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2019-09-25

MAGMA - Zëss (Le Jour Du Néant)

"Et toi, Kreuhn Köhrmahn,
Maître de toutes vies et de toutes mort
Zeuhl est ton nom"




MAGMA - Zëss (Le Jour Du Néant) (gold vinyl) (2019)


Larger than life waren Magma mit ihrer einzigartig visionären Musik ja schon immer. Eine gewaltige kreative Urkraft von universellem, über die Grenzen üblicher Kategorisierung hinausgehenden Anspruch.
Dass das Werk der vor fünfzig Jahren gegründeten Zeuhl-Band in der Tat auf unserem Planeten und nicht in der fernen Welt Kobaïa entstanden ist, zeigt sich musikalisch neben der zuweilen schon sehr humorvollen Kauzigkeit im Grunde nur dadurch, dass die meisten Alben unter der dann doch noch irgendwie menschlichen Vierzig-Minuten-Marke bleiben.

Abgesehen von dieser zeitlichen Begrenzung ist kosmisches Ausmaß bei Magma aber durchaus just another day at the office. Und nun also noch epochaler?

"Zëss", ein Titel der lautmalerisch nach dem finalen Auspusten der Großen Kerze klingt. "Der Tag des Nichts", die Kulmination und das Vergessen aller Dinge. Das Ende aller Enden. Wusch. Zëss!


Ebenso wie die meisten vor ein paar Jahren auf Jazz Village erschienenen Veröffentlichungen von Magma handelt es sich auch bei "Zëss" um Material, welches in Konzepten bzw. alternativen und unfertigen Live-Versionen schon seit Jahrzehnten existierte.

Und dass es gerade in diesem Fall vierzig Jahre bis zur Vollendung der ursprünglichen Idee gedauert hat, ist verständlicher als bei allen anderen Alben, können sich doch auch Rockbands mit langjährigem internationalen Kultstatus nicht mal eben so leisten, das Prager Symphonieorchester für eine zentral tragende Rolle zu engagieren.


Doch packen wir die Schallplatte doch erst einmal aus!

Dem krönenden Anspruch des Projekts entsprechend kommt die Platte im royalen Gold. Auch die sonstige Gestaltung des Gatefolds mit den Fotos der leeren Aufnahmeräume statt der Musiker ist schön gemacht. Dazu gibt es ein aufklappbares Blatt mit Texten und Liner Notes.




Der einzige Wermutstropfen am Inhalt ist, dass Music On Vinyl keine Downloadcodes beilegt, d.h. ich habe mir meine Digitalkopie wie so oft in diesem Fall selbst gebastelt. Anders als auf der CD-Version ist bei mir der Mammuttrack also nicht in mehrere Häppchen aufgeteilt, was ich im Grunde auch besser finde. Allerdings gibt es zum Seitenwechsel der Platte natürlich ein Aus- und Einfaden. In meiner Kopie habe ich dies zwar mit ein paar Handgriffen geschickt verborgen, aber ich glaube, ich habe dadurch auch ein paar Takte Gesamtspielzeit verloren, ist meine Version doch nun eine ganze Minute zu kurz.[empört erstauntes Emoji hier einsetzen]


Doch nun zur Musik an sich:

Was schon beim Lesen der Credits auffällt, sind die erheblichen Unterschiede des Album-Line-Ups zur aktuellen Livebesetzung der Band. Und damit ist nicht nur das offensichtliche Symphonieorchester gemeint.

So wird auf "Zëss" kein Vibraphon, wohl aber Klavier gespielt. Sänger Hérve Aknin tritt in den Chor zurück und spielt nur eine untergeordnete Rolle, da Christian Vander den Löwenanteil des Leadgesangs, nur gelegentlich geteilt mit seiner Gattin und Chor-Vorsängerin Stella, selbst übernimmt.
Dafür verzichtet er allerdings komplett darauf, Schlagzeug zu spielen und überlässt diese Aufgabe Morgan Ågren von der schwedischen Prog-Gruppe Kaipa.

Seit meinem letzten Magma-Album-Review ist einige Zeit vergangen, in der ich u.a. endlich John Coltrane für mich entdeckt habe. Angesichts der Tatsache, dass Mastermind Christian Vander geradezu von Coltrane besessen ist, bis hin zur Aussage, gar keine andere Musik als die der Saxophonlegende zu hören, hilft mir das durchaus, "Zëss" zu verstehen.

Die Grundidee der gesamten Komposition beruht nämlich auf zwei, fast durch das ganze Stück konsequent durchgehaltenen Klavierakkorden, die mich in ihrer Wirkung doch sehr an "A Love Supreme" erinnern, was durchaus die überlebensgroße Ambition von "Zëss" unterstreicht.

Überhaupt ist die Kernband im Grunde sehr minimalitisch unterwegs. Nach wenigen Minuten langsamer Einleitung preschen Drums und Bass in einem schnellen, nimmermüden 2/4-Galopp voran und bilden gemeinsam mit dem Piano die atemlose, aber stabile und sich nur sehr subtil und geduldig wandelnde Grundlage für ein über zwanzigminütes Crescendo, in dem sich Christian Vander ganz allmählich von einer langen französischen Beschwörung in spoken words zu wilden kobaïanischen Gesangsimprovisationen steigert, während um ihn herum das Orchester und schließlich auch der Chor immer größer und wahnsinniger herumtanzen.

Die Band bleibt das ausdauernde Fundament (ausgenommen die Gitarre, welche in unauffälliger Rolle in erster Linie die vielkehligen schnellen Gesänge unterstreicht), doch die Seele von "Zëss" wird durch Stimmen und das Orchester ausgedrückt.
Dass das Symphonie-Arrangement aus der Feder von Rémi Dumoulin stammt, welcher in der Vergangenheit bereits als Saxophonist mit Magma gespielt hat, erklärt neben der allgemein großen Nähe der Band zu carl-orffscher Klassik wohl, warum die ganze Zusammenarbeitet hier so natürlich und gut - weit über dem Niveau der meisten Rock/Klassik-Projekte - funktioniert.

Und nachdem Streicher, Bläser, Gesang schon mehrere unfassbare Feuerwerke gezündet haben, schwingt der Rhythmus doch noch um und Magma brechen in einen ekstatischen Gospel aus, welcher ein wunderbares Meta-Element enthält, als der kobaïanische Chor statt gewohnten Zeilen wie

"Ün zürr !!
Dëh stöht dëh öóhrdëhn
Ëh ïó ah"

oder

"Ëmëhmöh nëmëhsïn   ëmëhmöh nëmëhsïn
Ëmëhmöh nëmëhsïn   ëmëhmöh ëmëh sïdëhn dö wï"

plötzlich folgendes singt:

"Sanctus sanctus
Ïëzüsz krïstüsz"


...was wohl nur ganz zufällig nach "Jesus Christus" klingt.


Danach folgt ein letztes Aufbäumen und der Absturz in den ins Nichts mündenden Epilog.


"OM"


Atemlosigkeit.

Das Ende.

Über alle Welten und Weltanschauungen hinaus.

Zëss.



Wow.



Sollte dies das letzte Studiowerk von Magma sein, dann ist es wahrhaftig ein Big Bang von einem Abgang.





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