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2021-11-06

EMMA RUTH RUNDLE - Engine Of Hell

READ AN ENGLISH REVIEW OF THIS ALBUM ON VEIL OF SOUND!

"Taken to task in some engine of Hell
I lacked the toll to cross the river there
Someone forgot to put the Sterling on my brow
Gone from a world that I might sail"

Gestern erschien das neue Album von Emma Ruth Rundle, und die vorbestellte LP ist auch fast pünktlich eingetroffen, was heutzutage ja keine Selbstverständlichkeit darstellt. Für diesen Post bedeutet das, dass er sich schon einmal durch ein paar hübsche Bilder von dem Review unterscheidet, welches ich neulich bereits für Veil Of Sound verfasst habe.

Ansonsten stehen mir nun auch Credits und die nicht unwichtigen Songtexte zur Verfügung. Ich könnte also versuchen, eine komplett neue, verbesserte Rezension für meine persönliche Hall of Fame zu schreiben. Und ein paar Kleinigkeiten wie z.B. den Namen der Cellistin bringe ich jetzt auch ein. Aber ansonsten, nutze ich die für eine gründlichere Revision nötige Zeit doch lieber, um die Musik zu genießen. Deswegen ab hier die nur leicht umformulierte Übersetzung meines alten und - da klopfe ich mir doch mal selbst auf die Schulter - ja auch bereits auf positives Echo gestoßenen VoS-Textes.
 


EMMA RUTH RUNDLE - Engine Of Hell
(clear with black cloudy splatter vinyl LP) (2021)

Auf ihrem vorigen Album "On Dark Horses" ritt sie noch auf den hohen von ihrer Band geschlagenen Wellen und ließ sich zeitweise ganz in diese fallen, um sich im mächtigen Strom treiben zu lassen. Auf ihren beiden gemeinsamen Veröffentlichungen mit Thou"May Our Chambers Be Full" und "The Helm Of Sorrow", kämpfte sie dann gar dagegen an, nicht von dem gewaltigen Sumpf der tausend übermächtigen Doomgitarren verschlungen zu werden.
Da ist es an sich nicht allzu überraschend, dass Emma Ruth Rundle nun zu einem weniger erdrückenden und dafür intimerem Format zurückkehrt. Denn viel Raum für Steigerung in Richtung monströserer Schwere bliebe nach jenem Doppelschlag ja wirklich nicht mehr.

Und doch ist "Engine of Hell" weit mehr als nur ein zyklischer Stilwechsel. Denn indem sie sich sowohl musikalisch als auch thematisch in die Zeit vor ihrer Musikkarriere zurückversetzt, erreicht sie hier einen neuen künstlerischen Reifegrad und gewährt uns einen so klaren, unverstellten Blick auf ihr Seelenleben wie selten zuvor.  

Eine der größten Näherungen daran war zweifelsohne ihr legendärer Auftritt auf dem Roadburn Festival 2017, auf dem sie nur Kraft ihrer Stimme und Gitarre einen mit über sechshundert Leuten vollgestopften Raum in ergriffene Stille versetzt hat. Viel ist über diese Performance und ihre Bedeutung für das Selbstbewusstsein der Sängerin und sogar für die Ausrichtung des Festivals selbst geschrieben und gesagt worden. Auch wiederholt von mir. Ich beendete mein Livereview damals mit dem Statement, dass selbst an einem mit außerordentlichen weiblichen Stimmen übervollen Wochenende wie diesem ihr Auftritt eine wahre Offenbarung gewesen war, über welche die Anwesenden noch Jahre reden würden. "Ich stelle mir vor, dass es sich ähnlich angefühlt haben muss, Tori Amos zu Beginn ihrer Karriere zu erleben."

Dieser Vergleich bezog sich weniger auf die Musik selbst als auf deren Rezeption und die offene Art und Weise, mit der beide Künstlerinnen offen ihre Seele zur Schau trugen. Und wer jemals eine von beiden mit ihrer jeweiligen Band live gesehen hat, der wird sich außerdem an diesen einen Moment in der Show erinnern, in dem sie alleine auf der Bühne zurückblieben und man plötzlich die Emotionen sehr viel intensiver und wahrhaftiger spüren konnte. Je mehr man aus dem Umfeld dieser Sängerinnen entfernt, umso tiefgründiger werden sie dich berühren.

Auf "Engine Of Hell" reduziert Emma Ruth Rundle ihre Musik nun so weit wie niemals zuvor und wirft sogar das Markenzeichen des starken Halls auf ihrer Stimme und Gitarre ab. Für die Hälfte des Albums lässt sie die Gitarre sogar komplett stehen und spielt ein Instrument, für welches sie noch nicht bekannt ist, das sie jedoch tatsächlich zuerst erlernt hat: das Klavier.
Darüber hinaus gibt es in den acht Liedern weder elektronische Klänge noch überhaupt irgendwelche Effekte zu hören. Es ist alles Emmas Stimme und ihr Instrument, aufgenommen in jeweils einer vollständigen Livesession, mit all den authentischen Nebengeräuschen und kleinen Unzulänglichkeiten, die bei diesem Ansatz auftreten können.

Klavier und Gitarre wurde beide mit sehr viel Gewicht auf den tiefen Frequenzen aufgenommen, fast so, als würde man sein Ohr direkt auf den Körper des Instruments drücken, was wunderbar den Kontrast zur Zartheit von Emmas Stimme unterstreicht, welche andere, leisere und bewusst zerbrechlichere Orte findet, als wir von ihr in vergangenen Jahren gewohnt waren. Es gibt einige zusätzliche Overdubs, doch diese werden nur sparsam und bewusst als subtile Steigerungen eingesetzt, wie z.B. einige Klaviertöne im Gitarrensong "The Company", minimalistisches Cello von der heutzutage ja schon beinahe unvermeidbaren (und immer noch großartigen) Jo Quail, oder die männliche Duettstimme Troy Zeiglers in "Body".

Das Album ist einfach aber effektvoll strukturiert, indem es zwischen Gitarren- und Klavierstücken wechselt, bis dieser Rhythmus kurz vor Schluss aufgebrochen wird. Eine seiner größten Stärken ist, wie es Zurückhaltung einsetzt, um Spannung zu erzeugen, und Momente der Auflösung verzögert, diese dem Hörer noch nicht einmal in jedem Song zugestehend. Dies beginnt bereits mit dem Opener "Return", dessen Video ich wohl so oft und obsessiv gesehen habe wie zuletzt Anna von Hausswolff"The Mysterious Vanishing of Electra".

Ähnlich wie "Perpetual Flame Of Centralia" von ihrer Sargenzt House-Labelschwester Lingua Ignota auf ihrem aktuellen Album "Sinner Get Ready" verharrt sie hier auf einer dunklen getragenen Stimmung and hält dich einfach in diesem geladenen Zustand, so dass Du deine Erwartung einer emotionalen Verschnaufpause in den nächsten Song hinübertragen musst. "Blooms Of Oblivion" wartet dann aber auch noch einmal bis zu seinem allerletzten Crescendo damit, dir gerade so viel Höhenflug zuzugestehen, dass es dich wieder herunterreißen kann.


Die gesamte Erfahrung, welche Rundle auf "Engine Of Hell" schafft, fühlt sich so ungefiltert an, als würde sie direkt ihre Stirn an deine lehnen und ihr Innerstes mit dir teilen. Alle Themen des Albums sind düster und persönlich, beschäftigen sich mit Familie, Beziehungen, Depression und Sucht, und sie bieten aus sich selbst heraus keine Botschaften des Lichts, wie es z.B. das beruhigende Finale "You Don't Have To Cry" auf "On Dark Horses" tat.
Der Einschätzung der Künstlerin selbst, dass es auf "Engine Of Hell" keinerlei Hoffnung gäbe, muss ich allerdings vehement widersprechen. Denn schon aus diesem Akt des Teilens und Kommunizierens des Schmerzes allein - und dies in einer so wunderschönen Umsetzung - entsteht ja schon Hoffnung.

Jeder einzelne Song hier präsentiert Emma Ruth Rundle in einem puren, erneuerten Gewand, in ihrer eindringlichsten und aufrichtigsten Form. Ein unerwarteter Nebeneffekt ihres so offen und verletzlich dargebrachten Songwritingtalents ist die Erkenntnis, dass ich mit meinem Tori Amos-Vergleich der Wahrheit weitaus näher gekommen bin, als mir selbst je bewusst war: Der Sound ihrer vorigen Veröffentlichungen und die Tatsache, dass sie stets Gitarre spielte, könnten es vernebelt haben, doch in der Tat war immer schon ein großer rothaariger Einfluss in all Arbeit als Solomusikerin vorhanden. Und nun endlich ist alles offenbar, ungeschminkt und unbestreitbar.

Während Emma also auf "Engine Of Hell" möglicherweise mehr sie selbst ist denn jemals zuvor, dürften zumindest drei Viertel dieses Werks gleichzeitig auch das beste Tori Amos-Album sein, welches nicht von Tori Amos selbst aufgenommen wurde. Und ich sage das als jemand, dessen leben zwar nicht von der Liebe zu Toris Musik bestimmt wird, dessen Fandasein aber durchaus weit über den des beiläufigen "Winter"- und "Cornflake Girl"-Hörers hinausgeht.

Ja, dieses Werk nistet sich selbstverständlich in der unmöglichen Auswahl für das Album des Jahres direkt in den oberen Rängen ein!

LP und Covergestaltung, sowie handgeschriebenes Textbooklet wissen auch sehr zu gefallen. Wunderbar!


  



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