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2011-09-15

DREAM THEATER - A Dramatic Turn Of Events

Nach der Rückkehrscheibe von Morbid Angel bespreche ich hier nun ein weiteres gespannt erwartetes Album, auf dem ein vorher für viele Fans als unersetzlich geltender Schlagzeuger nicht mehr mit von der Partie ist.

Hier handelt es sich jedoch im Gegensatz zu den Death-Metallern nicht um eine gesundheitsbedingte Langzeitpause, sondern um einen freiwilligen (und dann zu spät doch wieder bereuten) Ausstieg, da dem Rest der Band nicht nach einer mehrjährigen Kreativ-/Midlife-Crisis-Pause war.

Ich habe ja dummerweise in meinem letzten Transatlatic-Review angedroht, an dieser Stelle noch meinen Senf zu dem ganzen Portnoy/Dream Theater-Hickhack zu geben, aber eigentlich möchte ich doch lieber über die neue Musik schreiben. Also möglichst über die Musik von beiden Seiten...

Was die Musik angeht, war ich nämlich schon unmittelbar nach der Überraschung über die Trennung guter Hoffnung. Denn zum einen sollte Mike Portnoy ja nun mehr Luft für neue Glanztaten mit Transatlantic haben (aber mal sehen, der Mann macht ja momentan neben dem Testosterone...äh sorry... Adrenaline Mob jeden Monat eine neue Projektbaustelle auf), und zum anderen war einer meiner Kritikpunkte am letzten Album "Black Clouds & Silver Linings" ja, dass darauf teilweise etwas zu viel Mike Portnoy stattfand. Stattdessen hätte ich mir eher mehr kreative Anteile von Sänger James LaBrie und einen auch im Mix prominenteren Bass von John Myung gewünscht.

Dafür war der Weg ja nun frei. Und da so eine Zäsur erfahrungsgemäß idealerweise zu einem neuem Wir-Gefühl führt, standen die Chancen für das frischeste Dream Theater-Werk seit vielen Jahren eigentlich sehr gut.

Und ich muss zu meiner Freude feststellen, dass diese Chancen in jeder Beziehung genutzt wurden!


DREAM THEATER - A Dramatic Turn Of Events (2011)

Um das Fazit gleich vorweg zu nehmen: So richtig scheiße ist an diesem Album eigentlich nur, dass man in der Zeit, in der es läuft, nicht auch die zeitgleich erschienene Scheibe von Arch / Matheos (Review demnächst!) hören kann.

Ansonsten haben wir es hier mit einem großartigen Dream Theater-Album ohne Ausfälle zu tun, welches den goldenen Mittelweg zwischen der Progrock- ("Falling Into Infinity", "Octavarium") und der Metal-Seite ("Train Of Thought", "Systematic Chaos") der Band auf so ausbalancierte und fließende Weise findet, dass es sich in seiner Perfektion direkt neben den ganz großen All-Time-Klassikern "Scenes From A Memory" (1999) und "Images And Words" (1992) einreiht. Und auch unter jenen, die mit all diesen Albumtiteln noch nichts anfangen können, dürften die New Yorker sicher wieder neue Hörer gewinnen.

Die Mannschaft in der Einzelkritik:
  • James LaBrie hat mich in der Vergangenheit zwar auf keinem Studioalbum enttäuscht, dennoch merkt man ihm deutlich an, dass er nach langer Zeit endlich mal wieder hundertprozentig so singen durfte, wie er es für richtig hält, ohne sich dabei der Laune der Woche eines Bandchefs unterzuordnen. Und ob bei den zahlreichen großen Hooks, den gefühlvollen Stücken wie "Far From Heaven" oder den seltenen, aber dafür umso effektiveren aggressiven Momenten ("Build me Up, Break me Down") - das Ergebnis ist brilliant. Für viele Portnoy-Kritiker sicherlich auch wichtig: LaBrie singt alleine!

  • John Petrucci gibt sich sehr songdienlich und hat sich beim Drahtsaitenakt zwischen Vorsprung durch Technik und dem Spiel mit Seele ganz deutlich zu letzterem bekannt. Nach vielen großenteils rifforientierten Werken spielt er hier sein Gespür für Melodien und Harmonien mal wieder auf kompletter Albumlänge (= 77 Minuten) voll aus. Und was für ein Solo in "Breaking All Illusions"!

  • Jordan Ruddess zeigt sich freier und vielfältiger denn je. Die Zeiten, in denen er im Unisonospiel mit der Gitarre oftmals etwas unterging, sind definitiv vorbei. Auf "A Dramatic Turn Of Events" spielt er durchgehend eine prominente, aber stets songdienliche Rolle. Neben vielen mehr als zuvor an Kevin Moore erinnernden Flächensounds ist es vor allem das sehr geschmackvolle Piano, welches sich sowohl passagenweise in den epischeren Songs als auch tragend in den Balladen wie ein roter Faden durch das Album zieht und es in meinen Ohren sogar zusammenhält.
    Daneben bleibt er aber der Klanghexer, der mit Trip-Hop-Beats, blockbusterreifen Düsterchorsounds oder auch mal einem verspielten Analogsolo ("Beneath The Surface") immer wieder für überraschende Farbtupfer sorgt.
     
  • John Myung - ist zu hören! Wirklich! Auf dem kompletten Album! Und wie aus Dankbarkeit darüber, im Mix nicht wie so oft in schlechtester Metallica-Tradition von Drums und Gitarre untergebuttert zu werden, bringt sich der Ausnahmebassist nach sehr langer Zeit auch wieder songwriterisch stärker ein. Zum Glück, denn Myung-Songs haben unter Fans nicht umsonst einen ganz besonderen Nimbus.

  • Mike Mangini - der neue Mike. Mit seinem enthusiastischen und sympathischen Auftreten beim Superdrummercasting, welches als DVD-Doku "The Spirit Carries On" der CD beiliegt, aber auch schon vorher im Internet veröffentlicht wurde, konnte der ehemalige Extreme- / Steve Vai- / Annihilator- / und auch James LaBrie-Drummer nicht nur die Band, sondern auch mich als Fan voll überzeugen. Der Mann ist einfach ein Tier hinter dem Kit! Ich kann's gar nicht erwarten, ihn mir auf der Tour nächstes Jahr live anzusehen.

    Auf dem Album fällt er beim ersten Durchlauf gar nicht besonders auf, oder besser gesagt: Es fällt nicht im geringsten negativ auf, dass Mike Portnoy fehlt!
    Ein paar stilistische Unterschiede sind beim genaueren Hinhören aber schon auszumachen. So scheint Mangini sowohl in den straighteren als auch in den total abgefahrenen Frickeltherapieparts noch um Nuancen dichter am restlichen Instrumentarium dran zu sitzen, was zum Teil sicher an seinem extrem notenbewussten Beckenspiel liegen mag. Und ich wage sogar zu behaupten, dass er inspirierter klingt als sein bei aller Genialität doch oft voraussehbarer Vorgänger. Kurzum: Einen besseren Nachfolger hätte es für diese großen Fußstapfen wohl nicht geben können. Ausnahmedrummer ersetzt Ausnahmedrummer.

    Wenn man bedenkt, dass die Band diesmal ganz bewusst zu viert komponiert hat, Mike Mangini also im Songwriting noch gar nicht beteiligt gewesen ist, kann man jetzt schon gespannt sein, was er beim nächsten Album als vollwertiges Mitglied beizusteuern hat.

Doch zunächst einmal heißt es, sich am aktuellen Album die Ohren wund zu hören. An einem der ohrwurmhaltigsten und spielfreudigsten Alben der Dream Theater-Geschichte, bei dem auch endlich mein Ruf nach weniger Gefrickel um des Gefrickels Willens gehört wurde. Das heißt aber ganz und gar nicht, dass auf vollkommen vom anderen Musikstern kommende Angeberkapriolen verzichtet wurde! Nur werden diese nicht mehr so austauschbar heruntergerifft wie teilweise auf den letzten Werken, sondern fügen sich allesamt wieder richtig schön ins große Ganze ein. Als kurze Formel könnte man sagen: Weniger Beliebigkeit, mehr Verstand. Weniger Routine, mehr Spielspaß.

Ebenso wie das Gefrickel bei Dream Theater manchmal leicht überdosiert ist der Kitsch. Auf diesem Album finden sie aber immer das richtige Maß, bzw. auch wenn es mal etwas kitschiger als nötig wird, gehören sie halt zu den wenigen Bands, die das dürfen, weil sie's können. Es gibt ja gerade im Metal viele Gruppen, die dadurch unhörbar werden...

Die Texte sind ok, es gab schon bessere, gab schon schlechtere. Mann sollte nur nicht in Interviews fragen, was sie bedeuten, das ist leider z.T. etwas ernüchternd. Aber zum Glück ist man als Nichtmuttersprachler in der Hinsicht ja nicht so sensibel.

Auf die Songs im Einzelnen möchte ich hier gar nicht weiter eingehen. Die sind nämlich alle klasse und könnten eigentlich jeder für sich als Anspieltipp genannt werden.

Nein, ich belasse es jetzt mal dabei, noch eine Lanze für das vielgescholtene Albumcover zu brechen; ich fand es in seiner in bester Prog-Tradition leicht naiven Verkopftheit von Anfang an geil! Und im Zusammenhang mit der aufwendigen restlichen Gestaltung, in der u.a. sich der Einradfahrer noch anderen Situationen stellt, muss ich sagen, dass "A Dramatic Turn Of Events" zusammen mit dem Vorgängeralbum und "Octavarium" auch optisch zu den Highlights der Band zu zählen ist.


Ganz ganz großes Kino mit Potential zum Album des Jahres!


Anspieltipps: Lost Not Forgotten, Breaking All Illusions, Bridges In The Sky, On The Backs Of Angels

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