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2020-07-02

WINTER - Into Darkness / Eternal Frost

Das Debüt (und einzige Album) der New Yorker Winter ist schon eine ganz spezielle Kultscheibe. Ich besaß sie damals nur böse raubkopiert auf Kassette und habe sie zwischendurch bestimmt mal eine zweistellige Anzahl von Jahren gar nicht gehört. Doch selbst wenn man "Into Darkness" ein halbes Jahrhundert nicht auf die Ohren bekommen hat, dürfte man diesen Sound wahrscheinlich augenblicklich wiedererkennen.

Zum dreißigsten Geburtstag hat Svart Records das Album nun gemeinsam mit der "Eternal Frost"-EP wiederveröffentlicht. Ich habe in vollem Vertrauen, den Scheiß noch immer zu lieben, zugeschlagen, ganz ohne vorher noch einmal vorsichtshalber reinzuhören.




WINTER - Into Darkness / Eternal Frost (clear vinyl 2LP) (1990/2020)


Album und EP kommen jeweils auf einer LP mit eigener Hülle in einem Pappschuber, welcher auch ein din-A4-formatiges Booklet enthält.

Dieses präsentiert neben den Credits und Liner Notes von Originalveröffentlichung, dem letzten Reissue 2011 und der vorliegenden Version in erster Linie alles, was aus der kurzen Zeit des Bestehens der Band an undergroundigen Flyern aufgetrieben werden konnte. Auch die kurze Reunionsphase (inklusive Roadburn-Show) 2011 und 2012 wurde hier berücksichtigt.

Ein paar super pixelige Vergrößerungen im Mittelteil hätte man sich meinetwegen zugunsten der Songtexte sparen können. Jene fehlen nämlich, was ich bei einer ansonsten so ansehnlichen Box schon als Minuspunkt ankreiden muss.





Beide LPs sind in transparentem Vinyl gehalten. Diese Ausgabe ist beim Label selbst schon wieder ausverkauft, es folgt allerdings demnächst eine zweite Auflage in weiß, welche bereits vorbestellbar ist.

Außerdem ist das Package noch als CD-Digipack zu haben.




Winter haben bei der Auswahl ihres Covers voll ins Schwarze getroffen, denn wenn sich dieses Werk als eines ins kollektive Metalgedächtnis eingebrannt hat, dann wohl als Meilenstein harscher Trostlosigkeit. Und natürlich als eine dieser Produktionen, bei der im Nachhinein keine Menschenseele mehr sagen kann, was Absicht gewesen ist und was Unfall.

Es ist gar nicht so, dass irgendein Instrument nicht hören könnte, doch gefühlt nimmt man zunächst kaum etwas anderes als das Schlagzeug und speziell die nach *flappflapp* gedribbeltem Medizinball klingende Bassdrum wahr. Saiteninstrumente und Keyboards spielen sich scheinbar weit im Hintergrund ab, während einem der Sänger unmittelbar in den Gehörgang gurgelt. Das einzige, was sich hier und da noch über das dumpf depressive Einerlei abhebt, ist eine laute Leadgitarre hier und da.

Es ist also eine Produktion, die bitte keine Band auf diesem Planeten jemals kopieren sollte, die kurioserweise hier allerdings brilliant funktioniert!
Dieser Sound ist auch nach drei Jahrzehnten ein ungebrochen sofort erkennbares Alleinstellungsmerkmal. Und tatsächlich hört man ja doch alles irgendwie, woran der Musikstil auch nicht ganz unschuldig ist. Am häufigsten werden Winter gewiss in der Kategorie Death Doom bzw. Doom Death verortet, was durchaus richtig ist, allerdings auch nicht die vollständige Wahrheit abbildet.

Wie die Flyer im Booklet zeigen, stammten die Musiker eher aus der Punk/Crust/Hardcore-Szene, mit der man sich auch oft die Bühne teilte. Genauso gab es auch gemeinsame Konzerte mit Bands aus dem Death- und Thrashmetal wie z.B. Death und Sepultura.
All diesen Szenen gemeinsam war zu diesem Zeitpunkt die Jagd nach dem nächsten Geschwindigkeitsrekord. Winter allerdings spielten dieses Spiel nicht mit.

Ob man ihre Riffs dabei nun als Verlangsamung von Amebix oder eher Celtic Frost versteht, muss wohl als rein akademische Unterscheidung gelten, die sich vor allem aus der individuellen Sozialisation des Hörers selbst ableitet. Es könnte eigentlich jederzeit beides sein. Und gerade im drastisch gedrosselten Tempo verschwimmen Genregrenzen ohnehin leicht.


Junge, was hat uns die antizyklische Langsamkeit von "Into Darkness" damals geflasht!

Aus heutiger Sicht ist man slow motion in noch wesentlich extremeren Ausprägungen gewohnter, so dass das Tempo alleine einen Ersthörer wohl nicht mehr in ungläubig begeistertes Gelächter stürzen wird, doch zu jenem Zeitpunkt waren Winter schon eine ungemein singuläre Erscheinung.

Paradise Lost, My Dying Bride, der noch viel mehr auf schwere Orgel setzende Funeral Doom von Skepticism betraten zwar auch bald darauf die Bildfläche, doch "Into Darkness" legte sich zuerst tonnenschwer auf die Welt.
Ob es eine Wechselwirkung mit Peter Steele gab, weiß ich nicht, doch das Demo seiner Carnivore-Nachfolgeband trat schließlich noch weiter auf die Bremse und wurde als das Type O Negative-Debüt "Slow, Deep And Hard" zu einer ganz großen Nummer.

Kommerziell wurden Winter also beinahe augenblicklich von anderen Zeitlupenbands eingeholt, und es sollte auch nicht mehr lange dauern, bis die Drone-Pioniere Earth das Bremspedal metertief in die Lava drückten. Und bis heute ist im Doom Metal, Sludge, Drone, Death Doom, Funeral Doom dermaßen viel geschehen, dass es nicht als selbstverständlich anzusehen ist, dass "Into Darkness" auch aus heutiger Sicht noch funktioniert. 

Es ist eben nicht nur Rumgeschnecke. Tatsächlich nimmt das Album mitunter sogar ziemlich flott Fahrt auf und präsentiert auf ganze Länge einen Geschwindigkeitsmix, der mit dem ja auch für seinen speziellen Sound berühmten "Mental Funeral" von Autopsy vergleichbar ist.

Nein, auch wenn Autopsy, Celtic Frost, Amebix und x zeitgenössische Deathmetal-Gruppen, die den Doomabsturz für sich entdeckten, zu jedem Zeitpunkt irgendwie als Vergleich taugen, können sich Winter als eigene Entität behaupten.
Das hat teilweise mit diesem merkwürdigen Sound zu tun, zu dem nicht nur der Mix, sondern auch eine große Liebe zum Flanger-Effekt gehören, doch letztendlich hängt es neben diesen Gimmicks auch ganz einfach am Songwriting.

"Into Darkness"ist Kult, Klassiker und nach wie vor relevant. Sehr gut!





Die EP "Eternal Frost" erschien zwar erst nach dem Album, besteht jedoch aus älteren Aufnahmen, die teilweise auch schon auf einem Demo von 1989 erschienen waren.

Die Besetzung ist hier noch kleiner. Ohne Keyboards und mit anderem Schlagzeuger klingt die Band noch etwas rauer, aber auch holpriger und grobmotorischer. Der Sound ist herkömmlicher als auf dem Album, auch wenn hier schon deutlich wird, dass die im Mix so dominanten Drums offensichtlich gewolltes Stilmittel waren.

So essentiell wie "Into Darkness" finde ich dieses Extra nicht, doch es stellt eine schöne Ergänzung dar.

Neben den früher mal für Metalbands obligatorischen Track, der so heißt wie die Band, enthält die EP mit "Manifestation I" (was durchaus eine "Revolution 9"-Beatles-Anspielung sein könnte) auch Winters Version eines Ambientstückes. Und damit wohl auch den Grundstein für eine Idee, welche sich viele Jahre später durch das Debütalbum der Winter-Nachfolgeband Göden (was wiederum ein Titel von "Into Darkness" ist), ziehen sollte... Doch dazu demnächst mehr in einer anderen Rezension!


Wer es deathdoomcrustig langsam, tief und extrem mag, und mit dieser klirrend kalten Genrelandmarke noch nicht vertraut ist, der sollte bei diesem Reissue unbedingt zuschlagen. Es lohnt sich!






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