Zweiundzwanzig Jahre ist "Kapital" nun schon alt, jenes sperrige, vielleicht unterbewerteste Album von Laibach, welches mich damals mit der Gruppe angefixt hat. "Kapital" war ein äußerst kryptisches Werk, auf dem in Vorsehung der Reiz- und Informationsüberladung der Gegenwart unterschiedlichste Musikfragmente und Samples gegeneinander stritten. Zentrales Thema, soweit sich überhaupt eines extrahieren ließ, waren die Selbstzerstörungskräfte des Kapitalismus, der zu jener Zeit doch angeblich gerade erst den Kommunismus besiegt hatte.
In der Diskographie steht es natürlich für alle Zeiten im Schatten voriger Veröffentlichungen wie der unvermeidlichen "Geburt einer Nation", die zum etwas böseren Soundtrack zur Deutschen Wiedervereinigung wurde.
Historische Großereignisse bündeln viel Aufmerksamkeit. So werden im voluminösen Schatten seiner Verdienste um eben jene Wiedervereinigung ja auch andere zweifelhafte Ruhmestaten unseres damaligen Sonnenkanzlers gerne vergessen. Eine davon wäre, dass Helmut Kohl zusammen mit der "Eisernen Lady" die Regulierungen der Finanzmärkte gelockert hat und so zumindest mitverantwortlich ist für die vollkommen entfesselten Investmentgeschäfte der Großbanken, die Europa in einen seit Jahren andauernden Strudel aus wirtschaftlichen, politischen und moralischen Krisen gestoßen haben.
Wir wissen heute, dass der Kapitalismus kein "genug" kennt. Je liberaler ein Markt ist, desto eher öffnet er seine Pforten für den größten internen Feind aller menschengemachten Systeme: die Gier.
Hätte man den Bankenkrisen-Mahlstrom verhindern können, wenn die Menschen damals erkannt hätten, was da eigentlich von der europäischen Polit-Elite beschlossen worden war? So wie wir heute sehr viel hellhöriger reagieren (und doch machtlos bleiben), wenn uns Brüsseler Esoterikzirkel das Transatlantische Freihandelsabkommen, Fracking oder andere zweifelhafte Leckereien schmackhaft machen möchten?
Oder hätten wir einfach alle Laibach zuhören sollen?
Denn so wie wir jetzt die faulen Früchte der damaligen wirtschaftspolitischen Entscheidungen ernten, so scheint auch Laibachs Analyse und Vorhersehung aufzugehen.
Zwischen den Hämmern inkompetenter Politiker und ihrer medial eingelullten Wähler, gewissenloser Lobbyisten, hirnloser Nationalisten, aufrüstender Kriegsrhetoriker und Söldner, die Krieg gegen Flüchtlinge führen, stehen wir bis zum Hals in den Scherben einer lächerlich naiv scheinenden Idee, der Idee eines friedlich vereinten Kontinents.
Und was tun Laibach?
Sie veröffentlichen ein schmissiges Pop-Album.
In der Diskographie steht es natürlich für alle Zeiten im Schatten voriger Veröffentlichungen wie der unvermeidlichen "Geburt einer Nation", die zum etwas böseren Soundtrack zur Deutschen Wiedervereinigung wurde.
Historische Großereignisse bündeln viel Aufmerksamkeit. So werden im voluminösen Schatten seiner Verdienste um eben jene Wiedervereinigung ja auch andere zweifelhafte Ruhmestaten unseres damaligen Sonnenkanzlers gerne vergessen. Eine davon wäre, dass Helmut Kohl zusammen mit der "Eisernen Lady" die Regulierungen der Finanzmärkte gelockert hat und so zumindest mitverantwortlich ist für die vollkommen entfesselten Investmentgeschäfte der Großbanken, die Europa in einen seit Jahren andauernden Strudel aus wirtschaftlichen, politischen und moralischen Krisen gestoßen haben.
Wir wissen heute, dass der Kapitalismus kein "genug" kennt. Je liberaler ein Markt ist, desto eher öffnet er seine Pforten für den größten internen Feind aller menschengemachten Systeme: die Gier.
Hätte man den Bankenkrisen-Mahlstrom verhindern können, wenn die Menschen damals erkannt hätten, was da eigentlich von der europäischen Polit-Elite beschlossen worden war? So wie wir heute sehr viel hellhöriger reagieren (und doch machtlos bleiben), wenn uns Brüsseler Esoterikzirkel das Transatlantische Freihandelsabkommen, Fracking oder andere zweifelhafte Leckereien schmackhaft machen möchten?
Oder hätten wir einfach alle Laibach zuhören sollen?
Denn so wie wir jetzt die faulen Früchte der damaligen wirtschaftspolitischen Entscheidungen ernten, so scheint auch Laibachs Analyse und Vorhersehung aufzugehen.
Zwischen den Hämmern inkompetenter Politiker und ihrer medial eingelullten Wähler, gewissenloser Lobbyisten, hirnloser Nationalisten, aufrüstender Kriegsrhetoriker und Söldner, die Krieg gegen Flüchtlinge führen, stehen wir bis zum Hals in den Scherben einer lächerlich naiv scheinenden Idee, der Idee eines friedlich vereinten Kontinents.
Und was tun Laibach?
Sie veröffentlichen ein schmissiges Pop-Album.
LAIBACH - Spectre (Limited Version) (2014)
Nein, natürlich ist "Spectre" nichts für die "Bravo Hits", aber selten klangen die Slowenen auf den ersten Eindruck so konsensfähig.
Der Großteil des Albums ist eingängig, tanzbar, besitzt Ohrwurmmelodien und eher einfache Texte. Das könnte man als Versuch der Anbiederung an breitere Hörerschichten interpretieren; wenn man nicht wüsste, wie sehr sich bei Laibach Form und Konzept bedingen - und dass es ähnliche Vorwürfe schon viel früher gegeben hat.
Nach "Kapital" kehrten Laibach 1994 zum Konzept eines Cover-Albums zurück und orientierten sich dabei statt an der bis dahin gewohnten Marschmusikästhetik erstmals an aktuellen Euro Dance-Trends. Tanzen statt strammstehen - und das, obwohl "NATO" doch Laibachs großes Statement zum Jugoslawienkrieg war! Das war natürlich kein Zufall, sondern eine jener bewussten Widersprüchlichkeiten, mit denen Laibach immer wieder Fragen aufwerfen und Spannungsfelder erzeugen.
Kann es also sein, dass zumindest teilweise wieder einmal die Musik die Botschaft konterkariert?
Die zentrale Aussage, mit der auch die Konzerte der "Spectre"-Tour (welche ich in Amsterdam und Hamburg erlebt habe) eröffnet wurden, ist ganz klar: "Europe is falling apart." ("Eurovision")
Doch Laibach resignieren nicht angesichts der Gesamtsituation, sondern glauben trotz allem an eine bessere Welt, an Gleichheit und Freiheit, an Glück für alle ("Koran"), sie rufen uns auf mit ihnen zu kommen, um die Welt zu ändern, als revolutionäre Gemeinschaft in gesegneter Mission die Geschichte, Gott und unsere Herrscher zu überwinden, mit Gefühl und erfüllt von Liebe die Sterne zu erreichen... und am Ende steht ein linkspazifistisches Utopia.
Mit der Veröffentlichung des Albums gaben sich Laibach sehr volksnah und offen, was sich u.a. auch daran zeigt, dass sich niemand mehr hinter den Pseudonymen Eber, Saliger, Dachauer und Keller versteckt, sondern alle Beteiligten in den Credits genannt werden. Weil die Zeiten eine klare Botschaft verlangen, sagten sie sich auch erstmals offiziell von ihrer textlichen Ambiguität los.
Und da die Texte alle in leicht verständlichem englisch und ebenso wie die Musik doch großteils relativ straight forward sind, scheinen ihnen das auch ziemlich viele Hörer zu glauben.
Dabei ist dies natürlich Quatsch!
Dies fängt schon beim Albumtitel an, der vieles bedeuten kann.
Wörtlich ist "Spectre" das Schreckgespenst, auf dem Cover symbolisiert durch ein geisterhaftes "S", welches jedoch genausogut das mit dem Nationalhymnen-Album "Volk" etablierte, umgekippte "V" sein könnte.
In Europa gehen derzeit viele Gespenster um, welches meinen Laibach denn nun? Den Nationalismus? Den Militarismus? Nach zweiundzwanzig Jahren immer noch das Kapital? Oder sind Laibach selbst das Gespenst?
Was spuckt Wikipedia zu "Spectre" aus?
In der Comicwelt ist der Spectre ein von Gott geschaffenes, nahezu allmächtiges Wesen, der personifizierte Zorn Gottes. Ähnlich mächtig ist die Terrororganisation Spectre im Universum von James Bond.
Und dass "Spectre" nicht nur ein US-amerikanisches Schlachtflugzeug, sondern auch eine hauptsächlich von der Polizei benutze Maschinenpistole bezeichnet, ist ebenfalls nicht uninteressant.
Man reflektiere unter dem Eindruck dieser Informationen nur mal intensiver über die Textpassage "In the absence of war we are questioning peace / In the absence of god we all pray to police"...
Aber halt! "Spectre" ist außerdem noch der Name der von Laibach neu gegründeten Partei, deren Mitgliedsausweise / Sangesbüchlein dem Album in der DeLuxe-Version beiliegen und deren Slogan die Beastie Boys und Public Enemy zitiert: "Fight for Your Right to Party for Your Right to Fight!"
Das Album selbst ist in Wahrheit nur Beiwerk, auf dem die Parteilieder vertont wurden.
Und dann bleibt natürlich stets die Frage, für wen das "we" in Laibach steht. Denn was man als Botschaft der aufbegehrenden Unterdrückten verstehen kann, funktioniert oft ebenfalls aus der Perspektive der Unterdrücker.
Wer assimiliert im von Star Trek-Zitaten getränkten "Resistance Is Futile" wen?
Man bedenke außerdem das von Anfang an von Laibach benutze Prinzip der Entlarvung durch Über-Identifikation. Wo sich im Staat, der Gesellschaft, Kultur, in der Popmusik das Böse versteckt, da kehren Laibach es in ihrer Adaption besonders heraus und feiern es sogar noch. Die Gruppe hat dies schon mit etlichen Institutionen und Phänomenen durchexzerziert - und nun sind Protest und Revolution dran.
Revolutionen und ihre Hymnen stehen immer mindest kurz vor der Schwelle, an der gute Wille in die böse Tat umschwingt, wenn sie nicht schon drüber hinaus sind. Nämlich immer dann, wenn man fragt, wie die hehren Ziele denn umgesetzt werden sollen. Und eben deswegen hat alles auf "Spectre" entgegen dem offiziellen Statement eben doch einen doppelten Boden.
Konzeptionell verbirgt sich unter "Spectre" also eine Falle.
Der Köder in dieser Falle ist Pop.
Womit ich zur Musik komme, d.h. eigentlich braucht man an dieser Stelle erst anfangen, mein Review zu lesen.
Die Basis von "Spectre" ist eingängiger Elektropop, eingespielt der seit einigen Jahren aktuellen Livebesetzung der Band, der selbstverständlich immer wieder mit dem typisch laibachschen Bombast aufgepumpt wird. Den Gesang teilen sich (wie live inzwischen schon gewohnt, aber hier erstmals auf einem regulären Studioalbum zu hören) auf Augenhöhe Tiefsprecher Milan Fras und Melodrom-Frontfrau Mina Špiler.
Mal geht es schnell und rhythmusbetont zur Sache ("Eat Liver!"), mal ist es bedächtig und einfach nur wunderschön ("Koran"). Manchmal fragt man sich am Anfang eines Songs, ob das so wirklich funktionieren soll (der Pfeifmarsch im Opener "The Whistleblowers" oder die penetrante Refrainuntermalung von "Walk With Me"), nur damit gerade diese Stücke sich später als unabschüttelbare Ohrwürmer festsetzen.
Und dann gibt es sogar Elemente wie dieses aus vielen schlechten Chartsongs bekannte Keyboard in "We Are Millions And Millions Are One", welches man eigentlich hassen möchte, das bei Laibach jedoch plötzlich gekonnt Wirkung entfaltet.
Es gibt auch einige selbstreferenzielle Elemente, welche allerdings bis auf ein, zwei Ausnahmen schwerer auszumachen sind als beispielsweise auf "WAT". Überhaupt wird die musikalisch vielfältige Vergangenheit zwar nie verleugnet, jedoch keine Phase der Bandgeschichte einfach kopiert. Der Gesamtsound von Laibach anno 2014 ist definitiv neu.
Ganz groß wird "Spectre" in Momenten wie dem Instrumentalteil von "Americana", wenn sich über den dynamischen mit Atemgeräuschen angereichrten Beat ein vielschichtiger, sehnsuchtsvoller Teppich aus Chor und Orchester ausbreitet, wie ihn kaum jemand außer den Slowenen komponieren darf, ohne viel Kleingeld in die Kitschkasse werfen zu müssen.
Und im Finale des längsten Stücks "Resistance is Futile" fegt - um die einzige deutsche Vokabel des Albums und eben dieses Tracks zu verwenden - ein wahrer Blitzkrieg aus hartem Groove, aggressiven Elektrosounds und orchestralen Arrangements über den Hörer hinweg, um schließlich in einem tiefen Sound- und Samplesumpf zu versinken, über dem ein aus "Opus Dei"-Tagen vertrautes "Ommmm" brumm-meditiert.
Kein einziger der zehn Songs ist ein Füller, selbst am vergleichsweise schwächsten Stück "Bossanova" ist bis auf den bewusst holprigen Eintieg eigentlich nichts auszusetzen.
Und dann ist da ja noch der Grund, warum man sich unbedingt für die DeLuxe-Version des Albums entscheiden sollte: die vier Bonustracks.
Im flotten "The Parade" wagen sich die Bläser - an sich für Laibach ja ein gewohntes Stilmittel - in Ska/Funk-Sphären vor, was für Fans die mit der Ausrichtung des regulären Albums schon Probleme haben, wohl der absolute Todesstoß sein dürfte. Für mich ist dieses überraschend fröhliche - Achtung! Text beachten! - Stück, welches dennoch musikalische Tiefe nicht vermissen lässt, inzwischen eines der Highlights.
Das Cover "Love On The Beat" ist von Konzerten und der "Monumental Retro-Avant-Garde" schon eine Weile bekannt und weiß auch als Studioversion zu überzeugen. Außerdem steht sowohl Milan als auch Mina die Sprache der Liebe wunderbar.
"Just Say No!" war mit nur zweieinhalb Minuten wohl etwas zu kurz und knackig für das reguläre Album, leitet hier mit seiner ruppigen Attitüde aber gut zum abschließenden härtesten Stück, dem ebenfalls schon auf Konzerten gespieltem Cover "See That My Grave Is kept Clean" über, mit dem Laibach "Spectre" auf einer sehr lauten Note beenden.
Ich mag als Parteimitglied Nr. 494 (Party Name: Saliger) vielleicht befangen sein, aber "Spectre" ist für mich eine absolut perfekte Stunde Laibach, an der es nichts auszusetzen gibt - und die mich dazu ja auch schon zwei Mal live überzeugt hat.
Von daher geht mein Kaufbefehl an alle! Und in den Spitzenrängen meiner persönlichen Alben des Jahres, wo es voraussichtlich ziemliches Gedrängel geben wird, ist für Laibach schon ein Platz fest reserviert.
Der Großteil des Albums ist eingängig, tanzbar, besitzt Ohrwurmmelodien und eher einfache Texte. Das könnte man als Versuch der Anbiederung an breitere Hörerschichten interpretieren; wenn man nicht wüsste, wie sehr sich bei Laibach Form und Konzept bedingen - und dass es ähnliche Vorwürfe schon viel früher gegeben hat.
Nach "Kapital" kehrten Laibach 1994 zum Konzept eines Cover-Albums zurück und orientierten sich dabei statt an der bis dahin gewohnten Marschmusikästhetik erstmals an aktuellen Euro Dance-Trends. Tanzen statt strammstehen - und das, obwohl "NATO" doch Laibachs großes Statement zum Jugoslawienkrieg war! Das war natürlich kein Zufall, sondern eine jener bewussten Widersprüchlichkeiten, mit denen Laibach immer wieder Fragen aufwerfen und Spannungsfelder erzeugen.
Kann es also sein, dass zumindest teilweise wieder einmal die Musik die Botschaft konterkariert?
Die zentrale Aussage, mit der auch die Konzerte der "Spectre"-Tour (welche ich in Amsterdam und Hamburg erlebt habe) eröffnet wurden, ist ganz klar: "Europe is falling apart." ("Eurovision")
Doch Laibach resignieren nicht angesichts der Gesamtsituation, sondern glauben trotz allem an eine bessere Welt, an Gleichheit und Freiheit, an Glück für alle ("Koran"), sie rufen uns auf mit ihnen zu kommen, um die Welt zu ändern, als revolutionäre Gemeinschaft in gesegneter Mission die Geschichte, Gott und unsere Herrscher zu überwinden, mit Gefühl und erfüllt von Liebe die Sterne zu erreichen... und am Ende steht ein linkspazifistisches Utopia.
Mit der Veröffentlichung des Albums gaben sich Laibach sehr volksnah und offen, was sich u.a. auch daran zeigt, dass sich niemand mehr hinter den Pseudonymen Eber, Saliger, Dachauer und Keller versteckt, sondern alle Beteiligten in den Credits genannt werden. Weil die Zeiten eine klare Botschaft verlangen, sagten sie sich auch erstmals offiziell von ihrer textlichen Ambiguität los.
Und da die Texte alle in leicht verständlichem englisch und ebenso wie die Musik doch großteils relativ straight forward sind, scheinen ihnen das auch ziemlich viele Hörer zu glauben.
Dabei ist dies natürlich Quatsch!
Dies fängt schon beim Albumtitel an, der vieles bedeuten kann.
Wörtlich ist "Spectre" das Schreckgespenst, auf dem Cover symbolisiert durch ein geisterhaftes "S", welches jedoch genausogut das mit dem Nationalhymnen-Album "Volk" etablierte, umgekippte "V" sein könnte.
In Europa gehen derzeit viele Gespenster um, welches meinen Laibach denn nun? Den Nationalismus? Den Militarismus? Nach zweiundzwanzig Jahren immer noch das Kapital? Oder sind Laibach selbst das Gespenst?
Was spuckt Wikipedia zu "Spectre" aus?
In der Comicwelt ist der Spectre ein von Gott geschaffenes, nahezu allmächtiges Wesen, der personifizierte Zorn Gottes. Ähnlich mächtig ist die Terrororganisation Spectre im Universum von James Bond.
Und dass "Spectre" nicht nur ein US-amerikanisches Schlachtflugzeug, sondern auch eine hauptsächlich von der Polizei benutze Maschinenpistole bezeichnet, ist ebenfalls nicht uninteressant.
Man reflektiere unter dem Eindruck dieser Informationen nur mal intensiver über die Textpassage "In the absence of war we are questioning peace / In the absence of god we all pray to police"...
Aber halt! "Spectre" ist außerdem noch der Name der von Laibach neu gegründeten Partei, deren Mitgliedsausweise / Sangesbüchlein dem Album in der DeLuxe-Version beiliegen und deren Slogan die Beastie Boys und Public Enemy zitiert: "Fight for Your Right to Party for Your Right to Fight!"
Das Album selbst ist in Wahrheit nur Beiwerk, auf dem die Parteilieder vertont wurden.
Und dann bleibt natürlich stets die Frage, für wen das "we" in Laibach steht. Denn was man als Botschaft der aufbegehrenden Unterdrückten verstehen kann, funktioniert oft ebenfalls aus der Perspektive der Unterdrücker.
Wer assimiliert im von Star Trek-Zitaten getränkten "Resistance Is Futile" wen?
Man bedenke außerdem das von Anfang an von Laibach benutze Prinzip der Entlarvung durch Über-Identifikation. Wo sich im Staat, der Gesellschaft, Kultur, in der Popmusik das Böse versteckt, da kehren Laibach es in ihrer Adaption besonders heraus und feiern es sogar noch. Die Gruppe hat dies schon mit etlichen Institutionen und Phänomenen durchexzerziert - und nun sind Protest und Revolution dran.
Revolutionen und ihre Hymnen stehen immer mindest kurz vor der Schwelle, an der gute Wille in die böse Tat umschwingt, wenn sie nicht schon drüber hinaus sind. Nämlich immer dann, wenn man fragt, wie die hehren Ziele denn umgesetzt werden sollen. Und eben deswegen hat alles auf "Spectre" entgegen dem offiziellen Statement eben doch einen doppelten Boden.
Konzeptionell verbirgt sich unter "Spectre" also eine Falle.
Der Köder in dieser Falle ist Pop.
Womit ich zur Musik komme, d.h. eigentlich braucht man an dieser Stelle erst anfangen, mein Review zu lesen.
Die Basis von "Spectre" ist eingängiger Elektropop, eingespielt der seit einigen Jahren aktuellen Livebesetzung der Band, der selbstverständlich immer wieder mit dem typisch laibachschen Bombast aufgepumpt wird. Den Gesang teilen sich (wie live inzwischen schon gewohnt, aber hier erstmals auf einem regulären Studioalbum zu hören) auf Augenhöhe Tiefsprecher Milan Fras und Melodrom-Frontfrau Mina Špiler.
Mal geht es schnell und rhythmusbetont zur Sache ("Eat Liver!"), mal ist es bedächtig und einfach nur wunderschön ("Koran"). Manchmal fragt man sich am Anfang eines Songs, ob das so wirklich funktionieren soll (der Pfeifmarsch im Opener "The Whistleblowers" oder die penetrante Refrainuntermalung von "Walk With Me"), nur damit gerade diese Stücke sich später als unabschüttelbare Ohrwürmer festsetzen.
Und dann gibt es sogar Elemente wie dieses aus vielen schlechten Chartsongs bekannte Keyboard in "We Are Millions And Millions Are One", welches man eigentlich hassen möchte, das bei Laibach jedoch plötzlich gekonnt Wirkung entfaltet.
Es gibt auch einige selbstreferenzielle Elemente, welche allerdings bis auf ein, zwei Ausnahmen schwerer auszumachen sind als beispielsweise auf "WAT". Überhaupt wird die musikalisch vielfältige Vergangenheit zwar nie verleugnet, jedoch keine Phase der Bandgeschichte einfach kopiert. Der Gesamtsound von Laibach anno 2014 ist definitiv neu.
Ganz groß wird "Spectre" in Momenten wie dem Instrumentalteil von "Americana", wenn sich über den dynamischen mit Atemgeräuschen angereichrten Beat ein vielschichtiger, sehnsuchtsvoller Teppich aus Chor und Orchester ausbreitet, wie ihn kaum jemand außer den Slowenen komponieren darf, ohne viel Kleingeld in die Kitschkasse werfen zu müssen.
Und im Finale des längsten Stücks "Resistance is Futile" fegt - um die einzige deutsche Vokabel des Albums und eben dieses Tracks zu verwenden - ein wahrer Blitzkrieg aus hartem Groove, aggressiven Elektrosounds und orchestralen Arrangements über den Hörer hinweg, um schließlich in einem tiefen Sound- und Samplesumpf zu versinken, über dem ein aus "Opus Dei"-Tagen vertrautes "Ommmm" brumm-meditiert.
Kein einziger der zehn Songs ist ein Füller, selbst am vergleichsweise schwächsten Stück "Bossanova" ist bis auf den bewusst holprigen Eintieg eigentlich nichts auszusetzen.
Und dann ist da ja noch der Grund, warum man sich unbedingt für die DeLuxe-Version des Albums entscheiden sollte: die vier Bonustracks.
Im flotten "The Parade" wagen sich die Bläser - an sich für Laibach ja ein gewohntes Stilmittel - in Ska/Funk-Sphären vor, was für Fans die mit der Ausrichtung des regulären Albums schon Probleme haben, wohl der absolute Todesstoß sein dürfte. Für mich ist dieses überraschend fröhliche - Achtung! Text beachten! - Stück, welches dennoch musikalische Tiefe nicht vermissen lässt, inzwischen eines der Highlights.
Das Cover "Love On The Beat" ist von Konzerten und der "Monumental Retro-Avant-Garde" schon eine Weile bekannt und weiß auch als Studioversion zu überzeugen. Außerdem steht sowohl Milan als auch Mina die Sprache der Liebe wunderbar.
"Just Say No!" war mit nur zweieinhalb Minuten wohl etwas zu kurz und knackig für das reguläre Album, leitet hier mit seiner ruppigen Attitüde aber gut zum abschließenden härtesten Stück, dem ebenfalls schon auf Konzerten gespieltem Cover "See That My Grave Is kept Clean" über, mit dem Laibach "Spectre" auf einer sehr lauten Note beenden.
Ich mag als Parteimitglied Nr. 494 (Party Name: Saliger) vielleicht befangen sein, aber "Spectre" ist für mich eine absolut perfekte Stunde Laibach, an der es nichts auszusetzen gibt - und die mich dazu ja auch schon zwei Mal live überzeugt hat.
Von daher geht mein Kaufbefehl an alle! Und in den Spitzenrängen meiner persönlichen Alben des Jahres, wo es voraussichtlich ziemliches Gedrängel geben wird, ist für Laibach schon ein Platz fest reserviert.
Anspieltipps: Resistance Is Futile, Americana, See That My Grave Is Kept Clean, The Whistleblowers, Eurovision, The Parade
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