Klar, nach 4 x Mike Portnoy (The Winery Dogs Album und live, Neal Morse und PSMS) sowie der aktuellen Soloscheibe von James LaBrie muss in meinem Rezensionsreigen jetzt natürlich der selbstbetitelte Kreativauswurf von James' Haupt- und Mikes Ex-Band folgen:
DREAM THEATER - Dream Theater (Deluxe Edition) (2013)
Nein, die Herren Petrucci, Rudess, Myung, Mangini und LaBrie haben es mir diesmal nicht leicht gemacht.
Zunächst einmal ist da der Verzicht auf einen Albumtitel, der angesichts der wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit anhaltenden "Where is MP?"-Heulerei natürlich auch als psychologisches Muskelspiel gesehen werden muss: Jetzt, nach elf Studioalben machen wir ohne den Ex unser ultimatives Album, welches keine weitere Erklärung braucht.
Das finde ich schon ballsy und nachvollziehbar, aber die dadurch generierte Erwartungshaltung kann bei einem derart mächtigen Backkatalog zunächst einmal nur enttäuscht werden.
So geschah es dann auch bei den beiden vorab veröffentlichten Stücken "The Enemy Inside" (geil, aber sooo geil wie erhofft?) und "Along For The Ride" (ach, schon wieder so eine Petrucci-Ballade).
Dazu ein Cover, das mich in der Vorschau irgendwie an eine Anzeige für Autos höherer Preisklasse erinnerte.
Als ich das Ding dann allerdings real in den Fingern hielt, wirkte das Artwork zum Glück u.a. durch den Prägedruck doch wie ein edles, minimalistisches Albumcover. Im All mit der Erde im Hintergrund befinden wir uns quasi eine Stufe höher als auf dem Titelbild des Vorgängeralbums "A Dramatic Turn Of Events". Ob diese Beobachtung wohl auf die Musik übertragbar ist?
So reduziert das Cover, so detailreich präsentiert sich das Innenartwork, welches in einigen Bildern sehr deutlich das Kino-Motiv behandelt, welchem der Bandname ja bekanntlich zugrunde liegt. Optisch gewinnt die Selbstbetitelung des Albums so schon sehr an Sinn. Wie sieht es hier musikalisch aus?
Bevor ich diese Fragen für mich beantworten konnte, hat es ein paar zunächst skeptische Durchläufe gebraucht, um mich auf "Dream Theater" überhaupt erstmal zu orientieren.
Inzwischen - soviel sei schon verraten - gefällt mir das gesamte Werk von vorne bis hinten. Und es wächst und wächst weiter bei jedem Hören.
Tatsächlich knüpft die Scheibe so ziemlich in jeder Beziehung an den Vorgänger an, setzt aber durchaus noch einige Sahnetupfer obendrauf.
So ist der stilistische Mix ähnlich ausgewogen angelegt, fühlt sich aber noch etwas flüssiger an. Die Emphase liegt dabei auf den Melodien, auf John Petruccis Leadgitarre, Jordan Ruddess' Klavier- und Orchestersounds, James LaBries Stimme.
Die Frickelei wird dabei nicht vernachlässigt, ordnet sich aber stets dem Song unter. Auf den Alben von "Six Degrees Of Inner Turbulence" bis "Black Clouds & Silver Linings" gab es ja doch immer wieder diese aneinandergerifften Achterbahn-Angeberpassagen in den Longtracks, die mir bei aller Bewunderung oft ein wenig beliebig und unwesentlich für den Song vorkamen.
Hier dienen sie hingegen meistens als Grundlage für Soli und fügen sich perfekt in die Stücke ein.
Ebenfalls perfekt in den Gesamtsound eingefügt hat sich erneut Mike Mangini. Für manche Hörer vielleicht zu perfekt, da sich viele technische Feinheiten und Hexereien seines Spiels erst nach mehrmaligem Hören eröffnen und man sich zunächst fragt, wo der große Wahnsinn, der uns beim ersten Album, an dem er auch mitkomponiert hat, in Interviews versprochen wurde, denn bleibt.
Portnoys Stil (zumindest bei Dream Theater) war ja immer sehr dominant, hat die Band aber auch oft ein wenig in ein Korsett geschnürt.
Mangini hingegen drängt sich dem Hörer trotz Vorsprung in Technik und Tempo weniger auf, weil er dabei einfach noch mehr mit dem restlichen Instrumentarium verschmilzt. Die Rhythmussektion aus Drums und Bass ist in dieser Phase der Bandgeschichte so gleichberechtigt wie nie zuvor. John Myung ist auf "Dream Theater" wieder hervorragend produziert und hat zahlreiche Spotlights. Keine "Metropolis"-Soli, aber viel rhythmisches und röhrendes Powerplay mit überraschend mächtigem Wumms, welches einige der auffälligsten Momente des Albums markiert.
"Dream Theater" beginnt gleich sehr bombastisch und breitwandig mit der instrumentalen "False Awakening Suite", welche es trotz drei Teilen tatsächlich nur auf unter drei Minuten Spielzeit bringt. Sie ist allerdings auch nicht nur als Albumauftakt, sondern ebenso als Aufmarschmusik für zukünftige Touren konzipiert. Und acht Minuten Konserve, bevor die Band endlich auf die Bühne kommt, würde natürlich schon an Fan-Quälerei grenzen.
Die nachfolgenden sieben Tracks sind ebenfalls allesamt mit 4:45 bis 6:52 Minuten für DT-Verhältnisse relativ kurz gehalten, und es steht ihnen ausgesprochen gut, da so wirklich keine Längen auftreten.
Mit dem vierten Stück "Enigma Machine" ist ein weiteres Instrumentalstück vertreten. Schön, dass diese alte Tradition wieder aufgegriffen wurde, denn diese Maschine hört sich sehr frisch an und gefällt mir außerordentlich gut.
Nach drei weiteren sehr epischen, sich zu immer höhrer Klasse steigernden Stücken folgt die von mir eingangs leicht gescholtene Ballade "Along For The Ride", die ich im Zusammenhang nun schätzen gelernt habe. Außerdem ist das von der Soundauswahl mutig herausstechende Keyboardsolo ein ganz wunderbarer Farbtupfer.
Der größte Auftritt von Jordan Rudess folgt allerdings erst im letzten Song, der über zwanzigminütigen "Illumination Theory". Mittendrin schrumpft dieser Progmetalkracher nämlich plötzlich zusammen und erhebt sich minutenlang als lupenreiner, ergreifender Filmscore aus Keyboards und Streicherensemble. Also wirklich original als säße man gerade in einem Blockbuster! Und was danach erst passiert, wenn die ganze Band zurückkehr, vor allem der Gesang... wow!
Der Song endet ungewöhnlich mit einer sehr langen Pause, nach der ein klaviergetragenes Thema einsetzt, welches auch gut auf das diesjährige Solowerk von Steven Wilson gepasst hätte.
Auf den meisten anderen Tonträgern hätte ich dies wohl als "Hidden Track" gewertet, doch hier gehört es für mich als Abspann und Einrahmung des Albums unbedingt dazu.
Eine beeindruckende Demonstration von allem was Dream Theater songwriterisch und technisch draufhaben ist vorbei und man kann nur mit den Klischeeworten "ganz großes Kino" schließen.
Es ist allerdings keine hintersinnfreie Actionschlacht, sondern muss sich vom Hörer evtl. schon ein wenig erarbeitet werden. Und das lohnt sich!
Die Deluxe Edition enthält das ganze Album noch einmal auf DVD im 5.1-Surround-Mix, falls Stereo einen mal langweilen sollte. Auch sehr schön!
Und weitere Extras... hrrmmppff.... ich möchte mich ja nicht noch einmal so über Online-Bonuscontent echauffieren, wie es im Review zum letzten Studioalbum von Iron Maiden getan habe.
Wer weiß, welche große Rolle das Handy (Smartphone? Was ist das?) in meinem Leben spielt, der mag vielleicht ahnen, wie brutal gleichgültig meine Schulter zuckt, wenn ich genötigt werde, in einem CD-Booklet folgendes zu lesen: "Scan the Code with Your SmartPhone and Register to Unlock Exclusive Bonus Content."
Ach nö, mir reicht die Musik.
Zunächst einmal ist da der Verzicht auf einen Albumtitel, der angesichts der wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit anhaltenden "Where is MP?"-Heulerei natürlich auch als psychologisches Muskelspiel gesehen werden muss: Jetzt, nach elf Studioalben machen wir ohne den Ex unser ultimatives Album, welches keine weitere Erklärung braucht.
Das finde ich schon ballsy und nachvollziehbar, aber die dadurch generierte Erwartungshaltung kann bei einem derart mächtigen Backkatalog zunächst einmal nur enttäuscht werden.
So geschah es dann auch bei den beiden vorab veröffentlichten Stücken "The Enemy Inside" (geil, aber sooo geil wie erhofft?) und "Along For The Ride" (ach, schon wieder so eine Petrucci-Ballade).
Dazu ein Cover, das mich in der Vorschau irgendwie an eine Anzeige für Autos höherer Preisklasse erinnerte.
Als ich das Ding dann allerdings real in den Fingern hielt, wirkte das Artwork zum Glück u.a. durch den Prägedruck doch wie ein edles, minimalistisches Albumcover. Im All mit der Erde im Hintergrund befinden wir uns quasi eine Stufe höher als auf dem Titelbild des Vorgängeralbums "A Dramatic Turn Of Events". Ob diese Beobachtung wohl auf die Musik übertragbar ist?
So reduziert das Cover, so detailreich präsentiert sich das Innenartwork, welches in einigen Bildern sehr deutlich das Kino-Motiv behandelt, welchem der Bandname ja bekanntlich zugrunde liegt. Optisch gewinnt die Selbstbetitelung des Albums so schon sehr an Sinn. Wie sieht es hier musikalisch aus?
Bevor ich diese Fragen für mich beantworten konnte, hat es ein paar zunächst skeptische Durchläufe gebraucht, um mich auf "Dream Theater" überhaupt erstmal zu orientieren.
Inzwischen - soviel sei schon verraten - gefällt mir das gesamte Werk von vorne bis hinten. Und es wächst und wächst weiter bei jedem Hören.
Tatsächlich knüpft die Scheibe so ziemlich in jeder Beziehung an den Vorgänger an, setzt aber durchaus noch einige Sahnetupfer obendrauf.
So ist der stilistische Mix ähnlich ausgewogen angelegt, fühlt sich aber noch etwas flüssiger an. Die Emphase liegt dabei auf den Melodien, auf John Petruccis Leadgitarre, Jordan Ruddess' Klavier- und Orchestersounds, James LaBries Stimme.
Die Frickelei wird dabei nicht vernachlässigt, ordnet sich aber stets dem Song unter. Auf den Alben von "Six Degrees Of Inner Turbulence" bis "Black Clouds & Silver Linings" gab es ja doch immer wieder diese aneinandergerifften Achterbahn-Angeberpassagen in den Longtracks, die mir bei aller Bewunderung oft ein wenig beliebig und unwesentlich für den Song vorkamen.
Hier dienen sie hingegen meistens als Grundlage für Soli und fügen sich perfekt in die Stücke ein.
Ebenfalls perfekt in den Gesamtsound eingefügt hat sich erneut Mike Mangini. Für manche Hörer vielleicht zu perfekt, da sich viele technische Feinheiten und Hexereien seines Spiels erst nach mehrmaligem Hören eröffnen und man sich zunächst fragt, wo der große Wahnsinn, der uns beim ersten Album, an dem er auch mitkomponiert hat, in Interviews versprochen wurde, denn bleibt.
Portnoys Stil (zumindest bei Dream Theater) war ja immer sehr dominant, hat die Band aber auch oft ein wenig in ein Korsett geschnürt.
Mangini hingegen drängt sich dem Hörer trotz Vorsprung in Technik und Tempo weniger auf, weil er dabei einfach noch mehr mit dem restlichen Instrumentarium verschmilzt. Die Rhythmussektion aus Drums und Bass ist in dieser Phase der Bandgeschichte so gleichberechtigt wie nie zuvor. John Myung ist auf "Dream Theater" wieder hervorragend produziert und hat zahlreiche Spotlights. Keine "Metropolis"-Soli, aber viel rhythmisches und röhrendes Powerplay mit überraschend mächtigem Wumms, welches einige der auffälligsten Momente des Albums markiert.
"Dream Theater" beginnt gleich sehr bombastisch und breitwandig mit der instrumentalen "False Awakening Suite", welche es trotz drei Teilen tatsächlich nur auf unter drei Minuten Spielzeit bringt. Sie ist allerdings auch nicht nur als Albumauftakt, sondern ebenso als Aufmarschmusik für zukünftige Touren konzipiert. Und acht Minuten Konserve, bevor die Band endlich auf die Bühne kommt, würde natürlich schon an Fan-Quälerei grenzen.
Die nachfolgenden sieben Tracks sind ebenfalls allesamt mit 4:45 bis 6:52 Minuten für DT-Verhältnisse relativ kurz gehalten, und es steht ihnen ausgesprochen gut, da so wirklich keine Längen auftreten.
Mit dem vierten Stück "Enigma Machine" ist ein weiteres Instrumentalstück vertreten. Schön, dass diese alte Tradition wieder aufgegriffen wurde, denn diese Maschine hört sich sehr frisch an und gefällt mir außerordentlich gut.
Nach drei weiteren sehr epischen, sich zu immer höhrer Klasse steigernden Stücken folgt die von mir eingangs leicht gescholtene Ballade "Along For The Ride", die ich im Zusammenhang nun schätzen gelernt habe. Außerdem ist das von der Soundauswahl mutig herausstechende Keyboardsolo ein ganz wunderbarer Farbtupfer.
Der größte Auftritt von Jordan Rudess folgt allerdings erst im letzten Song, der über zwanzigminütigen "Illumination Theory". Mittendrin schrumpft dieser Progmetalkracher nämlich plötzlich zusammen und erhebt sich minutenlang als lupenreiner, ergreifender Filmscore aus Keyboards und Streicherensemble. Also wirklich original als säße man gerade in einem Blockbuster! Und was danach erst passiert, wenn die ganze Band zurückkehr, vor allem der Gesang... wow!
Der Song endet ungewöhnlich mit einer sehr langen Pause, nach der ein klaviergetragenes Thema einsetzt, welches auch gut auf das diesjährige Solowerk von Steven Wilson gepasst hätte.
Auf den meisten anderen Tonträgern hätte ich dies wohl als "Hidden Track" gewertet, doch hier gehört es für mich als Abspann und Einrahmung des Albums unbedingt dazu.
Eine beeindruckende Demonstration von allem was Dream Theater songwriterisch und technisch draufhaben ist vorbei und man kann nur mit den Klischeeworten "ganz großes Kino" schließen.
Es ist allerdings keine hintersinnfreie Actionschlacht, sondern muss sich vom Hörer evtl. schon ein wenig erarbeitet werden. Und das lohnt sich!
Die Deluxe Edition enthält das ganze Album noch einmal auf DVD im 5.1-Surround-Mix, falls Stereo einen mal langweilen sollte. Auch sehr schön!
Und weitere Extras... hrrmmppff.... ich möchte mich ja nicht noch einmal so über Online-Bonuscontent echauffieren, wie es im Review zum letzten Studioalbum von Iron Maiden getan habe.
Wer weiß, welche große Rolle das Handy (Smartphone? Was ist das?) in meinem Leben spielt, der mag vielleicht ahnen, wie brutal gleichgültig meine Schulter zuckt, wenn ich genötigt werde, in einem CD-Booklet folgendes zu lesen: "Scan the Code with Your SmartPhone and Register to Unlock Exclusive Bonus Content."
Ach nö, mir reicht die Musik.
Anspieltipps: Illumination Theory, Enigma Machine, Surrender To Reason, The Enemy Inside
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