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2018-08-04

ZEAL & ARDOR - Stranger Fruit

Für viele Fans und Kritiker war es das Demo bzw. die EP des Jahres 2016, für andere nach kurzzeitiger Verknappung und Wiederveröffentlichung gar das Album des Jahres 2017. Mit dem Zeal & Ardor-Debüt "Devil Is Fine" hat Manuel Gagneux also zweifellos  einiges richtig gemacht.

Und schon im nächsten Jahr folgte nun das erste richtige Full-Length-Album. Das Ein-Mann-Projekt ist inzwischen zur Liveband geworden, hat renommierte Festivals gespielt (u.a. eine geradezu historische Roadburn-Show; und heute Nacht machen sie den Wacken-Rausschmeißer). Und neben zahlreichen Clubshows durfte man auch auf Einladung von Tom Morello für die Prophets Of Rage eröffnen. Für eine Gruppe, deren Konzept auf einen ausgerechnet durch einen rassistischen Troll inspirierten Stilmix aus schwarzen Sklavengesängen und Black Metal beruht, erscheint das alles doch ziemlich enorm bis außerirdisch.

Teuflische Fügung oder glücklicher Zufall sind hier aber nicht am Werk. Zumindest nicht exklusiv. Denn wie ich schon sagte: Manuel Gagneux hat einfach einiges richtig gemacht.

Und zu diesem Einigen gehört ganz eindeutig auch das Album "Stranger Fruit":





ZEAL & ARDOR - Stranger Fruit (2LP) (2018)


Ich habe dieses Review nun eine ganze Weile vor mir hergeschoben, obwohl meine Meinung zum Album schon längst gefestigt ist. Ich hatte nur bisher keine Lust anzufangen, weil es so schwer ist, über Zeal & Ardor zu schreiben, ohne jedes Mal die komplette Geschichte aufzudröseln, was allerdings schon unendlich viele Interviews und Rezensionen getan haben - und auch ich selbst schon mehrfach in diesem Blog. Es nervt einfach, die x-te Kinoversion von Batman oder Spiderman zu sein und doch wieder bei der Originstory anzufangen.

Es ist fast ein wenig paradox: Zeal & Ardor sind so originell und einzigartig, dass sie ihre mediale Rezeption großenteils in die Gleichförmigkeit zwingen.
Klar, die einen lieben es, die anderen hassen es. Aber an den erklärungsbedürftigen Tatsachen, welche Arten von Musik hier gemischt werden und wie es dazu kam, ändert dies ja nichts.

Und schon begibt man sich auf einen mittlerweile eher unbedeutenden Nebenschauplatz. Klar, der afroamerikanischen Geschichte einen fiktiven satanischen Anstrich zu geben und gleichzeitig den leichenblassen Black Metal mit "echter" schwarzer Musik zu kreuzen, ist cleverer als es auf den ersten Blick scheint und wunderbar doppelt getrollt. Doch letztendlich ist diese grundlegende konzeptionelle Provokation eigentlich ziemlich unwichtig.

Denn auf der einen Seite des Spektrums ist kaum jemand vorhanden, der tatsächlich angepisst ist: Die Black music, deren Wurzeln in Chaingang, Gospel, Blues Zeal & Ardor aufgreift und umkehrt, ist schlicht viel zu mannigfaltig und gigantisch, um von diesem einen querschießenden Spaßvogel überhaupt nennenswert Notiz zu nehmen.

Und die lautstarken ultraorthodoxen Black Metaller, die sich culturally appropriated fühlen? Who fucking cares? Die waren und sind als Stimme der Musikkritik ähnlich relevant und schutzbedürftig wie Jazzpolizisten, die im Jahr 2018 immer noch heulen, dass Free Jazz ja gar keine Musik, sondern nur reiner Krach sei.


Zeal & Ardor live at Roadburn

Nein, der Schlüssel zum Verständnis, was den explosionsartig wachsenden Erfolg von Zeal & Ardor ausmacht, liegt nicht darin, welche Subkulturblockwarte sie herausfordert. Dazu sind diese Gruppierungen zu unbedeutend. Wer glaubt, dass diese Musik primär geschrieben wurde, um sein persönliches Scheuklappentum zu kitzeln, der nimmt sich selbst definitiv zu wichtig.
Ja, es ist ein Nebenprodukt. Doch über die Provokation oder die Suche nach Anerkennung in spezifischen Subgenre-Szenen gehen Zeal & Ardor weit hinaus.


Was auf dem Weg zu "Devil Is Fine" noch als skurriles, spaßiges Experiment begann, ist inzwischen in einem eigendynamischen Prozess zu etwas viel Bedeutungsvollerem geworden. Auch wenn die Produktion der EP noch Schwächen hatte und der Anteil richtiger Songs gegenüber stilistisch vollkommen wild ausscherenden Zwischenspielen noch zu wünschen übrig ließ, war das Ding doch insgesamt dermaßen überzeugend, dass man es unmöglich als reinen Scherz aufnehmen konnte.

Die kurzen, vor allem aus gospelartigen Wiederholungen einprägsamer Parolen bestehenden Texte ließen einem viel Raum, um für sich selbst eine Geschichte darum zu spinnen.

Und dies gilt für "Stranger Fruit" nun noch viel mehr. Schon der Albumtitel selbst impliziert, dass Gagneux selbst nun einen breiteren Rahmen als eine alternative Pulp Fiction amerikanischer Geschichte anstrebt.

In Billie Holidays "Strange Fruit" war jene sonderbare Frucht ein erhängter Schwarzer, Opfer eines Lynchmordes in den Südstaaten.
Die moderne "Stranger Fruit" Zeal & Ardors offenbart sich im Innencover der Platte als Apfel mit Einschusslöchern. Es ist der schwarze US-Amerikaner, der - ganz egal ob er wegläuft oder stehen bleibt, sich wehrt oder kooperiert - von der Polizei erschossen wird.





Der Bogen vom Damals ins Heute ist also gespannt. Doch der Subtext geht auch noch über die schmerzhaften Stillstände afroamerikanischer Geschichte hinaus.

Niemand ist nur seine Hautfarbe. Manuel Gagneux ist schwarz. Er trägt, was der Rezensent eines prominenten deutschen Metalmagazins in geradezu erstaunlicher alltagsrassistischer Ignoranz eine "Hipster-Frisur" nennen musste.
Er ist aber u.a. auch ein universell an Musik interessierter Multiinstrumentalist und Sänger, der zusammen mit seinen schweizer Kumpels in der Weltrock'n'rollhauptstadt Basel lebt. Und Zeal & Ardor funktioniert auch in diesem nicht so sehr täglich von Black Lives Matter durchdrungenem Umfeld.


"Stranger Fruit" ist eine Sammlung von sechzehn Tracks. Alle übrigens wieder beinahe exklusiv von Gagneux eingespielt. Doch da er sich für das Schlagzeug Hilfe geholt hat und nun bewusst für eine Liveumsetzung schreibt, klingt es jetzt jedoch tatsächlich wie ein "richtiges" Band-Album.

Es gibt zwar wieder ein paar Intermezzos und ein Intro, für welches sogar ein Musikvideo als Albumteaser gedreht wurde, doch diese sind über weiteren Raum verteilt, der ansonsten in erster Linie von ohrwurmverdächtigen und radiotauglich kurzen Songs der bewährten "Devil Is Fine"- und "Blood In The River"-Methodik dominiert wird.
Dabei klingen die Leadgesänge nun weniger nach pseudohistorischen Samples (ein guter Gag, der aber für mehr als die EP nicht aufrecht ztu erhalten war), die Gospel-Kanongesänge sind noch feiner ausgearbeitet - und auch der Black Metal-Anteil knallt um einiges brachialer.




Doch Zeal & Ardor öffnet sich musikalisch auch zu anderen Spielarten. Einflüsse aus Blues und Industrial gab es bereits auf der EP, und hier werden sie noch deutlicher. Doch auch melancholischer Indierock, Soulgesänge und lateinische Düsterkirchenbeschwörungen, an System Of A Down erinnernde Grooves oder Anflüge von Thrash Metal verbergen sich auf diesem Album und melangieren zu einer erstaunlich stimmigen - und irgendwie sehr vertraut klingenden - Gesamtheit.

Ich kann "Stranger Fruit" jedenfalls nur wenige Vorwürfe machen. Das eine oder andere Stück fadet mir zu unmittelbar aus und hinterlässt den Eindruck, dass sich der beste Teil doch noch entwickeln sollte. Was allerdings auch eine nervige Eigenheit sehr vieler alter 7"-Singles ist und sich daher auch fast wie eine Reminiszenz anfühlt.

Und wenn Musik so sehr auf Catchiness gebügelt ist, dann können einem ein, zwei Songs zwischenzeitlich auch mal etwas über sein. Anderseits schafft es ein Stück wie das flotte "Row Row" dadurch auch, sich in meiner Gunst von nee, ist doof zu yeah, geil ins Ohr zu dremeln.




Als Fazit bleibt mir neben der obligatorischen absoluten Empfehlung nur noch, aufzulösen in wessen Tradition ich persönlich Zeal & Ardor wirklich sehe.

Musik, die sich auf originelle, vorher nicht gehörte und schwer kopierbare Art quer durch alle Genres bedient, im Vorbeigehen festgefahrene Fanatiker verärgert, vor allem jedoch Hörer aus verschiedensten Ecken zusammenbringt und stadiontaugliche Resonanz erzeugt: Faith No More anyone?

Rebellische, parolenartig eingehämmerte Texte, die sich an konkreten Problemen aufhängen und doch darüber hinaus universal und zeitlos auf zahlreiche weitere Ärgernisse in Gesellschaft und Conditio Humana anwendbar sind: Rage Against The fucking Machine!
Es ist eben kein Zufall, dass Tom Morello Premiumfan ist.

Und System Of A Down habe ich vorhin ja bereits genamedroppt.


Also:
Ein grandioses Album einer der originellsten und wichtigsten Metalbands der Gegenwart. Don't you dare listen away, boy!





PS: Schallplattenhörer aufgepasst! Das Intro ist gar nicht so doomig, wie ihr denkt. Dies ist eine 45rpm-Doppel-LP.

 




Highlights: Don't You Dare, Ship On Fire, We Can't Be Found, Stranger Fruit, Row Row, Waste



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