Doom ist ja meistens relativ langsam. In dem Sinne ist Sinistros Veröffentlichungstempo sicherlich genregemäß, liegt das Erscheinen des letzten Studioalbums "Sangue Cássia" doch mittlerweile beinahe sieben Jahre zurück.
Seitdem stellten sich den Portugiesen pandemische wie personelle Hindernisse in den Weg. Der Abschied von Sängerin Patricia Andrade wog schwer. Zum Abschied gab 2021 noch ein Roadburn-Livealbum, ehe im Folgejahr die Wiederveröffentlichung der ersten Demos in der Compilation "Hóspedes Silencios" darauf einstimmte, dass die Band zukünftig wieder wie ganz zu Anfang als Instrumentalband unterwegs sein würde.
Nun ist allerdings doch schon wieder mehr Zeit vergangen als erwartet - und die Dinge haben sich erneut gewendet...
Priscila Da Costa hat dies nun geändert. Da ich sie letztes Jahr als Teil von Judasz & Nahimana live erleben durfte, ist ihr mein Vertrauen, wenn es darum geht auch das Material der Vorgängerin zu interpretieren, auf jeden Fall sicher.
Die Bandbreite zwischen sinistrem Flüstern, sanft-tiefer Verführung, feenhaftem Falsetto, dramatischem Sirenengesang und gelegentlichen leidenschaftlich aggressiven Ausbrüchen ist - genau wie die Klasse ihrer Darbietung - auf jeden Fall mit der Vorgängerin vergleichbar.
Natürlich wird derjenige, der nach der speziellen Magie der alten Sängerin sucht, in manchen Passagen gewisse filigrane Akzente vermissen - dafür bekommt man an anderer Stelle aber eben auch die stimmlichen Eigenheiten Da Costas, die im Schnitt etwas mehr auf powervolles Volumen aus ist, zum Ausgleich. Wer behauptet, damit gerechnet zu haben, dass Sinistro gesanglich derart nahtlos (wenn wir die vielen Jahre dazwischen mal freundlich ausblenden) an die vorigen Alben anschließen würden, der kann nicht ganz ehrlich zu sich selbst sein. Umso großartiger, dass "Vértice" in dieser Beziehung so triumphieren kann!
Und was bietet dieses Album ansonsten? Natürlich Doom. Schlammig schweren Doom Metal mit brachialem Magenwumms, Postrock-Einschlag, Gothic-Verzierungen und großer wohlklingender Theatralik. Kurzum: Man riskiert im Grunde nicht zu viel, was nach der langen Pause verständlich ist, sondern setzt direkt an der Klasse von "Sangue Cássia" mit einer logischen Fortsetzung an. Jeder einzelne der sechs regulären Albumtracks ist - mal malmend, mal melancholisch - mächtig, majestätisch, mitreißend. Es mag einer langen Entscheidungsfindungsphase bedarft haben, doch letztendlich weiß dieses Quintett nun genau, was es will; und das ist leicht nachvollziehbaren und doch anspruchsvollen, überragenden Doom mit eigener portugiesischer Note zu spielen, der sich mit jedem anderen Künstler des Genres messen lassen kann. Kurzum: "Vértice" ist das beste vorstellbare Comeback.
Und um den Eindruck zu vervollständigen sei gesagt, dass auch die poetische Lyrik (moderne Übersetzer können ja eine Menge, selbst wenn man kein Wort portugiesisch spricht) wie eh und je überzeugt. Ästhetisch bleiben Sinistro ebenso ihrem Hang zum Musealen treu. Das Cover sieht ja im Grunde wie die erste Seite eines Ausstellungsprogrammheftes aus.
Auch wenn ich unerwartet lange auf die weiße Vinyl-Edition warten musste, ist dieses Album auf jeden Fall ein ansprechend gestalteter Hinkucker. Ich kann mich nur nicht ganz entscheiden, ob wir es hier mit dem Fall zu tun haben, dass man als Schallplattenkäufer bestraft oder belohnt wird.
Die Strafe ist der leider immer weiter um sich greifende Trend, auf digitale Downloads als Beigabe zu verzichten, was z.B. gegenüber CD-Käufern einfach unfair ist. Man hat eh schon mehr Geld ausgegeben und dann noch das Medium, von dem es umständlicher ist, sich eine Kopie aus Einsen und Nullen anzulegen.
Die Belohnung kommt hier allerdings in Form der D-Seite mit gleich zwei exklusiven, weder auf CD noch in Downloadversionen verfügbaren Bonustracks: "Deathcrush" ist ein Mayhem-Cover, welches natürlich kaum nach Mayhem klingt, allerdings auf seine eigene sehr überzeugende Weise die böseste Seite von Sinistro ans Vollmondlicht kehrt.
Das zweite Bonusstück "Vento Das Vozes Invisíveis" ist ein sanfter instrumentaler Ambient/Postrock-Ausklang. Vielleicht ein Überbleibsel aus der Phase, als man ohne neue Sängerin geplant hat? Auf jeden Fall ein schöner Abschluss nach einer Stunde wunderbaren Weltschmerzes.
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