Hui! Ab und gibt es ja noch Veröffentlichungen, die viel früher als erwartet aus dem Presswerk kommen. Jazz In Britains monumentaler 3-CD-Rückblick auf Gordon Becks Gruppe Gyroscope, die 1973 nur ein einziges eigenveröffentlichtes Album auf Kassette rausgebracht hat, ist eine davon.
Glück für mich, konnte ich mir dank ebenfalls vorgezogener digitaler Veröffentlichung auf Bandcamp doch das ganze, beinahe vier Stunden lange kolossale Ding auf der Hin- und Rückfahrt zum Laibach-Konzert in Hannover anhören. Und es hat einen Grund, dass ich dies hier erwähne...
GORDON BECK'S GYROSCOPE - Progress (3CD) (1973/2024)
Das Wachstum meiner Musiksammlung hat sehr viel mit Zufall zu tun. Bin ich z.B. gerade in der Laune, eine bestimmte der viel zu vielen Promo-Mails, die alleine durch Abos über Bandcamp ständig eintrudeln, nicht sofort zu löschen? Weckt ein Stichwort so sehr mein Interesse, dass ich gleich reinhören muss?
Denn ich bin ganz ehrlich: Vielleicht hat er irgendwo in der Tiefe meiner Sammlung ja ein, zwei Credits, doch Hand aufs Herz: Ich hatte keine Ahnung, wer Gordon Beck ist. Den Bandnamen fand ich aber irgendwie spannend genug, um in den einen Promotrack reinzuhören und ziemlich schnell zu entscheiden: drei CDs davon? Hell yes!
Als ich mir diese um Rehearsal-Demos, Liveaufnahmen und Radioauftritte erweiterte Sammlung rund um das damalige Album "One, Two, Three... Go!" dann im Auto erstmals anhörte, hatte ich beinahe alles, was ich unmittelbar vor Vorbestellung gelesen hatte, schon wieder vergessen. Himmel, ich konnte mich kaum an den Namen des Bandleaders erinnern - und hatte tatsächlich nicht einmal mehr eine Ahnung, welches Instrument er überhaupt selbst spielte.
Ich habe das dann zu einem Ratespiel gemacht. In Führung lagen wegen des prägenden Sounds das Vibraphon, gefolgt von Bass und Schlagzeug, da die Band viele überraschende rhythmische und metrische Wechsel hinlegt, was ja im Jazz ja traditionell Bassisten- und im hier auch einfließenden Rock überwiegend Drummer-Expertise ist.
Doch Pustekuchen! Die Auflösung folgte tatsächlich noch während der nächtlichen Autobahnfahrt mit einem Radio Broadcast, dessen Ansagen hier mit eingeschlossen wurden und die Band vorstellen.
Gordon Beck war tatsächlich neben der Komposition für Klavier und elektrisches Klavier verantwortlich.
Und sobald man dies weiß, ist es auch absolut logisch, denn ein Thema, welches sich bei aller Abwechslung rundherum wie ein roter Faden durch diese Aufnahmen zieht ist die durchdringende klangliche Kombination von Elektroklavier und Vibraphon. Und diese zentrale Idee bei Gründung der Gruppe war es auch, die mich sofort ansprach.
Doch daneben bietet diese Werkschau natürlich sehr viel mehr. Und sie klingt auch oft nach sehr viel mehr als fünf Musikern, viel cineastischer, orchestraler. Doch tatsächlich waren Gyroscope ein Quintett.
Neben Beck, auf dessen Biographie - wie schon von Trevor Tomkins' "For Future Reference" bekannt - im dicken Booklet detailliert eingegangen wird, gehörten Frank Ricotti am Vibraphon, Ron Matewson an Kontrabass und Bassgitarre und Tony Levin (nein, nicht der King Crimson-Bassist!) am Schlagzeug dazu. Außerdem bei allen Aufnahmen bis Mitte 1973 noch Brian Smith an Tenor- und Sopransaxophon und Flöte, auf der zweiten Hälfte der Stücke abgelöst von Stan Sulzmann.
Musikalisch spannen Gyroscope Bögen von amerikanischem Bebop zu eher britischen klassischen Einflüsse der Marke Neil Ardley, von tanzbarem Latin zu wilden improvisierten Timingsprüngen. Der Free Jazz verlässt aber ebenso wie die Jazz Fusion-Ansätze niemals den Raum der Komposition. Und trotzdem fühlen sich viele Stücke enorm frei an und ufern bis über zwanzig Minuten aus. Und fast nie geht es hier um die Hervorhebung eines Solisten, während der Rest der Band zurücksteht. Nein, es herrscht fast immer ein kompletter, aus der Synergie aller Einzelteile geformter Bandsound, bei weitem nicht so rock- oder blueslastig wie bei Colosseum, sich aber gerade mit dem Alleinstellungsmerkmal des Vibraphon/Elektroklavier-Konzepts auch weit von traditionelleren Jazz-Ensembles emanzipierend.
Der Grund warum ich "Progress" sofort haben musste, ist das großartige Gleichgewicht zwischen allen Elementen. Gordon Beck verweigerte es, sich festzulegen und dachte eher, je breiter er sich aufstellt, desto eher ist für jeden Hörer etwas dabei. Und tatsächlich sind für mich im Grunde die ganzen beinahe vier Stunden dabei. Diese Sammlung ist ein irre spannender Blick in ein sicherlich zu obskures Kapitel angelsächsischer Jazzgeschichte.
Was vielleicht ein wenig seltsam wirkt ist, dass ausgerechnet der allererste Track einige hörbare, wahrscheinlich durch Abnutzung der Originalbänder entstandene Fehler enthält, was einen unbedarften Hörer sicherlich abschrecken kann. Die Reihenfolge ist halt streng chronologisch, beginnend mit der sicherlich auch weniger professionell mitgeschnittenen Probe für den ersten gemeinsamen Auftritt. Zum ersten Reinhören empfiehlt sich von daher vermutlich eher, weiter in der Mitte, bei den sauberer ins Jetzt geretteten Aufnahmen zu beginnen.
Als kleine Bonbons enthalten CD 2 und 3 noch jeweils einen exklusiven Bonustrack, der nicht im Bandcamp-Download enthalten ist. Einmal hören wir Beck einen Song erklären und bekommen einen kleinen faszinierenden Einblick in den Arbeitsprozess - und ganz am Ende wähnt man sich kurz auf einem Monty Python-Album, wenn man den Chef goofy herumalbern hört. Zumal sich der Mann auch sehr nach Eric Idle anhört. Ist natürlich nicht essentiell, aber so eine gewaltige Zusammenstellung überschäumender Kreativität mit debilem Furzhumor zu beenden, das ist schon ein witziger Abschluss.
Nicht so witzig ist leider, dass die prall gefüllten Scheiben leider je nach verfügbaren Abspielgeräten eventuell nur dekorativen Wert haben können. Bei mir spielen sie auf jeden Fall leider nicht in jedem Player. Gerade da ja ansonsten bei Jazz In Britain so viel Liebe in die Veröffentlichungen gesteckt wird, ist das schon ein Wermutstropfen. Zum Glück kann ich z.B. im Auto ja auch genauso gut die rein digitale Variante spielen.
Und eine enorme musikalische Schatzkiste ist dieser Hybrid aus Wiederveröffentlichung und Raritäten-Compilation so oder so.
Denn ich bin ganz ehrlich: Vielleicht hat er irgendwo in der Tiefe meiner Sammlung ja ein, zwei Credits, doch Hand aufs Herz: Ich hatte keine Ahnung, wer Gordon Beck ist. Den Bandnamen fand ich aber irgendwie spannend genug, um in den einen Promotrack reinzuhören und ziemlich schnell zu entscheiden: drei CDs davon? Hell yes!
Als ich mir diese um Rehearsal-Demos, Liveaufnahmen und Radioauftritte erweiterte Sammlung rund um das damalige Album "One, Two, Three... Go!" dann im Auto erstmals anhörte, hatte ich beinahe alles, was ich unmittelbar vor Vorbestellung gelesen hatte, schon wieder vergessen. Himmel, ich konnte mich kaum an den Namen des Bandleaders erinnern - und hatte tatsächlich nicht einmal mehr eine Ahnung, welches Instrument er überhaupt selbst spielte.
Ich habe das dann zu einem Ratespiel gemacht. In Führung lagen wegen des prägenden Sounds das Vibraphon, gefolgt von Bass und Schlagzeug, da die Band viele überraschende rhythmische und metrische Wechsel hinlegt, was ja im Jazz ja traditionell Bassisten- und im hier auch einfließenden Rock überwiegend Drummer-Expertise ist.
Doch Pustekuchen! Die Auflösung folgte tatsächlich noch während der nächtlichen Autobahnfahrt mit einem Radio Broadcast, dessen Ansagen hier mit eingeschlossen wurden und die Band vorstellen.
Gordon Beck war tatsächlich neben der Komposition für Klavier und elektrisches Klavier verantwortlich.
Und sobald man dies weiß, ist es auch absolut logisch, denn ein Thema, welches sich bei aller Abwechslung rundherum wie ein roter Faden durch diese Aufnahmen zieht ist die durchdringende klangliche Kombination von Elektroklavier und Vibraphon. Und diese zentrale Idee bei Gründung der Gruppe war es auch, die mich sofort ansprach.
Doch daneben bietet diese Werkschau natürlich sehr viel mehr. Und sie klingt auch oft nach sehr viel mehr als fünf Musikern, viel cineastischer, orchestraler. Doch tatsächlich waren Gyroscope ein Quintett.
Neben Beck, auf dessen Biographie - wie schon von Trevor Tomkins' "For Future Reference" bekannt - im dicken Booklet detailliert eingegangen wird, gehörten Frank Ricotti am Vibraphon, Ron Matewson an Kontrabass und Bassgitarre und Tony Levin (nein, nicht der King Crimson-Bassist!) am Schlagzeug dazu. Außerdem bei allen Aufnahmen bis Mitte 1973 noch Brian Smith an Tenor- und Sopransaxophon und Flöte, auf der zweiten Hälfte der Stücke abgelöst von Stan Sulzmann.
Musikalisch spannen Gyroscope Bögen von amerikanischem Bebop zu eher britischen klassischen Einflüsse der Marke Neil Ardley, von tanzbarem Latin zu wilden improvisierten Timingsprüngen. Der Free Jazz verlässt aber ebenso wie die Jazz Fusion-Ansätze niemals den Raum der Komposition. Und trotzdem fühlen sich viele Stücke enorm frei an und ufern bis über zwanzig Minuten aus. Und fast nie geht es hier um die Hervorhebung eines Solisten, während der Rest der Band zurücksteht. Nein, es herrscht fast immer ein kompletter, aus der Synergie aller Einzelteile geformter Bandsound, bei weitem nicht so rock- oder blueslastig wie bei Colosseum, sich aber gerade mit dem Alleinstellungsmerkmal des Vibraphon/Elektroklavier-Konzepts auch weit von traditionelleren Jazz-Ensembles emanzipierend.
Der Grund warum ich "Progress" sofort haben musste, ist das großartige Gleichgewicht zwischen allen Elementen. Gordon Beck verweigerte es, sich festzulegen und dachte eher, je breiter er sich aufstellt, desto eher ist für jeden Hörer etwas dabei. Und tatsächlich sind für mich im Grunde die ganzen beinahe vier Stunden dabei. Diese Sammlung ist ein irre spannender Blick in ein sicherlich zu obskures Kapitel angelsächsischer Jazzgeschichte.
Was vielleicht ein wenig seltsam wirkt ist, dass ausgerechnet der allererste Track einige hörbare, wahrscheinlich durch Abnutzung der Originalbänder entstandene Fehler enthält, was einen unbedarften Hörer sicherlich abschrecken kann. Die Reihenfolge ist halt streng chronologisch, beginnend mit der sicherlich auch weniger professionell mitgeschnittenen Probe für den ersten gemeinsamen Auftritt. Zum ersten Reinhören empfiehlt sich von daher vermutlich eher, weiter in der Mitte, bei den sauberer ins Jetzt geretteten Aufnahmen zu beginnen.
Als kleine Bonbons enthalten CD 2 und 3 noch jeweils einen exklusiven Bonustrack, der nicht im Bandcamp-Download enthalten ist. Einmal hören wir Beck einen Song erklären und bekommen einen kleinen faszinierenden Einblick in den Arbeitsprozess - und ganz am Ende wähnt man sich kurz auf einem Monty Python-Album, wenn man den Chef goofy herumalbern hört. Zumal sich der Mann auch sehr nach Eric Idle anhört. Ist natürlich nicht essentiell, aber so eine gewaltige Zusammenstellung überschäumender Kreativität mit debilem Furzhumor zu beenden, das ist schon ein witziger Abschluss.
Nicht so witzig ist leider, dass die prall gefüllten Scheiben leider je nach verfügbaren Abspielgeräten eventuell nur dekorativen Wert haben können. Bei mir spielen sie auf jeden Fall leider nicht in jedem Player. Gerade da ja ansonsten bei Jazz In Britain so viel Liebe in die Veröffentlichungen gesteckt wird, ist das schon ein Wermutstropfen. Zum Glück kann ich z.B. im Auto ja auch genauso gut die rein digitale Variante spielen.
Und eine enorme musikalische Schatzkiste ist dieser Hybrid aus Wiederveröffentlichung und Raritäten-Compilation so oder so.
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