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2018-10-16

THE MYSTERY OF THE BULGARIAN VOICES feat. LISA GERRARD in der Laeiszhalle, Hamburg (15.10.2018)



Bitte lesen Sie diesen Konzertbericht jetzt noch nicht weiter, sondern folgen Sie diesem Link!










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Hey, ernsthaft!

Ich empfehle wirklich, sich zunächst diesen Konzertbericht auf DreMuFueStiAs zu Gemüte zu führen.

Der ist nämlich nicht nur eine urkomische Lektüre zum Tränenbrüllen, sondern auch ziemlich frisch. Sprich: Ich habe das Ding zwei Tage vor meinem ersten eigenen Besuch in der Location gelesen und war danach selbstverständlich vollkommen darauf eingestellt, den ganzen Abend über nach Parallelen zu dieser Horrorerzählung Ausschau zu halten. Insbesondere weil ich ja auch nur ein Ticket für die vordere linke Loge mit wahrscheinlich eher limitierter Bühnensicht besaß.

Also: Lesen und dann zurückkommen!






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Die Laeiszhalle Hamburg






Ok. Um es gleich zu spoilern: Unkontrollierte Lachflashs hat meine Story leider nicht zu bieten.



Auch wenn die Konzertstätten, die ich normalerweise besuche, natürlich um Welten ranziger oder zumindest rockorienter daherkommen, kam ich mir wahrscheinlich nicht ganz so underdressed und deplaziert vor wie der Dremu-Autor.
Krokodillederlackschuhe, maßgeschneiderte Armani-Hose und weißen Seidenschal mit goldener Initialenbestickung hatte ich zwar *räusper* zu Hause gelassen, doch immerhin bewegte ich mich mit schlichtem Schwarzes-Hemd-zu-schwarzer-Jeans-Look im unauffälligen unteren Mittelfeld der Fancy-Skala.
Dass ich mich zu doof zum Trinken während der Autofahrt komplett bekleckert hatte, war zum Glück nicht mehr zu erkennen. Ob sich Champagner beim Einziehen ins Textil wohl auch so unauffällig verhält?

Trotzdem wurde ich, als ich einer der ersten Besuchergruppen durch den Eingang zum linken Gebäudeflügel folgen wollte, gleich von der ersten Saaldienerin aussortiert!

Kurzer Schrecken. Ungültiges Ticket? Doppelte Sitzplatzbuchung? - Nein, das heutige Konzert war nur doch zu obskur, um die kompletten 2025 Plätze im Großen Saal des über hundert Jahre alten Konzerthauses auszuverkaufen. Also wurden die Logen geschlossen und die entsprechenden Tickets gegen Parkettplätze getauscht. Ich musste also nicht von schräg oben auf die halbe Bühne runterkucken, sondern bekam ohne Aufpreis einen wertvolleren - und definitiv besseren - Platz im vorderen Parkett. Sauber! Da haben sich späte Buchung und Knauserigkeit doch mal bezahlt gemacht.
Die Das-Glas-ist-halb-leer-Frage ist nun natürlich: Hätten die mich auch in Reihe 6 gesetzt, wenn ich eines von den billigsten Tickets ("Hörplatz") gekauft hätte?


Der Weg zum "Erfrischungsraum" (=Männertoilette) erwies sich tatsächlich als nicht so ganz intuitiv auffindbar, doch zum Glück schwirrten ja zahlreiche hilfreiche Pinguine, die die Gedanken der harndrängenden Besucher lesen können, über den edlen Foyerflaum.

Da die Türen zum Saal noch verschlossen waren, hatte ich noch etwas Zeit, um das bisher anwesende Publikum zu begutachten. Dicke blankenesener Perlenketten sind mir zwar nicht in Erinnerung - doch ich würde darauf wetten, dass sie hier auch vertreten waren.
Denn dass ein sichtbarer Teil des Publikums aus bis ins Skurrile aufgetakelten Kostümierten bestand, deren Upperclass-Lifestyle sie zwingt, eventtechnisch zwischen Laeiszhalle, Elbphilharmonie und vergleichbaren Spielstätten zu pendeln, war unmöglich zu leugnen.

Der grausamste Anblick waren wohl Kinder, die wie hundert Jahre aus der Zeit gefallene Adelssprösslinge in Anzügen steckten. Da möchte man einen Moment lang Mitleid haben, ehe einem einfällt, dass dies ja evtl. die *örgs* Maschmeyertrumps von morgen sein könnten.

Es war insgesamt jedoch ein in allen Belangen ziemlich gemischtes Publikum.
So ganz normale normale Menschen gab es auch hier und da, die meisten hatten sich jedoch anscheinend etwas feiner angezogen als sonst. In die Menge dieser beiden Gruppen fallen wohl auch die meisten durch Lisa Gerrard angezogenen Dead Can Dance-Fans.

Dass sehr viele eingefleischte Fans des Frauenchors des Bulgarischen Staatsfernsehens aka The Mystery Of The Bulgarian Voices anwesend waren, ist wohl eher unwahrscheinlich, einfach weil der seit den 1950er Jahren weltmusikalisch aktive Chor vor der Veröffentlichung des fantastischen neuen Albums "BooCheeMish" auf Prophecy Records doch längere Zeit ein eher unauffälliges Profil gepflegt hat.
Mein Sitznachbar war immerhin hier, weil er ihn vor ca. dreißig Jahren schon einmal live gesehen hatte.


Überhaupt sitzen! Was für eine Wohltat nach dem schmerzhaften Nuklearkrieg bei Voivod am Samstag!  Nur ein Liegekonzert wäre jetzt noch schöner gewesen, haha.





Das Konzert war natürlich insgesamt eine vollkommen andere Welt als das was man als überwiegender Rock/Metal-Konzertbesucher gewohnt ist, beginnend mit dem etwas gewöhnungsbedürftigen, niedrigen Lautstärke. Ja, angesichts der kathedralenartigen Akustik des Saales waren angeregte Gespräche oder Erkältungen hier auf jeden Fall fehl am Platz. Still und entspannt genießen war angesagt.


Zunächst begannen die fünf Instrumentalisten (Kontrabass, Percussion, Gitarre, Flöte und Gadulka) der den Chor begleitenden Folkgruppe alleine, erst zum zweiten Stück füllten die traditionellen bunten Trachten der Sängerinnen die gesamte Bühnenbreite.
Insgesamt war es inklusive Chorleiterin ein sechsundzwanzigköpfiges Ensemble, welches hier in oft wechselnden Konstellationen von einer Person bis zur vollen Stärke die Bühne teilte.

So kam nach einigen Stücken ein Beatboxer zur Band hinzu, der später auch mit einem Solo am weitesten aus der Komfortzone wohl fast aller Anwesenden hinaus führte. Meine letzte livehaftige Begegnung mit dieser Art Mundrhythmusakrobatik war Butterscotch als Gastmusikerin bei Helge Schneider im Jahr 2012. Der Typ war auf jeden Fall sehr fähig und hat das Publikum als für Folk-Traditionalisten gewiss kontroversestes Bandmitglied schnell auf seine Seite gebracht. 

Daneben gab es u.a. noch Vokal- und Instrumental-Duette und sogar ein beeindruckendes fucking Tamburin-Solo.
Der stärkste Fokus lag aber selbstverständlich auf dem Gesang. Was diese Sängerinnen mit ihrer unverwechselbaren Stimmtechnik für Laute erzeugen, das ist nicht von dieser Welt. Ich habe keinen Zweifel, dass jedes Chormitglied auch als Solistin glänzen kann.
Und tatsächlich hat gewiss die Hälfte der Damen auch kleine Solospots order gar den Leadgesang einiger Lieder bekommen und damit für eine insgesamt enorme Bandbreite und Abwechslung gesorgt.


Es wäre schon ohne weiteres i-Tüpfelchen ein bemerkenswertes Erlebnis gewesen, doch als in der zweiten Hälfte die als Weihnachtsbaumkönigin gekleidete Lisa Gerrard die Bretter betrat, kam noch eine ganz eigene Energie und Magie dazu.
Es war interessant, die trotz der offensichtlichen Inspriration unterschiedlichen Gesangsstile des Chores und der Dead Can Dance-Sängerin im Zusammenspiel zu sehen.

Leider steht ein Konzert ihrer eigentlichen Band nach wie vor als zu erledigen auf meiner Wunschliste. Dass die anstehende Dead Can Dance-Tour nicht nach Norddeutschland führt, war für mich sogar ausschlaggebend, um "wenigstens" hier zu erscheinen. Was für eine Sängerin! So einmalig, berührend, ergreifend - und eingebettet in dieses Ensemble... Viel mehr kann Musik nicht, da bleibt sehr sehr wenig Luft nach oben.

Insbesondere Gerrards tiefe Passagen in "Mani Yanni" haben mir eine Ganzkörpergänsehaut aufgezwungen, wie ich sie mindestens seit Anna von Hausswolff im März nicht mehr erlebt hatte. Unfassbar.


Es wurde so ziemlich alles von "BooCheeMish" gespielt und noch einiges darüber hinaus. Was kann man mehr verlangen? Nichts. Dementsprechend gab es höchst verdient Standing Ovations.

Ganz große Kunst! Auch für normale Leute.




Allerletzter Eindruck:

Ich glaube, ich muss mal wieder Quentin Tarantinos "Jackie Brown" kucken. Das Kostüm einer Besucherin hat mich beim Herausgehen extrem an Pam Griers königsblaue Stewardessenuniform erinnert.



 




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