Sometimes German, sometimes English. • The title of this blog used to change from time to time. • Interested in me reviewing your music? Please read this! • I'm also a writer for VeilOfSound.com. • Please like and follow Audiovisual Ohlsen Overkill on Facebook!

2015-09-27

THE HIRSCH EFFEKT und EDGAR R. im Speicher, Husum (25. September 2015)

Nachdem die hannoveraner Over-the-top-Extremmusikepileptiker von The Hirsch Effekt mit "Holon: Agnosie" einen ganz heißen Kandidaten für eine Spitzenplatzierung in der Kategorie "Album des Jahres" hingelegt hatten, war es natürlich keine Frage, dass ich sie auf der dazugehörigen Tour wieder live sehen wollte. Es standen mehrere erreichbare Gigs zur Auswahl, und ich bin zur Abwechslung mal nicht nach Hamburg oder Kiel, sondern ins touristische Herz Husums gefahren, wo sie gestern direkt am Hafen im Speicher zu Gast waren.

Als Vorband spielten Edgar R. aus Schleswig gut gemachten Punk/Indierock mit schönem Gitarrensound. Für Freunde des Genres sicher nicht schlecht, an meinem persönlichen Geschmack ging es allerdings alles in allem doch knapp vorbei.


Die Herren WittrockLappinSchmidt trafen danach allerdings erwartungsgemäß voll ins Schwarze. Eine mathcorebasierte, darüber hinaus aber in unzähligen Musikstilen wildernde Beklopptika-Trilogie wie die "Holon"-Reihe im Studio einzuspielen, ist die eine Sache. Dieses Zeug dann aber mit solcher Präzision live umzusetzen, eine ganz andere.

Da könnte ich mich jetzt noch so sehr abmühen, Super- und Megalative auszugraben und Wörter neu zu schöpfen; wer das nich gesehen und gehört hat, steht doch auf dem Schlauch.
The Dilliger Escape Plan und The Mars Volta bleiben natürlich die Hauptreferenzen, um das, was The Hirsch Effekt machen, zu beschreiben.
Auch wenn die Bühne diesmal wohl zu klein oder die Decke zu niedrig war, um die Banner dort aufzustellen, war die optische Präsentation inkl. selbstbedienbarer Von-unten-Beleuchtungs-Box auch ziemlich gut gelungen.


Alles in allem wieder ein großartiges und mit knapp anderthalb Stunden gerade für diese Höchstleistungsmusik auch großzügiges Konzert, in dem mich gerade das reichlich vertretene Material vom aktuellen Album besonders überzeugen konnte, und das für viel Mundoffenstand und Begeisterung gesorgt hat. Da konnten auch ein paar Wackelkontaktprobleme nichts dran rütteln.

Nur das mit der Konservenmusik direkt nach dem Bühnenabgang, ging etwas nach hinten los, da das Publikum so den Eindruck hatte, dass eine Zugabe offenbar nicht vorgesehen war.
So hatten sich die Reihen auch schon deutlich gelichtet und auch ich schon meine Jacke wieder übergezogen, als Nils Wittrock doch noch einmal für einen Solo-Song nach draußen kam.


The Hirsch Effekt haben dieses Jahr noch Auftritte in allen Ecken Deutschlands auf dem Kalender. Ich kann nur dringend empfehlen, sich das Spektakel anzusehen, gerade auch zu dem moderaten Eintrittspreis.

























2015-09-21

CHELSEA WOLFE - Abyss

"Graue Tage", "Aasblumen", "Der Abgrund", "Schlund", "Schlichter Tod".

Nein, wer nach beschwingter Sommermusik zum Cocktailschlürfen sucht, ist bei Chelsea Wolfe immer noch nicht richtig.


CHELSEA WOLFE - Abyss (Opaque Baby Blue 2LP) (2015)

Jeder kennt sie, diese neblige Phase zwischen Schlaf und Erwachen, in der die Träume oft besonders fieberhaft und bekloppt sind. Ein Zustand, in dem es besser ist, wenn der Wecker einen erlöst und man ihm gehorcht, da der Schlaf ohnehin keine Erholung mehr bringt.
Und vielleicht kann der eine oder andere sich auch an diesen einen Traum erinnern, der sich so ganz anders, so unglaublich real anfühlte, dass man fast glaubte, ihn greifen zu können.


Ich selbst kann schon ein paar originelle Traumerfahrungen für mich verbuchen, auch wenn ich mich sehr selten nach dem Aufwachen an etwas konkretes erinnere. Ein paar außergewöhnlich real wirkende Erfahrungen sind hängen geblieben, ebenso weiß ich bis auf einen Blackout direkt vor Schluss auch noch genau, wie jener Alptraum aussah, aus dem ich mit dem gefühlt stärksten Herzrasen hochgeschossen bin.
Was ich anscheinend häufiger erlebe, sind komplexe, sich wiederholende Geschichten, bei denen ich von oben herab als Deus Ex Machina entscheide, dass sie ab einem bestimmten Punkt anders weitergehen sollen, da ich die andere Variante schon hatte.
Und dann war da noch dieser eine sehr amüsante Klartraum, in dem ich Klugscheißer vor den anderen Personen in meinem Traum damit angegeben habe, dass ich wusste, dass sie gar nicht echt sind und es an einem Computerbildschirm beweisen konnte, da dessen komplette Darstellung meinem Gehirn zu komplex war, weshalb er beim Versuch, ihn zu lesen, unscharf wurde.

Worauf ich hinaus will? Mein Unterbewusstsein hat nachts schon genügend Blödsinn angestellt, dass ich mir einbilde, zumindest eine vage Vorstellung davon zu haben, wie sich ein sogenannter "Wachanfall" anfühlen muss, wenn der Verstand schon wach ist, der Körper sich jedoch noch in Schlafparalyse befindet und sich nicht bewegen lässt.

Das Gehirn erkennt, dass man absolut hilflos ist, und gerade diese Schutzlosigkeit beschwört dann innerhalb der echten, schon bei vollem Wach- und Bewusstsein wahrgenommenen Umgebung ebenso vollkommen reale Dämonen herauf, denen man ohne Aussicht auf Entkommen ausgeliefert ist. In einem gewöhnlichen Alptraum könnte man einfach durch Aufwachen vor ihnen fliehen, da man jedoch geistig bereits wach ist, funktioniert dies nicht...

Nun stelle man sich mal weiter vor, dass man diese oder eine ähnlich furchtbare Erfahrung ein erstes Mal gemacht hat, davon vollkommen erschrocken und beeindruckt ist, und sie beim Essen der Familie erzählt.
Und dann sagt deine kleine Tochter: "Mir passiert das jede Nacht."

Willkommen im Elternhaus von Chelsea Wolfe.



Bei ihren Begegnungen mit den "Schattenkreaturen" war die Sängerin und Songschreiberin allerdings nicht gelähmt, sondern bereits bewegungsfähig. Das führte dann allerdings auch mal dazu, dass sie zu ihrer Verteidigung mit einem Messer herumfuchtelte.

Inzwischen sind diese Nächte seltener geworden, doch es ist wohl unbestreitbar, dass die Finsternis in Chelsea Wolfes Musik mehr als eine Pose ist und genau hier ihren Ursprung hat.

"Abyss" ist zwar kein autobiographisches Album, verarbeitet jedoch erstmals diese Erfahrungen, greift aber auch auf Quellen wie den Psychiater Carl Gustav Jung oder suizidale Gedichte chinesischer Arbeiter zurück. Insgesamt entsteht so eine bedrohliches Schweben in der Ungewissheit zwischen Traum und Wirklichkeit, Liebe und Angst, Leben und Tod.

Lyrisch und konzeptionell ist "Abyss" schon losgelöst von der Musik große Kunst, die eindringliche Worte für Unaussprechliches findet.

Auch das Covergemälde fängt Thema und Stimmung perfekt ein.


Und die Musik?

Nachdem das letzte Album "Pain Is Beauty" ja sehr elekronisch verspielt und manchmal auch gezielt zerfasert daherkam, wäre eine Option gewesen, sich wieder zu den düsteren Gothic/Neofolk-Wurzeln zurückzubewegen.

Auf ihrem zweiten Album "Apokalypsis" von 2011 vermengten sich diese bereits mit einer Prise Horror-Soundtrack und Drone zu einem gleichzeitig wunderschönen und verstörend finsteren Werk, welches mit kaum etwas anderem in der Musiklandschaft zu vergleichen ist.

Die Charakteristika dieser beiden Alben finden sich mal mehr, mal weniger deutlich auch auf "Abyss". Der Hauptfokus von Chelsea Wolfe und ihrem multiinstrumentalen Haupt-Kompositionspartner Ben Chisholm, der auch schon mit King Dude zusammengearbeitet hat, liegt allerdings in einem diesmal besonders ausgeprägten Metal- bzw. Noise-Einschlag.

Zu großen Teilen ist "Abyss" ein brachiales Gitarrenalbum, dessen rhythmische Basis zwischen harten Programmierungen und echten Instrumenten wechselt. An der Riff- und Krachgewalt beteiligt ist auch Mike Sullivan von den Postrock-Metallern Russian Circles, was sich deutlich hörbar niederschlägt.

Es kommen noch einige weitere Instrumente zum Einsatz und auch Chelsea Wolfe selbst greift natürlich u.a. in die Gitarrensaiten, doch besonders prägend für das gesamte Album ist das Bratschen-Spiel Ezra Buchlas, von dem Wolfe sagt, es klinge wie ihre Seele


"Abyss" ist wahrscheinlich Chelsea Wolfes direktestes und konkretestes Werk geworden. Ihre ätherisch-geisterhafte Stimme ist in weniger Hall getaucht als zuletzt, was die Texte verständlicher und wirkungsvoller macht.

Vom folkig reduzierten "Crazy Love" über den geisterhaft schrägen Titelsong, das fast schon hymnische "Iron Moon", die endlose Verzweiflung in "Dragged Out" oder "After The Fall", das teilweise klingt wie ein mit den bedrohlichen Sounds aus Kraftwerks "Trans-Europa-Express" zusammengesampelter, düsterer Björk-Track, passieren innerhalb des homogenen Konzepts auf "Abyss" doch sehr viele unterschiedliche Dinge.

Das Meisterstück "Maw" könnte ich alleine schon in Dauerschleife hören, doch alle Songs sind ähnlich stark.

Chelsea Wolfe schwebt mit uns über dem Abgrund. Und wenn sie sich hinabstürzt, zieht sie uns unwillkürlich mit hinab. Ist dieser Mahlstrom Alptraum oder Wirklichkeit? Vielleicht beides? Und hat uns jemals jemand gesagt, dass wir leben? Es ist seltsam schön dort unten bei den Schattenwesen.

Keine Frage: "Abyss" ist ein Meisterwerk.

Und das Ticket fürs Konzert am 2. November im Knust ist auch schon gebucht.



Anspieltipps: Maw, Simple Death, Iron Moon, After The Fall, Crazy Love

Yay! Die scheiß Pop-Up-Werbung ist endlich weg!

Yep, es war lästig.

Ich entschuldige mich dafür, dass hier die letzten Monate immer so eine furchtbare Pop-Up-Werbung genervt hat, die wirklich jedes Mal kam, wenn man auf einer Seite irgendeinen beliebigen Link angeklickt hat!

Zunächst hatte ich das zähneknirschend hingenommen, da ich dachte, es käme von Blogger selbst.
Kam es aber nicht.
 
Hätte ich mal eher, statt ergebnislos nach einer Lösung des Problems zu googeln, einfach in den HTML-Code meines Bloglayouts geschaut, dann hätte ich den Mist auch schon längst entfernen können. Tja, manchmal ist es einfach zu einfach. ;)

Eingefangen habe ich mir das Ding durch ein externes Script zur "Lightroom"-Betrachtung mehrerer Bilder in einem Posting, welches ich vor ein paar Jahren mal eingebaut hatte.
Da dies bei blogspot mittlerweile aber Standard ist, wurde das Script überflüssig und anscheinend irgendwann in eine Werbebelästigungsmaschine umgebaut...

Alles böse Kapitalisten in diesem Interdings!
 

2015-09-20

MAIDEN UNITED - Remembrance

Schallplatten zu hören, hilft nicht nur dabei, die eigene Wertschätzung für Musik zu steigern.
Nein, man lernt es auch zu schätzen, den Tonträger überhaupt in den Händen zu halten, da es durch die große Auslastung der Presswerke regelmäßig zu Verzögerungen kommt.

Das (zumindest auf Vinyl) neue Album von Maiden United ist in dieser Hinsicht mal ein ganz spezieller Fall, bei dem gleich mehrere Dinge blöd gelaufen sind.

Doch mehr dazu später...
 



MAIDEN UNITED - Remembrance (black vinyl + pink vinyl + CD) (2015)

Das von Bassist Joey Bruers und Within Temptation-Gitarrist Ruud Jolie gesteuerte, akustische Iron Maiden-Tributprojekt legt mit "Remembrance" bereits seinen dritten Longplayer seit 2010 vor.
Während die Positionen an Schlagzeug und Klavier gerade live immer mal rotieren, ist als weitere Konstante und als charismatisches und stimmgewaltiges Gesicht der Band auch hier wieder Threshold-Sänger Damian Wilson mit von der Partie.

Natürlich wird es konzeptionell mit jedem Album enger, da das Gros der Jungfrauen-Klassiker irgendwann abgefrühstückt ist.
Nachdem auf "Mind The Acoustic Pieces" das komplette "Piece Of Mind"-Album gecovert wurde und "Across The Seventh Sea" mit einer bunten Achtziger-Jahre-Mischung mit leichtem Schwerpunkt auf "Seventh Son Of A Seventh Son" überzeugte, hat die Band es auf dem dritten Album auf jeden Fall noch einmal geschafft, eine stimmige Songauswahl zusammenzustellen.

Die komplette A-Seite besteht mit "Strange World", "Charlotte The Harlot", "Killers", "Remember Tomorrow" und "Burning Ambition" (B-Seite der "Running Free"-Single) aus der Zeit der der ersten beiden Maiden-Alben.

Und auch auf der zweiten Seite sind nur zwei Stücke vertreten, die im Original von Bruce Dickinson eingesungen wurden, einer davon "Aces High" - großartig eingesungen von "The Voice Of Holland 2013"-Teilnehmer Wudstik und Sopransängerin Marcela Bovio, die mich dieses Jahr schon in Wacken als Partnerin von Anneke van Giersbergen bei The Gentle Storm zu beeindrucken wusste.

Wudstik, der Metalfans auch schon durch seine Beteilung an Ayreons "01011001" ein Begriff sein könnte, hat übrigens für Maiden United auch eine alternative Version von "The Evil That Men Do" eingesungen. Jene findet sich auf der Single zu "Strange World", welche es bereits bei Vorbestellung des Albums als Download gab, und welche auch der LP noch einmal als Bonus-CD beiliegt.

Der andere Song aus der Dickinson-Zeit ist "Still Life" und war natürlich bereits auf dem Debüt von Maiden United vertreten. Dass er nun noch einmal auftaucht, ist allerdings nicht als Mangel von Kreativität zu werten, sondern wohl der Gelegenheit geschuldet. Marcela Bovio spielt nämlich auch Geige und wertet den Song im Vergleich zur Version von 2010 deutlich auf.

Eine weitere Wiederverwertung stellt "Prowler" dar, der einzige Paul Di'Anno-Maiden-Song, der bereits auf dem Vorgängeralbum zu hören war, diesmal jedoch nicht von Damian Wilson, sondern von Di'Anno himself eingesungen wurde. Stimmlich ist der ewige Ex-Maiden-Sänger zur Zeit exzellent drauf, allerdings hätte er es für diese Akustikinterpretation auch durchaus weniger rau und eine Ecke ruhiger angehen können.

Gefallen tut es mir aber trotzdem. Der einzige Song, mit dem ich nicht so recht warm werden möchte, ist zum Glück auch der kürzeste, nämlich "Burning Ambition", da ich der Stimme von Huub van Loon einfach nicht so viel abgewinnen kann.

Ja, Damian Wilson hat diesmal ziemlich viele Leadgesänge abgegeben und ist tatsächlich nur auf fünf der insgesamt neun Tracks zu hören. Er bleibt aber dank seiner unglaublich guten Performance auch bei nur knapper Überzahl nach wie vor die Hauptstimme und Seele von Maiden United - live ja sowieso.

Wer genau gelesen und nachgerechnet hat, wird feststellen, dass noch ein nicht von Wilson dargebrachtes Lied fehlt. Dies ist wohl die größte Überraschung, da es sich mit "Futureal" um eine Komposition aus der nicht so populären und mir persönlich so gut wie unbekannten Maiden-Phase mit Blaze Baley handelt. Als Sänger wurde - man ahnt es bereits - Blaze Baley gewonnen, so dass ich auf an der B-Seite von "Remembrance" tatsächlich zwei waschechte Originalsänger beteiligt haben.




Der Sound und die instrumentalen Arrangements sind wie gewohnt fantastisch. Im Mittelpunkt stehen erneut Akustikgitarre (bei "Killers" als einziges Intrument), Klavier und Mandoline.
Die Rhythmussektion findet stets das richtige Maß zwischen druckvollem Groove und vornehmer Zurückhaltung.

Als Alleinstellungsmerkmal gegenüber den vorigen Alben, sowie als Kitt, der hilft, "Remembrance" trotz zahlreicher verschiedener Sänger zusammenzuhalten, ist auf über der Hälfte des Albums als weiteres prägendes Element eine Hammond-Orgel dabei.

Was soll ich sagen? Auch wenn die Songauswahl von "Across The Seventh Sea" in meinen Ohren nicht zu toppen war, legen Maiden United hier wieder ein weiteres Lehrstück für alle Cover- und Tributkünstler hin. Ich liebe diesen Sound einfach. Auch wenn das Original natürlich derzeit mit "Book Of Souls" herrscht - in den letzten Jahren habe ich ehrlich gesagt viel mehr Maiden United als Iron Maiden selbst gehört.

Fehlt eigentlich nur, dass die Unplugged-Jungfrauen sich für die anstehende Tour noch spontan "Empire Of The Clouds" raufschaffen. Oder auch ein kürzeres neues Stück. ;)



Und nun zur Maiden United-Edition von "Pleiten, Pech und Pannen":


Zunächst einmal wurde die LP nicht rechtzeitig zur Release-Show fertig. Ein Schicksal, welches zwar ärgerlich ist, das derzeit aber wohl sehr viele Bands teilen. Ich denke da nur an Liserstille, die in Kiel ja nicht einmal CDs anbieten konnten und deswegen nur Download-Karten dabei hatten.

Als die 180-Gramm-Schallplatte dann schließlich eintraf, hatte der Farbton leider so gar nichts mit den Vorstellungen der Band und dem Coverartwork zu tun. Man entschied sich, das Album in einer sichereren schwarzen Version nachpressen zu lassen.
Und zusammen mit einer Postkarte, auf der die Band sich für die Verzögerung entschuldigt, legte man für die Vorbesteller auch gleich eines der Mängelexemplare bei.

Gemeinsam mit der Bonus-CD-Single und der Downloadkarte für das Album ist da also ein ganz großzügiges Package zusammengekommen.

Nun kommt aber die bittere Pointe: Wenn ich mir nämlich mein Exemplar so anschaue, würde ich die leichtere schwarze LP viel eher für die Fehlpressung halten, da sie sehr unsauber ausgeschnitten ist, am Rand splittert und sich so auch durch die Hülle gefressen und entsprechend mit Papierstaub vollgekrümelt hat. (Ja, dies ist die Platte, die ich in meinem Record Butler-Review erwähnt habe.)

Die Pressung in marmoriertem Schweinchenrosa sieht an sich hingegen super aus und ist klanglich gleichwertig. Die Farbe hat halt nur keinen Bezug zum sonstigen Layout.

Vielleicht hätten Maiden United auch einfach darüber hinwegsehen können. Nuclear Blast Records hindert ja auch nichts daran, jedes Album ihrer Labelzugpferde im kompletten Spektrum des Regenbogens herauszubringen, auch wenn keine einzige Farbe zum Cover passt.
Anderseits wäre es bei der Fanfreundlichkeit von Ruud Jolie und Co. natürlich generell ein Rückschritt, sich Nuclear Blast als Vorbild zu nehmen.
 

Anspieltipps: Remember Tomorrow, Aces High, Charlotte The Harlot, Still Life '15


2015-09-19

Ich hab neulich einen RECORD BUTLER gewonnen.

[HINWEIS: Auch wenn die ersten Absätze so klingen, wurde dieser Beitrag von niemandem, insbesondere nicht den Herstellern des Record Butlers, bezahlt.]
 


Der Record Butler ist eine kleine, aber feine Hilfe beim alltäglichen Umgang mit der kostbaren schwarzen Rille.

Mit ihm lassen sich die Platten zunächst einmal aus der Hülle holen, ohne sie mit den Fingern berühren zu müssen, was gerade bei engeren Hüllen, welche die LP nicht herausrücken wollen, ein echter Segen ist.
Und wenn man die Scheibe damit eh schon so schön im Griff hat, legt man sie natürlich mit dem Butler auf den Teller.

Auch wenn ich das Ding ja noch nicht lange habe und sich einige Bewegungsabläufe ändern, muss ich sagen, dass man sich sehr schnell daran gewöhnt, für jedes Hantieren mit Schallplatten den Record Butler zur Hilfe zu nehmen.

Beim Herunternehmen der Platte vom Teller, nehme ich manchmal versehentlich die Gummiunterlage mit auf, aber das ließe sich wahrscheinlich schon einschränken, wenn ich mir mal eine ordentlichere Slipmat zulegen würde. Ich warte aber, bis wir was wirklich hübsches über den Weg läuft. ;)


Yep, ich habe ein Album, das farblich perfekt zu meinem Butler passt.

Die Innenseite des Record Butlers ist mit einem antistatischen Vlies überzogen, durch welches er zudem die Plattenbürste ersetzt. Die Schallplatten einmal rotieren lassen und dabei mit dem Butler Staub abziehen, und im Normalfall ist sie spielfertig.
Tatsächlich funktioniert das sogar zuverlässiger als Bürste oder Tuch und ist zumindest aus meiner Sicht in der Handhabung auch praktischer.

Ganz in den Ruhestand schicken würde ich andere Reinigungshilfmittel allerdings nicht, da in manchen Härtefällen die Kombination verschiedener Methoden nach wie vor hilfreich sein kann.

Aufpassen muss man, wenn man zum Beispiel, wie es mit gerade erst passiert ist, an eine LP gerät, die am Rand schlecht geschnitten ist. Da haben sich kleine spitze Splitter in der klettverschlussähnlichen Fläche verhakt, die bei Nichtentdeckung durchaus die nächste Platte hätten beschädigen können. Aber auf eine saubere Oberfläche achtet man ja auch beim Gebrauch einer Bürste.

Insgesamt muss ich sagen, dass der Record Butler den Umgang mit Schallplatten enorm komfortabler macht und sich bei mir auf jeden Fall im Alltag etablieren wird.

Wie lange es dauert, bis sich dieses Helferlein abnutzt, kann ich natürlich noch nicht beurteilen. Der Schwachpunkt ist sicherlich der Rand, an dem es auch mal minimal fusseln kann.

In jedem Fall amortisiert sich der Record Butler in kurzer Zeit, da er wirklich nicht die Welt kostet. Vor allem, wenn man ihn auch noch in einer Verlosung gewinnt, natürlich. ;)
Zehn Euro für ein Vierer-Pack sind aber auch sehr vertretbar, finde ich.


Mehr Informationen und ein anschauliches Videogibt es in diesem Artikel auf vinyl fantasy, dem Schauplatz meines Triumphes.

Zu kaufen gibt es den Record Butler im Shop von PRETTYINNOISE.


IRON MAIDEN - The Book Of Souls

Und nun das neben Slayer (hab ich allerdings noch nicht) wohl originellste Reviewthema dieses Monats - zumindest was Metal angeht...



IRON MAIDEN - The Book Of Souls (3LP) (2015)

Kommen wir gleich zur Sache: Neunzig Prozent der Fans sind sich ja eh so ziemlich einig, dass "The Book Of Souls" das beste Maiden-Album seit wahlweise "Brave New World" oder "Seventh Son Of A Seventh Son" ist, und ich reihe mich da ganz konformistisch und unrebellisch ein.

Wobei ich ja "The Final Frontier" auch nicht schlecht fand, genau wie überhaupt alle Alben seit "Brave New World".
Allerdings bin ich nicht der exzessivste Maiden-Fan, und irgendwann fällt jedes Album, so sehr ich es auch mag, aus der Rotation raus. Ich muss die Musik einfach nicht oft hören. Die einzige Ausnahme ist das Über-Werk "Seventh Son", welches wirklich immer geht.

Wie sich dies mit "The Book Of Souls" verhalten wird, kann ich jetzt natürlich noch nicht voraussagen. Doch ich habe das Gefühl, dass es sich deutlich länger in meiner Playlist halten dürfte als der auch schon fünf Jahre alte Vorgänger, da der Sound auf "The Final Frontier" auf Dauer doch einfach eine Nummer zu dumpf geraten ist.

Das neue Werk klingt zum Glück klarer. Die seltsam sture Klangphilosophie des Teams Steve Harris / Kevin Shirley, alles möglichst roh und unbehandelt zu lassen, ist zumindest ein wenig aufgeweicht und das ist auch gut so. Denn es ist zwar beeindruckend, dass Bruce Dickinson auch ohne gedoppelte Gesangsspuren und Halleffekte auskommen kann - aber warum soll er das?
Wir glauben es ja. Aber wenn man schon Iron die größte Metalband der Welt Maiden ist, dann darf man auch gerne Alben aufnehmen, die entsprechend groß klingen und auf den Putz hauen.

Und teilweise ist dies auf "The Book Of Souls" auch gelungen. Die Scheibe hat viel von dem gewünschten Live-Feeling, sie klingt sehr transparent, alle Instrumente sind klar herauszuhören und voneinander zu unterscheiden, aber... es mangelt leider gehörig an Wumms. Da das Dauerriffgewitter nicht zu den typischen Stilmerkmalen der Briten gehört, sind es vor allem die Drums, von denen die Power ausgehen sollte. Und denen fehlt einfach der Punch. Da hilft nur, mit dem Volumenregler nachzuhelfen.


Ist dies geschehen, lässt sich die Musik jedoch genießen. Und es ist eine Menge Musik!

"The Book Of Souls" ist das erste Studio-Doppelalbum (=drei Schallplatten) von Iron Maiden.
Es gibt sowohl kürzere Stücke um die fünf Minuten wie z.B. die Single "Speed Of Light" als auch Longtracks im zweistelligen Minutenbereich, darunter mit "Empire Of The Clouds" sogar der längste Track der Bandgeschichte, der nach stolzen 31 Jahren "Rime Of The Ancient Mariner" ablöst.

Wer Prog hört, für den sind dreizehn oder achtzehn Minuten lange Lieder natürlich nicht so eine riesige Sensation. Allerdings ist das Album längst nicht so progressiv, wie vielerorts behauptet wird.
Die Longtracks und insbesondere Bruce Dickinsons Neigung zur Erzählung großer Geschichten deuten zwar in die Richtung, aber tatsächlich sind es in erster Linie einfach epische Stücke mit langen Strophen, die in ihren Instrumentalpassagen mit vielen typischen Maiden-Riffläufen, Harmonien und Soli angereichert sind. Spielerisch ist das natürlich alles über jeden Zweifel erhaben, dafür sorgt ja schon Basslegende Steve Harris alleine, besonders frickelig oder mathematisch herausfordernd jenseits von vier Vierteln ist es allerdings nicht.

Nein, Iron Maiden hauen vor allem bewährte Trademarks raus. Das tun sie allerdings so ziel- und geschmackssicher wie schon sehr lange nicht mehr.
Die Songs sind einfach alle sehr stark, es gibt keinen Stinker. Nur der Whohohoo-Refrain im ansonsten wirklich gelungenen "The Red And The Black" nervt. Und damit erschöpft sich meine musikalische Negativkritik auch schon.

Dass "Shadows Of The Valley" zu Beginn den Anfang von "Wasted Years" recycelt, ist geschenkt und fällt in die Kategorie der liebgewonnenen Traditionen.

Ansonsten wecken natürlich einzelne Details oder die generelle Stimmung mancher Songs Erinnerungen. So hat mich das Keyboard-Intro des Openers "If Eternity Should Fail" gleich in "7th Son"-Zeiten versetzt oder der Titelsong ein wenig den Geist von "Powerslave" heraufbeschworen.
Sich selbst irgendwo regelrecht plagiiert hat die Band aber nicht.

Die Songs sind allesamt aus sich selbst heraus überzeugend, und man könnte - wie es wahrscheinlich auch schon aberhunderte Rezensenten getan haben - noch über jedes der elf Stücke gesondert einen Aufsatz schreiben.

Für die Seiten A bis E spare ich mir das allerdings. Nur den letzten Track, den schon erwähnten neuen Längenrekordhalter "Empire Of The Clouds", muss man einfach hervorheben, schon weil er über weite Strecken von Bruce Dickinson nicht nur am Mikrofon, sondern auch am Klavier geprägt wird. Iron Maiden goes Savatage sozusagen und damit tatsächlich mal was ganz Neues.
Live wird er sicherlich nicht selbst in die Tasten hauen, doch was er hier komponiert hat, ist schon ganz großes Kino. Durch seinen Epos und seine Andersartigkeit hat sich "Empire" bei mir sofort als Herz des Albums etabliert.

Das Herz eines Albums, welches ich mittelfristig wohl selten komplett am Stück hören werde, einfach wegen der schieren Länge, welches einen jedoch überall gut zu unterhalten weiß, egal wo man die Nadel aufsetzt.


Das Frontcover ist schlicht, direkt und schön im klassischen Derek Riggs-Stil, umgesetzt allerdings von Mark Wilkinson. Deutlich besser als so einige Bilder der letzten zwanzig Jahre.
Im Triple-Gatefold und auf den LP-Hüllen wird es detailreicher und es gibt für Eddie-Enthusiasten schon so einiges zu entdecken. Sehr schön!




Fazit: Iron Maiden zeigen sich 2014 (die Aufnahmen liegen ja schon etwas zurück) immer noch ambitioniert und wesentlich frischer, als ich es erwartet hätte. Trotz des unantastbar heiligen Frühschaffens der Band ist "The Book Of Souls" ein echtes Highlight in der Diskographie.

Und man kann tatsächlich ein komplettes Maiden-Review verfassen, ohne auch nur ein einziges Mal einen der drei Gitarristen namentlich zu erwähnen.
 

Anspieltipps: Empire Of The Clouds, The Book Of Souls, If Eternity Should Fail, Shadows Of The Valley

2015-09-16

KING DUDE - Songs Of Flesh & Blood - In The Key Of Light


Dam dadadadam dam dadadadam...  Oooohhh...

Moment, ist das was unveröffentlichtes von The Devil's Blood?
Die waren ja auch bei Ván Records, wäre also nicht vollkommen aus der Luft gegriffen, dass da was falsch verpackt worden ist.

Aber nein, nach dem Selim Lemouchi-Gedächtnisriff herrscht schnell Klarheit, dass es sich hier um einen anderen musizierenden Häretiker handelt.

The man with the golden Gretsch.
Der luziferianische Leidensliedermacher, König der Cash-Kirche und Kumpel der Ketzer.


King Dude.



KING DUDE - Songs Of Flesh & Blood - In The Key Of Light (white vinyl) (2015)

Thomas Jefferson Cowgill aka King Dude ist gar nicht so leicht festzumachen. Ich kannte zwar schon seine beiden Split-Singles mit Chelsea Wolfe und hatte mir ein paar weitere Songs auf Youtube angesehen, aber richtig kennengelernt habe ich ihn erst bei seinem fabelhaften Solo-Auftritt auf dem Roadburn Festival, wo er einerseits ganz in schwarz die Johnny Cash-Epigone gab, dies jedoch mit dem humorvollen Mitteilungsbedürfnis eines Olli Schulz verband.
 
Ich nahm mir u.a. sein Album "Burning Daylight" von 2012 mit. Darauf wirkt er, ertränkt in Tonnen von Kathedralenhall und mit teilweise seltsam unfertig gelassenen Songs fast manisch fieberhaft, als sei er vom Nicolas Cage besessen.
Das sind schon zwei sehr unterschiedliche Inkarnationen des Künstlers - und sie scheinen nicht voneinander trennbar zu sein.
Gerade das macht wohl einen großen Teil der Faszination aus: Man weiß nie, wo genau bei King Dude die Grenze verläuft zwischen feierlichem Ernst und Augenzwinkern.

Dies gilt auch für das neue Album.

Den direkten Vorgänger "Fear" kenne ich nicht, doch im Vergleich zu "Burning Daylight" sind die "Songs Of Flesh & Blood" auf jeden Fall aufgeräumter, sowohl was das Songwriting, als auch was die Produktion angeht.
Das heißt nicht, dass der King den Reverb nicht mehr liebt; er setzt ihn allerdings mit mehr Fingerspitzengefühl ein. Überhaupt ist der Sound zwar oberflächlich auf low-fi gebürstet, aber in Wahrheit doch sehr liebevoll den Songs auf den Leib geschneidert. Die Dröhn-Attacken im Refrain von "Rosemary" sind z.B. ein wuchtiger Effekt, den man so auch erstmal bringen und bis zum Mastering der Scheibe verteidigen muss.

King Dude ist im Kern immer noch der Songwriter, der seine Stücke direkt an und für die akustische Gitarre oder das Klavier bzw. die Orgel komponiert.
Manche Lieder bleiben auch in der finalen Studioversion Solodarbietungen, andere werden weiter ausgeschmückt und mit Band umgesetzt.

Insgesamt kommt so in den elf Liedern eine erstaunliche Bandbreite an Stilen und Klängen zusammen. Da gibt es die unpolierte, reine Cash-Schule im zwei Minuten kurzen "A Little Bit Of Baby Gonna Make Me Wanna Live Again", den aber sowas von westernmäßigen Country-Galopper "Holy Water", die schon von der gleichnamigen Single bekannte, finstere After-Murder-Ballade "Deal With The Devil" oder die getragene Orgel-Beschwörung "I Don't Wanna Dream Anymore".

Neofolk, Rockabilly, Gospel - von allem findet sich etwas auf diesem Album.
Zusammengehalten werden all diese düster interpretierten Americana von Cowgills charismatischer tiefer Stimme, die durchaus auch manchmal etwas ins Knödeln gerät, dies jedoch mit solchem unverhohlenen Selbstbewusstsein tut, dass man wieder einmal nicht sicher ist, ob vielleicht genau dort die ironische Brechung seiner düster verzweifelten Persona King Dude liegt.

Letztendlich muss man dieses Rätsel zum Glück nicht auflösen. Was zählt ist, dass die Songs alle taugen, bzw. zum größten Teil richtig bärenstark sind. Und dass King Dude eine unglaublich coole Sau ist, spielt auch keine unerhebliche Rolle, um "Songs Of Flesh & Blood - In The Key Of Light" zu dem zu machen was es ist - nämlich dem einen Songwriteralbum, das man dieses Jahr als Freund der bösen Musik haben muss.

Ja, was Evilness, Kult und Coolness angeht, so dürfen thematische Plattensortierer das Ding gerne irgendwo in der Peripherie von Fields Of The Nephilim und alten Danzig-Scheiben ins Regal schieben. Zwischen Coven und Cash wäre aber natürlich auch eine Option. 

Die LP gibt es in schwarz oder weiß. Ich habe mir letztere besorgt, weil ich weißes Vinyl einfach sexy finde. Texte liegen bei, ebenso ein Poster.
Durch die abgerundeten Ecken findet man die Platte im Regal noch schneller. Ván Records haben sich mit der Aufmachung auf jeden Fall wie immer Mühe gegeben. Sehr schick!




Anspieltipps: A Little Bit Of Baby Gonna Make Me Wanna Live Again, Deal With The Devil, Holy Water, Death Won't Take Me

2015-09-13

BONE MAN - Shapeshifter ( + Bericht vom Release-Konzert)

Bereits vorletzten Donnerstag war ich beim Tourauftakt von Bone Man in Kiel zu Gast (mehr dazu später) und habe mir bei der Gelegenheit natürlich auch das dort vorgestellte neue alte (oder alte neue?) Album mitgenommen.



BONE MAN - Shapeshifter (coloured band edition vinyl/CD) (2015)

Alt und neu bedeutet hier, dass die Kieler ihre 2011 auf CD selbst herausgebrachte EP "Shapeshifter" neu aufgenommen haben. Also kein Re-Issue, Remaster oder sonstwas, sondern komplett neue Einspielungen der sechs Songs plus zwei sogar noch ältere Stücke vom raren ersten Tonträger, was das Ganze nun quantitativ zu einem vollen Album macht.

Für solche Re-Recordings gibt es ja einige prominentere Beispiele von so unterschiedlichen Künstlern wie Sodom und Thomas D. - oder auch Def Leppard, die keine Veröffentlichungsrechte für ihre Klassiker haben und dermaßen unversöhnlich mit ihrer alten Plattenfirma verkracht sind, dass sie lieber neue Versionen direkt verkaufen.

Bei Bone Man trifft dieser Grund zum Glück nicht zu, schon weil an dem alten Zeug gar kein Label beteiligt war. Nein, die Produktion war ihnen einfach nicht gut genug für die Songs, und auch mit dem Coverartwork waren sowohl die Band als auch der Künstler Samson nicht mehr zufrieden.

Also wurde kurzerhand alles von Grund auf neu gestaltet, und es ist tatsächlich ein Unterschied wie Tag und Nacht. Alles sieht nicht nur technisch besser aus, sondern wirkt viel roher, geerdeter und besser zum Sound der Gruppe passend. Und zur Typo der alten Version schweige ich lieber ganz...

Hier mal zum Vergleich beide CDs (liegt der Schallplatte vorbildlicherweise bei):


Der Egozentriker in mir muss natürlich einschränken, dass an der alten Version nicht alles meeehhh war. Das später auch auf dem Backcover von "Plastic Wasteland" dezent zitierte Bandfoto fand ich nämlich schon witzig, auch wenn die Schärfe nicht ganz optimal saß.

Klar, ich hab das Ding ja auch damals vor einem sehr speziellen Konzert geknipst.

In das reguläre Layout hat es das Bild zwar nicht gebracht, allerdings liegt den auf jeweils hundert Stück limitierten farbigen Special Editions von Pink Tank Records und der Band selbst noch ein Poster bei, welches auf dem Foto basiert und mich natürlich vollkommen geflasht hat - auch hier der Vergleich:


Und wenn ich hier schon Diavortrag mache, dann darf natürlich auch die hübsche Langrille nicht fehlen:


Optisch ist die "Shapeshifter" 2.0 also rundum gelungen. Da muss man sich ähem... beim Transport nach Hause schon selbt eine Knickecke hineinzaubern, um etwas zu meckern zu haben.


Die Musik. War ja schon immer gut.

Es ist also jener energische Mix aus Stoner Rock, Grunge, Folk und Psychedelic-Anteilen, wie die Band ihn mit von Song zu Song variierenden Schwerpunkten im Grunde immer gespielt hat.

Doch trotz z.B. einem Livehit wie "The Wicker Man" hat der alten Version von "Shapeshifter" im Vergleich zu den späteren Alben noch etwas gefehlt.
Die Produktion packte nicht so zu, es fehlte noch etwas Punch. Trotz vernünftiger Songs war das Ding irgendwie etwas schwammiger.

Und nun? Natürlich ist die Produktion besser, trocken und druckvoll statt verwaschen. Und man merkt deutlich, dass die die vielen gespielten Konzerte einen Unterschied machen. Das Zusammenspiel ist selbstbewusster und präziser geworden. Es steckt mehr Mühe in den Details.
Kurz gesagt: es ist wirklich ein himmelweiter Unterschied! Selbst wer mit der alten Version eigentlich noch ganz zufrieden ist, wird dem nicht widersprechen können.

Also: Die neue alte "Shapeshifter" lohnt sich.

Nur die Original-EP, die wird hierdurch tatsächlich komplett entwertet. Braucht man hiermit eigentlich gar nicht mehr - es sei denn, man möchte sich nochmal das "lebendige" Foto im Booklet anschauen, natürlich. ;)


Anspieltipps: Heliopolis, Supernova, The Wicker Man, Bad Fashion







BONE MAN und ETA LUX live in der Schaubude, Kiel (03. September 2015) 


Auf dem Releasekonzert in der gut gefüllten Schaubude haben Bone Man naheliegenderweise das komplette "Shapeshifter"-Album gespielt, eingerahmt von ein paar weiteren Stücken.
Und live kickt das Zeug selbstverständlich noch mehr als Konserve - würde es das nicht, wäre die Band in dem Genre ja auch grundsätzlich verkehrt.
Also nicht mehr und nicht weniger als wieder einmal ein verlässlich geiles Knochenmänner-Konzert.

Die Support-Band Eta Lux, ebenfalls ein Trio, war stilistisch ähnlich aufgestellt.
Allerdings setzte das Trio noch deutlich mehr auf Brüllgesang und scheppernde Sludge-Metal-Elemente. Neben dem präzise treibenden Drumming würde ich vor allem die Gitarrensoli herausheben, welche vom berauschten Höhenflug auch manchmal zu sehr melancholischen Passagen wechseln, welche sich auch in einem Doom/Death/Gothic-Umfeld gut gemacht hätten.
Gute Band mit viel Power, Substanz und total bekloppten Songtiteln wie "Lesbian Seagull".

Gelungender Abend in der Schaubude, ein würdiger Release-Gig.
Wer kann, sollte Bone Man auf jeden Fall noch auf der laufenden Tour besuchen, auch am Merchandise-Stand gibt's schicke neue "Bad Fashion".



2015-09-01

THE HIRSCH EFFEKT - Holon : Agnosie

Ein Holon ist ein Ganzes, welches Teil eines anderen Ganzen ist. Von daher ist es gar kein unsinniger Titel für eine Album-Trilogie, in der jeder Teil auch für sich alleine überzeugen soll.

Klar, daran werden The Hirsch Effekt bei ihrer 2010 mit "Holon : Hiberno" begonnenen und 2012 mit "Holon : Anamnesis" fortgesetzten Reihe wohl nicht primär gedacht haben.

Ich werde mich im folgenden Text übrigens nicht bemühen, den Rest der kryptischen Album- und Songtitel weiter aufzudröseln, sondern überlasse die Übersetzung der Begriffe, welche oft Mehrfachbedeutungen in Philosophie, Psychologie. Medizin und vielen weiteren Disziplinen haben, Fachleuten, die sich damit auskennen, bzw. googlewütigeren Hardcore-Hirschianern.

Es ist ja auch nicht gerade so, dass es ohne einen solchen Index zu wenig über den Abschluss der Trilogie zu sagen gäbe...




THE HIRSCH EFFEKT - Holon : Agnosie (clear 2LP/CD) (2015)


Also, was erwartet den Hörer bei der Band mit dem denglischen Namen?

Nach meinem Erstkontakt mit The Hirsch Effekt im Oktober 2013, als sie im Vorprogramm von The Dillinger Escape Plan in Hamburg spielten, habe ich sie spontan als Kreuzung von Dillinger und Sportfreunde Stiller beschrieben, was vielleicht für den einen oder anderen Nicht-Bayern-München-Fan despektierlich klingen mag, allerdings nie so gemeint war. Nach wie vor finde ich dieses Bild auch nicht falsch, allerdings ist es natürlich nur ein winziger Ausschnitt der ganzen Wahrheit.

In erster Linie sind The Hirsch Effekt für mich ja die Entschädigung dafür, dass es The Mars Volta nicht mehr gibt. Sowohl in den hyperaktiven Gitarrenriffs- und licks als auch dem Melodiegespür höre ich viele Parallelen, ja sogar die ein gutes Vokabelgedächtnis erfordernden Songtitel haben sie gemein.

Das insgesamt - aber manchmal auch nur innerhalb eines Stückes - ausgelotete stilistische Spektrum ist ebenso vergleichbar. Zwar spielen bei den Hannoveranern lateinamerikanische Einflüsse und Falsett-Leadgesang eine ungleich kleinere Rolle, dafür geht man allerdings in anderen Richtungen noch weiter. Vor allem drängen sich natürlich die ebenso präzisen wie ganz derbe brutalen Bestandteile Death Metal, Grindcore und Mathcore auf der einen und experimenteller Pop auf der anderen Seite auf.

Obendrauf ergänzt sich das Trio im Studio noch gerne mit einem Heer von Gastsängern und -musikern, so dass auch jederzeit der Schalter z.B. zu Kirchenchorälen und Kammermusik umgelegt werden kann.


Generell sollte man sich als Hörer also darauf einlassen können, mit der Sprunghaftigkeit von Mr. Bungle (oder auch anderer Projekte aus dem Dunstkreis von Mike Patton und John Zorn) jederzeit von einem Extrem zum anderen, von Napalm Death zu Björk hin- und hergepeitscht zu werden.

Und selbst wenn all dies kein Problem darstellt, ist da natürlich noch die wohl kontroversteste Zutat - aber gleichzeitig auch eine der Stärken und zweifellos das größte Alleinstellungsmerkmal der Gruppe: der deutschsprachige Indierock-Einfluss.



Natürlich achtet man bei Musik in der eigenen Muttersprache anders auf die Texte.

Diese sind bei The Hirsch Effekt einerseits eine sehr persönliche Aufnahme der Seelenlandschaft von Gitarrist Nils Wittrock - anderseits aber auch so offen gestaltet, dass man auch für sich selbst eine eigene Interpration finden kann.
Worum genau es aus Sicht des Dichters selbst geht, darüber möchte ich mir gar nicht anmaßen, zu spekulieren. Auf jeden Fall ist es viel existentieller Stoff: Liebe, Trauma, Tod, Schuld...
Ein sehr umfassendes und offenes Konzept also, in dem neben allen Tiefsinnigkeiten auch mal Platz ist, aus vollem Herzen eine Hasstirade gegen die moderne Smartphonekultur herauszurotzen, ohne dass es irgendwie deplaziert wirkt.

Dies ist sowie die ganz große Kunst auf "Holon : Agnosie".

Man nehme nur mal die aufeinander folgenden Tracks 5 und 6: "Bezoar" ist eine hirnzerfetzende Tour de Force, in der zu derbsten Mathcore gegen die ganze scheiß Menschheit gewettert wird, um nach einen mit zynisch fröhlichen Tralala-Gesängen gekrönten Refrain im sanften Santana-Samba zu relaxen und das Ganze dann nach erneutem Wildgewurste in barocker Kammermusik zu beenden. Mit "Tombeau" geht es danach ganz ohne diese Sprunghaftigkeit weiter. Getragen von Klavier, Akustikgitarre und Streichern und akzentuiert durch allerlei elektronisches Gezirpe breitet sich hier als wundervolle Ballade der melancholische Höhepunkt des Albums aus. Unterschiedlicher können zwei Stücke kaum sein.
Doch trotz all dem Wahnsinn an vollkommen unterschiedlichen, teilweise eigentlich unvereinbar scheinenden Elementen, hat man sowohl bei diesen beiden als auch den restlichen Songs niemals das Gefühl, plötzlich auf einer anderen Platte gelandet zu sein. Irgendwo sind doch Fäden gespannt, die das alles logisch zusammenhalten.

Ich muss an dieser Stelle kurz einschieben, dass bis auf die konkreten Beispiele alles bisher über die Musik Gesagte für alle drei Alben von The Hirsch Effekt gilt.

Im Grunde ist "Holon : Agnosie" auch more of the same - aber eben auf extrem hohen Niveau und vor allem mit Kurve nach oben.

Auf dem Erstlingswerk gab es schon ein paar Stellen, an denen ich mich fragte, ob das jetzt unbedingt sein muss, die mir vielleicht ein bisschen zu konstruiert vorkamen.
Und es gab auch die Passagen, in denen die große Ehrlichkeit und Emotionalität des Gesangs mit den zu gestelzten, schwülstigen oder grammatikalisch grenzwertig gedehnten Texten kollidierte. Und dann kann es halt leicht cringeworthy werden.

Das waren allerdings nur kurze Momente, die ein sehr gelungenes Album nicht runterziehen konnten.

Vielleicht war von diesen Momenten auf dem Nachfolger immer noch leichte Spuren übrig. Ich bin aber gerade  textlich auch nachsichtiger geworden. Mag sein, dass es auch auf dem aktuellen Werk noch die eine oder andere Zeile geben mag, die man als zu kitschig oder komisch empfinden mag - neunzig Prozent aller englischsprachigen Alben haben davon noch viel mehr, aber man nimmt sie eben gelassener hin. Auf jeden Fall stört mich auf der neuesten Scheibe nichts mehr.

Im Grunde war der zweite Streich "Holon : Anamnesis" ja schon eines der besten deutschsprachigen Metal(und weit darüber hinaus)-Alben aller Zeiten.

"Holon : Agnosie" setzt einfach (haha) spielerisch, gesanglich, songwriterisch, lyrisch, produktions- und ohwurmtechnisch, überall noch ein Sahnehäubchen mehr obendrauf!

Wer dem Vorgänger also in einer Bewertung mit Punktesystem die Höchstnote gegeben hat, für den sollte es jetzt jedenfalls ziemlich eng werden.

Was mich angeht, so gibt es dieses Jahr zwar viele Alben, die ich liebe, doch so oft wie dieses unglaubliche Ding höre ich kaum ein anderes.

Großartig, das Teil!


Und das Vinyl (plus CD) kann auch einiges.

Schaut's euch einfach an:





Die einzige Frage, die am Ende unbeantwortet bleiben muss, ist die, was denn die komplette "Holon"-Trilogie als Ganzes nun wert ist.

Dies lässt sich eigentlich erst mit dem nächsten Album beantworten. Denn wenn die Band dann mit diesem Konzept wirklich abschließen möchte, muss sich zur Abgrenzung ja schon irgendwas deutlich hörbar ändern. Das könnte durchaus spannend werden. Englische Texte wären wahrscheinlich die simpelste Option - und kommerziell betrachtet wahrscheinlich auch nicht blöd.

Doch wer weiß... Lassen wir diese Zukunftsmusik mal vorerst in der Zukunft.


Zum Abschluss hier noch aus der Gegenwart eine Liveversion des aktuellen Titelstücks:





Anspieltipps: Bezoar, Fixum, Athesie, Agnosie, Tombeau, Jayus, Cotard