- CD review -
Wo waren wir
gerade? Genau, bei Songschreibern, die im Grunde seit Jahrzehnten eine musikalische Formel perfektionieren, bei Jesus und bei Alben mit nur einem Song. Da passt es doch, gleich noch ein Review zu einem Album, auf das ich viele Jahre sehnsüchtig gewartet habe, hinterherzuschieben:
TRANSATLANTIC - The Whirlwind (2009)
Nach acht langen Jahren hat der Herrgott seinem oftmals penetranten, aber dennoch nach wie vor sympathischen Prediger Neal Morse also endlich erlaubt, zusammen mit Mike Portnoy, Roine Stolt und Pete Trevavas den Progsupergroupzeppelin Transatlantic wieder abheben zu lassen. Die erste Frage, die sich da für alle stellt, die wie ich das Glück hatten, sie 2001 auf ihrer einzigen Europatour erleben zu dürfen ist natürlich: Spielen sie wieder in Hamburg? Bittebittebitte!
Leider noch unbeantwortet...
Also kommen wir erstmal zum neuen (insgesamt dritten) Album. Kann es mit den vorigen Meisterwerken mithalten?
Das können wohl erst die nächsten Jahre zeigen, denn schließlich haben "SMPTe" und "Bridge Across Forever" viele Jahre und Hördurchläufe Vorsprung.
Ganz zweifellos ist "The Whirlwind" grandios und alle Kritik bewegt sich auf hohem Niveau.
So lässt sich z.B. bemängeln, dass der angebliche 70-minütige Song eine Mogelpackung ist. Tatsächlich wurde er in 12 Tracks aufgeteilt und die die Brüche zwischen den Parts sind trotz wiederkehrender Themen z.T. so stark, dass ich nicht das Gefühl habe, einem Stück wie z.B. dem halbstündigen "All Of The Above" vom Debüt zu lauschen. Eher fühle ich mich da an das grandiose letzte Spock's Beard-Album mit Neal Morse "Snow" erinnert. Diese Kritik ist allerdings rein akademisch und macht das Album natürlich keinen Deut schlechter.
Wie bei allen Projekten, an denen er beteiligt ist, wurde "The Whirlwind" natürlich maßgeblich von Neal Morse geprägt. Tatsächlich war es in einer kürzeren Version ja sogar als neues Soloalbum geplant gewesen...
So gibt es einige ganz unverkennbare Morse-Trademarks wie die gleich am Anfang mit dem Hauptthema beginnende Overtüre, der Aufbau des Finales (Instrumentalwurstelhöhepunkt, dann kurzes Durchatmen, Höhenflughymne und am Ende das Reprise des Openers...) und natürlich der Punkt, welcher den Fans diesmal wohl die größten Sorgen bereitete, nämlich die Lyrics. Im Grunde erzählt der Mann seit Snow ja immer die eine gleiche Geschichte und dies gerade auf seinen Soloalben teils mit einer für atheistische Mitteleuropäer sehr befremdlichen inbrünstigen Direktheit, die zurecht nicht jedermanns Sache ist. So sehr ich z.B. die "Testimony"-Live-DVD musikalisch schätze - textlich ist sie stellenweise kaum zu ertragen.
Zum Glück orientiert sich "The Whirlwind" lyrisch eher an den vorigen Transatlantic-Alben. Es fallen zwar viele Metaphern und es ist klar, worum es geht, aber es tut eben nicht weh. ;)
Zurück zur Musik: Wie gewohnt fantastischer, die ganz Großen zitierender Retro-Prog mit tollen Melodien und Gesängen. Alles ist vollgepackt mit Musik, unzählige Spuren türmen sich übereinander, und trotzdem bleibt die Produktion immer glasklar und jedes Instrument ist stets herauszuhören. Angesichts der auf der Bonus-DVD dokumentierten schnellen und teils unkonventionellen Entstehung des Albums (einige Backgroundgesänge wurden z.B. vor einem Dream Theater-Konzert in einem nicht schallisolierten Raum aufgenommen, wären nebenan der Line-Check stattfand) ist das schon beachtlich.
Stilistisch wird genau dort angeknüpft, wo man vor acht Jahren aufhörte. Neu dazu gibt's vor allem einige jazzige Ansätze.
Was für mich persönlich aber Transatlantic bei aller Morse/Portnoy-Dominanz vor allem ausmacht, das ist das präzise kraftvolle Spiel des Marillion-Bassisten Trevavas. Für mich einer der größten Charaktertieftöner überhaupt.
Den Part, wo ich auch nochmal die Gitarre, das Drumming, die Orgeln usw. lobe, spare ich mir jetzt einfach mal. Meine persönlichen Lieblingsteile / Anspieltipps sind bisher "The Wind Blew Them All Away" und "Is It Really Happening?".
Damit hat es sich natürlich noch nicht, denn die Special Edition besitzt natürlich noch eine Bonusdisc. Jene besteht aus vier weiteren Eigenkompositionen und vier (bzw. eigentlich fünf) Coversongs. Fünf, da "I Need You" ein Minimedley aus den gleichnamigen Songs von America und den Beatles ist.
Ehrlich gesagt finde ich diese Disc insgesamt nicht so stark wie das eigentliche Album. Hauptsächlich beeindruckt mich, wo zum Teufel (oder Gott) die Kerle innerhalb von ein paar Tagen überhaupt die Zeit hernehmen, neben einem Riesenkonzeptwerk auch noch nebenbei über 56 Minuten Bonusmaterial aufzunehmen.
Die eigenen Songs sind zwar ok, aber alle eine Nuance zu weichgespült. "The Return Of The Giant Hogweed" ist ein Genesis-Cover der Sorte "Wir spielen, weil wir's können." Das ist natürlich beeindruckend und alles andere als schlecht, aber man würde wohl notfalls auch ohne auskommen.
Die Highlights der Bonusdisc sind für mich das ruhige sehr überzeugend von Mike Portnoy gesungene Procol Harum-Stück "A Salty Dog" und Santanas "Soul Sacrifice". Für Santana-Cover würden mir zwar schon naheliegendere und passendere Gruppen als Transatlantic einfallen, aber dass hier eines der seltenen Studio-Drumsoli von Portnoy zu hören ist, macht dann schon viel Freude.
Fazit: Gute, aber nicht überragende Bonusdisc mit ein paar Längen, dafür ein geniales Hauptwerk, das bei jedem Hören wächst. Die Legende lebt! :)