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2015-11-28

KRAFTWERK - 3-D Konzert im Congress Centrum Hamburg (27.11.2015)


Ein riesiges  hell erleuchtetes und blitzeblankes Foyer nach dem anderen, ein Heer von stramm organisierten, aber freundlichen men (and women) in black an Einlass, Durchlässen und Garderobe und nicht zuletzt die großräumige Kongresshalle, von deren Sitzreihenfußraum sich so manches Kino gerne eine Scheibe abschneiden dürfte - nein, das Drumherum im CCH zu Fuße des Radisson Blu-Hotels deutete schon darauf hin, dass dies ein etwas anderer Konzertabend werden sollte, als ich es sonst gewohnt bin.

Ok, der Ticketpreis tat das auch. Wobei jener mit um die sechzig Euro ja immer noch weiter unter dem lag, was einige "A-Stars" mit weitaus geringerer Relevanz für ihre billigen Plätze verlangen. Und dafür sah man ja auch die vielleicht einflussreichste noch aktive Gruppe der Musikgeschichte. Klar, als Metaller brüllt man reflexartig "Black Sabbath", aber ob die bei genauerem Nachdenken tatsächlich in ähnlicher Weise die Grundlage für derartig viele unterschiedlichste Stile mitgeprägt haben? Die Beatles sind unbestritten, doch ansonsten ist es diesbezüglich doch ziemlich einsam rund um die Elektro-Pioniere Kraftwerk

Ein Teenager von heute muss sicherlich eine Weile recherchieren, um die Bedeutung von Kraftwerk zu begreifen, weil ihr Einfluss einfach so allgegenwärtig und umfassend ist, dass man ihn in seiner Selbstverständlichkeit oft gar nicht mehr bewusst wahrnimmt.
Zudem bedarf es aus heutiger Sicht natürlich einer gewissen Fantasie, im "Trans Europa Express", "Bildschirmtext" und "Computer für den Kleinbetrieb" etwas visionäres zu sehen. Für mich persönlich gehört dieser teils entwaffnend naive Retrofuturismus zu den größten Reizen von Kraftwerk.

Auf dieser Tour unter dem Motto "1 2 3 4 5 6 7 8" spielen Kraftwerk 3-D-Konzerte.

Und hat 3-D nicht inzwischen auch schon diesen vor langer Zeit revolutionären, doch inzwischen bereits schal gewordenen Geschmack? Wie lange will man uns 3-D schon als das Ding der Zukunft verkaufen? Nun ist es Gegenwart in viel zu vielen Filmen, und wir merken, dass es eigentlich fast nie gebraucht wird. Ok, ich alter Skeptiker lehne mich hier etwas weit aus dem Fenster. Denn wenn nicht gerade Tolkien mehr oder leider weniger gelungen verfilmt wird, halte ich mich aus bebrillten Kinos eh fern.

Trotzdem habe ich bei Kraftwerk keinen Moment mit dem Ticketkauf gezögert - und wurde durch einen zentralen Parkettplatz belohnt. Denn zum einen habe ich durch den Besuch der "Queen Heaven"-Show im Planetarium Hamburg gelernt, dass Musik und dritte Dimension bisweilen schon sehr reizvoll sein können (auch wenn die beeindruckendsten Effekte von dort hier natürlich nicht zu erwarten waren).

Zum anderen war mir trotz meine generell eher ablehnenden Haltung gegenüber der üblichen Verwendung von 3-D-Gedöns schon klar, dass die Technik wie die Faust aufs Auge der von Kraftwerk inszenierten 70er- und 80er-Jahre-Zukunftsästhetik und ihrem beherrschenden Motiv der Bewegung (Zug, Fahrrad, Autobahn usw.) passen würde.

Und so war es dann auch. Am vorderen Rand der aufgeräumtesten Konzertbühne aller Zeiten standen hinter ihren bauhaus-stylischen, LED-umrahmten Pulten die vier Musiker in ihren ebenfalls leuchtfähigen, an "Tron" erinnernden Anzügen. Natürlich gab es auch ein paar herkömmliche Lichteffekte, doch der größte Teil der visuellen Reizüberflutung ging von der hinteren Videowand aus und wurde zwischen Auge und 3-D-Brille für jeden Zuschauer multipliziert.

Und Junge Junge, das war in seiner Gesamtwirkung schon beeindruckend. Irgendwann, so im dritten Viertel des über zweistündigen Konzerts hat mir diese Augenanstrengung allerdings auch leichte Kopfschmerzen gemacht. Zum Glück gab es nicht zu jedem Track stroboskopartiges Dauerfeuer, sondern auch ein paar optische Ruhephasen.

Akustisch war das Konzert zwar nicht perfekt (der Gesang ging oft etwas unter), aber schon sehr nahe dran.


Und musikalisch? Es war natürlich ein Klassikerfest - und zwar ein sehr vollständiges. Die Setlist lässt wohl kaum Wünsche übrig:
  1. Nummern
  2. Computerwelt
  3. It's More Fun To Compute / Heimcomputer
  4. Computerliebe
  5. Die Mensch-Maschine
  6. Spacelab
  7. Das Modell
  8. Neonlicht
  9. Autobahn
  10. Ätherwellen
  11. Geigerzähler
  12. Radioaktivität
  13. La Forme
  14. Electric Café
  15. Tour de France 1983
  16. Tour de France Étape 2
  17. Tour de France 2003
  18. Trans Europa Express
  19. Metall auf Metall
  20. Abzug
     
  21. Die Roboter
     
  22. Aéro Dynamik
  23. Planet der Visionen
  24. Boing Boom Tschak
  25. Techno Pop
  26. Music Non Stop

Alle Songs glänzten in das Original ehrenden, aber oft zeitgemäß geupdateten Versionen.
Besonders deutlich wurde dies beim im Laufe der Jahre immer düstererem "Radioaktivität", welches sehr getragen mit japanischer Strophe und Fukushima-Bezug anfing.

Was ich mich vor diesem (meinem ersten Kraftwerk-)Konzert  gefragt habe, war, wie live oder nicht live sich die Musik anfühlen würde, bzw. ob es bei diesen Elektroklängen überall überhaupt eine Rolle spielen würde, was Ralf Hütter und seine Angestellten auf ihren mysteriösen Pulten bedienen.

Eine ironische Antwort auf diese Frage gab die erste Zugabe "Die Roboter", als plötzlich statt der Bandmitglieder vier Roboter im klassischen Mensch-Maschinen-Oufit mit rotem Hemd und schwarzer Krawatte (auch ein paar Mal im Publikum gesehen) auf der Bühne standen und gestikulierten, während die Musik komplett aus der Konserve kam und es qualitativ keinen Unterschied machte.

Anderseits war die menschliche Note im Rest der Performance aber durchaus auch abseits von Hüttners zumeist verfremdeten Gesang spürbar. Viele Nuancen, Streuungen, Dynamiken haben eine ganz klar organische Komponente.

Und ganz am Ende spielte sogar - fast Jazz, haha  - jeder Musiker ein Solo, bevor er seinen persönlichen Applaus entgegen nahm und die Bühne verließ.


War das alles jetzt mehr Konzert oder doch eher Kunst?
Keine Ahnung. Auf jeden Fall war es außergewöhnlich und toll.

Wer also nicht dort war, der sollte sich ruhig dezent ärgern.
Oder er redet sich ein, dass es so geil ja nicht gewesen sein kann, indem er sich Bilder und YouTube-Videoas anschaut, welche dieses Spektakel in den seltensten Fällen würdig wiedergeben können.

Ein paar Mal in der zweiten Dimension trashcamgeknipst habe ich selbstverständlich trotzdem:


































2 Kommentare:

  1. Hallo!

    Das sieht sehr toll aus und du hast völlig recht, wenn du sagst, dass man sich ruhig ärgern kann, dieses Konzert verpasst zu haben!

    Als Kind der 90er Jahre kenne ich die Diskografie von Kraftwerk leider nicht, sondern ein paar Sets. Mir gefällt aber der Klang der Musik und ich freue mich immer, wenn ich etwas Unbekanntes von der Gruppe hören kann.

    Ich finde auch, dass bei Kraftwerk die Sound- und Lichteffekte sehr wichtig sind. Du hast auch erwähnt, dass du den Preis der Karten relativ hoch findest und dem kann ich nur zustimmen. Trotzdem kann ich mich den hohen Preis erklären, weil es wirklich viele Effekte gibt und diese sind nicht so billig. Ich musste vor kurzem einen kleinen Firmenevent organisieren und dafür brauchten wir Videowalls und Musik usw. Als ich die Firma Wipamedia gesehen habe, wie viel Zeit und Mühe sie für die Vorbereitung benötigt, konnte ich begreifen, wie wichtig und mühsam ihre Arbeit ist. Am Ende sehen wir, das Publikum, normalerweise nur den tollen Effekt und bedenken die endlose Mühe nicht. Aus diesem Grund war vielleicht der Preis der Karten trotzdem angemessen. Das Konzert war sicherlich ein unvergessliches Erlebnis für alle Anwesenden und war vielleicht den Preis wert.

    Liebe Grüße an dir,
    Sebastian

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    1. In meiner Kraftwerk-Sammlung ist auch noch reichlich platz. Aber es ja nicht die Band, bei der man jeden Ton vor dem Konzert auswendig kennen muss. ;)

      Und den Preis wert war es auf jeden Fall!

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