September und Oktober zeitnah zueinander erschienen, zweitens sind es die einzigen 2011 erschienenen Alben von Sängerinnen, die ich mir zugelegt habe - und drittens hat Björk es mit ihrem Rothaarperückenlook doch ganz klar auf einen Catfight abgesehen! ;)
Natürlich gibt es zwischen den beiden noch weitere Gemeinsamkeiten jenseits der Tatsache, dass es sich brilliante Sängerinnen und Songschreiberinnen handelt, die nun schon seit Jahrzehnten beweisen, dass sie wirklich schlecht vermutlich gar nicht können.
Beide neigen jedoch auch leicht zur Überkonzeptionalisierung ihrer Werke, was einem im Vorfeld manchmal ein bisschen Sorgen macht, dass die Hörbarkeit der Songs darunter leiden könnte. Meistens lässt sich der konstruierte Überbau im Endeffekt dann aber wahrnehmen oder ignorieren, wie man gerade möchte und es bleiben einfach eine Menge toller Songs, wobei man sich bei Björk bei ca. einem Viertel der Stücke etwas mehr rhythmische Catchiness wünscht, während Frau Amos oft derart viele Songs auf einen Tonträger packt, dass eine Handvoll beinahe zwangsläufig kompositorisch abfallen muss und beim Hören dann stets geskippt wird. Nicht weil die Lieder schlecht wären, sondern weil die restlichen zwanzig Stück halt ein eine noch höhere Klasse besitzen.
Am hohen Songausstoß liegt es dann auch, dass ich als Fan bei Tori Amos eigentlich immer ein, zwei Jahre hinter dem aktuellsten Schaffen zurückliege, weil ich das jeweilige Vorgängeralbum noch gar nicht ganz "ausgehört" habe. (Dass ich die "Night Of Hunters" bereits besitze, ist allein dem amazon-Adventskalender zuzuschreiben.)
Zudem werden die Cover und Promobilder leider auch immer weniger zum Kaufanreiz, weil das gebotoxte (?) Püppchen darauf leider seit ein paar Jahren nur noch bedingt mit jener Person zu tun hat, die dann glücklicherweise doch noch zu hören ist. Schon traurig zu sehen, wie eine der einst heißesten Künstlerinnen des Erdballs nicht mit der Tatsache klarkommt, dass ab einem bestimmten Alter nunmal Falten auftreten können. Hätte ihr doch nur mal jemand gesagt, dass das gar nicht schlimm ist...
In punkto würdevolles Altern liegt Björk also klar vorne.
Dafür hat die Isländerin andere Wege, einem Angst zu machen, doch dazu jetzt mehr in der Albumkritik, die an Umfang wohl kaum mit dieser Einleitung wird mithalten können. ;)
BJÖRK - Biophilia (2011)
Kleine Teaser und Appetithäppchen sind ja meistens eine feine Sache, aber - auch wenn ich mich dem als facebook-Follower ja freiwillig aussetze - was von Björk im Vorfeld dieses Albums kam, hat oft einfach nur genervt und eher mein Desinteresse geschürt.
Multimediageschwafel, immer wieder Apps... auch wenn Steve Jobs ja nun heilig ist - i mich am Arsch, ich will doch einfach nur neue Musik von Björk hören!
Man ist ja schon fast dankbar, dass "Biophilia" dann tatsächlich auch als herkömmliche CD zum ganz normalen passiven Anhören erschienen ist. Und es ist dann doch ein zwar teilweise etwas düsteres, aber insgesamt doch ziemlich normales Björk-Album geworden, mit Songs die auch auf "Homogenic" oder "Volta" gepasst hätten. Zwar gibt es ein Soundkonzept mit reduzierten Elektropassagen, viel düsterem Brummen, spannenden, harmonisch grenzwertigen Chören und sporadisch herausexplodierenden Beats, doch so zwingend wie auf dem Schnee-Album "Vespertine" oder dem Acapella-Werk "Medúlla" kommt es nicht daher.
Dass hier für einzelne Songs spezielle Instrumente erfunden worden sind, drängt sich durch den reinen Höreindruck auch nicht auf, das muss man schon wissen.
Alle externen Informationen außen vor lassend, bleibt am Ende ein solides, also 95% Prozent der modernen Popmusik locker einkassierendes Björk-Album, welches ich jedem Fan weiterempfehlen würde, auch wenn der ganz große Funke früherer Tage nicht überspringen mag.
Kurz vor und nach "Biophilia" habe ich mir dieses Jahr die Live-Serie zu den ersten vier Alben "Debut", "Post", "Homogenic" und "Vespertine" gekauft - und häufiger gehört. Wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich mir mal wieder ein ganz und gar organisches Björk-Album mit klassisch echten, traditionellen Instrumenten wünschen. Ob nun mehr in Richtung Rock, Pop, Folk, wasauchimmer wäre mir ja egal, aber ich glaube, so ein bisschen zurück zum Konventionellen wäre durchaus mal ganz erfrischend, um nicht auf hohem Advantgarde-Niveau zu stagnieren...
Anspieltipps: Mutual Core, Nattura, Crystalline
Stagnation auf hohem Niveau ist ein Vorwurf, den man Tori Amos in den vergangenen zehn Jahren durchaus machen konnte - "Scarlet's Walk", "The Beekeeper" und "American Doll Posse" waren allesamt Spitzenalben, deren Songs man untereinander aber durchaus hätte vertauschen können. Mit dem verruchten "Abnormally Attracted to Sin" und dem Beinahe-Weihnachtsalbum "Midwinter Graces" (welches ich noch nicht beurteilen kann, da ich wie gesagt normalerweise bei Tori immer etwas hinterherhänge), haben ihre Veröffentlichungen dann zwar wieder einen stärkes albumspezifischeres musikalisches Wasserzeichen erhalten.
Doch was mit "Night Of Hunters" kommen sollte, war aufgrund dieser Tendenz sicherlich nicht zu erwarten...
TORI AMOS - Night Of Hunters (2011)
Schon die Veröffentlichung auf dem Label "Deutsche Grammophon" deutet darauf hin, dass die US-Amerikanerin sich offensichtlich von potentiell chartaffiner Popmusik losgesagt hat.
Stattdessen geht sie zurück zu den Wurzeln, was in diesem Fall nicht etwa ihr Hit-Debütalbum "Little Earthquakes", sondern noch viel weiter zurück eine intensive Auseinandersetzung mit ihrer klassischen Klavierausbildung bedeutet - und wie noch nie zuvor ihre ganze Klasse als Komponistin aufzeigt.
"Night Of Hunters" ist ein ausschließlich mit Piano, Kammerorchester und natürlich Gesang vorgetragener Liederzyklus, bei dem jedes Stück auf einer klassischen Komposition - bspw. von Schubert, Mendelssohn, Chopin oder Bach - beruht.
Das mag für Klassikbanausen, wie ich ja auch einer bin, in der Theorie zwar potentiell interessant, aber nicht zwingend spannend klingen. In der Praxis jedoch macht sich Frau Amos die Stücke so weit zu eigen, dass niemals der Eindruck einer "Popsängerin goes Klassik"-Scheibe entsteht, sondern man stets das Gefühl hat, einem hundertprozentigen Tori-Amos-Album zu lauschen, und zwar dem wohl tiefgreifendsten, wie sage ich es... mächtigsten, und auf jeden Fall einem der besten ihrer Diskographie.
Das an sich schon besondere Gesamtkonzept mal außer Acht lassend fallen neben den ungewohnt langen Instrumentalpassagen ("Seven Sisters" oder der Mittelteil des zentralen 10-Minuten-Epos "Star Whisperer") besonders die vielen Duette auf "Night Of Hunters" aus dem üblichen Rahmen.
Wenn sie in der Vergangenheit Duette gesungen hat, waren ihre Gesangspartner ja meistens kontrastierende tiefe Männerstimmen, hier jedoch singt Tori Amos bei gleich vier Stücken gemeinsam mit ihrer wie ihr kindliches Spiegelbild klingenden, elfjährigen Tochter. Dass hier großes Gesangstalent weitervererbt wurde, ist unverkennbar. "Job's Coffin" trägt Natashya Hawley sogar fast im Alleingang. Diesen Namen in sieben, acht Jahren auf einem Soloalbum wiederzufinden wäre sicherlich keine allzugroße Überraschung.
Eine weitere gelungene Gesangspaarung gibt es im Titelsong, wo Tori Amos auf die anscheinend im klassischen Gesang geübte, aber ebenfalls klangfarblich ähnliche Stimme ihrer Nichte Kelsey Dobyns trifft.
Auch wenn mit dem etwas zu langen "Battle Of Trees" und dem nicht ganz so starken Hauptthema von "Your Ghost" noch kleine Ansätze für Negativkritik vorhanden sind; "Night Of Hunters" ist - auch ohne Pauke - ein kreativer Paukenschlag von Tori Amos und für mich ganz klar eines der absoluten Top-Alben 2011!
Anspieltipps: Star Whisperer, Snowblind, Nautical Twilight, Night Of Hunters
Und was den im Titel ausgerufenen Kampf der Rotschöpfe angeht - sorry Björk, aber mit noch so viel Apple und löblicher Anstrengung ist gegen Toris geballte Kreativmacht diesmal einfach unmöglich zu gewinnen!
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