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2024-06-29

FOLTERKAMMER - Weibermacht

RUF!
*zisch*

MICH!
*peitsch*

AN!
*klatsch*


Vielleicht wird eine schlechte Idee ja irgendwann gut, wenn an sie nur extrem genug übertreibt. Das wäre zumindest eine passable Theorie, wenn man davon ausginge, dass schlimme Telefondominafernsehwerbeclips (Ja, schlag schon zu, aber halte bitte die Klappe dabei!) zu den Inspirationen von Folterkammer's "Weibermacht" gehören.

Anderseits ist das Konzept dieser im Umfeld von Imperial Triumphant entstandenen new yorker Band mit ursprünglich aus der deutschsprachigen Schweiz stammenden Sängerin ja vielleicht von Anfang an tatsächlich eine gute Idee gewesen...


FOLTERKAMMER - Weibermacht (CD) (2024)

Nun sind natürlich sadomasochistische Inhalte kein komplettes Novum im Metal, man denke nur daran (oder besser nicht) zu welchen leicht übertriebenen Extremen es die guten alten Pungent Stench in den Neunzigern getrieben haben. Und schon lange vorher als Metal noch ein Funkeln in Tony Iommis Augen war, haben Velvet Underground die "Venus In Furs" besungen. Deutschsprachig ist der größte Hit sicherlich auch außerhalb des Genres mit "Bitte Bitte" in Berlin zu verorten.

Auch Operngesang hat es Metal schon jenseits von Gastauftritten (Celtic Frost / Paradise Lost) und skandinavischem Tralala (Nightwish / Therion) in extremere Gefilde wie Fleshgod Apocalypse oder  - zusätzlich vermengt mit Darkjazz - The Lovecraft Sextet geschafft.

Wie Folterkammer diese Elemente zwischen altmodischem Peitschenklischee, feministischer Geschichtsstunde und augenzwinkerndem Spaß am Schock zusammenbringen, hat jedoch eine neue Qualität, die vor allem mit der Persönlichkeit von Sängerin Andromeda Anarchia, die ich vor zweieinhalb Jahren mal live mit Kilter erleben durfte, steht und nicht fällt.

Abgesehen von kurzen barocken Zwischenspielen oder Klassik-Reminiszenzen herrscht musikalisch vor allem ballernder und blastender Black Metal der ziemlich eingängigen Art mit vielen melodischen Leadgitarren. Es ist zwar derbes Zeug mit teils dissonant todesbleiernem Einschlag, doch für den Normalmetalfan vermutlich einfacher zugänglich als Zachary Ezrins Hauptband Imperial Triumphant.

Die vom Hörer zu nehmenden Schwellen bei Folterkammer sind also nicht Ohrwurmverweigerung and dystopisches Endzeitjazzchaos, sondern zumindest für deutsche Muttersprachler der besagte Ruf!Mich!An!-Cringe, wenn es textlich um eingeschlossene Fickpistolen, mit Blut signierte Peitschenpoesie und das obligatorische Füßeküssen geht. Daneben werden auch noch historische Perönlichkeiten thematisiert. So soll Aristoteles, ganz egal wie schlau er ist auf seine Domina hören und die "Herrin der Schwerter" wird als Femme Fatale und Heldin der "Weibermacht" gefeiert.

Insgesamt drehen sich die meisten Texte aber einfach um meistens gar nicht mal besonders explizit dargestellten Kink für alle, die auf das tatsächlich schon etwas angestaubte Sexdungeon-Klischee stehen. Das kann man mit doppeltem Boden oder als Gegenpol zur tatsächlich widerlichen Rammstein-Row-Zero-Kultur feministisch aufladen - oder man nimmt es einfach genauso headbangend zur Kenntnis, wie man im Metal sonst Spaß mit Satanismus, Gore und Drachentötern hat.

Letztendlich sind wir, egal ob wir darauf stehen, der unten ohne kämpfenden Amazone zu dienen ("Leck mich!") oder nicht, als Metalfans ja eh primär an Sound und nicht an Inhalten interessiert - auch wenn die Stimme, welche diese Inhalte transportiert solch ein Alleinstellungsmerkmal ist wie hier.
Denn Andromeda Anarchia singt ja nicht einfach Großvaters harmonisch ansprechende Operette, sondern verziert diese mit schrillen Spitzen und bösartigen Bögen - und ist genauso im extremen Black Metal-Gekrächze und Geschrei zu Hause.

Nein, ihre Rolle als Oberwärterin der Folterkammer steht weniger in der Tradition der weiter oben genannten Beispiele aus der Metalwelt, sondern ist viel mehr eine überzeichnete Hommage an Nina Hagen, die alles, was hier gesanglich zu hören ist, eigentlich schon im Punkkontext vorweggenommen hat. Nun allerdings wird Micha für das Vergessen des Farbfilms halt nicht mehr mit dem Beziehungsaus gedroht, sondern umgehend mit körperlicher Züchtigung gemaßregelt.
Hagen meets die Spanische Fetischinquisition und Sméagol singing Black Metal. Das ist die Formel und sie funktioniert ziemlich großartig.

Musikalisch muss ich allerdings einschränken, dass mir das Spitzenpotential des Projekts noch nicht ausgeschöpft scheint. Wir sind hier deutlich weiter als auf dem Debüt "Die Lederpredigt", die mir einfach noch nicht genug sagte, um sie meiner Sammlung einzuverleiben. Was ich hier noch zu bemängeln habe, ist die etwas zu herkömmliche Struktur. Statt Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Schemata würde mir zumindest bei einigen Songs ein unkonventionellerer, dramatischer orientierter Aufbau besser gefallen. Die Mucke ist schon durchweg geil, verlässt sich aber zu sehr auf ihre Ohrwürmer.

Anderseits könnten eben jene  - gepaart mit der nach der Klärung, dass dies lyrisch vielleicht nicht safe for work sein könnte, eigentlich überflüssigen Kontroverse - durchaus dabei helfen, aus dieser Band ein ziemlich großes Ding zu  machen.

Die Wahl des einzigen englischsprachigen Songs zum Abschluss des Albums fiel auf ein sm- wie musikhistorisch bewusstes Cover; es ist eine schräg und schrill stampfende Version von "Venus In Furs".

Um mit Bela B. in "Ignorama" (Die Ärzte) zu sprechen: "Du sitzt auf mit, die Welt ist schön / Wenn Du auf mir sitzt, könnt es mir gar nicht besser gehn."
Das finale Fazit überlasse ich allerdings Deichkind:

Leider geil.






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