An einem der gefühlt wärmsten Tage des Sommers fuhr ich Donnerstag zur Vermeidung von Elbtunnel- oder Elbbrückenverkehrsinfarkt direkt von der Arbeit über die östliche Umgehungsstrecke nach Hamburg Wilhelmsburg. Von einem P+R ging's von dort aus mit der S-Bahn eine Station weiter zu einer Mehrzweckarena an der Grenze der Größenordnung, die ich eigentlich auch lieber vermeide.
Nein, das waren weder Anreiseweg noch Ziel, die ich normalerweise mit Konzerten verbinde. Und selbst die Domino-Pizza zum Abendessen war konsequenterweise ein Novum für mich.
An einem solchen Tag voller kleiner Ungewohnheiten passte es natürlich, dass das Konzert, für das ich ein Innenraumticket hatte, eigentlich gar keines war.
Doch dazu später mehr. Nach ungewohnt langen Stunden des Stehens und Wartens gab es zur Abwechslung zunächst einmal einen vertrauten Opener:
Nein, das waren weder Anreiseweg noch Ziel, die ich normalerweise mit Konzerten verbinde. Und selbst die Domino-Pizza zum Abendessen war konsequenterweise ein Novum für mich.
An einem solchen Tag voller kleiner Ungewohnheiten passte es natürlich, dass das Konzert, für das ich ein Innenraumticket hatte, eigentlich gar keines war.
Doch dazu später mehr. Nach ungewohnt langen Stunden des Stehens und Wartens gab es zur Abwechslung zunächst einmal einen vertrauten Opener:
ZEAL & ARDOR |
Manuel Gagneux und seine zwei Chorgesangsknaben, eine auf dem Boden gebliebene, immer noch über ihren Erfolg staunende Band, die richtig Bock hat und eine erstaunlich umfangreiche Setlist voller kurzer Kracher, Hits und Ohrwürmer. "Ship On Fire", "Blood In The River", "Devil Is Fine".
November 2018, als ich die Baseler Jungs zuletzt im ausverkauften Knust sah, ist nun auch schon eine Weile her, doch im Grunde stand hier genau dieselbe Energie, genau dieselbe Crossover-Band zwischen Black Metal, Gospel, Blues, Soul, Hardcore, Prog, Pop und hastenichtgesehn auf der Bühne.
Das Repertoir hat inwischen nur einige Updates bekommen, so dass sich zwischen die Klassiker von Debüt-EP "Devil Is Fine" und erstem Longplayer "Stranger Fruit" noch Hits der von mir verpassten nächsten Liverunden wie "Wake of a Nation" oder "Götterdämmerung" vom selbstbetitelten 2022er Album gesellten - und natürlich einige Stücke des nicht unumstrittenen, das Markenzeichen Black Metal meets Gospel weit in den Hintergrund schiebenden neuen Werks "Greif".
Die Reaktion auf jene Songs war vielleicht ein wenig verhaltener, doch das schien mir mehr eine Frage der Bekanntheit als des Metal-Faktors gewesen zu sein. Wer Zeal and Ardor hört, der will ja gerade den furchtlosen Spagat zwischen den Welten, nicht wahr?
Die kurzweilige Show kam auf jeden Fall zu Recht super an. Danach schloss sich der Vorhang und der - normale - Konzertteil des Abends war beendet.
November 2018, als ich die Baseler Jungs zuletzt im ausverkauften Knust sah, ist nun auch schon eine Weile her, doch im Grunde stand hier genau dieselbe Energie, genau dieselbe Crossover-Band zwischen Black Metal, Gospel, Blues, Soul, Hardcore, Prog, Pop und hastenichtgesehn auf der Bühne.
Das Repertoir hat inwischen nur einige Updates bekommen, so dass sich zwischen die Klassiker von Debüt-EP "Devil Is Fine" und erstem Longplayer "Stranger Fruit" noch Hits der von mir verpassten nächsten Liverunden wie "Wake of a Nation" oder "Götterdämmerung" vom selbstbetitelten 2022er Album gesellten - und natürlich einige Stücke des nicht unumstrittenen, das Markenzeichen Black Metal meets Gospel weit in den Hintergrund schiebenden neuen Werks "Greif".
Die Reaktion auf jene Songs war vielleicht ein wenig verhaltener, doch das schien mir mehr eine Frage der Bekanntheit als des Metal-Faktors gewesen zu sein. Wer Zeal and Ardor hört, der will ja gerade den furchtlosen Spagat zwischen den Welten, nicht wahr?
Die kurzweilige Show kam auf jeden Fall zu Recht super an. Danach schloss sich der Vorhang und der - normale - Konzertteil des Abends war beendet.
HEILUNG |
Das Öffnen des Vorhangs nach dem Umbau hakte noch etwas und es brauchte lautstarke "Zieh! Zieh! Zieh"-Anfeuerungen, ehe der Roadie den Blick auf die als Kultstätte im Wald verkleidete Bühne wieder frei gab. Alles was danach kam aber war reibungslos funktionierendes, großartig inszeniertes Theater.
Und dies ist nicht im übertragenen Sinne gemeint, so wie meistens, wenn man von "großem Kino" spricht. Nein, ich sagte ja schon, dass dies kein Konzert, sondern Theater war.
Die deutsch-dänisch-norwegische Truppe Heilung verbringt tatsächlich das Kunststück, tausende Metalfans, Mitglieder der schwarzen Szene, RPGler und sogar den einen oder anderen Boomer, der sich nur alle zwanzig Jahre vor eine Bühne verirrt, in eine Arena zu locken, um sich eine aus wildem kulturellen Mischmasch zusammengefrankensteinte, dramatische Musiktheater-Performance anzuschauen, die man despektierlich Wagner für Fantasy/Mittelaltermarkt-Besucher nennen könnte... wenn, ja wenn sie nicht bis ins letzte Detail so unglaublich gut gemacht wäre.
Heilung bezeichnen ihr Schaffen als "Amplified History", was bei korrekter Interpretation nicht falsch ist, jedoch auch zu Trugschlüssen einlädt. "Amplified Fantasy through remixed History" wäre vielleicht der zugegebenermaßen zu umständliche vollständige Claim.
Der überwiegende Eindruck ist, einer überhöhten Nachstellung nordischer Musik und Rituale beizuwohnen, auf die sich auch textlich viel bezogen wird - und das spiegelt sich auch in den Schlagzeilen lokaler Konzertberichterstattung wieder. Das ist erneut nicht ganz falsch, aber natürlich extrem durch die Linse der aktuellen popkulturellen Interpretation der Wikinger verzerrt, die mit der Realität sicherlich nur am Rande zu tun hat. Wer glaubt, dass in Skandinavien vor der Christianisierung Kopien der heilungschen Frontschamanen mit ihren fantastischen Geweihen und Kostümen halbnackte Tänzer zu Kehlkopfgesängen in der Vollmondnacht tanzen ließen, der sollte genausout akzeptieren, dass das Alte Rom von den Masters of the Universe regiert wurde. Aber um Authentizität geht es hier ja zum Glück gar nicht.
Es geht um Gefühle und Sehnsüchte. Es geht um ein Erlebnis, welches sich gleichzeitig mysteriös und transzendent, aber auch urtümlich und instinktiv vertraut anfühlt. Es geht um Spiritualität, Gemeinschaftssinn, kulturelle Verwurzelung, Nähe zur Natur, Rückbesinnung auf im modernen Leben verlorene Naturnähe, um eine romantischer begründete Ordnung und Existenz. Und es geht um all dies in einer diffusen, offenen Form, die es jedem Zuschauer erlaubt, seine eigenen Rosinen zu picken, die aber gleichzeitig so umsichtig ist, gleich zu Beginn nach einer rituellen Segnung der Bühne in ungewöhnlich klaren Worten die Vereinnahmung durch völkische Trottel abzuweisen. Es ist eine Form, die so hingebungsvoll Bedeutung simuliert, bis sie tatsächlich Bedeutung erlangt.
Natürlich gibt es viele Bands, Künstler, Musikstile, die unterschiedliche Wege gefunden haben, prähistorische Ursprünglichkeit und einen urtümlichen, mit Worten nicht erklärbaren Geist hervorzurufen. Das Besondere an an Heilung ist, dass dieses bis zu anderthalb dutzend Mann/Frau starke Ensemble mit seinen Zeremonienmeistern, oberkörperfreien Kriegern/Tänzern und riesige Klöppel schwingenden Trommlern einfach jeden nicht zielführenden Ballast auslässt, dafür aber alles mögliche in den Mixer wirft, was die gewünschte Wirkung erzielen könnte:
Unfassbar hohe skandinavische Kulning-Gesänge, wie wir sie auch von Myrkur kennen, treffen auf neuzeitliche Interpretationen tuwinischer/mongolischer Kehlkopfgesänge, eher in osteuropäischer Volksmusik verwurzelten Gesangsmelodien und an neuseeländische Hakas angelehnte Kriegsgesänge.
Die sowohl von Muskelkraft durch Trommeln, Knochen, Rasseln, Speere und Stampfen, als auch durch Looping erzeugten Rhythmen fühlen sich in ihrer fieberhaft primitiven Direktheit weltmusikalisch universell an, eine Sprache, die jeder versteht. Das transportiert an Stammesfeuer und ins Schamanenzelt, ist am Ende der Show aber ein reiner Rave.
Und der Rest der Musik ist Melodie? Nein, diese wird instrumental nur sehr spärlich bedient und geht über die Hits "Lifa" und "Anoana" nicht hinaus. Stattdessen herrscht Drone vor, erzeugt durch Hörner, Saiten, Elektronik. Alles komplett auf außerkörperliche Rauschhaftigkeit gebügelt.
Und optisch staunt man, wie viel choreographische Abwechslung und Lichtspektakel in diesem Bühnenbild umgesetzt wird. Nordeuropäisch inspirierte Fantasie zwischen Sommernachtstraum und Nibelungenring, Kriegs- und Hexentanz. Liebe, Leidenschaft, Totenmesse und Feier des Lebens. Und wenn's sein muss auch gerne ein Hauch Yoga, Shibari und was das globale Kulturerbe zwischen Klingonen und Shoshonen sonst noch als in Heilungs Ästhetik adaptierbare Rohmasse hergibt.
Es gibt verdammt viele Elemente, an denen die Zusammensetzung dieses abenteuerlichen Puzzles scheitern könnte. Zum Glück jedoch weiß dieser Zirkus der Mythologie, was er tut, und Heilungs Performance war ein die Sinne überwältigendes Ereignis.
Odin und Manwë im Himmel, selbst wenn mich hier irgendein Detail genervt hätte (den zu lange geöffneten Fotograben nehme ich hier mal aus), dann hätte Maria Franz' ätherisch-magische Engelstimme allein dies wahrscheinlich ´schon mühelos ausgeglichen.
Ganz großes Theater und definitiv eines der Showhighlights des Jahres!
Die deutsch-dänisch-norwegische Truppe Heilung verbringt tatsächlich das Kunststück, tausende Metalfans, Mitglieder der schwarzen Szene, RPGler und sogar den einen oder anderen Boomer, der sich nur alle zwanzig Jahre vor eine Bühne verirrt, in eine Arena zu locken, um sich eine aus wildem kulturellen Mischmasch zusammengefrankensteinte, dramatische Musiktheater-Performance anzuschauen, die man despektierlich Wagner für Fantasy/Mittelaltermarkt-Besucher nennen könnte... wenn, ja wenn sie nicht bis ins letzte Detail so unglaublich gut gemacht wäre.
Heilung bezeichnen ihr Schaffen als "Amplified History", was bei korrekter Interpretation nicht falsch ist, jedoch auch zu Trugschlüssen einlädt. "Amplified Fantasy through remixed History" wäre vielleicht der zugegebenermaßen zu umständliche vollständige Claim.
Der überwiegende Eindruck ist, einer überhöhten Nachstellung nordischer Musik und Rituale beizuwohnen, auf die sich auch textlich viel bezogen wird - und das spiegelt sich auch in den Schlagzeilen lokaler Konzertberichterstattung wieder. Das ist erneut nicht ganz falsch, aber natürlich extrem durch die Linse der aktuellen popkulturellen Interpretation der Wikinger verzerrt, die mit der Realität sicherlich nur am Rande zu tun hat. Wer glaubt, dass in Skandinavien vor der Christianisierung Kopien der heilungschen Frontschamanen mit ihren fantastischen Geweihen und Kostümen halbnackte Tänzer zu Kehlkopfgesängen in der Vollmondnacht tanzen ließen, der sollte genausout akzeptieren, dass das Alte Rom von den Masters of the Universe regiert wurde. Aber um Authentizität geht es hier ja zum Glück gar nicht.
Es geht um Gefühle und Sehnsüchte. Es geht um ein Erlebnis, welches sich gleichzeitig mysteriös und transzendent, aber auch urtümlich und instinktiv vertraut anfühlt. Es geht um Spiritualität, Gemeinschaftssinn, kulturelle Verwurzelung, Nähe zur Natur, Rückbesinnung auf im modernen Leben verlorene Naturnähe, um eine romantischer begründete Ordnung und Existenz. Und es geht um all dies in einer diffusen, offenen Form, die es jedem Zuschauer erlaubt, seine eigenen Rosinen zu picken, die aber gleichzeitig so umsichtig ist, gleich zu Beginn nach einer rituellen Segnung der Bühne in ungewöhnlich klaren Worten die Vereinnahmung durch völkische Trottel abzuweisen. Es ist eine Form, die so hingebungsvoll Bedeutung simuliert, bis sie tatsächlich Bedeutung erlangt.
Natürlich gibt es viele Bands, Künstler, Musikstile, die unterschiedliche Wege gefunden haben, prähistorische Ursprünglichkeit und einen urtümlichen, mit Worten nicht erklärbaren Geist hervorzurufen. Das Besondere an an Heilung ist, dass dieses bis zu anderthalb dutzend Mann/Frau starke Ensemble mit seinen Zeremonienmeistern, oberkörperfreien Kriegern/Tänzern und riesige Klöppel schwingenden Trommlern einfach jeden nicht zielführenden Ballast auslässt, dafür aber alles mögliche in den Mixer wirft, was die gewünschte Wirkung erzielen könnte:
Unfassbar hohe skandinavische Kulning-Gesänge, wie wir sie auch von Myrkur kennen, treffen auf neuzeitliche Interpretationen tuwinischer/mongolischer Kehlkopfgesänge, eher in osteuropäischer Volksmusik verwurzelten Gesangsmelodien und an neuseeländische Hakas angelehnte Kriegsgesänge.
Die sowohl von Muskelkraft durch Trommeln, Knochen, Rasseln, Speere und Stampfen, als auch durch Looping erzeugten Rhythmen fühlen sich in ihrer fieberhaft primitiven Direktheit weltmusikalisch universell an, eine Sprache, die jeder versteht. Das transportiert an Stammesfeuer und ins Schamanenzelt, ist am Ende der Show aber ein reiner Rave.
Und der Rest der Musik ist Melodie? Nein, diese wird instrumental nur sehr spärlich bedient und geht über die Hits "Lifa" und "Anoana" nicht hinaus. Stattdessen herrscht Drone vor, erzeugt durch Hörner, Saiten, Elektronik. Alles komplett auf außerkörperliche Rauschhaftigkeit gebügelt.
Und optisch staunt man, wie viel choreographische Abwechslung und Lichtspektakel in diesem Bühnenbild umgesetzt wird. Nordeuropäisch inspirierte Fantasie zwischen Sommernachtstraum und Nibelungenring, Kriegs- und Hexentanz. Liebe, Leidenschaft, Totenmesse und Feier des Lebens. Und wenn's sein muss auch gerne ein Hauch Yoga, Shibari und was das globale Kulturerbe zwischen Klingonen und Shoshonen sonst noch als in Heilungs Ästhetik adaptierbare Rohmasse hergibt.
Es gibt verdammt viele Elemente, an denen die Zusammensetzung dieses abenteuerlichen Puzzles scheitern könnte. Zum Glück jedoch weiß dieser Zirkus der Mythologie, was er tut, und Heilungs Performance war ein die Sinne überwältigendes Ereignis.
Odin und Manwë im Himmel, selbst wenn mich hier irgendein Detail genervt hätte (den zu lange geöffneten Fotograben nehme ich hier mal aus), dann hätte Maria Franz' ätherisch-magische Engelstimme allein dies wahrscheinlich ´schon mühelos ausgeglichen.
Ganz großes Theater und definitiv eines der Showhighlights des Jahres!