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2025-04-13

TANGERINE DREAM live in der Laeiszhalle, Hamburg (12. April 2025)


Samstagskonzertchen sind entspannend. Rechtzeitig losfahren, Sprit sparend übers Autobähnchen tuckern, in Ruhe einen Parkplätzchen suchen und noch eine Weile im Planten Un Blomen das schöne Frühlingswetterchen genießen, ehe man gemütlich auf den Weg zur Laeiszhalle macht. Das war der Plan.

Aber irgendwie hielt dieser Plan nur bis gestern vormittag. Danach hatte ich andere Dinge zu tun und im Kopf... Irgendwann saß ich dann im mittleren Rumgammelmodus vor meinem Personalcomputer, dachte mir, ich fange mal an, ein Review zu Künstler XY zu schreiben, oh mir plötzlich in den Kopf schoss: Scheiße, heute ist doch Konzert! Fuck! Fuck! Fuck!

Normalerweise hätte ich mich zu dieser Zeit schon mindestens in der Metropolregion befunden. Fuck! Schnell rein in die Klamotten, Karte, Geldbörse, Spielzeugkamera geschnappt und los. Ein paar Kilometer später: Scheiße, das Handy liegt auf dem Bett! ... ... Ok, eigentlich komme ich auch mal ohne Smartphone aus, oder? ... ... Vielleicht brauche ich's zum Parken? Und überhaupt... ach Scheiße, Mann! Fuck! Also zurück, Handy geholt, zweiter Versuch. Es sind jetzt schon zwanzig Minten seit meinem Da-war-doch-noch-was-Geistesblitz vergangen.

Es ist Samstag, nicht Sonntag. Hält einen PKW-Fahrer aber nicht davon ab, vollkommen anlasslos eine Schleichschlange auf der Bundesstraße zu bilden. Jede kleine Verzögerung nervt jetzt. Zehn Minuten durch Itzehoe. Ok, normal, ich beruhige mich, ein bisschen. Dann Autobahn. Zumindest herrschen ideale Bedingungen, um nach zwölf Jahren mal zu testen, wie schnell die Seifenkiste eigentlich rollen kann. Ich bin ja eigentlich unbedingter Befürworter eines Tempolimits. Uneigentlich schaue ich jetzt der Tankfüllstandnadel beim Sprint nach links zu. Bis Höhe Pinneberg, ab jetzt ist hundert. Ist jetzt wie es ist, ich habe gut Meter gemacht. Unfall auf der Gegenfahrbahn. Oh Mann, bloß keine Verkehrsscheiße... Wenig später vor der Baustellenverengung: Verkehrsscheiße. Unfall mit drei oder vier Beteiligten, noch keine Einsatzkräfte vor Ort. Offensichtlich keine Verletzten, es geht zügig dran vorbei. Puh...

Von da an noch Stadtverkehr, mal zügig, mal mit mehr Ampelphasen als mir lieb ist. Es bleibt eng. Ich muss schließlich noch einen Parkplatz finden - am Wochenende in der Nähe des Hamburger Doms. Ätzend.

Direkt vor Ort waren natürlich schon alle Straßenparkplätze vergeben. Also weiter zu meiner im Moment letzten Option, über die ich mir Gedanken gemacht hatte. Zum Glück war dort tatsächlich noch eine Lücke frei. Also ganz schnell die achthundertirgendwas Meter zum Johannes-Brahms-Platz im Eilschritt genommen, rein ins Opernhäuschen, eine kühle Flasche Mineralwasser so nah an "auf ex" reingeschüttet wie möglich (man darf ja keine Getränke mit in den Saal nehmen) und auf meinen Platz am Rand der ersten Reihe geschmissen. Gleich geht's los, ich bin nicht zu spät. Alter. Aber Hölle, ich brauche jetzt Entspannung.

Zum Glück stehen dafür die richtigen Künstler auf der Bühne.



TANGERINE DREAM

Tja, sollte meine ausführliche Einleitung die Erwartungshaltung geschürt haben, dass nun auch ein entsprechend langer, detailreicher Bericht zum eigentlichen Haupttheme folgt, so muss ich Dich leider enttäuschen. Dafür weiß ich einfach zu wenig über Tangerine Dream.

Sicher, ich weiß, welchen Sound sie geprägt haben, habe sie gehört - und auch schon vielfach auf dieser Seite als Referenz verwendet. Aus ihrer 1970 begonnenen, siebzig Kilometer langen Diskografie habe ich aber tatsächlich gar nichts im Regal. Und so ist mir zwar klar, dass das Trio aus den Synthiespielern Thorsten Quaesching und Paul Frick sowie Geigerin Hoshiko Yamane mit der Originalbesetzung rund um den verstorbenen Edgar Froese soviel zu tun hat wie die heutigen Napalm Death mit ihrem Gründungs-Line-Up, doch fachliche Kompetenz und Materialkenntnis kann ich hier darüber hinaus einfach nicht vortäuschen.

Praktischerweise hat Quaeschning, den ich ansonsten von meinem akustisch fantastischen, aber visuell doch ein wenig limitierten Platz aus kaum bis gar nicht zu Gesicht bekam, gleich am Anfang den kompletten Ablauf der Show erklärt: Ein Programm aus alten, neuen und sehr alten Stücken, eine auf der die Sitze des altehrwürdigen Raumes zum Vibrieren bringende Frequenz basierende Improvisation (dazu gab es dann auch gleich eine kleine Demonstration) und als Zugabe ein weiteres Set aus alten, neuen und sehr alten Liedern.

In der Praxis übersetzte sich das dann zu guten zweieinhalb Stunden fantastischer elektronischer Ambient-Musik, mal einlullend wabernd, mal von knackigen Beats vorangetrieben. Es gab sicherlich keinen Sound im Set, den ich nicht schon einmal gehört hätte, aber in dieser Qualität und Masse, sozusagen von den direkten musikalischen Erbverwaltern der Erfinder, war es schon ein äußerst beeindruckendes Erlebnis - auch wenn ich es wahrscheinlich nicht vollständig bei komplettem Bewusstsein mitgeschnitten habe. Zwischendurch entglitt mir meine innere Uhr auf jeden Fall phasenweise komplett. Aber bei Aufführungen dieser Art erhöhen Grenzgänge ans Traumland die Erfahrungen ja sogar. Entstressung zu vollster Zufriedenheit gelungen.

Sobald die Augen mal geöffnet waren, sprach das Ganze auch visuell sehr an, mit vielen (retro-)futuristischen Grafiken und Filmchen und passenden Lichtern. Ein Stück habe ich tatsächlich als neues Material indentifizieren können, weil per Video zu sehen war, wie die aktuellen Bandmitglieder durch den Wald spazierten und Tonaufnahmen vom Klopfen auf Baumstämme und Zweige machten. Vermutlich als Samples für eben jenes Lied, was gerade gespielt wurde.

Ich bin froh, wieder einmal im Zuge eines großartigen Konzertes eine Legende von meiner bucket list streichen zu können.
Die Auswahl am Merchstand und die Schlange alter Männer davor waren mir dann aber eine Nummer zu groß. Ins Studiowerk von Tangerine Dream wird dann vielleicht doch lieber etwas überlegter zu Hause eingestiegen.

Natürlich wollte ich auch Geld sparen. Die hektische Hinfahrt war schließlich kostspieliger als sonst gewesen. Und in nur eins, zwei, drei Tagen steht auch schon Ostern Roadburn vor der Tür! Die vieles andere überlagernde Vorfreude auf das Festival war zweifellos auch mit für meinen Aussetzer verantwortlich. Fast ein Konzert vergessen, für das ich ein Ticket habe! Alter, das passiert mir sonst nie... Aber ich sagte ja schon ein, zwei Worte dazu, glaube ich.






2024-02-14

YOUN SUN NAH mit BOJAN Z. live in der Laeiszhalle, Hamburg (13. Februar 2024)

Es war mein drittes Konzert in der altehrwürdigen Laeiszhalle, allerdings das erste im Kleinen Saal, der mich vom holzvertäfelten Ambiente her etwas an den "Kleinen" Saal der Elbphilharmonie  erinnerte. Meine persönliche Perpektive ähnelte auf jeden Fall der vom Erland Cooper / Henrik Lindstrand-Konzert im November, da ich auch hier wieder sehr früh im Vorverkauf zugeschlagen und mir einen Sitzplatz in der Mitte der ersten Reihe gesichert hatte.

Heute erwartete mich allerdings kein beinahe rein instrumentaler Abend, sondern eine Sängerin, die schon lange auf meiner Wunschliste stand, auch wenn ich die letzten paar, mir teilweise etwas zu glattgebügelten Alben nicht mehr so nahe verfolgt hatte.

Die Südkoreanerin Youn Sun Nah trat zunächst ein Kalimba spielend alleine ans Mikrofon und begann den Auftritt mit einer sanften Version vom vor allem durch Nina Simone bekannten Hit "Feeling Good", in dessen Verlauf sie aber bald vom serbischen Pianisten Bojan Zulfikarpašić begleitet wurde, der sich übrigens offziell zum Glück - und sicherlich nicht grundlos - gerne einfach Bojan Z. abkürzt.

Als zweites wurde es dann textlich auf seltene Weise emotional und explizit intim, da ihre Interpretation von Björks "Cocoon" auf der Setliste stand. Tatsächlich wurde das komplette neue Album "Elles" gespielt, welches ganz anderen Künstlerinnen aus unterschiedlichsten Musikrichtungen gewidmet ist. Für das Duo hieß dies, dass es sich zwischen französischem Chanson, verrückter Jazz-Hexerei, Jefferson Airplanes "White Rabbit" und dem Spritual "Sometimes I Feel Like A Motherless Child" vielfältig kreativ austoben konnte.

Bojan Z. glänzte mal am Rhodes Piano, mal am Flügel, loopte und effekte auch mal, spielte auf dem Klavier Schlagzeug oder schlug direkt auf die Saiten. Fast alle Stücke enthielten außerdem Solo-Passagen, in denen sich der unkonventionelle Tastenmann reichlich Szenenapplaus abholen konnte. Keine Frage, der Mann hätte hier schon alleine eine denkwürdige Performance feiern können.

Die Sängerin jedoch hob den Auftritt auf vollkommen außerirdisches Level. Youn Sun Nah betrat die Bühne mit einem mitreißend freundlichen Charisma, welches reine unverfälschte Freude am Gesang ausstrahlte - und unterstrich diese Attitüde mit unfassbaren Fähigkeiten.
Egal, ob sie im Flüsterton mit geschlossenem Mund und mir rätselhafter Technik eine ewig lange Note hielt, ob sie zusammen mit Z. in wahnsinnig schnellen Scats abenteurliche Tonsprungakrobatik vollführte, in stets beeindruckender Kontrolle rauere oder grandiosere Stimmfarben malte oder vom Croonen zur Oper wechselte - dieser Ausnahmemusikerin bei ihrer persönlichen Grenzverschiebung des Begriffs Jazz zuzuschauen, war eine magische Erfahrung.

Alle Highlights kann man nach dieser Show eigentlich gar nicht aufzählen. Klar, "Killing Me Softly With His Song", ganz minimalsitisch nur mit Handdrehleier, durch die man den Song als Lochkarte durchlaufen sah, bleibt natürlich auch visuell sehr deutlich hängen.
Ganz anders, aber ebenso unterhaltsam war ihr dreckiger, mit zugedrückter Nase rausgepresster Mummenschanz als Tom Waits am Ende der mit Standing Ovations abgefeierten Zugabe.

Ich könnte noch weiter schwärmen, aber ich glaube meine Begeisterung für Youn Sun Nah ist deutlich genug geworden. Keine Frage: Ich hatte mir hier und heute mit dem Ticket selbst ein exzellentes Geburtstagsgeschenk gemacht!
Und nach dem Konzert hat die Künstlerin sich dann auch noch überraschend als Konditorin betätigt und mir eine kleine Torte spendiert: 

Hach!







2023-04-19

TORI AMOS and SKAAR in the Laeiszhalle, Hamburg (April 18th 2023)


Damn, I feel like a little boy before Christmas! Already the second day in a row that I'm getting up super early in a combination of having to pee, but then being too excited to go back to bed. Which isn't ideal, since I have a whole drive to the south of the Netherlands for Roadburn Festival before me - but then there should also be enough time for an extensive power nap if needed.
And of course it also gives me the unexpected opportunity to write about the show I was attending last night earlier than I thought.

Luckily I could even be there! If it had been postponed to another date just a couple of days later, I would have been forced to sell my ticket because of the most terrible of clashes... The location of the night was the Laeiszhalle, an old classical music hall, I had previously been before once for The Mystery Of The Bulgarian Voices feat. Lisa Gerrard in 2018




SKAAR

Other than back then there was a support act this time. The Norwegian singer/songwriter Skaar obviously had a very good time as the Hamburg audience was way more enthusiastic than its reputation. She certainly was much more giggly than her predominately sad songs would have suggested. She was only on stage with one keyboard player, and since she had forgotten to introduce him during a full-band show shortly before the tour, she had pledged to do that on each date of the tour three times. And there were already some hardcore Tori fans, who travelled to every date, who had established an introduction-counter. Well, I still have forgotten his name by now, haha. His playing was good though.

Musically we good a handful of beautiful dreamy ballads with an impressive touching Pop fairy voice. Lovely stuff!









TORI AMOS

Damn, I'll never get used to what a giant of an instrument a Bösendorfer piano is! And of course Tori Amos absolutely commanded that beast. And damn again, how time fucking flies! My first and only Tori show so far had been twenty-five long years ago!
And just like back then - it was her first "plugged" tour not solo, but with a band - she had other musicians on stage with her. No guitar, but a drummer and bassist, who both absolutely crushed it. This trio was very in sync - no wonder, given that the latter, Jon Evans, has been playing with her for - guess what - twenty-five years now.

For an artist with such a huge back catalogue the setlist was relatively obscure, no matter if I counted big hits (only "Cornflake Girl" was in the A category of that department, maybe also count the opener "God" and "Mrs. Jesus") or what I personally would have chosen as my dozen favorites (impossible task, I know). Of course that doesn't mean it was bad. It just shows how incredibly big the repertoire is. Having to choose from that pool must be excruciating, especially since it weren't many songs. Fourteen pieces for such a legendary artist isn't much. And there are surely fans who would have preferred a handful of classics more, but Tori going full band-mode wouldn't have that, as most tracks were a lot longer than their studio counterparts, with long instrumental introductions and jams.
I personally loved it, even if it meant less of her still stunning vocals than that last time I've seen her.

The only detail which was unnecessary for me were the occasional vocal backing tracks. Not many and only for repeating chorus stuff, but when a certain singer/piano player fucks up, because she starts at the wrong time and her recorded twin cannot just adjust... well, at least "Taxi Ride" was extra fun and got a standing ovation for that.

Maybe it was me being tired during the second half after the solo performance of "Cooling", but some instrumental parts actually indeed dragged a little bit, so maybe two or three shorter pieces without noodling would have been fine with me too, I guess.
Still, all in all it was fantastic to see Tori Amos again. I could go on about this song and that Depeche Mode interlude and the great closing with "Tear In My Hand", but now I think it's time to get breakfast and then experience the "Beauty of Speed" and move my ass towards Tilburg.

Sorry, have to go!






2018-10-16

THE MYSTERY OF THE BULGARIAN VOICES feat. LISA GERRARD in der Laeiszhalle, Hamburg (15.10.2018)



Bitte lesen Sie diesen Konzertbericht jetzt noch nicht weiter, sondern folgen Sie diesem Link!










...









...







Hey, ernsthaft!

Ich empfehle wirklich, sich zunächst diesen Konzertbericht auf DreMuFueStiAs zu Gemüte zu führen.

Der ist nämlich nicht nur eine urkomische Lektüre zum Tränenbrüllen, sondern auch ziemlich frisch. Sprich: Ich habe das Ding zwei Tage vor meinem ersten eigenen Besuch in der Location gelesen und war danach selbstverständlich vollkommen darauf eingestellt, den ganzen Abend über nach Parallelen zu dieser Horrorerzählung Ausschau zu halten. Insbesondere weil ich ja auch nur ein Ticket für die vordere linke Loge mit wahrscheinlich eher limitierter Bühnensicht besaß.

Also: Lesen und dann zurückkommen!






 ...






Die Laeiszhalle Hamburg






Ok. Um es gleich zu spoilern: Unkontrollierte Lachflashs hat meine Story leider nicht zu bieten.



Auch wenn die Konzertstätten, die ich normalerweise besuche, natürlich um Welten ranziger oder zumindest rockorienter daherkommen, kam ich mir wahrscheinlich nicht ganz so underdressed und deplaziert vor wie der Dremu-Autor.
Krokodillederlackschuhe, maßgeschneiderte Armani-Hose und weißen Seidenschal mit goldener Initialenbestickung hatte ich zwar *räusper* zu Hause gelassen, doch immerhin bewegte ich mich mit schlichtem Schwarzes-Hemd-zu-schwarzer-Jeans-Look im unauffälligen unteren Mittelfeld der Fancy-Skala.
Dass ich mich zu doof zum Trinken während der Autofahrt komplett bekleckert hatte, war zum Glück nicht mehr zu erkennen. Ob sich Champagner beim Einziehen ins Textil wohl auch so unauffällig verhält?

Trotzdem wurde ich, als ich einer der ersten Besuchergruppen durch den Eingang zum linken Gebäudeflügel folgen wollte, gleich von der ersten Saaldienerin aussortiert!

Kurzer Schrecken. Ungültiges Ticket? Doppelte Sitzplatzbuchung? - Nein, das heutige Konzert war nur doch zu obskur, um die kompletten 2025 Plätze im Großen Saal des über hundert Jahre alten Konzerthauses auszuverkaufen. Also wurden die Logen geschlossen und die entsprechenden Tickets gegen Parkettplätze getauscht. Ich musste also nicht von schräg oben auf die halbe Bühne runterkucken, sondern bekam ohne Aufpreis einen wertvolleren - und definitiv besseren - Platz im vorderen Parkett. Sauber! Da haben sich späte Buchung und Knauserigkeit doch mal bezahlt gemacht.
Die Das-Glas-ist-halb-leer-Frage ist nun natürlich: Hätten die mich auch in Reihe 6 gesetzt, wenn ich eines von den billigsten Tickets ("Hörplatz") gekauft hätte?


Der Weg zum "Erfrischungsraum" (=Männertoilette) erwies sich tatsächlich als nicht so ganz intuitiv auffindbar, doch zum Glück schwirrten ja zahlreiche hilfreiche Pinguine, die die Gedanken der harndrängenden Besucher lesen können, über den edlen Foyerflaum.

Da die Türen zum Saal noch verschlossen waren, hatte ich noch etwas Zeit, um das bisher anwesende Publikum zu begutachten. Dicke blankenesener Perlenketten sind mir zwar nicht in Erinnerung - doch ich würde darauf wetten, dass sie hier auch vertreten waren.
Denn dass ein sichtbarer Teil des Publikums aus bis ins Skurrile aufgetakelten Kostümierten bestand, deren Upperclass-Lifestyle sie zwingt, eventtechnisch zwischen Laeiszhalle, Elbphilharmonie und vergleichbaren Spielstätten zu pendeln, war unmöglich zu leugnen.

Der grausamste Anblick waren wohl Kinder, die wie hundert Jahre aus der Zeit gefallene Adelssprösslinge in Anzügen steckten. Da möchte man einen Moment lang Mitleid haben, ehe einem einfällt, dass dies ja evtl. die *örgs* Maschmeyertrumps von morgen sein könnten.

Es war insgesamt jedoch ein in allen Belangen ziemlich gemischtes Publikum.
So ganz normale normale Menschen gab es auch hier und da, die meisten hatten sich jedoch anscheinend etwas feiner angezogen als sonst. In die Menge dieser beiden Gruppen fallen wohl auch die meisten durch Lisa Gerrard angezogenen Dead Can Dance-Fans.

Dass sehr viele eingefleischte Fans des Frauenchors des Bulgarischen Staatsfernsehens aka The Mystery Of The Bulgarian Voices anwesend waren, ist wohl eher unwahrscheinlich, einfach weil der seit den 1950er Jahren weltmusikalisch aktive Chor vor der Veröffentlichung des fantastischen neuen Albums "BooCheeMish" auf Prophecy Records doch längere Zeit ein eher unauffälliges Profil gepflegt hat.
Mein Sitznachbar war immerhin hier, weil er ihn vor ca. dreißig Jahren schon einmal live gesehen hatte.


Überhaupt sitzen! Was für eine Wohltat nach dem schmerzhaften Nuklearkrieg bei Voivod am Samstag!  Nur ein Liegekonzert wäre jetzt noch schöner gewesen, haha.





Das Konzert war natürlich insgesamt eine vollkommen andere Welt als das was man als überwiegender Rock/Metal-Konzertbesucher gewohnt ist, beginnend mit dem etwas gewöhnungsbedürftigen, niedrigen Lautstärke. Ja, angesichts der kathedralenartigen Akustik des Saales waren angeregte Gespräche oder Erkältungen hier auf jeden Fall fehl am Platz. Still und entspannt genießen war angesagt.


Zunächst begannen die fünf Instrumentalisten (Kontrabass, Percussion, Gitarre, Flöte und Gadulka) der den Chor begleitenden Folkgruppe alleine, erst zum zweiten Stück füllten die traditionellen bunten Trachten der Sängerinnen die gesamte Bühnenbreite.
Insgesamt war es inklusive Chorleiterin ein sechsundzwanzigköpfiges Ensemble, welches hier in oft wechselnden Konstellationen von einer Person bis zur vollen Stärke die Bühne teilte.

So kam nach einigen Stücken ein Beatboxer zur Band hinzu, der später auch mit einem Solo am weitesten aus der Komfortzone wohl fast aller Anwesenden hinaus führte. Meine letzte livehaftige Begegnung mit dieser Art Mundrhythmusakrobatik war Butterscotch als Gastmusikerin bei Helge Schneider im Jahr 2012. Der Typ war auf jeden Fall sehr fähig und hat das Publikum als für Folk-Traditionalisten gewiss kontroversestes Bandmitglied schnell auf seine Seite gebracht. 

Daneben gab es u.a. noch Vokal- und Instrumental-Duette und sogar ein beeindruckendes fucking Tamburin-Solo.
Der stärkste Fokus lag aber selbstverständlich auf dem Gesang. Was diese Sängerinnen mit ihrer unverwechselbaren Stimmtechnik für Laute erzeugen, das ist nicht von dieser Welt. Ich habe keinen Zweifel, dass jedes Chormitglied auch als Solistin glänzen kann.
Und tatsächlich hat gewiss die Hälfte der Damen auch kleine Solospots order gar den Leadgesang einiger Lieder bekommen und damit für eine insgesamt enorme Bandbreite und Abwechslung gesorgt.


Es wäre schon ohne weiteres i-Tüpfelchen ein bemerkenswertes Erlebnis gewesen, doch als in der zweiten Hälfte die als Weihnachtsbaumkönigin gekleidete Lisa Gerrard die Bretter betrat, kam noch eine ganz eigene Energie und Magie dazu.
Es war interessant, die trotz der offensichtlichen Inspriration unterschiedlichen Gesangsstile des Chores und der Dead Can Dance-Sängerin im Zusammenspiel zu sehen.

Leider steht ein Konzert ihrer eigentlichen Band nach wie vor als zu erledigen auf meiner Wunschliste. Dass die anstehende Dead Can Dance-Tour nicht nach Norddeutschland führt, war für mich sogar ausschlaggebend, um "wenigstens" hier zu erscheinen. Was für eine Sängerin! So einmalig, berührend, ergreifend - und eingebettet in dieses Ensemble... Viel mehr kann Musik nicht, da bleibt sehr sehr wenig Luft nach oben.

Insbesondere Gerrards tiefe Passagen in "Mani Yanni" haben mir eine Ganzkörpergänsehaut aufgezwungen, wie ich sie mindestens seit Anna von Hausswolff im März nicht mehr erlebt hatte. Unfassbar.


Es wurde so ziemlich alles von "BooCheeMish" gespielt und noch einiges darüber hinaus. Was kann man mehr verlangen? Nichts. Dementsprechend gab es höchst verdient Standing Ovations.

Ganz große Kunst! Auch für normale Leute.




Allerletzter Eindruck:

Ich glaube, ich muss mal wieder Quentin Tarantinos "Jackie Brown" kucken. Das Kostüm einer Besucherin hat mich beim Herausgehen extrem an Pam Griers königsblaue Stewardessenuniform erinnert.