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2016-03-15

TOBY DRIVER, NICK HUDSON und RADARE live auf der MS Stubnitz, Hamburg (13. März 2016)

Toby Driver mit Nick Hudson

Ich kenne ja die komplette Geschichte von Toby Driver und der Hansestadt Hamburg nicht, aber nach dem nicht gerade überlaufenen Konzert von Kayo Dot und Botanist im letzten Jahr war ich durchaus erstaunt, dass es den Dot-Mastermind auf seiner Solo-Tour überhaupt wieder hierher zog.

Anderseits würde wohl kaum ein Künstler die Möglichkeit ausschlagen, eine Location wie die MS Stubnitz zu bespielen. Der Innenraum dieses ehemaligen Kühl-Transportschiffes wurde zu einer sehr eigenwilligen und stimmungsvollen Live-Location umgebaut, welche nicht nur durch ihren optischen Charme, sondern auch akustisch zu überzeugen weiß.

Der aktuelle Ankerplatz am Kirchenpauerkai ist eine Wüste im Nirgendwo zwischen Hafencity und ehemaligem Freihafen, wo am späten Sonntag absolut das Herz der Einsamkeit schlägt. Da ich auf dem Hinweg die von Norden kommend unkonventionelle und ebenfalls vollkommen tote Route über Elbtunnel, Abfahrt Waltershof und Köhlbrandbrücke genommen hatte, habe ich mich wohl niemals vor einem Konzert in Hamburg so fern der Zivilisation gefühlt.

Zu dieser Zeit und an diesem Ort ein derart randgruppenrandperipherieorientiertes Special-Interest-Billing zu präsentieren, das ist schon ballsy, wie der Angelsachse sagen würde, und nötigt mir an sich bereits Respekt ab. Kein Risiko, keine Kulur.
Wirklich ein Jammer, dass dieses Bookingdraufgängertum nicht angemessen in Besucherzahlen belohnt wurde, zumal ich mir angesichts des läppischen Eintrittspreises im Nachhinein ja schon fast schäbig vorkam. So war das Verhältnis zwischen Crew/Künstlern und Besuchern leider ziemlich ungesund.

Aber immerhin habe ich als Ausgleich dafür ja die erste Band des Abends um ein paar Tonträger erleichtert:

Radare
Radare ist eine deutsche Band aus vier Multiinstrumentalisten, bei der neben klassischer Rockbesetzung aus zwei Gitarren, Bass und Drums auch noch diverse Orgeln und Synthesizer, sowie Klarinette und Posaune zum Einsatz kommen. Die Musik des Quartetts ist ein zumeist sehr getragener, instrumentaler Doomjazz, der mir spontan als Mischung aus der Mount Fuji Doomjazz Corporation (aka The Kilimanjaro Darkjazz Ensemble) und der "Hex"-Phase von Earth erschien.

Das ist natürlich ein Rahmen, in dem sich auch Verweise zu zahlreichen weiteren Künstlern aus Advantgarde, Postrock, Jazz und Doom eröffnen, nicht zuletzt zum Wirken des heutigen Headliners oder zum großen John Zorn.
Radare schlagen zumeist ruhige Töne an, sind jedoch Meister der Dynamik und lassen ihre Stücke mit viel Geduld über lange Zeit anschwellen, können einen jedoch auch jederzeit mit feinen Nuancen überraschen. Es wird zwar niemals so ohrenbetäubend brachial wie z.B. bei Mono, doch die hier zelebrierte Bandbreite ist schon beachtlich. Vor allem aber ist Musik von Radare einfach eine enorm emotionale und eskapistische Reise, die für all ihre Zutaten das genau richtige Maß findet.

Für mich ganz klar meine bisher größte Live-Neuentdeckung des Jahres!


Nach Radare wurde es leer auf der Bühne. Eigentlich war die Gruppe ja als letzter Act angekündigt gewesen, was für die Dramaturgie des Abends vielleicht etwas schöner gewesen wäre, aber aus logistischer Sicht (weniger Umbauaufwand) kann ich schon nachvollziehen, mit der equipmentstärksten Gruppe anzufangen. 


Nick Hudson

Zunächst einmal blieb am linken Bühnenrand nur ein Mann am Klavier übrig.

Mir hätte schon während des Auftritts einfallen müssen, an wen zum Henker mich der Singer/Songwriter Nick Hudson konkret erinnert hat. Denn irgendwen gibt es da. Und jetzt komme ich auch nicht mehr drauf.

Wahrscheinlich ist mein Horizont auf dem Gebiet aaber eh zu begrenzt. Es blieb auf jeden Fall hoch emotional, war spielerisch und stimmlich absolut top notch und ich kann über nichts am Auftritt des Engländers beschweren. Dass die Einsamkeit der Nacht hier am greifbarsten wurde, war für die Performance an sich auch nicht schädlich.

Für ein paar Stücke wurde Hudson durch den mit Toby Driver gekommenen Schlagzeuger von Kayo Dot untertützt. dadurch war es dann auch ein ziemlich fließender Übergang, als anschließend alle drei für den größten Teil des Driver-Sets als Trio auf der Bühne standen saßen.


Apropos sitzen: Neulich hatte ich ja gerade erst die Seltsamkeit des Sitzkonzerts sanft bemängelt.
Diesmal war es allerdings ein Plus. Ein optionaler Sitzplatz an einem mit beseelten sanften Tönen zum Transzendieren mit geschlossenen Augen einladenden Abend ist einfach eine stimmigere und natürlichere Angelegenheit als ein reservierter Platz bei einer Dream Theater-Multimediashow, die einen großen Teile ihrer Gefühle ja eher simuliert (wenn auch gut) und mich nebenbei für die erste Reihe auch beinahe das neun(!)fache gekostet hat.

Aber zurück auf die MS Stubnitz:

Toby Driver

Toby Driver ist ganz klar ein eigener Kopf und Visionär. Und er gehört - was dazu keinesfalls im Widerspruch steht - zu jenen Künstlern, deren größte Stärken gleichzeitig ihre Schwächen sind.

Bei ihm ist es jene ausgeprägte Neigung zum überlangen, schwer fassbaren Mäandern, welches einige seiner Studiowerke zu Herausforderungen macht, auch wenn er den Musikstil und die Mittel seines Ausdrucks immer wieder variiert. Die endlosen, nicht auf den Punkt kommen wollenden Wellen des letzten Kayo Dot-Albums "Coffins On Io" sind live z.B. über jeden Zweifel erhaben, erwischen mich in der Studioversion jedoch immer wieder auf einem anderen Fuß.

Es ist ganz klar: Um sich in Musik des New Yorkers fallen lassen zu können, muss man sich - nicht immer, aber oft - erst aktiv auf sie einstellen. Die Tür ist offen, aber man muss selbst eintreten.

Sein aktuelles Soloprogramm ist musikalisch  nicht allzu weit von "Coffins On Io" entfernt, auch wenn das Instrumentarium (mit ihm an der Gitarre plus etwas Konserven- und Effektunterstützung - und ganz am Schluss schließlich auch ganz alleine am Klavier) reduzierter daherkommt. Man merkt, dass es die selbe Schaffensphase repräsentiert. Verglichen mit der Bandperformance kam ich nicht ganz so bequem in den Fluss hinein, doch erst einmal drinnen haben die wabernden Saiten, die jazzigen Beats und der schwebende Singsang das Schiff meiner Vorstellungskraft durch einen weiteren großartigen Auftritt gesteuert.


Insgesamt war der Abend also ein sehr erlesenes - und ungewollt exklusives - Erlebnis.

Schön, durch Gespräche mit den Radare-Gitarristen zu wissen, dass es auch für die Musiker trotz allem ein sehr besonderes Erlebnis war, auf diesem Konzertschiff zu spielen.

Wenn mein Zeitreiseboot eines Tages vom Stapel läuft, nehme ich gerne nochmal ein paar Leute mit. Es lohnt sich und ist eine sehr viel schönere Erinnerung an diesen Tag als seine erbärmlichen Wahlergebnisse.

Ahoi!


MS Stubnitz:



Radare:







Nick Hudson:




Toby Driver:




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