Auf meiner Blog-To-Do-Liste stehen zwar noch einige eher aufs Roadburn Festival zurückgehende Tonträger-Rezensionen, doch nun will ich hier zur Abwechslung auch mal wieder ein wenig die Vorfreude aufs Wacken Open Air pflegen.
Wobei ich es trotz mehrerer Mitfahrer frühzeitig dorthin schaffen muss, um die hier besprochene Band nicht zu verpassen, spielt sie doch bereits am frühen Mittwoch Abend. Das wird wohl meine große organisatorische Herausforderung dieses Jahr...
Es geht um das gemeinsame Projekt von Ayreon-Meisterhirn Arjen Lucassen und Ex-The Gathering-Goldkehle Anneke van Giersbergen:
Wobei ich es trotz mehrerer Mitfahrer frühzeitig dorthin schaffen muss, um die hier besprochene Band nicht zu verpassen, spielt sie doch bereits am frühen Mittwoch Abend. Das wird wohl meine große organisatorische Herausforderung dieses Jahr...
Es geht um das gemeinsame Projekt von Ayreon-Meisterhirn Arjen Lucassen und Ex-The Gathering-Goldkehle Anneke van Giersbergen:
THE GENTLE STORM - The Diary (3LP/2CD) (2015)
Auch wenn sich der scheue Einsiedler Lucassen live (abgesehen von einer handvoll Unplugged-Shows, zu denen seine Kreativpartnerin ihn gepeitscht hat) nicht beteiligt, wären The Gentle Storm für mich natürlich auch dann Wacken-Pflichtprogramm, wenn die Scheibe nur so lala wäre; einfach durch ihre große positive Präsenz (Ich erinnere mich immer noch mit Freude an ihr für mich überraschendes Auftauchen mit Maiden United.) und natürlich ihre Stimme, die nach wie vor das Maß aller Dinge für klaren weiblichen Gesang im Metalkontext ist.
Wobei "The Diary" gar kein Metal-Album ist, zumindest in einer der beiden Versionen.
Ja, das komplette Ding ist in zwei unterschiedlichen Interpretationen enthalten, nämlich der "Gentle version" und der "Storm version".
Dieses Konzept klingt schon mal nach einer typischen Lucassen-Idee (remember "Universal Migrator"?), und auch die musikalischen Ausrichtungen dieser Alben sind in seinem musikalischen Kosmos nichts gänzlich neues. Einmal haben wir hier das seit "The Human Equation" immer weiter entwickelte Folk-Element für sich stehen, während "Storm" eher auf den typischen bombastischen Progmetal-Sound baut.
Weiterhin unverkennbar Arjen Lucassen sind die Zusammenarbeit mit Drummer Ed Warby und die Tatsache, dass es sich hier um ein Konzeptalbum handelt.
Doch um als weiteres Ayreon- oder gar Solowerk durchzugehen, unterscheidet sich "The Diary" doch in entscheidenden Punkten zu sehr vom vergangenen Schaffen aus dem Electric Castle Studio.
So ist Anneke von Giersbergen diesmal nicht eine von mehreren angeheuerten Stimmen, sondern trägt das Album gesanglich fast ganz alleine.
Und vor allem handelt es sich bei The Gentle Storm auch jenseits der reinen Performance um ein gemeinsames Projekt der beiden Künstler auf Augenhöhe.
Dabei haben van Giersbergen und Lucassen gemeinsam das Konzept erarbeitet, er die Musik komponiert und sie die Texte geschrieben.
Bei den Aufnahmen hat sich der Multiinstrumentalist für seine Verhältnisse eher zurückgehalten. Natürlich spielt er fast alle Gitarren und weitere Saiteninstrumente wie z.B. Mandoline, Banjo und Dulcimer. Den elektrischen Bass hat er jedoch Johan van Stratum überlassen, und vor allem verzichtet er freiwillig komplett auf eines seiner stärksten Markenzeichen: Es gibt auf "The Diary" keinerlei analoge (oder digitale) Keyboards zu hören!
Wohl aber kommen reichlich andere Instrumente zum Zuge: Flöten, Streicher, Horn, Klavier, Sitar, Bouzouki und diverse indische Gerätschaften wie Surbahar und Tabla bestimmen u.a. das Klangbild.
Die "Storm version" bietet zusätzlich auch noch einen bombastischen Seemannschor, der auf holländisch Kommandos wie "Ras aan bord. Trossen los!" singt.
Und welche Version ist besser?
Ehrlich gesagt, kann ich das nicht beantworten. Ein guter Song ist ein guter Song, egal womit man ihn vorträgt. Und alle Songs auf "The Diary" sind klasse.
Die "Gentle version" passt mit ihrer traditionelleren Instrumentierung und größeren Sensibilität insgesamt einen Tick besser zum historischen Sujet des Albums (mehr dazu gleich), während der "Storm" vor allem in den Action-Sequenzen der Handlung punktet.
Zwar unterscheiden sich beide Versionen deutlich, was das Doppel-Konzept auch rechtfertigt, doch sie tragen immer noch so sehr die selbe Handschrift, dass sie sich auch problemlos mischen lassen. Hätten sich Arjen und Anneke bei jedem Lied also nur für eine Lieblingsversion entschieden, wäre dies immer noch ein tolles Album. Und sicherlich haben sich auch schon einige Fans ihre persönlichen Lieblings-Playlisten für "The Diary" zusammengeschustert.
Ich mag sie beide gleichermaßen und kann nur spontan nach meinem Bedürfnis nach mehr Gefühl oder mehr Wumms entscheiden, wie ich das Album genießen möchte.
Immer reinschmeißen könnte ich das Ding nicht, da es teilweise schon recht zuckersüßlich an der Kitschgrenze tanzt, wozu man schon in Stimmung sein sollte.
Musikalisches Fazit: The Gentle Storm präsentieren ein einwandfreies, melodisch beschwingtes Progmetal/Folkrock-Werk, perfekt kraftvoll produziert, mit einer bezaubernden Anneke van Giersbergen in Bestform am Mikro.
Und nun zum Sahnehäubchen auf der Torte!
Das mit historisch fachkundiger Beratung entwickelte Konzept des Albums ist nämlich extrem gelungen. Oberflächlich verbindet die Geschichte den Blick auf das Goldene Zeitalter Hollands, als die Niederlande nichts nur die größten Entdecker stellte, sondern auch wirtschaftlich, wissenschaftlich und kulturell eine Weltmacht waren, mit einer klassischen Liebesgeschichte.
Der Plot ist dabei ganz simpel: Joseph ist ein Seemann, der im Dezember 1666 auf große Handelsfahrt gen Indien segelt. Seine geliebte Susanne bleibt in Amsterdam zurück und stellt wenige Wochen später fest, dass sie schwanger ist. Während Joseph fremde Länder kennenlernt und Stürmen trotzt, kommt das Kind der beiden zur Welt. Doch dann wird Susanne krank...
Erzählt wird die Geschichte über Susannes titelgebendes Tagebuch, welches ihre Nachfahren in einer Truhe aus Hinterlassenschaften finden. Neben ihren Tagebucheinträgen befinden sich darin alle Briefe, die sich die Liebenden während Josephs langer Reise geschrieben haben.
Jene Briefe sind die Songtexte des Albums.
Der eigentliche Clou der Geschichte, welcher ihr jenseits der zeitlosen Liebesgeschichte und den Schwärmereien von Amsterdam und Indien eine sehr aktuelle Relevanz gibt, ergibt sich allerdings erst im Zusammenhang mit der Verpackung.
Wie sowohl von InsideOut als auch von Ayreon gewohnt gibt es "The Diary" in mehreren luxeriösen Ausführungen wie z.B. Digipack und Artbook.
Die Vinyl-Variante enthält drei LPs sowie beide Versionen des Albums zusätzlich auf CD. In einem wunderschön aufgemachten großformatigen Booklet sind alle Texte (bzw. Briefe) und die dazugehörigen Tagebucheinträge zu sehen.
Wobei "The Diary" gar kein Metal-Album ist, zumindest in einer der beiden Versionen.
Ja, das komplette Ding ist in zwei unterschiedlichen Interpretationen enthalten, nämlich der "Gentle version" und der "Storm version".
Dieses Konzept klingt schon mal nach einer typischen Lucassen-Idee (remember "Universal Migrator"?), und auch die musikalischen Ausrichtungen dieser Alben sind in seinem musikalischen Kosmos nichts gänzlich neues. Einmal haben wir hier das seit "The Human Equation" immer weiter entwickelte Folk-Element für sich stehen, während "Storm" eher auf den typischen bombastischen Progmetal-Sound baut.
Weiterhin unverkennbar Arjen Lucassen sind die Zusammenarbeit mit Drummer Ed Warby und die Tatsache, dass es sich hier um ein Konzeptalbum handelt.
Doch um als weiteres Ayreon- oder gar Solowerk durchzugehen, unterscheidet sich "The Diary" doch in entscheidenden Punkten zu sehr vom vergangenen Schaffen aus dem Electric Castle Studio.
So ist Anneke von Giersbergen diesmal nicht eine von mehreren angeheuerten Stimmen, sondern trägt das Album gesanglich fast ganz alleine.
Und vor allem handelt es sich bei The Gentle Storm auch jenseits der reinen Performance um ein gemeinsames Projekt der beiden Künstler auf Augenhöhe.
Dabei haben van Giersbergen und Lucassen gemeinsam das Konzept erarbeitet, er die Musik komponiert und sie die Texte geschrieben.
Bei den Aufnahmen hat sich der Multiinstrumentalist für seine Verhältnisse eher zurückgehalten. Natürlich spielt er fast alle Gitarren und weitere Saiteninstrumente wie z.B. Mandoline, Banjo und Dulcimer. Den elektrischen Bass hat er jedoch Johan van Stratum überlassen, und vor allem verzichtet er freiwillig komplett auf eines seiner stärksten Markenzeichen: Es gibt auf "The Diary" keinerlei analoge (oder digitale) Keyboards zu hören!
Wohl aber kommen reichlich andere Instrumente zum Zuge: Flöten, Streicher, Horn, Klavier, Sitar, Bouzouki und diverse indische Gerätschaften wie Surbahar und Tabla bestimmen u.a. das Klangbild.
Die "Storm version" bietet zusätzlich auch noch einen bombastischen Seemannschor, der auf holländisch Kommandos wie "Ras aan bord. Trossen los!" singt.
Und welche Version ist besser?
Ehrlich gesagt, kann ich das nicht beantworten. Ein guter Song ist ein guter Song, egal womit man ihn vorträgt. Und alle Songs auf "The Diary" sind klasse.
Die "Gentle version" passt mit ihrer traditionelleren Instrumentierung und größeren Sensibilität insgesamt einen Tick besser zum historischen Sujet des Albums (mehr dazu gleich), während der "Storm" vor allem in den Action-Sequenzen der Handlung punktet.
Zwar unterscheiden sich beide Versionen deutlich, was das Doppel-Konzept auch rechtfertigt, doch sie tragen immer noch so sehr die selbe Handschrift, dass sie sich auch problemlos mischen lassen. Hätten sich Arjen und Anneke bei jedem Lied also nur für eine Lieblingsversion entschieden, wäre dies immer noch ein tolles Album. Und sicherlich haben sich auch schon einige Fans ihre persönlichen Lieblings-Playlisten für "The Diary" zusammengeschustert.
Ich mag sie beide gleichermaßen und kann nur spontan nach meinem Bedürfnis nach mehr Gefühl oder mehr Wumms entscheiden, wie ich das Album genießen möchte.
Immer reinschmeißen könnte ich das Ding nicht, da es teilweise schon recht zuckersüßlich an der Kitschgrenze tanzt, wozu man schon in Stimmung sein sollte.
Musikalisches Fazit: The Gentle Storm präsentieren ein einwandfreies, melodisch beschwingtes Progmetal/Folkrock-Werk, perfekt kraftvoll produziert, mit einer bezaubernden Anneke van Giersbergen in Bestform am Mikro.
Und nun zum Sahnehäubchen auf der Torte!
Das mit historisch fachkundiger Beratung entwickelte Konzept des Albums ist nämlich extrem gelungen. Oberflächlich verbindet die Geschichte den Blick auf das Goldene Zeitalter Hollands, als die Niederlande nichts nur die größten Entdecker stellte, sondern auch wirtschaftlich, wissenschaftlich und kulturell eine Weltmacht waren, mit einer klassischen Liebesgeschichte.
Der Plot ist dabei ganz simpel: Joseph ist ein Seemann, der im Dezember 1666 auf große Handelsfahrt gen Indien segelt. Seine geliebte Susanne bleibt in Amsterdam zurück und stellt wenige Wochen später fest, dass sie schwanger ist. Während Joseph fremde Länder kennenlernt und Stürmen trotzt, kommt das Kind der beiden zur Welt. Doch dann wird Susanne krank...
Erzählt wird die Geschichte über Susannes titelgebendes Tagebuch, welches ihre Nachfahren in einer Truhe aus Hinterlassenschaften finden. Neben ihren Tagebucheinträgen befinden sich darin alle Briefe, die sich die Liebenden während Josephs langer Reise geschrieben haben.
Jene Briefe sind die Songtexte des Albums.
Der eigentliche Clou der Geschichte, welcher ihr jenseits der zeitlosen Liebesgeschichte und den Schwärmereien von Amsterdam und Indien eine sehr aktuelle Relevanz gibt, ergibt sich allerdings erst im Zusammenhang mit der Verpackung.
Wie sowohl von InsideOut als auch von Ayreon gewohnt gibt es "The Diary" in mehreren luxeriösen Ausführungen wie z.B. Digipack und Artbook.
Die Vinyl-Variante enthält drei LPs sowie beide Versionen des Albums zusätzlich auf CD. In einem wunderschön aufgemachten großformatigen Booklet sind alle Texte (bzw. Briefe) und die dazugehörigen Tagebucheinträge zu sehen.
Auf der Innenseite des Gatefolds befinden sich die Credits und eben eine Seite, die neben einer historischen Einführung einen Zeitstrahl der Ereignisse enthält.
In diesem sind nicht nur die Ereignisse in Amsterdam und Josephs Reiseroute nachzulesen, sondern vor allem die Wege, welche die von Seeleuten auf anderen Schiffen geschmuggelten Briefe nehmen. (Die Holländische Ostindien-Kompanie erlaubte offiziell keine Briefwechsel, da sie den Verrat von Handelsgeheimnissen fürchtete.)
Und hier wird deutlich, dass die Geschichte keinesfalls so linear ist, wie sie zunächst erscheint. Denn die Briefe sind lange unterwegs. Liest einer vom anderen, so sind inzwischen schon zehn ereignisreiche Monate vergangen.
Und diese spärlichen Nachrichten voneinander reichen tatsächlich, um ihre Liebe und Beziehung aufrecht zu erhalten?
Ist dies in unserer Gegenwart des sozialmedialen Overkills und der ständigen Erreichbarkeit überhaupt noch vorstellbar? Sind wir wirklich so viel weiter als Susanne und Joseph oder sind wir mittlerweile nicht schon wieder einige Schritte zurück gegangen?
Unsere Kommunikation ist unglaublich schnell, unmittelbar, direkt.
Aber ist sie nicht auch oft übereilt, gedankenlos, wertlos?
Und können wir überhaupt noch per Hand schreiben?
Fragen über Fragen.
Die Antworten müssen wir ohne Hilfe aus Holland selbst finden. Aber dabei ab und zu The Gentle Storm zu hören, kann sicherlich nicht schaden.
Anspieltipps "Gentle": Shores Of India, Heart Of Amsterdam
Anspieltipps "Storm": The Storm, Endless Sea
Anspieltipps "Storm": The Storm, Endless Sea
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